Die Sprache der Wissenschaft: Ob Fruchtliegenforscher, Atomphysiker, Verfahrenschemiker oder Wissenschaftler der internationalen Henrik-Ibsen-Community: sie alle verwenden Englisch als Forschungs- und Verkehrssprache. Latein hat seine zentrale Stellung im Wissenschaftsbetrieb natürlich längst verloren, nur noch neu entdeckte Pflanzen müssen lateinisch beschrieben werden. Mit zunehmender Bedeutung länderübergreifender Forscherteams verlieren aber auch die gegenwärtigen Landessprachen immer mehr an Stellenwert. Sogar ganze Forschungsgebiete werden an nationalen Universitäten nicht mehr in den jeweiligen Landessprachen diskutiert und bearbeitet, sondern auf Englisch, in einer Qualität, die trotz langjährigen Englischlernens an Schulen nicht an das Sprachniveau der Muttersprache heranreicht. Internationale Studiengänge und nationale Tagungen, die ausschließlich auf Englisch angeboten werden, tun ihr übriges, um “BSE” (Bad Simple English), wie Kritiker das oft niedrige Sprachniveau bezeichnen, verstärkt zu etablieren. Eine Sendung zur Frage der Vielsprachigkeit der Wissenschaft.
Manuskript (ohne letzte Änderungen)
DIMENSIONEN, Donnerstag, 16. Oktober
Quantensprung or Quantum jump?
Eine Sendung über die Folgen der Einsprachigkeit in der Wissenschaft von Lothar Bodingbauer
Ob Fruchtliegenforscher, Atomphysiker, Verfahrenschemiker oder Wissenschaftler der internationalen Henrik-Ibsen-Community: sie alle verwenden Englisch als For- schungs- und Verkehrssprache. Latein hat seine zentrale Stellung im Wissen- schaftsbetrieb natürlich längst verloren – nur noch neu entdeckte Pflanzen müssen lateinisch beschrieben werden. Mit zunehmender Bedeutung länderübergreifender Forscherteams verlieren aber auch die gegenwärtigen Landessprachen immer mehr an Stellenwert. Sogar ganze Forschungsgebiete werden an nationalen Uni- versitäten nicht mehr in den jeweiligen Landessprachen diskutiert und bearbeitet, sondern auf Englisch – in einer Qualität, die trotz langjährigen Englischlernens an Schulen nicht an das Sprachniveau der Muttersprache heranreicht. Internationale Studiengänge und nationale Tagungen, die ausschließlich auf Englisch angeboten werden, tun ihr übriges, um “BSE” (Bad Simple English), wie Kritiker das oft niedri- ge Sprachniveau bezeichnen, verstärkt zu etablieren. Eine Sendung zur Frage der Vielsprachigkeit der Wissenschaft.
MANUSKRIPT
OT 1 / 00:50 / Mix unterschiedlicher Wissenschaftler
Mein Name ist Hans Pechar, Hochschulforscher. Ein großer Teil der Teil der Literatur, die ich lese, vermutlich mittlerweile etwa 4/5 ist englische Literatur. Meine eigene Publikations- tätigkeit 3/4 Deutsch, 1/4 Englisch.
OK [englisch ausgesprochen] – Mein Name ist Miria Kutzter, ich arbeite am Institut für dogmatische Theologie an der Universität Wien. Also es war lange Zeit so, da musste man Deutsch können, um Theologie studieren zu könne, das ist etwas, was sich deutlich geän- dert hat, die Diskurse rutschen jetzt auch ins Englisch hinüber …
Ich heiße Franz Pöchhacker, Dolmetschwissenschaftler. Meine wissenschaftliche Arbeit verläuft auf Englisch.
Hans Lohninger, Chemiker, und meine Forschungssprache ist Englisch.
Sprecherin
Quantensprung – oder vielleicht ist besser: Quantum jump?
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OT 2 / 00:22 / Oberhummer auf Englisch
Hello, my name is Heinz Oberhummer. I come from Vienna University of Technology. I am a physicist, but besides this I am also engaged in presening popular science through books through cabaret, in order to tell the people, how interesting science is …
Sprecherin
Eine Sendung zur Frage der Einsprachigkeit der Wissenschaft von Lothar Boding- bauer.
OT 3 / 00:48 / Oberhummer
Manchmal denke ich auf Englisch, und manchmal muss ich sogar wenn ich Deutsch spre- che krampfhaft nach dem wissenschaftlichen Wortsuchen, wie das in der wissenschaftli- chen Sprache heißt. Ich kenne zum Beispiel Physik in CERN, die stammen aus Öster- reich, die können sich eigentlich wissenschaftlich nicht mehr in Deutsch ausdrücken. Die können nur mehr Englisch reden. Englisch ist ja eine einfache Sprache in dem Sinn, die Sätze sind kürzer, es ist prägnant, eigentlich wesentlich die geeigneter Sprache für Natur- wissenschaft als zum Beispiel Deutsch, die Deutsche Sprache sind Schachtelsätze, die sind wesentlich komplizierter. Aber auch beim Publizieren ist es so, dass es wesent- lich einfacher ist vom Stil her im Englischen zu publizieren, weil die Sätze kürzer sind und dies wissenschaftlichen Erkenntnisse leichter vermitteln kann.
Ganz ohne Zweifel: Englisch ist zur Lingua Franca geworden, zur Verkehrssprache zwischen Sprechern verschiedener Sprachgemeinschaften. Auch in den Wissen- schaften. Es begann mit der Auswanderung und Vertreibung deutschsprachiger Wissenschaftler vor und während des 2. Weltkriegs und gerade der Boom elektro- nischer Kommunikationsmittel hat Englisch als leicht erlernbare Austauschsprache in seiner Bedeutung gefestigt. Bevor allerdings ein etwaiges Verschwinden von Deutsch als Wissenschaftssprache bemerkt und auch bedauert wird, ist es wichtig, die Funktionen einer Wissenschaftssprache im Universitätsgeschehen klar darzu- stellen. Drei wesentliche Punkte sind zu erkennen, sagt der Hochschulforscher Hans Pechar:
OT 4 / 1:10 Pechar
Das eine ist die Publikation von Forschungsergebnissen. Da hat sich das Englische am stärksten durchgesetzt und so wie jetzt ausschaut, auf lange Sicht wird sich daran nichts ändern. Das zweite ist bei Kommunikation auf Konferenzen, der Austausch von Forsche- rinnen. Und der Dritte wichtige Bereich ist, in welcher Sprache wird gelehrt. Hier aus einer Modetorheit heraus den muttersprachlichen Unterricht durch schlecht gesprochenes Eng-
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lisch zu ersetzten macht ja wirklich keinen Sinn, aber wenn Universitäten sich entschlie- ßen, internationale Studenten zu rekrutieren, dann müssen sie in der Regel auf Englisch umstellen.
Internationale Studierende bringen in der Regel den heimischen Universitäten mehr Geld, als sie kosten. Die Wahl der Sprache der Lehre wird somit – neben der welt- weiten Sichtbarkeit der Aktivitäten – auch zu einer Marketingentscheidung. Doch zunächst zu einem grundsätzlichen Aspekt der Sprache, den der Überset- zungs- bzw. Translationswissenschaftler Gerhard Budin anspricht: die Rolle der Sprache im Erwerb von Wissen.
OT 5 / 00:41 Budin
Es ist einerseits einmal ein Ausdruck der Sprachökonomie. Das heißt, die menschliche Kognition funktioniert so, dass man für die Dinge, die man immer wieder braucht, oder die einen interessieren, dass man die mit Namen belegt, um auf sie mit referieren zu können. Denn wen ich jedes Mal sagen müsste, das ist ein längliches Instrument mit Haare drauf und da kann man reinsprechen, dann wäre das unökonomisch, wenn ich das immer sagen müsste. Wenn ich aber sage, das ist ein Mikrofon mit einem Windschutz, dann kann ich mich ökonomischer ausdrücken. Und dieses Grundprinzip wird in den Wissenschaftsspra- chen weiterentwickelt, aber für den Spracherwerb ist das ganz wesentlich.
Es ist aber nicht nur die Rolle des Hinweisens und Benennens, den die Sprache hier erfüllt. Sprache selbst schafft Wirklichkeit. Dies zeigt sich am besten bei der legistischen Wirklichkeit – ein Rechtssystem das erst entstehen kann, weil es Spra- che, weil es Terminologie gibt. Es ist demnach nicht egal, in welcher Sprache der Wissenserwerb stattfindet. Grundvoraussetzung für jede Wissenschaftssprache ist eine klar und differenziert entwickelte Terminologie. Die Dogmatikerin Mirja Kutzer bringt ein Beispiel aus dem Bereich der Theologie, sie beschäftigt sich mit „dem Bösen“.
OT 6 / 00:32 Kutzer
Ja, also allein schon der Ausdruck, den man benutzt, um das Böse zu beschreiben ent- scheidet letztendlich über die Phänomene, die ich darunter zu verrechnen versuche. Im Englischen haben wir „the evil“. „The evil“ würden wir im Deutschen übersetzen mit „der Böse“, oder „das Böse“ oder „die Böse“. Wir unterscheiden zwischen „dem Bösen“ als ei- ner wie immer zu fassenden Entität oder auch zwischen einer Person, die wir als personi- fiziertes Böses oder wie auch immer bezeichnen wollen.
Im Englischen fällt es leichter, einen Menschen wie Saddam Hussein als „das Bö- se“ zu bezeichnen. Diese Schwelle ist im Deutschen höher, weil es durch die Denk- konzepte, die sich hier durch das Deutsche ausdrücken, mehr Wahlmöglichkeiten
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gibt. Am besten eignet sich aber das Französische, um über das Böse nachzuden- ken, sagt Mirja Kutzer, und das eigentlich aus einem Mangel heraus.
OT 7 / 1:07 / Kutzer
Das klassische lateinische Wort für „das Böse“ wäre das „Malum“, im Lateinischen wird dann unterschieden zwischen malum morale, das Böse, das das moralische Verhalten des Menschen betrifft, und dem malum physicum, alles was wir unter dem Naturbösen subsu- mieren. Im Deutschen hätten wir hier die Möglichkeit zwischen dem Bösen und dem Übel, eine Unterscheidung die im Französischen so aber nicht funktioniert, denn da wird beides subsumiert unter „le mal“. Das heißt aber auch, dass sich unsere französischen Kollegen oder in der französischen Philosophie dieser Zusammenhang zwischen dem Naturbösen und dem Bösen im moralischen Handeln. als Problem viel unmittelbarer stellt als uns, denn wenn wir über das Böse nachdenken, müssen wir noch nicht zwangsläufig oder über das Naturböse, also das Übel nachdenken. Während gerade die Spekulationen wie wir sie bei Paul Ricoeur finden, gerade diese Verbindung versuchen zu suchen, wo liegt sie denn diese Verbindung zwischen dem Bösen und dem Naturbösen.
Viele Begriffe sind an eine bestimmte Wissenschaftssprache gebunden, und manchmal nimmt auch ein deutsches Wort den Umweg über das Englische wieder zurück ins Deutsche, zum Beispiel der Begriff „Einfühlung“, erzählt der Grazer Germanist Robert Velussig.
OT 8 / 00:38 / Velussig
Der Begriff „Einfühlung“ aus der deutschen Philosophie um 1900, das ist diskreditiert wor- den und über den Begriff der „Empathie“ wieder reimportiert. Das ist gewisserweise die Scheu einen Begriff zu verwenden, den Leuten verwende haben, mit denen man theore- tisch nichts mehr zu tun haben möchte. Insofern kann der Export und Reimport von sol- chen Begriffen dazu dienen, dass einem die Scheu von seinem solchen Phänomen wieder genommen wird, und besonders dieser Begriff Einfühlung ist etwas, was in der Literatur- wissenschaft der letzten Jahre besonders diskutiert worden ist.
Die notwendigen Übersetzungvorgänge beim Austausch des Wissens in unter- schiedliche Sprachen sieht der Translationswissenschafter Gerhard Budin nicht unbedingt negativ.
OT 9 / 01:45 / Budin
Meiner eigenen Erfahrungen nach ist diese Zweisprachigkeit Deutsch Englisch etwas posi- tives, weil man durch diesen internen Übersetzungsprozess ja eigentlich immer kreative Moment hat, und etwas weiterdenkt. Zum Beispiel wenn ich Unterrichtsmaterialien, ich
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habe das meistens auf Deutsch und auf Englisch, einmal unterrichte ich irgendwo international, aber auch dann hier auf der Universität und ich brauche dann zum selben Thema Unterrichtsmaterialen in zwei Sprachen, jedesmal wenn ich die Mate- rialien Aktualisierung, bei dieser Gelegenheit denke ich darüber nach, verbessere oder ergänze ich etwas, und. Natürlich gibt es auch Unterschiede in den Argumentati- onsstrategien in den verschiedenen Sprachen. Im englischsprachigen eher geradlinig, we- nig Degression, wenig Abweichungen, im Deutschen traditionellerweise eher komplex, mehrere Argumentationsstränge, die einander manchmal überschneiden, was für den Zu- hörer oder Leser nicht einfach ist oft, zu folgen, dann gibt es auch verschiedene weitere, wie arabische oder chinesische Argumentationslogiken. Andererseits durch diese Interna- tionalisierung der Wissenschaften konvergiert diese Denkweisen immer mehr, denn die Wissenschaftslogik doch wieder etwas mehr oder weniges sprachunabhängiges. Aber auch da wieder in den Naturwissenschaften wesentlich mehr sprachunabhängig, weil die Wissenschaftslogik auf einer allgemeinen Logik beruht, währen die hermeneutische Tradi- tionen, mit Verstehensprozessen und stark kulturspezifischen Ansätzen die Kulturspezifik dann doch eine Sprachspezifik ist
Mit einem Verschwinden des Deutschen aus dem Wissenschaftsbetrieb würde also tatsächlich Wissen verloren gehen, zumindest im nicht-naturwissenschaftlichen Bereich. Der Musikwissenschaftler Richard Parncutt aus Graz geht an der Schnitt- stelle Geistes- und Naturwissenschaft – selbst mehrsprachig – mit seinen Studie- renden einen konsequent zweisprachigen Weg. Er ermuntert seine Studierenden, die Zweisprachigkeit nicht nur in Kauf zu nehmen, sondern gezielt zu entwickeln, und wählt selbst aus dem Fundus der Sprache jene aus, die am besten zu seinen Anforderungen passt. Richard Parncutt erzählt von einem Tag der Geisteswissen- schaften an der Uni Graz, für den sein Institut gebeten wurde, ein gutes Zitat aus der Musikwissenschaften auszuwählen, eines das das Forschungsthema „Musik“ am treffendsten beschreibt.
OT 10 / 01:34 / Parncutt
Wir haben uns entschieden, dass unser Zitat auf Englisch sein wird. Ich meine, ich fand das eigentlich nicht gut, aber in jedem Fall ist ein sehr interessantes Zitat: „Music doesnʻt just happen. It is what we make it and what we make of it“. Nun, wenn man versucht, das zu übersetzen, dann findet man, dass eigentlich die englischsprachigen Menschen viel- leicht nicht klar sind, was es bedeutet. Wenn man sagt: „Music is what we make it“, das heißt Musik hat einen gewissen Stellenwert und es hängt von unserer Einstellung wie gut oder wichtig Musik ist, das kann man aber nur relativ ausführlich erklären. Und dann kommt er nächste Satz „und what we make of it“. Und das heißt, wenn wir aktiv versuchen Musik zu fördern und Musik zu interpretieren oder eine Konstruktion von einer Musikwis- senschaft, Musikwissenschaft zu konstruieren, dann kriegen wir eine neue Version von Musik. Und das kann man auch ausführlich erklären, aber in dem englischen Satz ist es sehr knapp. Und dann entsteht die Frage sollte man das übersetzen wollen, soll man ei- nen Satz schreiben, der zwei mal so lange ist, oder drei mal so lang, und man wird natür- lich nie auf die gleiche Bedeutung kommen, weil die gleiche Bedeutung nicht definiert ist. Das hat man auch innerhalb der deutschen Sprache oder englischen Sprache, dass man nicht immer sagen kann, was man sagen will, das ist nämlich ein Thema in der Musikwis-
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senschaft, dass man bestimmte Erfahrungen in der Musik nicht beschreiben kann, weil die Wörter fehlen. Das nennt man auf Englisch „ineffability“, das man etwas nicht vollständig beschreiben kann.
Ineffability. Das ist in der Musik das Fehlen einer Beschreibung, wo die Worte feh- len. Was in der Musik ganz alltäglich ist, fällt sprachenpolitisch unter den Begriff Domänenverlust. Oft einfach nur aus praktischen Gründen – Zeitsparen, begrenzte Ressourcen, wird nicht nur der Wissensaustausch, sondern die Forschung selbst in Englisch gemacht. Das kann dazu führen, dass diese Themen dann nicht mehr in der jeweiligen Landessprache diskutieren werden können. In Schweden ist das nicht wie in Österreich vor allem bei naturwissenschaftlichen, sondern auch in den geisteswissenschaftlichen Fächern der Fall, erzählt die schwedische Translations- wissenschafterin Elizabeth Tiselius.
OT 11 / 00:31 7 Tiselius / Übersetzung
In Schweden haben wir das Problem, dass mehr und mehr Forschung ausschließ- lich auf Englisch gemacht wird. Das schafft einen Verlust, einen Domänenverlust. Wir verlieren dabei die gesamte Terminologie in der schwedischen Sprache und haben damit nicht mehr die Möglichkeit diese Forschungsfelder auf Schwedisch, in unserer Muttersprache zu diskutieren.
Elisabeth Tiselius wünscht sich, dass Schwedisch wenigstens Englisch gleich ge- stellt wird, damit ihr Universitätsinstitut auch die rechtliche Grundlage hat, schriftli- che Arbeiten sowohl in Englisch, als auch in Schwedisch zu verfassen. Das ist aber noch nicht der Fall. In der praktischen Arbeit muss sie einen Weg finden, die feh- lende Terminologie in den schwedischen Text einzubetten.
OT 12 / 00:41 / Tiselius / Übersetzung
Ich kann Ihnen da ein Beispiel aus der Zweisprachigkeitsforschung geben. Hier geht es um input und output. Input ist das was wir Menschen hören, und output was wir sprechen. Aber wie soll ich das auf Schwedisch nennen? Inströmung und Aus- strömung vielleicht, oder Zuhörung und Produktion? Oder soll ich input und output unter Anführungszeichen setzen? Das ist eine schwierige Frage, und wir müssen uns viel mehr bemühen, eine schwedische Terminologie nicht nur zu erhalten, son- dern auch aufzubauen.
OT 13 / 01:21 / Tiselius / Übersetzung
Man kann ja auch nur in seiner Muttersprache wirklich philosophisch sein, nur in seiner Muttersprache kann man wirklich große und schwierige Fragen diskutieren. Die schwedischen Forscher sollen ruhig international auf englisch wetteifern und
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sich austauschen, aber sie sollen auch den selben Eifer aufwenden, die schwedi- sche Terminologie zu verwenden und zu entwickeln – man kann ja nicht sagen, ach ich habe ja all meine Forschung auf Englisch gemacht, und deswegen werde ich nur Englisch verwenden. – Ich will ja nicht nur mit Leuten im Ausland über meine Forschung reden, sondern auch mit meinen Schülern, oder mit jemandem, den ich zufällig auf der Straße treffen, und erkläre, was ich beruflich mache. Und das kann man nicht machen, wenn man komische Begriffe wie input und output verwendet, oder vielleicht noch schlimmere Begriffe… [lacht].
OT 14 / 00:18 De Cilia
Ich denke, dass Englisch zentrale Rolle hat in der internationalen Kommunikation als Ver- kehrssprache, als Publikationssprache, es ist wichtig, den Studierenden und lehrenden Forschern dementsprechend gute Kompetenzen zur Verfügung zu stellen, …
Der Sprachwissenschaftler Rudolf De Zilliar, Universität Wien. OT 15 / 00:32 De Cilia
… darüber sollte man nicht diskutieren müssen, das ist klar, aber trotzdem ist es wichtig, Nationalsprachen, die ja hochentwickelt sind, deren Entwicklung Jahrhunderte lang ge- dauert hat, die in der deutschen Aufklärung begonnen als funktionsfähige Wissenschafts- sprache, praktiziert und gefördert worden. Eine Politik der Mehrsprachigkeit halte ich für wichtig und nicht die der Einsprachigkeit.
Es ist meist nicht bloß der Wille, der eine nationale Sprache weg vom Wissen- schaftsbetrieb driften lässt. Die Pflege der nationalsprachlichen Terminologie braucht vor allem Zeit und Geld, und natürlich einen sprachenpolitischen Rahmen. In Österreich ist die Wahl der Sprache den Universitäten selbst überlassen. Die Kosten der Mehrsprachigkeit werden dabei oft als Belastung gesehen, und de facto bleiben auf den Internetseiten der Institute Englisch oder Deutsch – die eine oder andere Sprache oft unberücksichtigt. Die Sprache als notwendiges Übel?
OT 16 / 01:13 / De Cillia
Das ist das Argument das häufig gebracht wird, das ökonomistische Argument, die Kosten der Mehrsprachigkeit. Es gibt Leute, die drehen das um: die sagen, die Kosten der Ein- sprachigkeit , die Einsprachigkeit ist teurer. Die Einsprachigkeit hat wenn man so will dann soziale Kosten. Kosten sind ja nicht nur ökonomische Kosten. Wenn man generell gese- hen einsprachige Politik macht, riskiert man soziale Konflikte. Roland Bart sagte, einem Menschen seine Sprache nehmen, alle legalen Morde beginnen da, und natürlich wehren sich die Menschen, dass man Sprache nimmt. —- Das könnten sozialen Kosten im Wissenschaftsbereich sein. Die Entwicklung der Wissenschaftssprachen im Mittel- alter hat zu Beginn der Neuzeit, 16. Jahrhundert aufwärts mit der Demotisierung der
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Wissenschaft, mit der Demokratisierung der zunehmenden Entwicklung der einzel- nen Wissenschaftssprachen dazu geführt, dass das Wissen immer mehr allen Be- völkerungssprachen zur Verfügung gestellt werden konnte. Das Mittelalter war ja letztlich eine dogmatische Form der Wissenschaft, wo die Dogmatik über die Jahr- hunderte fortgeschrieben hat, was richtig und was falsch ist.
Nicht zufällig haben diese neuen Wissenschaftssprachen, die in allen europäischen großen Ländern starteten, das Englische, das Französische, das Spanische, dazu geführt, dass die Wissenschaft demokratisch wurde.
OT 17 / 00:37 / De Cillia
Ein wissenschaftlicher Unitarismus, so schätzen das Kolleginnen und Kollegen ein, wenn man nur in einer Sprache forscht und kommuniziert, auch im deutschsprachigen Raum nur noch auf Englisch kommuniziert, was in bestimmten Bereichen jetzt schon der Fall ist, dass man wieder zu einer Entdemokratisierung der Wissenschaft kommt, dass zum Bei- spiel die Medizin immer weniger in der Lage ist, auch der breiten Bevölkerung zu kommu- nizieren, was da passiert, was die Forschungsergebnisse sind, wie Therapien durchzufüh- ren sind oder durchgeführt werden.
Der FWF, der Wissenschaftsfond ist Österreichs größter Geldgeber für For- schungsprojekte. Der Fonds bemüht sich in seinen Eingabeformularen ausdrück- lich um Zweisprachigkeit – die Projektbeschreibungen selbst sind allerdings nur noch auf Englisch einzureichen – auch in den Geisteswissenschaften. Die Antrags- sprache Englisch ist eine autonome Entscheidung des FWF und hat vor allem den Grund, dass Gutachten über die Förderungswürdigkeit der Projekte ausschließlich im Ausland eingeholt werden. Hier werden gewinnen zunehmend auch die sprach- lich weiter entfernten EU Länder und Asien von Bedeutung. Einzig für Germanisten gibt es Ausnahmen erzählt die germanistische Mittelalterforscherin Karin Kranich.
OT 18 / 00:28 / Kranich
Es gibt aber auch Kooperationen, wo auch technische Fächer mit geisteswissen- schaftlichen Fächern kooperieren, es gibt Programme, die grundsätzlich überhaupt Englisch strukturiert sind, dort ist es schon so, dass man zum Projektantrag eine englische Version dazugeben muss, manchmal auch englischsprachiges Hearing gemacht wird. Dazu müssen wir uns in irgendeiner Form aufraffen.
Die englischsprachige Weiterbildung erfolgt dabei im eigenen Interesse, sagt Karin Kranich.
OT 19 / 00:29 / Kranich
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Da muss man sagen, es gibt an den österreichischen Unis, in Graz ist das ziemlich gut ausgebildet, ein hausinternes Weiterbildungsprogramm, da gibt es einen Kurs der Standard ist, den besucht man immer wieder. Da gibt es einen Kurs, der Stan- dard ist, English for Academic Purposes, den besucht man immer wieder oder auch English conversation in Academical teaching, oder derartiges, das ist in einem ge- wissen grad auch Selbstschutz, weil man dort Ängste abbaut, nicht kommunizieren zu können.
Was ist der Unterschied zwischen ‘Sein’ und ‘Dasein’ bei Heidegger? Den Un- terschied zwischen ‘Sein’ und ‘Dasein’ kann man noch relativ leicht auf eng- lisch erklären, bei ‘Sein’ und ‘Seiendes’ wird es dann schwieriger, recht mit der „Seiendheit des Seins!“. – Der Franz Pöchhacker kennt die Tücken der Übersetzungen, selbst bei einfacheren Themen. Für ihn ist Sprache kein notwendiges Übel, sondern eine Faszination, die sich manchmal besonders erst zeigt, wenn von einer Sprache in die andere übersetzt wird.
OT 20 / 1:20 / Pöchhacker
Von der Motorentechnik bis zu den Kunststoffen bis zu politischen Überlegungen findet man überall Beispiele für schlechtes Englisch, so nach dem Motto der Äußerung die einem deutschen Bundeskanzler einmal zugeschrieben wurde, als er sich kurz fas- sen wollte und auf Englisch referierte und eingangs sagte: Ladies and Gentlemen, let me be short and pregnant. Aber es gibt vor allem durch sehr extreme Akzente im englischen aus neuerer Zeit Beispiele, wo dann auch die Dolmetscher drüberstolpern. Das sind dann Fälle wo die internationale Sprache Englisch für die Wissenschaft zu Verständ- nisschwierigkeiten führt, weil die Kollegen das stark akzentuierte koreanische oder italieni- sche Englisch nicht gut verstehen oder weil auch mitunter die Dolmetscher drüberstolpern können. Der Kollege hat mir vor ein paar Wochen gesagt, dass er den Ausdruck „stud- eyes“ offenbar als etwas mit Augen verbundenes rezipiert hat, und nicht wusste, was er mit diesem stud-eyes tun sollte, bis er dann draufkam, dass das eine sehr schlechte Aus- sprache des englischen Wortes studies war. Da kanns dann sicher beim Dolmetschen zu Reibungsverlusten kommen.
Englisch ist zur Lingua Franca der Wissenschaften geworden. Zur Verkehrs- sprache, deren Niveau, bei denen, die sie verwenden, aber gar nicht an das hohe Sprachniveau von Muttersprachlern heranreichen müsste. „Gutes“ Eng- lisch gibt es aber eigentlich es nicht unter jenen, die Englisch als Verkehrs- sprache benützen – es ist eine Frage der „Angebrachtheit“. Diese unter Ang- listen nicht unumstrittene Sicht vertritt die Anglistin und Lingua Frank For- scherin Barbara Seidlhofer.
OT 21 / 00:25 Seidlhofer Lingua Franka
und erst
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Dolmetschwissenschaftler
Es ist immer die Frage für welchen Zweck, welche Funktion erfüllt die Sprache, und nicht den Formen nach, gut oder perfekt. Natürlich kann man sagen, Queen English oder Hipp Hopp English sind echt, das sind Sprachformen, die von Native Speakern gesprochen werden. Gleichzeitig wenn ich mit Queens English oder mit Hipp Hopp English auf eine Mathematikerkonferenz sein, werde ich völlig fehl am Platz sein.
Bad Simple English – nennen Spötter die schlechte Qualität der international gesprochenen Englischs nennen – und dieses schlechte English wird trotz jahrelangen Sprachenlernens auch noch mittelmäßig ausgesprochen. Auch sei nicht grundsätzlich ein Problem.
OT 22 / 00:42 / Seidlhofer
Vokale, die etwa in der Perzeption sehr hervorstechen, weil Sie gerade gesagt haben Bad Simple English, wenn das ein Österreicher gesagt hat, sagt er Bad Simple English statt einem offenen A Laut spricht er es mit einem E Laut aus, und statt English sagt er INglish. Das macht abe rin der internationalen Verständigung keine Schwierigkeiten. Aber wenn ich meine Konsonanten nicht aussprchen kann, außer dem TH, und zum Beispiel wenig Unterschied mache zwischen einem pill und bill, dann wäre das eine Unterscheidung, die wichtig wäre, und auch die Apsiration von dem pill.
Für den englischsprachigen Unterricht an Schulen hätte eine Stärkere Berücksich- tigung von Englisch – nicht als Kultursprache, sondern als Lingua Franca – als Aus- tauschsprache – besondere Bedeutung, sagt Barbara Seidlhofer.
OT 23 / 00:42 / Seidlhofer Lingua Franka
Jetzt nicht in dem Sinn, das man schlechtes Englisch unterrichte, sondern dass ich in der beschränkten Unterrichtszeit ich Dinge unterrichte, die für die internationale Kommunikati- on wichtig sind. Das heißt ich werde mich dann nicht stundenlang hinstellen und meinen Schülern sagen, gibt die Zunge zwischen die Zähne und spuck ein bisschen und sag think, und gleichzeitig aber schauen, dass die Längen der Vokale, ob ich sage to be oder the bee sage, dass sie die Konsonanten richtig aussprechen, von denen man weiß, dass sie für die internationale Verständlichkeit wichtig sind.
SPRECHERIN
Sie hörten: Quantensprung – oder vielleicht besser Quantum jump?
OT 24 / 00:57 / De Cillia
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Die Sprache als Instrument der wissenschaftlichen Aneignung der Realität außer- sprachlichen Realität, die unterschiedlich organisiert ist je nach Einzelsprache, das ist das zentrale Argument all jener die der Meinung sind, eine einzige Wissen- schaftssprache ist ein Verlust. Ich glaube das schon, wenn jemand nicht mehr in der seiner Muttersprache, Erstsprache, oder die Sprache, die man am besten be- herrscht, wenn man nicht mehr darin forschen kann, weil die nicht mehr als Wis- senschaftssprache funktioniert, dann ist man nicht mehr konkurrenzfähig mit de- nen, die das in ihrer Muttersprache tun. Und zwar was die wissenschaftliche Kreati- vität betrifft. Und ich glaube, das wissenschaftlich Forschung in Chemie, Physik, überall, ein eminent kreativer Prozess ist, und nicht einfach eine reine Terminolo- giefrage sozusagen.
SPRECHERIN
Eine Sendung zur Frage der Einsprachigkeit der Wissenschaft von Lothar Boding- bauer.
OT 25 / 00:16 / De Cillia
Man kann Wissenschaftssprache sicher nicht reduzieren auf Nomenklaturen, auf Termino- logien, die man von einer Sprache in die andere ganz einfach übersetzen kann. Dort, wo kreatives Forschen stattfindet, dort spielt die Sprache eine zentrale Rolle.
Sprecherin
Gesprochen haben ____________ und der Gestalter. Morgen in den Dimensionen…
DIE ABSAGE WIRD EIN BISSEL LÄNGER. ICH HABE SIE IM BÜRO. SIE KANN VON NINA STREHLEIN GESPROCHEN WERDEN…
18281 14:00
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Manuskript (letzte Änderungen nicht vermerkt)
DIMENSIONEN, Donnerstag, 16. Oktober
Quantensprung or Quantum jump?
Eine Sendung über die Folgen der Einsprachigkeit in der Wissenschaft von Lothar Bodingbauer
Ob Fruchtliegenforscher, Atomphysiker, Verfahrenschemiker oder Wissenschaftler der internationalen Henrik-Ibsen-Community: sie alle verwenden Englisch als For- schungs- und Verkehrssprache. Latein hat seine zentrale Stellung im Wissen- schaftsbetrieb natürlich längst verloren – nur noch neu entdeckte Pflanzen müssen lateinisch beschrieben werden. Mit zunehmender Bedeutung länderübergreifender Forscherteams verlieren aber auch die gegenwärtigen Landessprachen immer mehr an Stellenwert. Sogar ganze Forschungsgebiete werden an nationalen Uni- versitäten nicht mehr in den jeweiligen Landessprachen diskutiert und bearbeitet, sondern auf Englisch – in einer Qualität, die trotz langjährigen Englischlernens an Schulen nicht an das Sprachniveau der Muttersprache heranreicht. Internationale Studiengänge und nationale Tagungen, die ausschließlich auf Englisch angeboten werden, tun ihr übriges, um “BSE” (Bad Simple English), wie Kritiker das oft niedri- ge Sprachniveau bezeichnen, verstärkt zu etablieren. Eine Sendung zur Frage der Vielsprachigkeit der Wissenschaft.
MANUSKRIPT
OT 1 / 00:50 / Mix unterschiedlicher Wissenschaftler
Mein Name ist Hans Pechar, Hochschulforscher. Ein großer Teil der Teil der Literatur, die ich lese, vermutlich mittlerweile etwa 4/5 ist englische Literatur. Meine eigene Publikations- tätigkeit 3/4 Deutsch, 1/4 Englisch.
OK [englisch ausgesprochen] – Mein Name ist Miria Kutzter, ich arbeite am Institut für dogmatische Theologie an der Universität Wien. Also es war lange Zeit so, da musste man Deutsch können, um Theologie studieren zu könne, das ist etwas, was sich deutlich geän- dert hat, die Diskurse rutschen jetzt auch ins Englisch hinüber …
Ich heiße Franz Pöchhacker, Dolmetschwissenschaftler. Meine wissenschaftliche Arbeit verläuft auf Englisch.
Hans Lohninger, Chemiker, und meine Forschungssprache ist Englisch.
Sprecherin
Quantensprung – oder vielleicht ist besser: Quantum jump?
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OT 2 / 00:22 / Oberhummer auf Englisch
Hello, my name is Heinz Oberhummer. I come from Vienna University of Technology. I am a physicist, but besides this I am also engaged in presening popular science through books through cabaret, in order to tell the people, how interesting science is …
Sprecherin
Eine Sendung zur Frage der Einsprachigkeit der Wissenschaft von Lothar Boding- bauer.
OT 3 / 00:48 / Oberhummer
Manchmal denke ich auf Englisch, und manchmal muss ich sogar wenn ich Deutsch spre- che krampfhaft nach dem wissenschaftlichen Wortsuchen, wie das in der wissenschaftli- chen Sprache heißt. Ich kenne zum Beispiel Physik in CERN, die stammen aus Öster- reich, die können sich eigentlich wissenschaftlich nicht mehr in Deutsch ausdrücken. Die können nur mehr Englisch reden. Englisch ist ja eine einfache Sprache in dem Sinn, die Sätze sind kürzer, es ist prägnant, eigentlich wesentlich die geeigneter Sprache für Natur- wissenschaft als zum Beispiel Deutsch, die Deutsche Sprache sind Schachtelsätze, die sind wesentlich komplizierter. Aber auch beim Publizieren ist es so, dass es wesent- lich einfacher ist vom Stil her im Englischen zu publizieren, weil die Sätze kürzer sind und dies wissenschaftlichen Erkenntnisse leichter vermitteln kann.
Ganz ohne Zweifel: Englisch ist zur Lingua Franca geworden, zur Verkehrssprache zwischen Sprechern verschiedener Sprachgemeinschaften. Auch in den Wissen- schaften. Es begann mit der Auswanderung und Vertreibung deutschsprachiger Wissenschaftler vor und während des 2. Weltkriegs und gerade der Boom elektro- nischer Kommunikationsmittel hat Englisch als leicht erlernbare Austauschsprache in seiner Bedeutung gefestigt. Bevor allerdings ein etwaiges Verschwinden von Deutsch als Wissenschaftssprache bemerkt und auch bedauert wird, ist es wichtig, die Funktionen einer Wissenschaftssprache im Universitätsgeschehen klar darzu- stellen. Drei wesentliche Punkte sind zu erkennen, sagt der Hochschulforscher Hans Pechar:
OT 4 / 1:10 Pechar
Das eine ist die Publikation von Forschungsergebnissen. Da hat sich das Englische am stärksten durchgesetzt und so wie jetzt ausschaut, auf lange Sicht wird sich daran nichts ändern. Das zweite ist bei Kommunikation auf Konferenzen, der Austausch von Forsche- rinnen. Und der Dritte wichtige Bereich ist, in welcher Sprache wird gelehrt. Hier aus einer Modetorheit heraus den muttersprachlichen Unterricht durch schlecht gesprochenes Eng-
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lisch zu ersetzten macht ja wirklich keinen Sinn, aber wenn Universitäten sich entschlie- ßen, internationale Studenten zu rekrutieren, dann müssen sie in der Regel auf Englisch umstellen.
Internationale Studierende bringen in der Regel den heimischen Universitäten mehr Geld, als sie kosten. Die Wahl der Sprache der Lehre wird somit – neben der welt- weiten Sichtbarkeit der Aktivitäten – auch zu einer Marketingentscheidung. Doch zunächst zu einem grundsätzlichen Aspekt der Sprache, den der Überset- zungs- bzw. Translationswissenschaftler Gerhard Budin anspricht: die Rolle der Sprache im Erwerb von Wissen.
OT 5 / 00:41 Budin
Es ist einerseits einmal ein Ausdruck der Sprachökonomie. Das heißt, die menschliche Kognition funktioniert so, dass man für die Dinge, die man immer wieder braucht, oder die einen interessieren, dass man die mit Namen belegt, um auf sie mit referieren zu können. Denn wen ich jedes Mal sagen müsste, das ist ein längliches Instrument mit Haare drauf und da kann man reinsprechen, dann wäre das unökonomisch, wenn ich das immer sagen müsste. Wenn ich aber sage, das ist ein Mikrofon mit einem Windschutz, dann kann ich mich ökonomischer ausdrücken. Und dieses Grundprinzip wird in den Wissenschaftsspra- chen weiterentwickelt, aber für den Spracherwerb ist das ganz wesentlich.
Es ist aber nicht nur die Rolle des Hinweisens und Benennens, den die Sprache hier erfüllt. Sprache selbst schafft Wirklichkeit. Dies zeigt sich am besten bei der legistischen Wirklichkeit – ein Rechtssystem das erst entstehen kann, weil es Spra- che, weil es Terminologie gibt. Es ist demnach nicht egal, in welcher Sprache der Wissenserwerb stattfindet. Grundvoraussetzung für jede Wissenschaftssprache ist eine klar und differenziert entwickelte Terminologie. Die Dogmatikerin Mirja Kutzer bringt ein Beispiel aus dem Bereich der Theologie, sie beschäftigt sich mit „dem Bösen“.
OT 6 / 00:32 Kutzer
Ja, also allein schon der Ausdruck, den man benutzt, um das Böse zu beschreiben ent- scheidet letztendlich über die Phänomene, die ich darunter zu verrechnen versuche. Im Englischen haben wir „the evil“. „The evil“ würden wir im Deutschen übersetzen mit „der Böse“, oder „das Böse“ oder „die Böse“. Wir unterscheiden zwischen „dem Bösen“ als ei- ner wie immer zu fassenden Entität oder auch zwischen einer Person, die wir als personi- fiziertes Böses oder wie auch immer bezeichnen wollen.
Im Englischen fällt es leichter, einen Menschen wie Saddam Hussein als „das Bö- se“ zu bezeichnen. Diese Schwelle ist im Deutschen höher, weil es durch die Denk- konzepte, die sich hier durch das Deutsche ausdrücken, mehr Wahlmöglichkeiten
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gibt. Am besten eignet sich aber das Französische, um über das Böse nachzuden- ken, sagt Mirja Kutzer, und das eigentlich aus einem Mangel heraus.
OT 7 / 1:07 / Kutzer
Das klassische lateinische Wort für „das Böse“ wäre das „Malum“, im Lateinischen wird dann unterschieden zwischen malum morale, das Böse, das das moralische Verhalten des Menschen betrifft, und dem malum physicum, alles was wir unter dem Naturbösen subsu- mieren. Im Deutschen hätten wir hier die Möglichkeit zwischen dem Bösen und dem Übel, eine Unterscheidung die im Französischen so aber nicht funktioniert, denn da wird beides subsumiert unter „le mal“. Das heißt aber auch, dass sich unsere französischen Kollegen oder in der französischen Philosophie dieser Zusammenhang zwischen dem Naturbösen und dem Bösen im moralischen Handeln. als Problem viel unmittelbarer stellt als uns, denn wenn wir über das Böse nachdenken, müssen wir noch nicht zwangsläufig oder über das Naturböse, also das Übel nachdenken. Während gerade die Spekulationen wie wir sie bei Paul Ricoeur finden, gerade diese Verbindung versuchen zu suchen, wo liegt sie denn diese Verbindung zwischen dem Bösen und dem Naturbösen.
Viele Begriffe sind an eine bestimmte Wissenschaftssprache gebunden, und manchmal nimmt auch ein deutsches Wort den Umweg über das Englische wieder zurück ins Deutsche, zum Beispiel der Begriff „Einfühlung“, erzählt der Grazer Germanist Robert Velussig.
OT 8 / 00:38 / Velussig
Der Begriff „Einfühlung“ aus der deutschen Philosophie um 1900, das ist diskreditiert wor- den und über den Begriff der „Empathie“ wieder reimportiert. Das ist gewisserweise die Scheu einen Begriff zu verwenden, den Leuten verwende haben, mit denen man theore- tisch nichts mehr zu tun haben möchte. Insofern kann der Export und Reimport von sol- chen Begriffen dazu dienen, dass einem die Scheu von seinem solchen Phänomen wieder genommen wird, und besonders dieser Begriff Einfühlung ist etwas, was in der Literatur- wissenschaft der letzten Jahre besonders diskutiert worden ist.
Die notwendigen Übersetzungvorgänge beim Austausch des Wissens in unter- schiedliche Sprachen sieht der Translationswissenschafter Gerhard Budin nicht unbedingt negativ.
OT 9 / 01:45 / Budin
Meiner eigenen Erfahrungen nach ist diese Zweisprachigkeit Deutsch Englisch etwas posi- tives, weil man durch diesen internen Übersetzungsprozess ja eigentlich immer kreative Moment hat, und etwas weiterdenkt. Zum Beispiel wenn ich Unterrichtsmaterialien, ich
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habe das meistens auf Deutsch und auf Englisch, einmal unterrichte ich irgendwo international, aber auch dann hier auf der Universität und ich brauche dann zum selben Thema Unterrichtsmaterialen in zwei Sprachen, jedesmal wenn ich die Mate- rialien Aktualisierung, bei dieser Gelegenheit denke ich darüber nach, verbessere oder ergänze ich etwas, und. Natürlich gibt es auch Unterschiede in den Argumentati- onsstrategien in den verschiedenen Sprachen. Im englischsprachigen eher geradlinig, we- nig Degression, wenig Abweichungen, im Deutschen traditionellerweise eher komplex, mehrere Argumentationsstränge, die einander manchmal überschneiden, was für den Zu- hörer oder Leser nicht einfach ist oft, zu folgen, dann gibt es auch verschiedene weitere, wie arabische oder chinesische Argumentationslogiken. Andererseits durch diese Interna- tionalisierung der Wissenschaften konvergiert diese Denkweisen immer mehr, denn die Wissenschaftslogik doch wieder etwas mehr oder weniges sprachunabhängiges. Aber auch da wieder in den Naturwissenschaften wesentlich mehr sprachunabhängig, weil die Wissenschaftslogik auf einer allgemeinen Logik beruht, währen die hermeneutische Tradi- tionen, mit Verstehensprozessen und stark kulturspezifischen Ansätzen die Kulturspezifik dann doch eine Sprachspezifik ist
Mit einem Verschwinden des Deutschen aus dem Wissenschaftsbetrieb würde also tatsächlich Wissen verloren gehen, zumindest im nicht-naturwissenschaftlichen Bereich. Der Musikwissenschaftler Richard Parncutt aus Graz geht an der Schnitt- stelle Geistes- und Naturwissenschaft – selbst mehrsprachig – mit seinen Studie- renden einen konsequent zweisprachigen Weg. Er ermuntert seine Studierenden, die Zweisprachigkeit nicht nur in Kauf zu nehmen, sondern gezielt zu entwickeln, und wählt selbst aus dem Fundus der Sprache jene aus, die am besten zu seinen Anforderungen passt. Richard Parncutt erzählt von einem Tag der Geisteswissen- schaften an der Uni Graz, für den sein Institut gebeten wurde, ein gutes Zitat aus der Musikwissenschaften auszuwählen, eines das das Forschungsthema „Musik“ am treffendsten beschreibt.
OT 10 / 01:34 / Parncutt
Wir haben uns entschieden, dass unser Zitat auf Englisch sein wird. Ich meine, ich fand das eigentlich nicht gut, aber in jedem Fall ist ein sehr interessantes Zitat: „Music doesnʻt just happen. It is what we make it and what we make of it“. Nun, wenn man versucht, das zu übersetzen, dann findet man, dass eigentlich die englischsprachigen Menschen viel- leicht nicht klar sind, was es bedeutet. Wenn man sagt: „Music is what we make it“, das heißt Musik hat einen gewissen Stellenwert und es hängt von unserer Einstellung wie gut oder wichtig Musik ist, das kann man aber nur relativ ausführlich erklären. Und dann kommt er nächste Satz „und what we make of it“. Und das heißt, wenn wir aktiv versuchen Musik zu fördern und Musik zu interpretieren oder eine Konstruktion von einer Musikwis- senschaft, Musikwissenschaft zu konstruieren, dann kriegen wir eine neue Version von Musik. Und das kann man auch ausführlich erklären, aber in dem englischen Satz ist es sehr knapp. Und dann entsteht die Frage sollte man das übersetzen wollen, soll man ei- nen Satz schreiben, der zwei mal so lange ist, oder drei mal so lang, und man wird natür- lich nie auf die gleiche Bedeutung kommen, weil die gleiche Bedeutung nicht definiert ist. Das hat man auch innerhalb der deutschen Sprache oder englischen Sprache, dass man nicht immer sagen kann, was man sagen will, das ist nämlich ein Thema in der Musikwis-
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senschaft, dass man bestimmte Erfahrungen in der Musik nicht beschreiben kann, weil die Wörter fehlen. Das nennt man auf Englisch „ineffability“, das man etwas nicht vollständig beschreiben kann.
Ineffability. Das ist in der Musik das Fehlen einer Beschreibung, wo die Worte feh- len. Was in der Musik ganz alltäglich ist, fällt sprachenpolitisch unter den Begriff Domänenverlust. Oft einfach nur aus praktischen Gründen – Zeitsparen, begrenzte Ressourcen, wird nicht nur der Wissensaustausch, sondern die Forschung selbst in Englisch gemacht. Das kann dazu führen, dass diese Themen dann nicht mehr in der jeweiligen Landessprache diskutieren werden können. In Schweden ist das nicht wie in Österreich vor allem bei naturwissenschaftlichen, sondern auch in den geisteswissenschaftlichen Fächern der Fall, erzählt die schwedische Translations- wissenschafterin Elizabeth Tiselius.
OT 11 / 00:31 7 Tiselius / Übersetzung
In Schweden haben wir das Problem, dass mehr und mehr Forschung ausschließ- lich auf Englisch gemacht wird. Das schafft einen Verlust, einen Domänenverlust. Wir verlieren dabei die gesamte Terminologie in der schwedischen Sprache und haben damit nicht mehr die Möglichkeit diese Forschungsfelder auf Schwedisch, in unserer Muttersprache zu diskutieren.
Elisabeth Tiselius wünscht sich, dass Schwedisch wenigstens Englisch gleich ge- stellt wird, damit ihr Universitätsinstitut auch die rechtliche Grundlage hat, schriftli- che Arbeiten sowohl in Englisch, als auch in Schwedisch zu verfassen. Das ist aber noch nicht der Fall. In der praktischen Arbeit muss sie einen Weg finden, die feh- lende Terminologie in den schwedischen Text einzubetten.
OT 12 / 00:41 / Tiselius / Übersetzung
Ich kann Ihnen da ein Beispiel aus der Zweisprachigkeitsforschung geben. Hier geht es um input und output. Input ist das was wir Menschen hören, und output was wir sprechen. Aber wie soll ich das auf Schwedisch nennen? Inströmung und Aus- strömung vielleicht, oder Zuhörung und Produktion? Oder soll ich input und output unter Anführungszeichen setzen? Das ist eine schwierige Frage, und wir müssen uns viel mehr bemühen, eine schwedische Terminologie nicht nur zu erhalten, son- dern auch aufzubauen.
OT 13 / 01:21 / Tiselius / Übersetzung
Man kann ja auch nur in seiner Muttersprache wirklich philosophisch sein, nur in seiner Muttersprache kann man wirklich große und schwierige Fragen diskutieren. Die schwedischen Forscher sollen ruhig international auf englisch wetteifern und
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sich austauschen, aber sie sollen auch den selben Eifer aufwenden, die schwedi- sche Terminologie zu verwenden und zu entwickeln – man kann ja nicht sagen, ach ich habe ja all meine Forschung auf Englisch gemacht, und deswegen werde ich nur Englisch verwenden. – Ich will ja nicht nur mit Leuten im Ausland über meine Forschung reden, sondern auch mit meinen Schülern, oder mit jemandem, den ich zufällig auf der Straße treffen, und erkläre, was ich beruflich mache. Und das kann man nicht machen, wenn man komische Begriffe wie input und output verwendet, oder vielleicht noch schlimmere Begriffe… [lacht].
OT 14 / 00:18 De Cilia
Ich denke, dass Englisch zentrale Rolle hat in der internationalen Kommunikation als Ver- kehrssprache, als Publikationssprache, es ist wichtig, den Studierenden und lehrenden Forschern dementsprechend gute Kompetenzen zur Verfügung zu stellen, …
Der Sprachwissenschaftler Rudolf De Zilliar, Universität Wien. OT 15 / 00:32 De Cilia
… darüber sollte man nicht diskutieren müssen, das ist klar, aber trotzdem ist es wichtig, Nationalsprachen, die ja hochentwickelt sind, deren Entwicklung Jahrhunderte lang ge- dauert hat, die in der deutschen Aufklärung begonnen als funktionsfähige Wissenschafts- sprache, praktiziert und gefördert worden. Eine Politik der Mehrsprachigkeit halte ich für wichtig und nicht die der Einsprachigkeit.
Es ist meist nicht bloß der Wille, der eine nationale Sprache weg vom Wissen- schaftsbetrieb driften lässt. Die Pflege der nationalsprachlichen Terminologie braucht vor allem Zeit und Geld, und natürlich einen sprachenpolitischen Rahmen. In Österreich ist die Wahl der Sprache den Universitäten selbst überlassen. Die Kosten der Mehrsprachigkeit werden dabei oft als Belastung gesehen, und de facto bleiben auf den Internetseiten der Institute Englisch oder Deutsch – die eine oder andere Sprache oft unberücksichtigt. Die Sprache als notwendiges Übel?
OT 16 / 01:13 / De Cillia
Das ist das Argument das häufig gebracht wird, das ökonomistische Argument, die Kosten der Mehrsprachigkeit. Es gibt Leute, die drehen das um: die sagen, die Kosten der Ein- sprachigkeit , die Einsprachigkeit ist teurer. Die Einsprachigkeit hat wenn man so will dann soziale Kosten. Kosten sind ja nicht nur ökonomische Kosten. Wenn man generell gese- hen einsprachige Politik macht, riskiert man soziale Konflikte. Roland Bart sagte, einem Menschen seine Sprache nehmen, alle legalen Morde beginnen da, und natürlich wehren sich die Menschen, dass man Sprache nimmt. —- Das könnten sozialen Kosten im Wissenschaftsbereich sein. Die Entwicklung der Wissenschaftssprachen im Mittel- alter hat zu Beginn der Neuzeit, 16. Jahrhundert aufwärts mit der Demotisierung der
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Wissenschaft, mit der Demokratisierung der zunehmenden Entwicklung der einzel- nen Wissenschaftssprachen dazu geführt, dass das Wissen immer mehr allen Be- völkerungssprachen zur Verfügung gestellt werden konnte. Das Mittelalter war ja letztlich eine dogmatische Form der Wissenschaft, wo die Dogmatik über die Jahr- hunderte fortgeschrieben hat, was richtig und was falsch ist.
Nicht zufällig haben diese neuen Wissenschaftssprachen, die in allen europäischen großen Ländern starteten, das Englische, das Französische, das Spanische, dazu geführt, dass die Wissenschaft demokratisch wurde.
OT 17 / 00:37 / De Cillia
Ein wissenschaftlicher Unitarismus, so schätzen das Kolleginnen und Kollegen ein, wenn man nur in einer Sprache forscht und kommuniziert, auch im deutschsprachigen Raum nur noch auf Englisch kommuniziert, was in bestimmten Bereichen jetzt schon der Fall ist, dass man wieder zu einer Entdemokratisierung der Wissenschaft kommt, dass zum Bei- spiel die Medizin immer weniger in der Lage ist, auch der breiten Bevölkerung zu kommu- nizieren, was da passiert, was die Forschungsergebnisse sind, wie Therapien durchzufüh- ren sind oder durchgeführt werden.
Der FWF, der Wissenschaftsfond ist Österreichs größter Geldgeber für For- schungsprojekte. Der Fonds bemüht sich in seinen Eingabeformularen ausdrück- lich um Zweisprachigkeit – die Projektbeschreibungen selbst sind allerdings nur noch auf Englisch einzureichen – auch in den Geisteswissenschaften. Die Antrags- sprache Englisch ist eine autonome Entscheidung des FWF und hat vor allem den Grund, dass Gutachten über die Förderungswürdigkeit der Projekte ausschließlich im Ausland eingeholt werden. Hier werden gewinnen zunehmend auch die sprach- lich weiter entfernten EU Länder und Asien von Bedeutung. Einzig für Germanisten gibt es Ausnahmen erzählt die germanistische Mittelalterforscherin Karin Kranich.
OT 18 / 00:28 / Kranich
Es gibt aber auch Kooperationen, wo auch technische Fächer mit geisteswissen- schaftlichen Fächern kooperieren, es gibt Programme, die grundsätzlich überhaupt Englisch strukturiert sind, dort ist es schon so, dass man zum Projektantrag eine englische Version dazugeben muss, manchmal auch englischsprachiges Hearing gemacht wird. Dazu müssen wir uns in irgendeiner Form aufraffen.
Die englischsprachige Weiterbildung erfolgt dabei im eigenen Interesse, sagt Karin Kranich.
OT 19 / 00:29 / Kranich
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Da muss man sagen, es gibt an den österreichischen Unis, in Graz ist das ziemlich gut ausgebildet, ein hausinternes Weiterbildungsprogramm, da gibt es einen Kurs der Standard ist, den besucht man immer wieder. Da gibt es einen Kurs, der Stan- dard ist, English for Academic Purposes, den besucht man immer wieder oder auch English conversation in Academical teaching, oder derartiges, das ist in einem ge- wissen grad auch Selbstschutz, weil man dort Ängste abbaut, nicht kommunizieren zu können.
Was ist der Unterschied zwischen ‘Sein’ und ‘Dasein’ bei Heidegger? Den Un- terschied zwischen ‘Sein’ und ‘Dasein’ kann man noch relativ leicht auf eng- lisch erklären, bei ‘Sein’ und ‘Seiendes’ wird es dann schwieriger, recht mit der „Seiendheit des Seins!“. – Der Franz Pöchhacker kennt die Tücken der Übersetzungen, selbst bei einfacheren Themen. Für ihn ist Sprache kein notwendiges Übel, sondern eine Faszination, die sich manchmal besonders erst zeigt, wenn von einer Sprache in die andere übersetzt wird.
OT 20 / 1:20 / Pöchhacker
Von der Motorentechnik bis zu den Kunststoffen bis zu politischen Überlegungen findet man überall Beispiele für schlechtes Englisch, so nach dem Motto der Äußerung die einem deutschen Bundeskanzler einmal zugeschrieben wurde, als er sich kurz fas- sen wollte und auf Englisch referierte und eingangs sagte: Ladies and Gentlemen, let me be short and pregnant. Aber es gibt vor allem durch sehr extreme Akzente im englischen aus neuerer Zeit Beispiele, wo dann auch die Dolmetscher drüberstolpern. Das sind dann Fälle wo die internationale Sprache Englisch für die Wissenschaft zu Verständ- nisschwierigkeiten führt, weil die Kollegen das stark akzentuierte koreanische oder italieni- sche Englisch nicht gut verstehen oder weil auch mitunter die Dolmetscher drüberstolpern können. Der Kollege hat mir vor ein paar Wochen gesagt, dass er den Ausdruck „stud- eyes“ offenbar als etwas mit Augen verbundenes rezipiert hat, und nicht wusste, was er mit diesem stud-eyes tun sollte, bis er dann draufkam, dass das eine sehr schlechte Aus- sprache des englischen Wortes studies war. Da kanns dann sicher beim Dolmetschen zu Reibungsverlusten kommen.
Englisch ist zur Lingua Franca der Wissenschaften geworden. Zur Verkehrs- sprache, deren Niveau, bei denen, die sie verwenden, aber gar nicht an das hohe Sprachniveau von Muttersprachlern heranreichen müsste. „Gutes“ Eng- lisch gibt es aber eigentlich es nicht unter jenen, die Englisch als Verkehrs- sprache benützen – es ist eine Frage der „Angebrachtheit“. Diese unter Ang- listen nicht unumstrittene Sicht vertritt die Anglistin und Lingua Frank For- scherin Barbara Seidlhofer.
OT 21 / 00:25 Seidlhofer Lingua Franka
und erst
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Dolmetschwissenschaftler
Es ist immer die Frage für welchen Zweck, welche Funktion erfüllt die Sprache, und nicht den Formen nach, gut oder perfekt. Natürlich kann man sagen, Queen English oder Hipp Hopp English sind echt, das sind Sprachformen, die von Native Speakern gesprochen werden. Gleichzeitig wenn ich mit Queens English oder mit Hipp Hopp English auf eine Mathematikerkonferenz sein, werde ich völlig fehl am Platz sein.
Bad Simple English – nennen Spötter die schlechte Qualität der international gesprochenen Englischs nennen – und dieses schlechte English wird trotz jahrelangen Sprachenlernens auch noch mittelmäßig ausgesprochen. Auch sei nicht grundsätzlich ein Problem.
OT 22 / 00:42 / Seidlhofer
Vokale, die etwa in der Perzeption sehr hervorstechen, weil Sie gerade gesagt haben Bad Simple English, wenn das ein Österreicher gesagt hat, sagt er Bad Simple English statt einem offenen A Laut spricht er es mit einem E Laut aus, und statt English sagt er INglish. Das macht abe rin der internationalen Verständigung keine Schwierigkeiten. Aber wenn ich meine Konsonanten nicht aussprchen kann, außer dem TH, und zum Beispiel wenig Unterschied mache zwischen einem pill und bill, dann wäre das eine Unterscheidung, die wichtig wäre, und auch die Apsiration von dem pill.
Für den englischsprachigen Unterricht an Schulen hätte eine Stärkere Berücksich- tigung von Englisch – nicht als Kultursprache, sondern als Lingua Franca – als Aus- tauschsprache – besondere Bedeutung, sagt Barbara Seidlhofer.
OT 23 / 00:42 / Seidlhofer Lingua Franka
Jetzt nicht in dem Sinn, das man schlechtes Englisch unterrichte, sondern dass ich in der beschränkten Unterrichtszeit ich Dinge unterrichte, die für die internationale Kommunikati- on wichtig sind. Das heißt ich werde mich dann nicht stundenlang hinstellen und meinen Schülern sagen, gibt die Zunge zwischen die Zähne und spuck ein bisschen und sag think, und gleichzeitig aber schauen, dass die Längen der Vokale, ob ich sage to be oder the bee sage, dass sie die Konsonanten richtig aussprechen, von denen man weiß, dass sie für die internationale Verständlichkeit wichtig sind.
SPRECHERIN
Sie hörten: Quantensprung – oder vielleicht besser Quantum jump?
OT 24 / 00:57 / De Cillia
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Die Sprache als Instrument der wissenschaftlichen Aneignung der Realität außer- sprachlichen Realität, die unterschiedlich organisiert ist je nach Einzelsprache, das ist das zentrale Argument all jener die der Meinung sind, eine einzige Wissen- schaftssprache ist ein Verlust. Ich glaube das schon, wenn jemand nicht mehr in der seiner Muttersprache, Erstsprache, oder die Sprache, die man am besten be- herrscht, wenn man nicht mehr darin forschen kann, weil die nicht mehr als Wis- senschaftssprache funktioniert, dann ist man nicht mehr konkurrenzfähig mit de- nen, die das in ihrer Muttersprache tun. Und zwar was die wissenschaftliche Kreati- vität betrifft. Und ich glaube, das wissenschaftlich Forschung in Chemie, Physik, überall, ein eminent kreativer Prozess ist, und nicht einfach eine reine Terminolo- giefrage sozusagen.
SPRECHERIN
Eine Sendung zur Frage der Einsprachigkeit der Wissenschaft von Lothar Boding- bauer.
OT 25 / 00:16 / De Cillia
Man kann Wissenschaftssprache sicher nicht reduzieren auf Nomenklaturen, auf Termino- logien, die man von einer Sprache in die andere ganz einfach übersetzen kann. Dort, wo kreatives Forschen stattfindet, dort spielt die Sprache eine zentrale Rolle.
Sprecherin
Gesprochen haben ____________ und der Gestalter. Morgen in den Dimensionen…
DIE ABSAGE WIRD EIN BISSEL LÄNGER. ICH HABE SIE IM BÜRO. SIE KANN VON NINA STREHLEIN GESPROCHEN WERDEN…
Zum 300. Geburtstag von Carl von Linné: Der schwedische Naturwissenschaftler Carl von Linné war leitender Gärtner des Botanischen Gartens von Uppsala. 1745 legte er eine Blumenuhr an, die mit dem zeitlich unterschiedlichen Aufblühen von Blumen im Laufe des Tages die Uhrzeit anzeigte. Wirklich bekannt und berühmt wurde Carl von Linné jedoch durch sein Bemühen, die Arten der Natur zu sortieren und zu katalogisieren. Er entwickelte eine Taxonomie von Tieren und Pflanzen, die mit ihren lateinischen Doppelnamen auch heute noch als „Katalog des Lebens“ von all jenen verwendet wird, die sich praxisbezogen mit Lebewesen beschäftigen. Wissenschaftlich entwickeln sich vor dem Hintergrund genetischer Untersuchungsmethoden die Konzepte der Unterscheidung von Arten nun in eine völlig andere Richtung. Künftige Taxonomien aufgrund von DNA-Basensequenzen scheinen jedoch den praxisbezogenen Zweck des Umgangs mit Arten und Artkonzepten nicht zu erfüllen. Die Sendung beantwortet die Frage, wie Carl von Linné die Taxonomie der Natur entwickelt hat, und in welcher Weise sie heute noch notwendig und zeitgemäß ist.
CARL VON LINNÉ – 300. GEBURTSTAG
MANUSKRIPT DIMENSIONEN
LOTHAR BODINGBAUER
23. Mai 2007
DIGAS Zitat Carl von Linné
Worte können die Freude nicht beschreiben, die nach dem Winter durch die Sonne allem Leben gebracht wird. Der Birkhahn und der Auerhahn beginnen ausgelassen zu sein, der Fisch sich immer schneller zu bewegen. Jedes Tier fühlt einen sexuellen Drang. - Ja, Liebe kommt sogar zu den Pflanzen. Männliche und weibliche, sogar die Hermaphroditen halten ihre Hochzeit – das ist das Thema, das ich hier diskutieren werde – sie alle zeigen ihre sexuellen Organe.
Wenn das Blüten-Bett gemacht ist, dann ist es Zeit für den Bräutigam, seine geliebte Braut zu umarmen und sich ihrer hinzugeben.
DIGAS Sprecher
Der Katalog des Lebens
CD 1/1 0:15 OT Deutsch Marietta Manktelow-Steiner
Im 19. Jahrhundert er war wie ein Heiliger. Er machte keine Fehler, er war phantastisch. Er war unser König, unser schwedischer Blumenkönig. Er war sehr freundlich zu den Leuten. Aber er hatte auch seine schwarzen Stunden...
DIGAS Sprecher
Zum 300. Geburtstag des schwedischen Naturforschers Carl von Linné
CD 1/2 0:21 OT Deutsch Marietta Manktelow-Steiner
Wir systematisieren unsere Häuser, und was wir haben. Es ist eine Arbeit, das ist natürlich. Denn das menschliche Gehirn muss mit Systematik arbeiten. Und dann hat man einige Leute, die sind supergut auf systematisieren, und sie können große Systematik machen, und Linné war einer von diesen Menschen.
DIGAS Sprecher
Eine Sendung von Lothar Bodingbauer.
CD 1/3 0:24 OT Deutsch Marietta Manktelow-Steiner
Also Linné war ja ein sehr großer Wissenschaftler. Linné hatte eine große Bedeutung für Sprechen von der Natur. Er konnte die Natur beschreiben in solcher Sprache, dass Leute heute das lesen können, und spüren, dass er fühlte, wie wir fühlen von der Natur.
Mikro Text
Mariette Manktelow-Steiner ist eine der direkten Nachfolger von Carl von Linné. Sie hat in Wien Botanik studiert, und arbeitet heute an der Universität Uppsala, dem Cambridge des Nordens, ein wissenschaftliches Zentrum für Medizin und die angrenzenden Naturwissenschaften. Linné verbrachte dort die größte Zeit seines Lebens. 10 km außerhalb der Kleinstadt erwarb er ein Sommerhaus, um den schädlichen Einflüssen des Stadtlebens zu entgehen – und Botanik zu betreiben, in seinen Rabatten – den Beeten, die er anlegte und deren Inhalte er sorgsam beschriftete.
Heute befinden sich in jedem Botanischen Garten der Welt unzählige Pflanzen, die im Namensschild ein „L“ führen. Dieses „L“ steht für Linné. Man kann daran erkennen, dass Carl von Linné diese Pflanze als erster wissenschaftlich beschrieben hat.
Geboren wurde Carl von Linné vor genau 300 Jahren in Südschweden, am 23. Mai 1707, gerade als Isaac Newton in England starb und Exkursionen von Forschern rund um die Welt im vollen Gang sind. Die Fundstücke der belebten Natur werden zurück an die Universitäten und Akademien gebracht, in Kisten und Säcken, in Skizzen und Reistagebüchern. Diese Funde brauchen einen Namen. Sie müssen geordnet werden. Linné sortierte die heimische Natur und die fremde. - Von der Hausmaus bis zur Kiefer. Fast die gesamte europäische Flora und große Teile der Fauna wurde von ihm beschrieben.
Linné beendete das damalige Namenschaos, in dem er 18.000 europäische Pflanzennamen auf nur etwa 3.000 reduzierte und ein System für die Vergabe entwickelte. Die zwanzig oder mehr verschiedene Bezeichnungen für den Feldhasen ersetzte er durch: Lepus europaeus - der europäische Hase; und - revolutionär für diese Zeit: Linné ordnete den wissenden Mensch, den Homo Sapiens, in das Reich der Tiere ein, und nicht als Bindeglied der irdischen Schöpfung zu den Engeln. Alles, sagte er dennoch, alles sei Teil eines göttlichen Plans, jedes Stück der Natur ist Teil einer Ordnung, die es zu finden gilt.
CD 1/4 0:36 OT Deutsch Marietta Manktelow-Steiner
Er war nicht ein Prozessmensch, er war nicht ein Prozessforscher. Er war ein Systematiker und damit möchte er alles sortieren und das ist typisch für einen Musterforscher, wenn man so sagen kann. Also Systematiker in dieser Welt sie machen eine große Arbeit, um alle Dinge zu sortieren. Und das ist ja sehr notwendig für all die anderen Forscher, die mit den Prozessen, zum Beispiel evolutionäre Prozesse arbeiten möchten. Das muss man auch einen Baum des Lebens haben.
Mikro Text
Mariette Manktelow-Steiner organisiert im Linné-Jubiläumsjahr 2007 die wissenschaftlichen Anteile der Feierlichkeiten in Uppsala. Mit Linné teilt sie den Beginn des Wegs der Interessen.
CD 1/5 0:48 OT Deutsch Marietta Manktelow-Steiner
Als ich 14 Jahre alt war, es war so gut, Pflanzen zu sammeln und pressen und so. Mein Vater schaute mich in der Flora, da war ein Schlüssel. Man konnte die Arten finden durch diesen Schlüssel. Das war vollkommen faszinierend für mich. Ich konnte das nicht ändern ich muss immer diesen Schüssel verwenden ich wollte immer alle Arten lernen, und darum bekam ich ein Botaniker und ich glaube ich bin ein Systematiker, ein Systematiker vom Anfang. Also ich habe ein Systematikergehirn und jetzt systematisiere ich nicht Pflanzen, sondern diese Projekt von Linné Jubiläum das ist dieselbe Arbeit aber mit anderen Dinge zu sortieren.
Mikro Text
Ein Systematiker versucht, unterschiedliche Dinge oder auch Vorstellungen, abstrakt oder konkret, in eine Ordnung zu bringen. Er gruppiert sie nach Eigenschaften, die er selbst festlegt oder für wichtig hält, oder nach Regeln, die von der Wissenschaftsgemeinde entwickelt und für wichtig gehalten werden.
Linné schuf 24 Klassen von Pflanzen, in die er jede einzelne einordnete. Das Kriterium dafür ist bestechend einfach und für jedermann zugänglich: die Anzahl und Anordnung der Staubfäden und Stempeln in den Blüten, die männlichen und weiblichen Geschlechtsorgane. Karin Martinsson ist ebenfalls Botanikerin an der Universität Uppsala.
CD 1/6 1:6 OT Englisch / Weiblich Karin Martinsson
Das wurde vor ihm nicht gemacht, und es gab nun eine neue, praktische Methode. Es ist sehr einfach, die Staubblätter und die Stempel zu zählen, und dann die Art in eine der 24 Klassen des Sexualsystems zuzuordnen.
Wir haben hier eine Fuchsia. Und wenn wir da die Staubblätter zählen, da haben wir... – [warten bis engl. „8“ genannt wird“] 8 Staubblätter. Die Fuchsia gehört also in die Klasse Octandria - mit 8 Staubblättern und einem Stempel.
Linneus selbst erkannte, dass das kein natürliches System ist. Diese Klassen reflektieren nicht, wie die Arten verwandt sind. Aber es ist ein sehr praktisches System, und es machte möglich, all die neuen Arten zu klassifizieren, die aus der ganzen Welt nach Europa gekommen sind, als Ergebnisse der wissenschaftlichen Exkursionen.
Mikro Text
In der Folge entstand die Wissenschaft der klassischen Taxonomie, die sich bis heute erhalten hat. Die Lebewesen - nicht nur die Pflanzen - werden in Gruppen sortiert, die einem hierarchisch geordneten Kategoriensystem zugeordnet werden. Je weiter oben in der Hierarchie, desto abstrakter. Die unterste Stufe bildet die konkrete Art. Zum Beispiel: das Buschwindröschen. Darüber: Die Gattung - Windröschen, aus der Familie der Hahnenfußgewächse, die zur Abteilung der Bedecktsamer gehört, aus der Überabteilung Samenpflanzen, dem Unterreich der Gefäßpflanzen und - ganz oben in der Hierarchie - dem Reich der Pflanzen.
((Nächster Cut starten, beginnt mit Atmo))
Lenna Hansen ist leitende Gärtnerin in Linnés früherem eigenen kleinen botanischen Garten, mitten in Uppsala.
CD 1/7 1:26 OT Englisch / Weiblich Lena Hansson
Das ist ein kleiner Unterstand, wo wir die Schilder während dem Winter aufbewahren. Diese Schilder sind aus Schiefer, und wir haben eine kleine Malerei auf der Vorderseite, und dann die Linné’schen Namen. Einen neuen Namen, wenn es ihn gibt, stellen wir danach in Klammer. Dann das Gebiet, wo die Pflanze vorkommt, dann eine lateinische und eine arabische Zahl, das ist die Klasse und Ordnung im Sexualsystem. So weiß man gleich, in welchem Gebiet man hier im Garten nach der Pflanze suchen soll. Und dann kommt noch der schwedischen Namen - wenn es einen gibt. Alle kennen wir gar nicht mehr, die es damals gab, denn sie haben sich in ganz Schweden sehr unterschieden.
Mikro Text
Linnés Hauptwerk, die „Systaema Naturae“, veröffentlichte er 1735 in der holländischen Universitätsstadt Harderwijk, wo er mit seinen aus Schweden mitgebrachten Arbeiten das Doktordiplom der Medizin erwarb. Er hatte kein Geld mehr, doch ein Gönner, der Botaniker Jan Frederik Gronovius finanzierte das Werk, das in seiner ersten Auflage nur 10 Folioseiten enthielt, während die 13. Auflage, 35 Jahre später, schon aus mehr als 3.000 Seiten bestand.
Der eigentliche Beginn des linnéschen Namenssystem ist 1753 mit seinem Buch: „Species planetarum“ anzusetzen, in dem er alle bekannten Arten des Pflanzenreiches publizierte, und drei Jahre später, in der zehnten Auflage der „Systema Naturae“ veröffentlichte er auch die Namen aller ihm bekannten Tiere.
Vor dieser Zeit wurden die Arten durch eine Aufzählung ihrer Eigenschaften benannt. Zum Beispiel hieß das Buschwindröschen: „Anemone seminibus acutis foliolis incisis caule unifloro“, und das bedeutet: Anemone mit spitz zulaufenden Samen, eingeschnittenen Blättern und einblütigem Stiel.
Der neue Name hebt die Unterschiede hervor: Anemone nemorosa, die Anemone des Waldes, im Gegensatz etwa zur Anemone Alpina. Die - ja, und jetzt sind wir bei einem Problem, die Alpen-Kuhschelle. Die „Anemone alpina“ wird nämlich heute nicht mehr den Anemonen, sondern der Gattung der Kuhschellen zugeordnet: Pusaltilla alpina heißt sie heute. Der alte Name: Anemone alpina ist als Synonym geblieben.
Das System, so schrieb Linné, sollte so einfach sein, dass eine Art ohne die Hilfe eines Lehrers identifiziert werden kann. Und gerade deshalb wird es heute weltweit verwendet, von allen, die praktisch mit Tieren und Pflanzen arbeiten, handeln und forschen. Zum Beispiel auch Matz Hjertson, Evolutionsbiologe in Uppsala.
CD 1/8 0:25 OT Englisch / Männlich Matz Hjertson
Das ist einer der Räume in unserem neuen Gebäude, mit extra Security und Klimakontrolle. Dieses Material wurde von Linneus hier in Uppsala verwendet. – Ich ziehe jetzt meine Handschuhe an, um Ihnen etwas zu zeigen. – Das ist das Stück Pflanze, das ist die Grundlage für den Namen.
Mikro Text
Welche Überraschung. In diesem Hochsicherheitsraum in Uppsala befindet sich unter vielen anderen gepressten Pflanzen auch DAS Buschwindröschen aus unserem vorigen Beispiel, die Naemone Nemorosa. Ähnlich dem Pariser Urmeter für die Physik - ist dieses eine Exemplar die Referenzpflanze für die Beschreibung und den Namen der Art.
Linné war sich der Bedeutung dieser Typus-Expemplare für die Forschung noch nicht bewusst. Wenn er ein besseres Exemplar bekam, tauschte er es einfach aus. Das konnte in der Folge zu Problemen führen: zur Vermischung von Arten, besonders von „schwierigen“ Arten.
CD 1/9 0:40 OT Englisch / Männlich Matz Hjertson
Bei vielen Pflanzen, die heute von Forschern untersucht werden, müssen sie zunächst einmal wissen, womit sie es grundsätzlich zu tun haben. Sie beginnen mit einer Art, die sie aufgrund ihres Aussehens festlegen, genau so wie Linné es getan hat. Aber manchmal stellt sich heraus, dass diese Art, auf diese Weise morphologisch beschrieben, „nicht hält“. Es gibt sehr ähnlich aussehende Arten, die jedoch eine unterschiedliche genetische Basis haben.
Jeder hier in Europa kennt zum Beispiel einen Apfel. Es gibt aber verschiedene Kulturarten. Und wenn man auf die genetische Kodierung schaut, kann man auf hunderte, wenn nicht auf 1000e Varietäten stoßen.
Mikro Text
Die heutige Taxonomie hat die Linnésche Taxonomie weiterentwickelt und verfeinert, sie versucht die Arten nach inneren Kriterien zu verbinden, nicht nach der bloßen äußeren Erscheinungsform. Sie arbeitet mit DNA-Analyse, Computermethoden, Matrizen und Wahrscheinlichkeiten.
Eine völlig neue Taxonomie - der so genannte Phylocode, ein Strichcode des Lebens auf DNA-Basis, kommt derzeit über seine Kinderschuhe nicht hinaus. Nicht zuletzt durch seinen Ansatz, für alle Arten völlig neue Namen zu vergeben. Und die klassische Taxonomie nach Linné hat einen Vorteil: sie gilt als äußerst stabil, denn wissenschaftliche Ansichten über Verwandtschaftsverhältnisse können sich weitaus schneller wandeln, als die äußere Erscheinungsformen,die Kriterien nach denen die Arten ursprünglich geordnet wurden.
Allen Methoden gemein ist, dass sie DEN Baum des Lebens zeichnen wollen. Ist er denn wirklich ein Baum?
CD 1/10 0:36 OT Englisch / Männlich Matz Hjertson
Das ist wahrscheinlich nicht der Fall. Wenn man bei den Mikroben schaut, bei Bakterien und ähnlichen Lebewesen, dann gibt es einen kontinuierlichen Gen-Transfer zwischen verschiedenen Arten, wir haben Virusse, die Gen-Sequenzen übertragen, gleichsam über den ganzen Platz. Es sieht auch danach aus, dass horizontaler Gen-Transfer zwischen Pflanzenarten öfter vorkommt, als bisher gedacht.
Statt einem verzweigenden Baum des Lebens müssen wir heute mehr immer von einem Netz sprechen, zumindest in bestimmten Gebieten.
CD 1/11 0:23 OT Deutsch Marietta Manktelow-Steiner
Die Klassifizierung der Organismen wird verändert jede Minute, jede Stunde, während wir hier sitzen und reden, so forscht jemand in der Welt ein Forscher, ein Forscher korrigiert, ein kleinen Zweig auf dem Baum des Lebens. Jede Stunde verändert sich diese Klassifikation.
Mikro Text
Was wäre ein Botaniker ohne botanischen Garten, klagte Linné dem schwedischen König, und erhielt daraufhin und aufgrund seiner bisher gebrachten wissenschaftlichen Leistungen unterhalb des Schlosses von Uppsala ein Gelände, das noch der heutigen Universität als botanischer Garten dient. Eric Århammer betreut als leitender Gärtner das Linneanum, die Orangerie.
CD 1/13 0:45 OT Deutsch Erik Århammer
Wir gehen jetzt hinaus in die Orangerie, wo hier die Mittelmeergewächse stehen, zu den vier Lorbeerbäumen von Carl von Linné, die er als Stecklinge bekommen hat. Das sind große alte knorrige Bäume, hier sind wir beim ersten schon angelangt. Vom Alter geprägt, rissige knorrige Rinde, 6m hohe Lorbeerbäume, 270 Jahre alt ungefähr, 4 Stück. Hier steht dann Laurus Nobilis, das ist der lateinische Gattungs- und Artname, dahinter solle dann ein L stehen, weil Carl von Linné hat diesen Baum wissenschaftlich beschrieben.
Mikro Text
Wie die meisten Botaniker war Linné ein guter Beobachter und Beschreiber der Verhältnisse. Er schrieb wertfrei, präzise, auf Schwedisch und damit für alle verständlich. Legendär sind seine Berichte über eine ausgedehnte Lapplandexkursion, die er schon als 25-jähriger unter großen Strapazen unternahm.
CD 1/14 0:29 OT Deutsch Erik Århammer
Da hat er alles aufgeschrieben, was ihn an Neuigkeiten zukommen konnte, wie auch die Sitten und Gebräuche der Ortsbevölkerung und das Wetter und die Landschaft und die verschiedenen Gebrauchsgegenstände. Er hat alles beschrieben. Das ist unglaublich informativ gewesen und ist es heute noch, das ist sehr interessant zu lesen.
DIGAS Zitat Carl von Linné
Sogar die lahmste Kuh, die unter normalen Umständen kaum in der Lage wäre, zu gehen, rennt wie ein Rentier durch die Felder. Ihre Schwänze auf und ab, sie laufen und springen, bis sie schließlich zu einer Wasserstelle kommen, wo sie halten, wie eine Rast auf der Flucht vor einem Feind. Ich haste herbei, um zu sehen, was sie da mit einer Kraft größer als die einer Peitsche oder der Tod selbst gejagt hat, und finde etwas, dem ich selbst schon begegnet bin: Oesturs Bovi. Diese Bremsen attackieren nicht den Körper, sondern die Füße, zwischen den größeren und den kleineren Hufen der Tiere. Das Insekt fliegt keine zwei oder drei Spannen über den Boden, meistens nur auf halber Höhe. Das Vieh rennt, bis es Wasser findet, worin es stehen kann, bis die Bremsen sie nicht mehr belagern.
Mikro Text
Linneus wissenschaftlichen Exkursionen innerhalb Schwedens waren von seinen Auftraggebern - der Universität oder der Krone - auch dazu gedacht, neue Möglichkeiten für Anpflanzungen zu finden, für Arten, die bisher teuer importiert werden mussten.
Er forderte, nachhaltig mit den Wäldern umzugehen, und immer mehr wandelte er sich von der Beschreibung des Zustands zur Vorstellung des Faktors „Zeit“. Erst spät entwickelte er eine Vorstellung von „Evolution“. Olof Jacobson, Leiter der schwedischen Linné-Gesellschaft:
CD 1/15 1:39 OT Englisch / Männlich Olof Jacobson
Als er begann, dachte er, dass alles bereits erschaffen war, und alle Arten bereits fertig. Aber bevor er starb, war er überzeugt, dass eine Art von Evolution vor sich geht. Er konnte es nicht benennen, wie. Aber er war überzeugt, dass „etwas“ von sich geht. Was das Alter des Planeten betrifft, war er überzeugt, dass er viel älter ist, als was man bisher gedacht hat, wenn man das Alter nur von der Bibel übersetzt. -- Er bestieg einmal den Berg Chinekola (sprich: „chine-kolä“) , einen Berg mit vielen Schichten, und er war wie immer sehr sorgfältig, die verschiedenen Schichten zu beschreiben. Als er das getan hat, sagte er, es wäre dumm zu denken, dass die Steine über den anderen Schichten zur selben Zeit erschaffen worden sind, als die anderen. Wir sehen eine immense Anzahl von Jahren vorbei streichen. Wir hatten ein Meer hier einmal, es waren Tiere darin, die haben wir heute nicht mehr, sie sind aber in dieser Schicht. Darüber sieht man viel Sand, da war ein Fluss mit Sandschichten. Darüber gibt es wieder andere Schichten, wo es viele Pflanzen gibt. Und was man über all diese Schichten herausfinden kann, ist, dass die Kreation der Erde ein Produkt der Zeit ist.
DIGAS Zitat Carl von Linné
Mir wird schwindlig, wenn ich auf diesen Höhen stehe und hinunterschaue durch die Zeitalter und sehe, wie Klangwellen gleich, die fast verloschenen Spuren einer früheren Zeit, die heute nur noch flüstern kann, und alles andere von damals ist bereits still.
Mikro Text
Neben seinen naturgeschichtlichen Lehrbüchern verfasste Linné unzählige Manuskripte und Briefe, die derzeit von der Schwedischen Linnégesellschaft klassifiziert, systematisiert und als Faximile mit englischer Zusammenfassung im Internet veröffentlicht werden.
CD 1/16 0:29 OT Englisch / Männlich Olof Jacobson
Er hatte ein großes Korrespondentennetz. Linné hatte mehr als 400 Korrespondenten außerhalb von Schweden. Das ist wirklich ein Netzwerk. Wenige Wissenschaftler heute haben ein lebendes Netzwerk einer derartigen Größe, und er benützte es, um an Informationen heranzukommen, und um Informationen herzugeben, über die Naturwissenschaften.
Mikro Text
Schon als Medizinstudent im 2. Jahr hielt Carl von Linné Vorlesungen über Botanik. Er präsentierte Naturgeschichte als etwas Neues. Seine Exkursionen, Herbationes genannt, sind heute legendär. Die Studenten erhielten Aufgaben: einige hatten zu schreiben, andere zu zeichnen, einer holte mit einer Flinte die Vögel vom Himmel - Ferngläser gab es noch nicht, um sie genau zu beschreiben. Alle andern botanisierten und scharten sich - manchmal zu hundert bis zweihundert - um ihn. 23 seiner Studenten wurden selbst Professoren.
DIGAS Zitat Carl von Linné
Niemand vor ihm, hat seine Studien mit größer Begeisterung verfolgt und niemand hatte mehr Hörer, niemand vor ihm machte mehr Beobachtungen im Bereich der Naturgeschichte, hatte eine größere Einsicht in die drei Reiche der Natur, niemand vor ihm war ein größerer Botaniker oder Zoologe, und hat die Flora, Fauna und Topographie seines Landes besser beschrieben als er. Niemand schrieb mehr Bücher, schrieb sie richtiger, methodischer, niemand hat die ganze Wissenschaft so sehr verändert und eine neue Zeit eingeleitet. Niemand schickte seine Wissenschaft in so viele Teile der Welt, schrieb seinen Namen auf mehr Pflanzen und Insekten, und tatsächlich – auf die ganze Natur, und niemand listete so viele Lebewesen auf, wurde Mitglied so vieler wissenschaftlicher Gesellschaften, und niemand ...
... wurde berühmter, als er.
Mikro Text
Wer hier über Linné schreibt, ist Linné selbst. Es war Stil seiner Zeit, seine eigene Biographie in der dritten Person zu schreiben, um sie als Lebenslauf für Bewerbungen zu verwenden, oder als Nachruf für sein Begräbnis. Es war aber sein persönlicher Stil, das reichlich selbstbewusst zu tun.
CD 1/17 1:0 OT Deutsch Marietta Manktelow-Steiner
Er war ein Sohn von einem Pfarrer, sein Großvater war ein Bauer. Er selbst bekam ein „von“. Er war adelig. Er machte eine Klassenreise. Wir sagen es auf Schwedisch. Damit folgen immer Komplexe. Man fühlt sich nicht gut genug. Man macht gute Dinge, man wird berühmter aber drinnen ist man immer zweifelnd und man denkt, vielleicht bin ich nicht so gut, wie sie sagen. So wenn man liest Linneus Selbstbeschreibung, dann schreibt er. Ich bin der berühmteste Botaniker der Welt, und alle müssen meinem Sexualsystem folgen aber gleichzeitig konnte er schreiben: Wenn ich sterbe, wäscht mich nicht. Ich bin nicht eine große Person, vergesst mich nur ...
DIGAS Zitat Carl von Linné
Legt mich in einen Sarg, ungewaschen, ungekleidet, eingewickelt in ein Leintuch. Nagelt den Sarg zu, damit niemand meine Erbärmlichkeit sieht, lasst die Glocken der Stadt-Kathedrale läuten, aber keine Glocken am Land; und Männer meiner Heimat sollen mich zu Grabe tragen. Es soll keine Unterhaltung geben, und auch kein Bedauern.
Mikro Text
Charles Darwin wurde für seine Evolutionstheorie gescholten und gebeutelt, seine Ideen wurden von Rassisten missbraucht. Mit Carl von Linné ist das bis heute nicht geschehen. Sein System der Namensvergabe ist, so scheint es, ohne Tadel, jeder kann damit arbeiten und ableiten, was auch immer er kann und will.
Gibt es dennoch Schattenseiten? Im Alter wurde Linné depressiv, er war massiv überarbeitet. In den Sommermonaten arbeitete er von 4 Uhr Morgens bis 10 Uhr Nachts.
Kann Systematik auch zu einer Obsession werden? Marietta Manktelow-Steiner:
CD 1/18 0:53 OT Deutsch Marietta Manktelow-Steiner
Ja natürlich, das ist so, und vielleicht war es auch so für Linné. Ein bisschen, weil er systematisierte auch Moral, er hatte Beobachtungen von Menschen in seinem Leben und am Ende hat er geschrieben ein kleines Buch für seinen Sohn, wie er leben sollte, weil er hatte gesehen in seinem Leben dass macht man etwas schlecht, dann kommt etwas Schlechtes zurück. Dieses Buch ist genannt Nemesis Divina. Göttlich Rache. Ja. Also es ist ein Problem, Systematiker zu sein. Ich kann zum Beispiel nicht eine Tapete sehen, ohne die Muster ausforschen, darum habe ich nur eine Farbe auf meinen Wänden in meinem Haus.
DIGAS Sprecher
Sie hörten: Der Katalog des Lebens - Zum 300. Geburtstag des schwedischen Naturforschers Carl von Linné.
CD 1/19 0:26 OT Deutsch Marietta Manktelow-Steiner
Alle sind Systematiker mehr oder weniger. Kein Mensch kann leben ohne Systematik. Man muss immer die Gläser in einem Platz haben, die Messer an einem anderen Platz, sonst wird man verrückt.
DIGAS Sprecher
Gestalter der Sendung war Lothar Bodingbauer. Gesprochen haben:
Nina Strehlein
(VORNAME FEHLT) Strzowski
und Arthur Treinacher
Morgen in "Dimensionen - Die Welt der Wissenschaft": Kulturgüterschutz, eine Sendung über Naturwissenschaft und Denkmalpflege.
Ein Portrait des Philosophen Alfred North Whitehead: Der Mathematiker, Logiker, Physiker und Philosoph Alfred North Whitehead hat 1929 mit seinem Opus Magnum „Process and Reality“ einen philosophischen Ansatz vorgelegt, der sich durch eine besondere Eignung zur interdisziplinär angelegten Forschung auszeichnet. Kann die Prozessphilosophie Whiteheads die Dynamik derzeit getrennter wissenschaftlicher Felder der Gegenwart vereinen? Eine Sendung anlässlich der 6. Internationale Whitehead-Konferenz (3. – 6. Juli 2006) in Salzburg.
Foto: Radiarantenne (Eiscat radar) in der Nähe von Sodankylä, Finnland
Nordlicht, Klimawandel und die Physik der Kälte und Finsternis: Der hohe Norden ist für Physiker ein ganz besonders spannendes Gebiet. Den Nordlichtern auf der Spur verfolgen die Wissenschaftler mit Radaranlagen und Messraketen Erscheinungen der hohen Atmosphäre. Sie studieren das Magnetfeld im Norden Finnlands und beschäftigen sich nebenbei noch mit den Auswirkungen extremer Kälte auf den Menschen.
Um den Pol herum flimmern und flackern nach allen Seiten die kurzen Strahlen, in der Richtung nach dem Punkte in der Nähe des Zenits, gegen den der Südpol der freien Magnetnadel zeigt. Was wir sehen ist die Nordlichtkorona.
Sprecherin Physik aus Lappland.
02 OT Samenfrau / Fuchsfeuer 0:18
Nordlicht heißt auf Finnisch Revontulet. Das heißt eigentlich Fuchsfeuer. Und nach Erzählung entstehen Nordlichter dadurch, dass ein Fuchs rennt am Himmel und aus dem Schwanz kommen dann diese Farben und dieses Feuer, und darum heißt es Revontulet.
Sprecherin
Nordlicht, Klimawandel, und die Physik der Kälte und der Finsternis.
03 OT Samenfrau / Winter 0:13
Und das ist auch nicht deprimierend, wie Menschen manchmal behaupten. Weil wir haben ja immer Schnee und Schnee, reflektiert von Mond, Sterne und Polarlichter, und das ist frisch und schön.
Sprecherin Eine Sendung von Lothar Bodingbauer.
02 ATMO Fußgängerübergang 0:55
Hineinziehen in Sprecherin, kurz stehen lassen, dann Text:
Text Ort
Das sind die akustischen Signale eines Fußgängerübergangs auf einer Straße im Norden Finnlands - in Lappland. Jenseits des Polarkreises. Dieser Übergang auf der Straße nach Sodankylä zum Geophysikalischen Observatorium zeigt schon exemplarisch, wie die Wissenschaftler hier arbeiten: Signale werden gesendet, und das Echo zurück wird erforscht. Diese Signale werden natürlich nicht einfach über die Straße geschickt, sondern nach oben, (ab jetzt ATMO wegziehen) in den Himmel. Es sind elektromagnetische Signale - Radiowellen. Die Wellen werden in der hohen Atmosphäre zum Teil zurückgeworfen. - Dies gibt Aufschlüsse wie die Atmosphäre beschaffen ist. Dort wo das Nordlicht entsteht, wo Ozon die UV Strahlen filtert, wo die Sonnenstürme ankommen, und wo eine Vielzahl chemischer Prozesse das Leben auf der Erde beeinflusst. Die Physik im Hohen Norden Finnlands besteht zu großen Teilen aus dem Studium der Hohen Atmosphäre.
04 OT Esa / Star 0:05
Of course one basic key question is: we are living with a star.
Text Vorstellen
Wer die Erde verstehen will, muss zur Sonne schauen, sagt der Nordlicht-Spezialist Esa Turunen. Er ist einer der Wissenschaftler am geophysikalischen Institut in Sodankylä.
05 OT Esa / Solar 0:26
Übersetzung:
Wir leben mit einem Stern, der Sonne. Die Teilchen von der Sonne, die das Nordlicht bilden, brauchen 2, 3 Tage, um die Erde zu erreichen. Die Sonne ist also sehr nahe! Wir müssen deswegen lernen zu verstehen, was auf der Sonne passiert, und wie sich das auf die Erde auswirkt. Alles auf der Erde hängt von der Sonne ab, und wie sie sich benimmt.
Text Nordlicht Schlüsselstelle
Das Nordlicht nimmt eine Schlüsselstelle zwischen Sonne und Erde ein. Es ist tatsächlich eine Spur – nicht von einem Fuchs, wie es die Erzählungen der Samen beschreiben – sondern die Spur des Sonnenwinds. Wer sich also auf die Fährte des Nordlichts macht, wird die Sonne finden. Warum aber führt diese Spur in den Hohen Norden? Der allgemeine Ausdruck für das Nordlicht ist Polarlicht. Man könnte das Polarlicht daher auch im Süden finden, weil das Magnetfelder der Erde an beiden Polen auf den Boden trifft und zuvor noch durch die Atmosphäre führt. In den Auralen Zonen, in ringförmigen Gebieten, die sich wie zwei Heiligenscheine um die Pole erstrecken. Dort stößt das Magnetfeld durch die Atmosphäre, dort entsteht das Nordlicht, oder das Polarlicht, und diese Gegenden gilt es zu erforschen.
06 OT Esa / 60 Theorien 0:10
Übersetzung:
Als die ersten Wissenschaftler hierher kamen, hatten sie überhaupt keine Ahnung wie das Nordlicht entsteht. Es gab 60 Theorien, aber keine davon stimmte.
Text Weyprecht
Was Wissenschaftler nicht verstehen, versuchen sie zunächst einmal genau zu beschreiben. Wie Carl Weyprecht, Leiter der österreichisch-ungarischen Expedition zum Franz Joseph Land um 1870:
07 Zitat Weyprecht 0:40
Dort im Süden, tief am Horizonte, steht ein matter Lichtbogen... Langsam nimmt der Bogen an Intensität zu und hebt sich gegen den Zenit; er ist vollkommen regelmäßig. Es sind keine Strahlen darin zu erkennen. Höher und höher steigt der Bogen, in der ganzen Erscheinung liegt eine klassische Ruhe.... Noch steht er entfernt vom Zenit, und schon trennt sich ein zweiter Bogen vom dunklen Segmente im Süden ab, dem nach und nach andere folgen. Alle steigen dem Zenit entgegen... Über das ganze Firmament sind nun Lichtbogen gespannt, Es stehen sieben zur gleichen Zeit am Himmel!
08 OT Esa / Station 0:26
Übersetzung:
Die ersten Wissenschaftler kamen 1882, 1883. Sie errichteten währen des 1. Internationalen Polarjahres eine permanente Forschungsbasis hier in Sodankylä, am Rande der Auralen Zone. So weit im Norden wie möglich, wo die Zivilisation die Station noch versorgen konnte.
Text Nordlicht
Die ersten Wissenschaftler glaubten noch, das Nordlicht befinde sich auf 200, 300 Metern Höhe, und man könne es mit Radiowellen sichtbar machen. Diese Idee unterscheidet sich nur wenig vom Glauben, dass das Nordlicht kommt, wenn Krieg droht, oder wenn man bloß pfeift – so wird es den Kindern der Gegend erzählt.
Heute ist die Entstehung des Nordlichts in den großen Zügen wissenschaftlich erklärt. Sie ist mit der Aktivität der Sonne verbunden.
Nordlichter entstehen, wenn die Sonne impulsartig viele hochenergetische Teilchen zur Erde schleudert. Dieser Vorgang wird Sonnenwind genannt, er entsteht in Sonnenflecken. Schon Galileo Galilei hat diese Flecken mit seinem Fernrohr beobachtet. - Da es nun alle 11 Jahre besonders viele Sonnenflecken gibt, und alle 11 Jahre auf der Erde besonders viele Nordlichter, liegt der Zusammenhang mit dem Sonnenwind sehr nahe.
Schnelle Elektronen und Protonen werden im Sonnenwind mit 500 km pro Sekunde in den Weltraum geschleudert. Diese Teilchen werden vom Magnetfeld der Erde eingefangen, das dabei messbar verzerrt wird. Die Teilchen werden durch die Magnetfeldlinien zu den Polen der Erde transportiert. Bevor jedoch sie dort am Boden angekommen sind, durchstoßen sie die Atmosphäre, auf 100 bis 150 km Höhe. Die Atmosphäre beginnt zu leuchten: Das Nordlicht entsteht, die Aurora Borealis.
09 Zitat Weyprecht 0:25
Und wiederum eine andere Form. Im Süden liegt dicht über dem Horizonte ein schwaches Band, das wir kaum beachten. Auf einmal hebt es sich rasch... Kurze Zeit hält es sich stationär, da kommt plötzlich Leben hinein. Von Ost gegen West jagen lebhaft die Lichtwellen durch... Die Natur führt uns ein Feuerwerk vor, wie es sich die kühnste Fantasie nicht herrlicher zu denken vermag...
Text Farben
Die Farben des Nordlichts können unterschiedlich sein. Es kommt darauf an, welche Moleküle und Atome vom Sonnenwind getroffen werden. Meist ist es Sauerstoff der leuchtet, sein Licht ist grün oder auch rot. Stickstoff sendet ebenso rotes Licht aus, aber auch blaues Licht und violettes.
Nordlichter sind häufig. In zwei von drei Nächten sind sie in Lappland zu sehen.
10 OT Esa / Prozesse 0:46
Übersetzung:
Heute wissen wir, was das Nordlicht ist. Das Nordlicht, das die Menschen sehen, ist aber nur 5% der Prozesse die wir in den Polarregionen in der oberen Atmosphäre haben. Der Grund, auch heute in diesem Gebiet hier weiter zu forschen ist: wir möchten wissen, was die globale Rolle dieser Prozesse in der Oberen Atmosphäre der Arktis ist. Jene Prozesse, die hier Polarlichter entstehen lassen: Haben sie auch eine globale Bedeutung? Zu welchem Ausmaß haben sie es? Zu welchem Ausmaß wird die gesamte Atmosphäre davon beeinflusst, und damit auf lange Sicht gesehen, auch das Klima auf der Erde?
Text Heute
Sodankylä ist eine kleine Stadt in Lappland mit etwa 10.000 Menschen. 50 fest angestellte Wissenschaftler und Ingenieure arbeiten dort, Geophysiker und Meteorologen. Sie forschen im Arktis Research Center einer Außenstelle der Universität Oulu, der Universität Lapplands. Das Arktik-Institut befindet sich von städtischen Einflüssen ungestört mitten im Wald, bei den Flüssen und den Seen.
Die meisten der anwesenden Menschen und Geräte beobachten die Umwelt: nach oben, nach unten, und nach allen Seiten. Gemessen wird mit vielen verschiedenen Methoden.
02 Atmo Ballonstart 0:27
5 Sekunden stehen lassen, darüber dann folgender Text; Atmo läuft aus
Text Wetterballon
Auf einer Lichtung im Wald werden Wetterballons gestartet, vollautomatisch, alle 4 Stunden, das ganze Jahr über. Sie werden mit Wasserstoff gefüllt, deswegen der Alarm für die Umgebung. Lautlos heben sie sich in die Luft und verschwinden schnell im Himmel. Ihre Messkapseln messen Druck, Temperatur und Wind entlang des Weges und funken die Daten zur Erde. Die Wetterballons messen bis zu etwa 20 km Höhe. Von dort an übernehmen Satelliten.
11 OT Osmo / Vorstellen 0:07
I am Osmo Aulamo, I am Head of Satellite Operationas in Arctic Research Center here in Sodankylä.
Text Wolken
Wenn Osmo Aulamo zur Arbeit fährt, bewundert er oft die höchsten vorkommenden Wolken, auf 20 km Höhe. Über ihre Bedeutung für das Klima weiß er sehr genau Bescheid. Sie sind faszinierend und bedrohlich zugleich.
12 OT Osmo / Wolken 0:32
Übersetzung:
Das sind wirklich schöne und farbenfrohe Wolken am Himmel. Es sind aber genau jene Regionen der Atmosphäre, wo das Ozon zersetzt werden kann. Notwendig dafür sind kalte Temperaturen und Chlor, vereinfacht gesagt. Wenn Sie Chlor in diese Gegend hineinbekommen, können sie damit Ozon zerstören. Das passiert eben genau in der Stratosphäre, in diesen schönen Wolken.
Text International
Wo die Stratosphären-Wolken gebildet werden, ist es ausgesprochen kalt. Bis -80 Grad Celsius. Die Ozonzersetzung braucht genau diese tiefen Temperaturen. Doch nicht nur die Temperaturen bestimmen die chemischen Prozesse ab dieser Höhe, sondern auch die Einflüsse des Sonnenwinds. Die Messungen am Arctic Research Center in Sodankylä sind von internationalem Interesse.
13 OT Zede /Hassler 1:48
Übers ganze Jahr gerechnet sind natürlich Finnen hier. Aber momentan ist hier eine Kampgange, die hat den schönen Namen Sauna, eine Abkürzung für Total Ozonmessungen in Sodankylä. Da sind wir für 3 Wochen hier kommen Gruppen aus der ganze Welt aus Nordamerika und Europa. Mein Name ist Alexander Zede. Ich arbeite in Washington im Goddard Space Center. Bei der Nasa. Ich bin Atmosphären- wissenschaftler. Unser Interesse an dieser Kampgange ist, wir wollen Satellitendaten mit Bodendaten vergleichen, in hohen Breitengraden. Und bei niedrigen Sonnenständen, deshalb sind wir hier im Frühling. Der Grund dafür, dass wir diesen Ort ausgesucht haben ist, dass die Bodendaten und Satellitendaten stimmen nämlich unter diesen Bedingungen nicht gut überein. Deshalb hat man viele verlässliche Bodengeräte zusammengebracht, und aufgestellt und relativ viele Spezialisten versammelt, die dann sagen, das ist der beste Wert vom Boden, und wenn der Satellit immer noch andere Wert hat, ist es die Schuld vom Satelliten. --- Birgit Hassler, ich bin vom Deutschen Wetterdienst, und wir messen hier Gesamtozon. Man spaltet das Licht von der Sonne in verschiedene Wellenlängen, eine in der Ozon stark absorbiert wird, und eine in der Ozon nicht absorbiert wird. Und wenn man vergleicht, kann man sagen, soviel Ozon ist in der Atmosphäre vorhanden. --- Heuer sind wir über dem Durchschnitt. Die Ozonwerte, die wir gerade messen, sind 10 bis 20% über dem Werten der letzten 15 Jahre. Das ist eine Jahr-zu-Jahr Variation. Das hängt aber mit den Temperaturen zustande.
Text Ozon-Hoch
Das momentan gemessene Ozon-Hoch gibt aber noch keinen Anlass, die globalen Sorgen aufzugeben. Die Konzentration der Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffe in der Atmosphäre gesamt ist zwar schon zurückgegangen, aber seit ihrem Verbot, in Kühlschränken verwendet zu werden, wird es noch Jahrzehnte dauern, bis das Ozon-Gleichgewicht der Atmosphäre wieder hergestellt ist.
Osmo Aulamo überwacht als Meteorologe auch die Ozon- Satellitenmessungen. Gomos heißt das System:
14 OT Osmo / Satellitenmessung 0:16
Übersetzung:
Wir messen zuerst mit dem Satelliten das Sternenlicht außerhalb der Atmosphäre, und dann durch die Atmosphäre durch. Es werden dabei gewisse Wellenlängen absorbiert. Und daraus kann man dann berechnen, wie viel Ozon vorhanden ist.
Text Ozongehalt
Die Messungen des Ozongehalts der Atmosphäre erfolgen von zwei Seiten: bodengestützt, und satellitengestützt. Die Vorteile der beiden Methoden werden kombiniert.
15 OT Osmo / Lokal 0:33
Übersetzung:
Wir können hier lokal Ozon messen, und das ist einer der wenigen guten Plätze dafür. Wir können aber nicht die gesamte Erde mit diesen Bodenmessungen abdecken, die wir brauchen für das Verständnis der Situation. Wenn wir nun die sehr genauen aber punktuellen Bodendaten mit den eher ungenauen aber dafür globalen Satellitendaten verbinden, dann können wir zwei Aspekte desselben Problems kombinieren und so ein ziemlich gutes Bild von der Situation erhalten.
Text Messen
Die Wissenschaftler in Lappland versuchen die Mechanismen und Gesetze der Vorgänge in der Atmosphäre zu erkennen. Alle zugänglichen physikalischen und chemischen Größen, die Bedeutung haben könnten, werden dafür gemessen: die meteorologischen Grunddaten, aber auch geophysikalische Größen:
RIO-Meter sind Messgeräte für den Einfluss kosmischer Strahlung; Imaging Riometer stellen die Ergebnisse auch bildlich dar, Ionosonden bestimmen die Höhen der verschiedenen Atmosphärenschichten, Radargeräte befassen sich mit dem Wetter, dem Weltraumschrott und der globalen Funkwellenausbreitung. Das Aardwark System heißt übersetzt Erdschweinsystem und ist ein weltweites Netzwerk zur Ortung von Blitzen. Eine All-Sky- Camera macht alle 10 Sekunden ein Bild des gesamten Himmels. Und weil das Erdmagnetfeld alle Einflüsse der Sonne und des Weltraums widerspiegelt – ist das Pulsation Magnetometer Network von besonderer Bedeutung. Es misst die Änderungen des Erdmagnetfelds. Sind sie hoch, gibt es Nordlicht – seine Sichtbarkeit ist eigentlich die einfachste Messung der Änderungen des Ermagnetfelds. Die genauen Messwerte lassen aber auch Rückschlüsse auf die Ursache des Nordlichts zu: das Weltraumwetter. Die Magnetometer des Arktic Institute befinden sich abseits von Störeinflüssen in einigen Hütten mitten im Wald auf einer Lichtung. Esa Torunen erklärt, dass die Messanlagen nur unter besonderen Umständen betreten werden dürfen:
16 OT Esa / Gehen 0:25, Atmo bis 0:47
Übersetzung:
Wir können jetzt nicht hineingehen, weil wir alle so viel Eisen an uns haben. Die Brillen, in den Schuhen, in den Uhren. Auch ein Goldring hat noch zuviel Eisen drin. Unser Magnetmeister muss sogar die Damen bitten, die BHs auszuziehen, weil sie auch Eisen beinhalten.
OT wird zu ATMO, darüber folgender
Text Hütten
Nicht nur die absolute Stärke des Magnetfelds wird gemessen, sondern auch, wie sich das Magnetfeld verändert. Die Station ist Teil eines internationalen Netzwerks.
17 OT Esa / Hütten 0:47
Übersetzung:
Das größere Gebäude hier besteht aus zwei Hütten, ineinander geschachtelt. Es ist ein Meter Raum dazwischen. Früher wurde dieser Raum mit zwei Öfen geheizt, mit Feuerholz. Heute verwenden wir natürlich Elektrizität. Es muss die innere Hütte eine sehr gleich bleibende Temperatur haben. Früher, ohne Computer, machten wir die Magnetmessungen sehr herkömmlich. Man hatte einen Quarzfaden, einen Spiegel, einen Magnet im Faden. Man hatte Licht, und drei Meter Laufstrecke. Am Ende war ein Fotopapier, das sich langsam bewegte. Das zeichnete auf – und jeden Tag musste jemand das Fotopapier entwickeln. Darauf waren die Messwerte eingezeichnet.
Text Zeitreihe
Seit 1914 erfolgen die Messungen kontinuierlich. Eine unschätzbar wertvolle Zeitreihe entstand über die Entwicklung des Magnetfelds der Erde. Glaubte man ursprünglich damit nur das Nordlicht zu erklären, dient die Magnetfeld-Messreihe heute auch Studien über die globale Temperaturentwicklung. Die Fotografien der Magnetmessungen haben den 2. Weltkrieg unbeschadet überstanden, nicht so die Bilder der Nordlichter.
18 OT Esa / Fotografien 0:27
Übersetzung:
Früher wurden die Nordlichter noch auf Glasplatten fotografiert. Am Ende des 2. Weltkriegs wurden aber hier leider diese Platten zerstört. Es explodierte der Kellner, alles flog in die Luft. Schade, es muss wirklich gute Fotografien gegeben haben.
Wir hatten Deutsche Truppen hier, ganz Lappland war besetzt. Als sie zurückgeschlagen wurden, brannten sie alles nieder.
Text Geophysiker
Es sind die Geophysiker, die sich mit den Magnetfeldmessungen befassen. Ihr Forschungsgebiet beginnt im Boden. Zwischen 0 und 20 km Höhe messen die Meteorologen, und darüber, bis in den Weltraum hinaus, erstreckt sich wieder das Forschungsgebiet der Geophysiker.
Das Gebiet um Sodankylä eignet sich besonders gut für die Magnetfeldmessungen. Die Geschichte, warum gerade hier in
Finnland das Geophysikalische Institut gegründet wurde, ist ebenso speziell wie kurios. Anfang des 17. Jahrhunderts kamen französische Wissenschaftler für ein Jahr, um zu messen, ob die Erde rund sei. Sie steckten, wo der Finnische Meerbusen endet, Dreiecke in die Landschaft, maßen und bestätigten: Ja, die Erde sei rund. 1 Jahr später gab es 200 Kinder mit französischen Vätern im Gebiet, und weitere 200 Kinder hatten finnische Väter, aber die Kinder sahen nicht finnisch aus.
Als dann anlässlich des Polarjahres 1882 Wissenschaftler anfragten, ob sie eine Forschungsstation errichten könnten, dort oben am Meer, leicht erreichbar durch Schiffe, lehnte die Bevölkerung dankend ab. Keine Wissenschaftler mehr. Diese wanderten landeinwärts, überwandten Rentierzäune, errichtet von Samen, die ebenfalls keine fremden Leute ertragen wollten, einer schwamm über einen Fluss mit einem Messgerät und stellte fest – ja, in Sodankylä gibt es den perfekten Ort für Magnetfeldmessungen. Wegen einer vierzig Meter dicken Tonschicht im Untergrund. So die Geschichte, wie sie Jirkki Manningen, Experte für das „Erschweinsystem“ – das Aadvark Netzwerk erzählt.
19 früher 20 OT Jirkki / Erdschwein 0:29
Übersetzung:
Das ist ein interessantes Tier. An unserem Observatorium ist das Very Low Frequency Network danach benannt. In Europa haben wir 4 - 5 Empfänger-Stationen. Die empfangen Signale von Sendern rund um die Welt. Hier haben wir gerade das Signal aus Hawaii bekommen. Damit können wir die Situation der Ionosphäre und der oberen Atmosphäre studieren entlang des Pfades nach Sodankylä.
03 Atmo Radio 0:30
darüber folgender Text
Das Pfeifen und Knistern der Mittel- und Kurzwellen im Radio wird von atmosphärischen Störungen verursacht, zumeist von Blitzen. Der Zustand der Atmosphäre ist für die Ausbreitungsbedingungen der Wellen verantwortlich.
Auch das Militär interessiert sich dafür. Jirkki Manningen erzählt, was sonst mit den Daten passiert, die die Wissenschaftler sammeln: Sie sind für alle frei zugänglich im Internet abrufbar.
20 früher 21 OT Jirkki / Nutzer 0:53
Übersetzung:
Die meisten Nutzer unserer Daten sind Wissenschaftler. Aber daneben gibt es auch Anfragen zum Beispiel von der Forstwirtschaft. Zahlt es sich aus, dass sie eine Woche rausgehen, um Land zu vermessen, wenn es einen Magnetsturm hat, oder es Nordlicht gibt, und sie ihre Messungen danach wegwerfen können? Das ist viel Geld, da könnten auch wir etwas dafür verlangen. Wenn wir aber Leistungen verkaufen, dürfen wir die Bildungs-Lizenzen unserer Computerprogramme nicht mehr nutzen, wir müssen Geschäftslizenzen kaufen – das macht unsere Leistungen wieder teuer, und niemand kauft sie ein. Solange wir also die Daten kostenlos hergeben, gibt es kein Problem, aber wenn wir aber Geld dafür haben wollen, müssen wir die Lizenzänderungen berücksichtigen.
Text
Das Weltraumwetter schlägt sich auf das Erdmagnetfeld nieder. Wer es misst, kann Warnungen vor Magnetstürmen herausgeben, oder Weltraumwetterberichte, so wie diesen:
ZITAT Sprecherin
Eine Sonnenwind Schockwelle wurde gestern um 18 Uhr durch den ACE Satelliten am L1-Punkt aufgezeichnet. Die Geschwindigkeit des Sonnenwinds sprang von 450 auf 500 km pro Sekunde. Im Gegensatz zum vorhergehenden Event am 12. Mai ist die z-Komponente des Magnetfelds der Erde weitgehend im Norden geblieben. Geo- magnetische Konsequenzen blieben deswegen beschränkt. Die gestrige Schockwelle steht vermutlich in Verbindung mit der leichten vollen Halo CMD am 12. Mai.
Text
Sonnenwind oder Stürme kosmischer Teilchen bedeuten im Allgemeinen Gefahr für die Erde. Wenn nicht unmittelbar für die Menschen am Erdboden, dann doch Gefahr für viele technische Einrichtungen:
Sonnenwinde können Pipelines vorzeitig korrodieren, sie gefährden Passagiere und die Besatzungen auf Flügen über die Pole der Erde, sie sind tödlich für Astronauten auf Weltraumspaziergängen, Satelliten können durch sie Schaden nehmen und das GPS- Navigationssystem kann Abweichungen bekommen. Sonnenwind kann auch in Hochspannungsleitungen Überspannungen auslösen – Stromausfälle sind die Folge.
Das Ziel der Messungen in Sodankylä ist, computergestützte Modelle zu bilden, die mit der Wirklichkeit übereinstimmen: Welche chemischen Vorgänge laufen in der Atmosphäre ab, unter welchen Bedingungen? Wie ist die Energiebilanz? Verstehen wir die Verbindung von Weltraumwetter und dem Klima der Erde? Kennen wir die Gründe für Veränderungen? Wie wirkt sich die globale Erderwärmung auf die Atmosphäre aus? Was bedeutet das im Umkehreffekt für das Klima? Mit welchen Überraschungen ist zu rechnen?
Die Analysen der Messwerte stehen weltweit erst am Anfang. Die Modelle werden gebildet und wieder verworfen. Der Atmosphärenwissenschaftler Esa Torunen:
21 früher 19 OT Esa / Frust und Freude 0:40
Übersetzung:
Es ist für uns nicht sonderlich frustrierend, wenn wir eine lange Rechnung noch einmal machen, weil sie falsch war. Aber wir sind schon froh, und fühlen uns erfolgreich, mit kleinen Dingen: einfach, wenn wir ein neues Resultat bekommen. Wenn wir wissen, das hat vorher noch keiner getan. Oder wenn wir ein kompliziertes Computermodell machen, und wenn eine Figur dabei herauskommt, eine einfache getupfte Linie, und wir vergleichen sie mit den wirklichen Messwerten eines Satelliten. Und es ist ein perfektes Match, das macht uns doch sehr glücklich
Text Fragen
Suchte man anfänglich nach Erklärungen für die Entstehung von Nordlichtern, so stehen heute Umweltfragen im Mittelpunkt des Interesses. Insbesondere die Sonnenaktivität wurde bislang unterschätzt, und ihre Auswirkungen auf die Ozonschicht und den Energiehaushalt der Atmosphäre.
Die Ursachen und Wirkungen der Vorgänge in der Hohen Atmosphäre sind heute erst ansatzweise verstanden. Ganz geklärt sind sie noch lange nicht. Was machen aber Wissenschaftler, wenn sie etwas noch nicht verstehen? Sie beobachten.
Und so sich die All Sky Kamera in Sodankylä alle 10 Sekunden ein Bild des Himmels macht, das via Internet für jeden sofort abrufbar ist, so machen sich auch jene die hier leben, immer wieder auf die Suche nach dem Nordlicht.
Wie auch Reeta und Jonna, zwei Schülerinnen aus Lappland: 22 OT Kind Reetta 0:22
Übersetzung:
Wir waren auf dem Berg Schlittenfahren und da waren solche Nordlichter, solche verrückten, die haben wir dann lang beobachtet. Wir hüpften vom Berg in einen Schneehügel, legten uns auf den Rücken und beobachteten die Nordlichter. Und plötzlich waren sie dann verschwunden.
23 OT Kind Jonna 0:14
Übersetzung:
Einmal war ich draußen im Freien und da war ein total schönes Nordlicht, das seine Form interessant verändert hat. Mein Papa hat gesagt, dass das eine Krone ist oder so was ähnliches. Und dieses Nordlicht hatte viele verschiedene Farben - und so ein schönes Nordlicht hatte ich vorher noch nie in meinem Leben gesehen.
24 OT Kind Reetta 0:18
Übersetzung:
Als kleines Kind habe ich mich auch oft über die Nordlichter gewundert und wie verrückt geschrieen: „Was sind die denn?!“ und dabei bin ich herumgerannt. „Was sind die eigentlich?“ zeigte ich lachend mit dem Finger auf sie, wie verrückt. „Was sind die, ich will sie berühren!“ Dann hat mein Patenonkel gesagt: „Das sind Nordlichter.“ „Wow“, sagte ich dann.“
25 Zitat Weyprecht 4 0:25
Doch schon ist alles abgeblasst. Mit der gleichen unbegreiflichen Geschwindigkeit, mit der es gekommen, ist es auch wieder verschwunden. Das war das Nordlicht des kommenden Sturmes, das Nordlicht in seiner vollen Pracht. Keine Farbe und kein Pinsel vermögen es zu malen!
Sprecherin
Sie hörten: Nordlichter, Klimawandel und Finsternis: Die Physik Lapplands. Eine Sendung von Lothar Bodingbauer.
Portrait einer im Hintergrund wirkenden Einrichtung: Es ist nicht die Wetterkunde, sondern die Kunde um Maßeinheiten und deren weltweit gleiche Reproduzierbar- und Vergleichbarkeit, womit sich das österreichische Metrologische Institut beschäftigt. Diese Arbeit hat in Wien lange Tradition, die "Wiener Einheiten" der österreichisch-ungarischen Monarchie waren für ihre Zeit im wahrsten Sinne des Wortes maßangebend - und modern. Die spätere Meter-Convention entwickelte sich zum Internationalen SI-Einheitensystem, das heute nahezu in allen Bereichen des verwendet wird. Es gibt das Kilogramm, die Sekunde, einige weitere Grundeinheiten mehr, und schon die Länge - das Urmeter - wird auf die Sekunde zurückgeführt.
Physik zählt zur Allgemeinbildung, wenn auch die meisten Menschen einfache physikalische Phänomene falsch erklären. Mädchen schneiden in Physik prinzipiell schlechter ab als Burschen. Teure Physiklabors wollen autonom budgetierende Schulen nicht mehr unterhalten. Die Physik-Didaktiker sind ratlos. Was tun? Die Experimente sollen schülerzentrierter werden – nicht der Herr Professor soll experimentieren, sondern die Schüler sollen es – lustvoll - tun. „Gender Mainstreaming“ hat auch in den Physiksaal Einzug gehalten, und ehemalige physikdidaktische Hardliner fordern Junglehrer auf, mutiger zu unterrichten. Nicht das Schulbuch soll in die Schule hineingetragen werden, sondern das Leben. Erfolgreich? Noch nicht. Die Beliebtheit des Faches „Physik“ nimmt nach wie vor mit zunehmenden Alter ab, die PISA Studie zeigte Erschreckendes in Österreich. Eine Sendung um den Zustand des Physikunterrichts an Österreichs Allgemeinbildenden Höheren Schulen.
Genie oder Scharlatan? Der Erfinder Nikola Tesla (1856-1943) gilt als Wegbereiter für das Wechselstromsystem. Für seine Arbeiten zu "Freier Energie" und angeblichen "Todesstrahlen" interessieren sich heute allerdings vor allem Phantasten und "Verschwörer". Es ist erstaunlich, mit welcher Beharrlichkeit Biographen und selbst ernannte geistige Erben Nikola Tesla (1856-1943) als verkanntes Genie propagieren. Tesla-Gesellschaften arbeiten an einem Beweis für das Konzept der "Freien Energie", ohne Forschungsgelder und außerhalb der Wissenschaftsgemeinde. Zwischen Scharlatanerie und wissenschaftlich gesicherten Errungenschaften Teslas zu unterscheiden, ist schwierig, hat doch die Tesla-Spule, mit der für Menschen unschädliche hochfrequente Wechselströme erzeugt werden, hohes Lob der Physiker eingetragen. Teslas Arbeiten und Erfindungen mit Generatoren und Motoren halfen auch maßgeblich mit, weltweit den Wechselstrom gegenüber der Stromversorgung mit Gleichstrom durchzusetzen. Um 1900 war der Erfinder Nikola Tesla vom Glück wenig begünstigt: In seinem Labor wütete ein Brand und nahezu jedes größere Projekt musste aus Geldmangel abgebrochen werden, bevor nennenswerte Ergebnisse vorlagen. Bei den meisten Patentanmeldungen wurde er von seinen Kollegen überholt. In den Augen seiner Kritiker war er vor allem eines: ein Scharlatan. Tesla habe behauptet, geheimnisvolle Todesstrahlen erfunden zu haben, mit Hilfe eines kleinen vibrierenden Gerätes Gebäude zum Einsturz bringen zu können, Energie zu funken, es gäbe "Freie Energie" in der Atmosphäre, die man nur auf die richtige Weisen nutzbar machen müssen. Wie konnte es zur Bildung der Tesla - Legenden kommen? Die Radiosendung zeichnet ein Bild des widersprüchlichen Erfinders, vor dem Hintergrund des Konflikts zwischen allgemein anerkannter Wissenschaft und dem Tesla - Kult, dessen phantastische Bücher in regelmäßigen Abständen die vorderen Regale der Buchhandlungen erreichen.
Der Strom, der Strom ist so groß über meinen Körper, dass diese Glimmlampe zu leuchten beginnt.
Genie oder Scharlatan?
00:10 CD Cut 57 OT Gratz
Es fließt an meiner Hautoberfläche ab, der // Strom, der da über meinen Körper geflossen ist. Der immerhin dazu ausreicht, um diese Glimmlampe zum Leuchten zu bringen.
Der Elektroingenieur und phantastische Erfinder Nikola Tesla.
2:20 ca DIGAS 07 OT Vujovic Intro Teil 1
Tesla Memorial Gesellschaft in New York begrüßt Österreichisches Rundfunk und alle Zuhörende. Unsere Gesellschaft wurde 25 Jahre zurück gegründet, um Nikola Tesla zu ehren und seine Ideen zu verbreiten. Mein Name ist Dr. Vujovic, Generalsekretär für die Tesla Memorial Gesellschaft in New York.
Eine Sendung von Lothar Bodingbauer.
( ... Fortsetzung)
Nikola Tesla war ein großes Wissenschaftler und ein Humanist. Er war auch ein großes Vorbild für die Balkanstaaten und das ehemaliges Österreichisch-Ungarisches Gebiet. // Er studierte in Graz polytechnisches Institut und Universität Prag. In Budapest entdeckte er das kreisende elektromagnetische Field in 1882. Das war eine kolossale Entdeckung. Diese Entdeckung war die Basis für die Wechselstromelektrizität. Das ist heute die Elektrizität der Welt. Nikola Tesla Name wurde angenommen für die Einheit für Magentische Dichtigkeit. Tesla Memorial Gesellschaft in New York hatte zu den Vereinigten Nationen vorgeschlagen, ein Nikola Tesla zu erklären. Der Nikola Tesla Tag würde ein Tag für Wissenschaft, Forschung und Brüderschaft zwischen allen Nationen und Religionen in der Welt werden. Wir leben in einer Zeit von Europäischen Vereinigung. Nikola Tesla und seine wissenschaftlichen Erfolge war ein Vorbild für alle Balkanstaaten und die ehemalige Österreichisch-Ungarischen Monarchie.
Für den New Yorker Krankenhausarzt Ljubo Vujovic ist die Beschäftigung mit Nikola Tesla eine Frage der Berufung.
Für den Mann im Stromkreis, den wir zu Beginn der Sendung gehört haben, ist Nikola Tesla Teil des Berufs. Prof. Ernst Graz von der Technischen Universität Wien. Er hat seinen Studenten eine Teslaerfindung vorgeführt – den so genannten Tesla Transformator, mit dem man hohe Wechsel-Spannungen mit hoher Frequenz erzeugen kann.
Kurzgefasst und vereinfacht: Nikola Tesla war der Wegebereiter des Wechselstromsystems, jenes Stroms, der bei uns aus der Steckdose kommt.
Bekannter als Tesla ist der Amerikanische Erfinder Thomas Alva Edison. Er hat xxxx die Glühlampe erfunden, und Edison wollte sie mit Gleichstrom betreiben. Gleichstrom ist Strom, der ständig in eine Richtung fließt. Wechselstrom hingegen fließt ständig hin und her – 60 mal in der Sekunde, im europäischen Stromsystem etwa.
Teslas Idee war Wechselstrom. Er bietet im Gegensatz zum Gleichstrom den Vorteil, dass der gesamte Übertragungsweg einfacher und verlustfreier zu handhaben ist, von der Erzeugung in den Generatoren, bis über die Hochspannungsleitungen zu den Wechselstrommotoren.
Der Elektrotechniker Nikola Tesla hat nicht unbedingt den Wechselstrom einfach nur erfunden – sondern er vor allem auch die Geräte dazu geliefert: Generatoren zur Erzeugung, Transformatoren zum Ändern der Spannungen, geeignete Wechselstrommotoren. Thomas Alva Edison ist auf seinen Gleichstromgeräten sitzen geblieben. Wechselstrom hat sich durchgesetzt.
Und ob es nicht genug wäre, Nikola Tesla hat mit diesem Wechselstrom auch gewaltige Versuche mit sehr hohen Spannungen und hohen Frequenzen durchgeführt. Es hat dabei geblitzt, geraucht, gefunkt, Tesla verschwand in einem elektrischen Flammenmehr und entstieg demselben wieder, unverletzt. Er experimentierte vor den begeisterten Augen der versammelten Gäste in den Elektrisiersalons der Jahrhundertwende, vor Menschen, die sich versammelt haben, um sich an elektrischen Vorführungen zu begeistern, um 1900, in einer Zeit, da das alles neu war. Von den Gefahren hatte man oft wenig Ahnung. In manchen Schuhgeschäften etwa wurde die gerade erfundene Röntgenröhre verwendet, um die passenden Schuhgröße herauszufinden.
Alles war im Aufbruch, zwischen 1880 und 1940, es war eine Zeit der Erfinder - hier in Europa, und in Amerika. Die Welt war im Wettbewerb; Ingenieure und Wissenschaftler befanden sich im Erfindungs- und Erklärungstaumel. Es herrschte ein Boom um die Elektrizität und ihren Einsatz. Es ging gerade auch um Lizenzgebühren für die Verwendung von Erfindungen, Investitionen sollten sich lohnen, indem ein System durchgesetzt wurde, am besten weltweit. Auch die Radioübertragung wurde in dieser Zeit erfunden.
Die Fabriken forderten mehr Energie. Und Nikola Tesla versprach – ohne besseres Wissen von heute: Ich werde Euch Energie aus dem Weltall beschaffen - freie Energie, die nichts kostet, die immer nur strömt.
Adolf Schneider, Schweizer Verleger:
1:08 DIGAS 02 OT Schneider Tesla Wunderauto
In der Literatur taucht immer wieder ein Bericht auf über ein so genanntes Tesla Auto. Das ist eigentlich ein Elektroauto, das er umgebaut hat, ein vornehmes Auto der 30er Jahre. Das hat er als Elektroauto umgebaut mit einem 70 PS Elektromotor. Aber als Energiequelle hat er Energie aus dem freien Raum bezogen über eine Antenne, und dann über eine spezielle Elektronik. Das findet man zwar normalerweise nirgendwo in der Wissenschaftshistorik verzeichnet, aber es gibt sehr viele Belege dafür. Wir hatten zum Beispiel letztes Jahr den Sohn des früheren Direktors des deutschen Erfinderhauses in Hamburg getroffen. Der hatte die Chance, 1930 von Tesla persönlich empfangen zu werden, und er konnte persönlich das Auto fahren. Und da gibt es ausführliche Berichte darüber. Und das Problem ist, Tesla hat erkannt, dass in der aufkeimenden Ölindustrie und so weiter das offenbar kein besonders interessantes Thema war, kostenlos mit Energie durch den Raum zu fahren.
Schon in zwei Jahren soll es laut Adolf Schneider wieder so ein Auto geben, das mit freier, kostenloser Energie aus dem Weltall fährt.
Phantasiererei? Humbug in Teslas Namen?
Nein. Nikola Tesla bediente jeden. Er lieferte Erfindungen und Ideen für jeden Geschmack. Für Wissenschaftler korrekte - und für Esoteriker phantastische. Für jeden ist in Teslas Hinterlassenschaften heute etwas dabei.
Aber schauen wir einmal zurück. Ins vor-vorige Jahrhundert, 1856. Auf Österreichisch-Ungarisches Gebiet. In Smiljan, in der Nähe von Zadar im heutigen Kroatien wird Nikola Tesla geboren, als Sohn einer serbischen Familie. Sein Vater ist serbisch-orthodoxer Priester. Der Sohn aber darf Ingenieur werden, und erhält seine Ausbildung vom K & K Militär finanziert. Tesla studiert zu erst in Graz. Prof. Franz Pichler, Tesla-Experte von der Universität Linz:
0:40 CD 31 OT Pichler
Tesla hat mit Begeisterung studiert. Er hat wirklich nachgewiesen das doppelte wenn nicht das dreifache an Vorlesungen besucht und mit ausgezeichnetem Erfolg absolviert. Im zweiten Jahr ließ sein Eifer schon nach aber er war durchaus noch ein guter Student. Und im dritten Jahr kam die Katastrophe. Tesla belegt zwar Vorlesungen, geht aber nicht in die Vorlesungen, bezahlt aber nicht die Gebühren an die technische Hochschule in Graz und wird prompt hinausgeworfen.
Tesla studiert weiter in Prag, er bleibt aber hier wie dort ohne akademischen Abschluss. In der Folge arbeitet er als Elektrotechniker in Budapest, in Paris, in Strassburg, und wieder in Paris. Dort dann schon für eine Firma von Thomas Alva Edison. Tesla sieht in Edisons Betrieb Gleichstrommotoren, in denen der elektrische Strom zum Antrieb auf die sich zu bewegenden Teile übertragen werden mit so genannten „Bürsten“. Ein Vorgang, der mit vielen Funken und hohen Verlusten verbunden ist. Prof. Pichler:
0:39 CD 22 OT Pichler
Er hat das Bürstenfeuer gesehen. Ist das notwendig? Man muss sich das so vorstellen, damals war der Gleichstrom vorrangig und der einzige Wunsch war es, nach der Entdeckung des Induktionsgesetzes nach Faraday und den ersten Maschinen, Generatoren, Dynamos, um Elektrizität zu erzeugen, wieder Gleichstrom zu machen. Wechselstrom war unbekannt, obwohl das die natürliche Art der Stromerzeugung an sich ist. Technisch gesehen einfacher ist. Und Tesla hat das erkannt. Er hat immer wieder die Sachen vom Grund aufgesehen. Nicht. Und so geht es bei Tesla weiter.
1884 wandert Nikola Tesla nach Amerika aus, um zuerst in den New Yorker Werkstätten von Thomas Alva Edison zu arbeiten. Tesla repariert Edisons Generatoren und wurde von Edison auch gebeten, diese elektrischen Gleichstromgeräte auch gleich zu verbessern. Das tat Tesla - und zwar so weit, wie es sich Edison besser nicht gewünscht hätte - Edisons Motoren, und überhaupt, Edisons Stromversorgungssystem mit Gleichstrom sollte in der Folge von Teslas Wechselstromerfindungen verdrängt werden. Mit Teslas Idee eines rotierenden Magnetfeldes wird es nämlich nun möglich, ohne große Verluste die zu drehenden Teile des Motors anzutreiben, ohne das Bürstenfeuer. Ein rotierendes Magnetfeld aber gibt es nur - wenn es Wechselstrom gibt.
Edison aber ist dagegen. Er startet eine Imagekampagne und sorgt dafür, dass der Elektrische Stuhl mit Wechselstrom ausgestattet wird.
Die Firma Westinghouse stellte damals Teslas Wechselstromprodukte her - und berichteten bald amerikanische Medien: „The prisoner was Westinghoused“ - der Gefangene wurde Gewestinghoused - mit Wechselstrom getötet. Damit wurde gesagt, wie gefährlich der Einsatz Wechselstrom wäre. Der Druchbruch des Wechselstromsystems aber war nicht aufzuhalten.
Prof. Adalbert Prechtl vom Institut für die Grundlagen der Elektrotechnik an der Technischen Universität Wien:
0:34 CD 10 OT Prechtl
Die Durchsetzung des Wechselstromsystems in den USA und etwa parallel dazu in Europa hat sich beispielsweise dadurch gezeigt, dass eine riesengroße Anlage, ein Kraftwerk bei den Niagarafällen ausgerüstet wurde. Die Generatoren, das waren für die damalige Zeit Riesendinger, Generatoren im Megawattbereich, die wurden nach seinen Plänen gebaut und das war der Beginn der großtechnischen Energieversorgung.
Das Erfinder- und Fabrikanten Gespann Tesla-Westinghouse erlebt seinen Höhepunkt auf der Weltausstellung in Chicago 1893. Westinghouse hat den Auftrag bekommen, die Weltausstellung mit elektrischer Energie zu versorgen. Mit Wechselstrom. Die Welt ist begeistert. Die Weltausstellung ein voller Erfolg.
Nikola Tesla lebt in New York, in den besten Hotels, er kleidet sich vorzüglich, und leistet sich den Spleen, sich um die Stadttauben mehr zu kümmern, als das andere Menschen tun würden; Freunde hat er kaum. Tesla tut vor allem eines: er arbeitet wie ein Pferd. Glaubt man den Biografen, schläft der Erfinder nicht. Prof. Alexander Marincic, vom Tesla Museum in Belgrad:
00:30 CD 63 OT Marincic
Übersetzung:
Tesla sagte von sich, er könne eine Maschine konstruieren, bloß in seinen Gedanken. Er kann sie auch in seinen Gedanken in Betrieb setzen. Dort repariert er sie auch. Und wenn er sie dann baut, dann funktioniert sie genauso Perfekt, wie in seinen Gedanken. Das ist natürlich übertrieben, aber es trifft irgendwo den Kern.
Journalisten und Mitglieder der amerikanischen High Society sind begeistert von der sprühenden Gedankenkraft des Erfinders. Tesla zieht sich dicke Korksohlen an, die ihn vom Boden elektrisch isolieren, was ihn noch größer macht, hager war er schon immer, und er verschwindet in einem Meer von meterlangen Blitzen und Funken, die aus einem Gerät kommen, das heute nach ihm benannt „Tesla Spule“ heißt. Den erschrockenen Zuschauern erzählt er, zum Beispiel 1893:
ATMOelektrische Geräusche von CD 2 / Cut 1
Sprecher:
Die Lichtströme, die Sie von meiner Hand ausgehen sehen, rühren von einer Spannung von etwa 200 000 Volt her; dieselbe wechselt in ziemlich unregelmäßigen Intervallen, manchmal etwa eine Million Mal in der Sekunde. Wenn man eine Vibration von gleicher Amplitude, aber viermal so schnell, unterhielte, wozu über 3 000 000 Volt erforderlich sein würden, so würde das mehr als ausreichend sein, um meinen Körper in einen vollständigen Flammenmantel einzuhüllen. Aber diese Flamme würde mich nicht im geringsten verbrennen; ganz im Gegenteil, wahrscheinlich ist, dass ich keiner Weise verletzt würde. Und doch würde der hundertste Teil dieser Energie, in anderer Weise angewendet, völlig hinreichen, um einen Menschen zu töten.
Teslas Idee ist nun, hochfrequente hohe Spannungen zu übertragen, nicht mit Drähten, wie bisher und auch heute üblich, sondern durch die Luft. Um zu erkennen, dass das physikalisch nicht gut geht, hätte Tesla mehr theoretisches Wissen haben müssen. Die Theoretisierung der Ingenieurswissenschaften aber setzte erst später ein.
Tesla war ein Praktiker: Nach ersten Energieübertragungsexperimenten in Colorado Springs wird in Long Island, New Jersey wird Turm errichtet, finanziert von einem mächtigen Geldgeber, J. P. Morgan. Der Turm soll Energie nach Europa funken, jeder könnte sie empfangen.
Das aber gerade freut den Geldgeber J. P. Morgen nicht, er will ja den elektrischen Strom verkaufen, an Menschen, die er kennt, denen er Rechnungen schicken kann. Das Projekt Wardencliff Tower wird eingestellt, der Turm gesprengt, um wenigstens den Schrottwert wieder herauszubekommen.
In der Zwischenzeit hat aber in Europa Guglielmo Marconi die ersten Radiosignale drahtlos übertragen, 1901 - Marconi hat sich auf die bloße Informationsübertragung beschränkt, während Tesla eben Energie zu funken versuchte. Marconi hatte Erfolg. Er gilt damit heute als der Erfinder des Radios – Marconi kannte aber Teslas Patente und Ideen. Prof. Marincic, Tesla Museum Belgrad:
0:14 DIGAS 14 OT Vujovic Tesla erfand Radio
Übersetzung:
Nikola Tesla ist der Erfinder des Radios. Der Oberste Gerichtshof der USA hat ein Urteil gegen Marconi gefällt, dass Tesla das Radio erfunden hat und nicht Marconi - die Patente von Marconi waren nur Kopien von Teslas Patenten.
Ob Tesla oder Marconi: Fest steht, dass viele Erfindungen dieser Zeit um 1900 fast zeitgleich in Europa und in den USA gemacht wurden. Prof. Pichler weiter:
0:23 CD 35 OT Pichler
Es ist nicht immer der, der das Patent hat, als der wirkliche Erfinder zu nennen. Es ist wichtig immer, wer hat das durchgesetzt, wer hat was in die Welt gesetzt, von dem die Menschheit letztlich profitieren konnte, oder auch nicht profitieren.
Tesla kommt langsam aber sicher in Geldschwierigkeiten, er lebt weiter in den besten Hotels von New York - und muss sich immer mehr bemühen, seine Ideen, die sprudeln, auch zu verkaufen. Seine Ideen Verlassen den sicheren Boden des bisher möglichen. Tesla sagte, er hätte ein Gerät entwickelt, das mit Vibrationen Gebäude zum Einsturz bringen lassen könne, er hätte Ideen, Roboter per Funk fernzusteuern, ein Verteidigungssystem für Amerika könnte er herstellen, mit nicht näher beschriebenen Todesstrahlen. Grundlagen des Lasers werden Teslas Ideenreichtum zugeschrieben, eine Tesla-Turbine, und Geräte für Heilbehandlungen - zur Erwärmung tiefer liegender Gewebeschichten - und das gibt es heute wirklich, in Kuranstalten, zum Beispiel in Bad Schallerbach. Jeden kann Tesla beliefern, mit Geräten oder Ideen. Heute ist es die Vermischung von Begriffen, die Prof. Prechtl von der Technischen Universität Wien bemängelt. Beispiel: Teslas angebliche Erfindungen zur Freien Energie.
0:30 CD 17 OT Prechtl
Das mit der Freien Energie ist nun deshalb so besonders interessant, weil hier ein typischer Prozess stattfindet. Es gibt hier den Begriff der freien Energie, als einen anerkannte physikalische Größe in de Thermodynamik. Das aber hier mit freien Energie und dem gleichen Namen bezeichnet wird, ist wieder etwas ganz anderes. Das ist ein unendliches Energiereservoir, das man nur anzuzapfen braucht, und das Energieproblem der Menschheit wäre gelöst.
0:46 DIGAS 20 OT Vujovic, Venus
Übersetzung:
In Passadena, Kalifornien, gibt es eine Gruppe von Leuten, eine religiöse Sekte, die glauben wirklich, dass Nikola Tesla kein Mensch ist, wie wir alle. Er hat so viel für die Wissenschaft getan, mehr als ein Mensch tun kann. Sie glauben, dass Nikola Tesla von der Venus gekommen ist, mit einem Raumschiff. Er verbrachte sein Leben auf der Erde und nach seinem Tod ging er wieder zur Venus zurück. Für mich ist das schon in Ordnung, so zu denken, sie idealisieren ihn zu einem Maximum. Das ist wie ein schönes Bild, oder ein schönes Lied.
Dr. Vujovic, von der Tesla Memorial Society New York.
Es sind vier Gruppen von Menschen, die sich heute mit Nikola Tesla beschäftigen, sagt ein Verwandter Teslas, William Terbo, der wie sein Großonkel Nikola Tesla ebenfalls Ingenieur ist, allerdings für Getriebe. Einerseits beschäftigen sich heute Wissenschaftler der Elektrotechnik mit Tesla, die seine Bedeutung für die Erfindung des Wechselstromsystems für untadelig und wichtig halten. Teslas grundlegenden elektrotechnischen Ideen.
Eine zweite Gruppe von heutigen Teslabegeisterten sind die Mitglieder der serbischen Gemeinde in den USA, so Teslas Großneffe William Terbo:
0:36 DIGAS OT Terbo Gruppe 1 und 2
Übersetzung:
Das sind Leute, die einen ähnlichen ethnischen Hintergrund wie Nikola Tesla haben, Menschen aus Serbien, die in Tesla ein Modell sehen, was ein Mensch alles machen kann, der aus einem ähnlich rückständigen Gebiet herkam, wie sie selbst.
Als weitere Gruppe nennt Teslas Großneffe William Terbo die so genannten Hobbyisten, die mit heutigen, modernen Materialien Teslas Erfindungen nachbauen. Sie arbeiten nicht mehr mit Hartgummi und Baumwollisolierungen, und erhalten damit bessere Ergebnisse wie Tesla selbst, es gibt größere Funken, gewaltigere Leuchterscheinungen, gefährlichere Experimente.
0:45 DIGAS OT Terbo Gruppe 3 und 4
Übersetzung:
Als Krieg der Sterne herauskam, haben diese Leute sofort an Nikola Tesla gedacht. Mein Gott, da gibt es jemanden, der 100 Jahre vorher die selbe Art von Raketenverteidigung ersonnen hat. Denen fiel Nikola Tesla sofort wieder ein. Und die vierte Gruppe sind die eher mystisch veranlagten Menschen, die in Tesla fast eine Art religiöse Komponente sehen. Wenn Tesla so anders ist, so begabter als alle anderen Menschen, dann muss das ein besonderes Geschenk ein, und vielleicht sogar ein Geschenk von irgendeinem höheren Geist.
Tesla stirbt 1943 im New Yorker Hotel New Yorker. Er stirbt 86-jährig im Schlaf, unter unverdächtigen Umständen, wie im Totenblatt steht. Seine Asche befindet sich heute im Tesla Museum Belgrad, von dort: Prof. Alexander Marincic:
0:32 CD 66 und 67 anschneiden OT Marincic
Übersetzung:
Und hier ist die Asche von Nikola Tesla, in dieser Kugel hier. Nach seinem Tod ist sie nach Belgrad gebracht worden. --- Und hier ist der berühmte Tresor, wo er seine Geheimnisse aufbewahrt hat. Nach seinem Tod hat man darin allerdings nur ein paar Papiere gefunden, und auch hier, auf diese Schachtel hat er geschrieben: Achtung, nicht öffnen, Gefahr, und als man sie öffnete, war ebenfalls nur einige Unterlagen drinnen.
2:00 ca / 10 sek. frei stehen lassen CD 60 ATMO Hörsaal
Prof Gratz von der Technischen Universität Wien kann seine Studenten auch heute mit Teslas Geräten und Experimenten immer noch begeistern. Und auch für uns ist Nikola Teslas Erbe ist in die Steckdosen eingegangen.
(Atmo im letzten Satz wegziehen)
An dieser Stelle sollte die Sendung zu Ende sein. Aber nach Abschluss der Recherchen erreichte unseren Anrufbeantworter noch ein Anruf aus New York:
2:10 ca DIGAS 05 OT Vujovic, Abschlusshinweis
Übersetzung:
(Hallo, hier ist Dr. Vujovic.) Ich habe vergessen, Ihnen zu sagen: Die Tesla Memorial Society hat ein Tonband von einer Gedenkveranstaltung für Nikola Tesla gefunden, vom 10. Jänner 1943. La Guardia, der berühmte Bürgermeister aus New York hat gesprochen, Sie kennen ja den La Guardia Flughafen in New York. Ich spiele Ihnen einen Ausschnitt vor, da spielt auch ein berühmter Jugoslawischer Geigenspieler. Und darauf spricht La Guardia! (Musik, La Guardia)
(Musik bleibt, und dann ein englischer Satz bleibt am Schluss: "If you are interested, call me back")
Sie hörten:
Genie oder Scharlatan?
Der Elektroingenieur und phantastische Erfinder Nikola Tesla.