Wohin soll denn die Reise gehen, wird man gefragt, wenn man wo einsteigt, in ein Gefährt, in ein Mobil, bei dem man das Reiseziel bestimmen kann. Wohin soll denn die Reise gehen, als ob man wüsste, was ein gutes Ziel wäre, denn dazu müsste man ja schon einmal dort gewesen sein, um sich sicher zu sein, ja dorthin soll es gehen. Und oft ist man ja nicht alleine unterwegs. Man muss sich verständigen, die Wünsche koordinieren. Es ist unter allen bedenkbaren Umständen und Erfahrungen schwierig, sich innerhalb der Familie ein Reiseziel für die Ferien auszumachen. Besonders, wenn die Kinder 14, 15 Jahre alt sind.
Heuer haben wir eine Reise nach Prien gemacht. Und davon möchte ich erzählen. Wir gingen in Wien zum Hauptbahnhof. Dort haben wir uns mit dem Rücken zur großen Anzeigewand gestellt. Ausgemacht war: auf 1, 2, 3, würden wir uns umdrehen. Wir würden zu dem Meer fahren, das in der Richtung des Reiseziels des 3. Zugs liegt. Den ersten und den zweiten Zug würden wir ja nicht mehr erwischen. Aber den 3. Zug, den nehmen wir, und dieser fuhr auf 1, 2, 3 nach Zürich. So war die Richtung klar. Wir fahren ans Meer in Richtung Zürich. Also nach Frankreich. Wir fahren an den Atlantik.
Wohin soll denn die Reise gehen? Bordeaux. Wir machten uns aus, immer um 11 Uhr 30, auszusteigen, egal wo der Zug gerade ist, um dort Mittagessen zu gehen, und nach einer Pause wieder weiterzufahren. Bis 18 Uhr ungefähr, um egal wo, dort auszusteigen, wo der Zug grad hält – um dort zu nächtigen.
½ 12 war es in Salzburg. Nach dem Mittagessen dann weiter mit dem nächsten Zug in Richtung Meer. Es war ein langsamer Zug. Er fuhr nach Zell am See. Der See sah so verlockend aus, und wenn es keine Eile gibt, dann steigt man aus, und schwimmt ein Stück. Der nächste Zug, der fuhr nach Innsbruck, Zeit zum Schlafen. Stück für Stück und Zug um Zug, weiter Richtung Ozean. Basel, Mulhausen, Dijon, und so weiter und so weiter – nach 5 Tagen erreichten wir auf diese Art Bordeaux.
Das Schöne an dieser Art der Reise war, dass wir nie einen Zug versäumt haben, wir haben ja immer nur den nächsten genommen. Und während man bei großen Zielen schnell einmal auf Hauptverkehrsstrecken landet, sich in der Folge zwischen Hauptstädten zu schnell fortbewegt, sind wir auf dieser Reise auf diese Weise in Gegenden gekommen, an Stellen ausgestiegen, die wir vorher mit Sicherheit oft nicht einmal vom Namen kannten. Regionalzüge, Schiffe, Stopps und Strecken, die man selbst nie wählen würde. Wir haben erlebt, dass es wichtig war, sich den Schlafplatz wirklich nur im letzten Zug des Tages auszumachen. Das geht mit den digitalen Buchungsplattformen ja sehr leicht. Würde man schon am Vormittag das Abendziel fixieren, oder Gott behüte auch am Vortag, da wäre das Schicksal viel zu stark eingeschränkt, und die Eile beginnt – man muss ja den vorgesehenen Zug, die vorherbestimmte Stadt erreichen. Da fängt der Stress dann wirklich an. Es ist gar nicht leicht, mit all den Sicherheiten, die man sich erkaufen kann, dem Schicksal eine Chance geben, die Strecke zu gestalten.
Viele Grüße also aus Bordeaux. Wer weiß, wohin uns die nächste Reise treiben wird, ans nächste Meer, auf diese Art. Ich bin noch schuldig, warum es eine „Reise nach Prien“ war, obwohl wir nach Bordeaux gefahren sind. Prien, das ist kein Ort, sondern ein Name, der schon viele Jahre in meinem Kopf herumgetragen wird. Prien ist ein Mensch, der Herr Prien. Er ist oder war Bibliothekar in Wien. Ich selber habe ihn nie gekannt. Er hat diese Reiseform erfunden. Herr Prien hat vor 30 Jahren in der Bibliothek für Slawistik an der Universität Wien gearbeitet und einem Freund, der dort studiert hat, von dieser wunderbaren Form der Fortbewegung abseits der großen Reisekorridore erzählt. Der Freund hat es wiederum mir erzählt, und nach 30 Jahren war es dann soweit. Unser heuriges Reiseziel hat seinen Namen erhalten, ja eigentlich der Weg, die Reiseform nach Prien …
ORF Radio Ö1 – Moment/Randnotizen, 6. August 2018. Eine erste Fassung dieser Randnotizen wurde im Deutschlandfunk/Sonntagsspaziergang als “Akustische Ansichtskarte aus Bordeaux” am 1. Juli 2018 ausgestrahlt.
Hörerreaktion
Vielen Dank für die gestrigen Moment-Randnotizen. Moment ist sehr oft ein Quell von Freude, Nachdenklichkeit, Innehalten, Neugier, und nicht zuletzt Schmunzeln. Ihr gestriger Beitrag ist ein Juwel in allen diesen Aspekten. Dieser Sommer ist leider schon verplant, aber nächstes Jahr werde ich sicher auch nach Prien fahren. – P. W.
Auf einer Teeplantage in China zu arbeiten, ist eine schöne Art, die Ferien zu verbringen. Möglich ist das über das WWOOF-Netzwerk. Für Kost und Quartier kann man auf Biobauernhöfen und bei Nahrungsmittelerzeugern mitarbeiten. Ein paar Eindrücke habe ich im Juli 2016 als akustische Postkarte via ftp nach Hause geschickt. (Moment / ORF Radio Österreich 1)
Früher war im Café Westend noch alles anders. Es sah zwar noch genau so aus, wie heute, aber mit den Gästen aus Deutschland ging man rauher um.
Manuskript
Vorigen Sonntag in Wien. Genauer Ort der Begebenheit: In diesem Café. Das Café Westend. Sie ahnen es. Ein richtiges Wiener Café. Mein Lieblingscafé, weil es ein wenig abgewetzt wirkt, weil vor den großen Fenstern die Straßenbahnen vorbeifahren, und vor allem, weil es am Westbahnhof liegt und ich jederzeit in einen der Züge steigen könnte, um diese schöne Stadt in Richtung Amsterdam, Paris oder Budapest zu verlassen.
In genau diesem Café trug sich vorigen Sonntag ungeheuerliches zu.
Wie es in der Natur der Sache liegt, kann man an diesem Ort nicht nur Wien verlassen, sondern auch betreten. Und nicht wenige Touristen aus dem Ausland beginnen ihren Aufenthalt eben im Café Westend.
Ich habe seit Jahren die Gepflogenheiten der Herren Ober studiert, weiß was man tut, und weiß, was man besser läßt. Ich kenne die Lautstärke, in der man „Herr Ober, zahlen“ ruft, weiß, wann ein „bitte“ dazugehört, und wann nicht. Ich kenne mich aus bei der Melange, beim kleinen Braunen, beim Kapuziner und der Schale Gold. Wenn der Herr Manfred im Halbdunkel am Kellnerpult steht, weiß ich, daß es besser ist, das Zahlenwollen um 5 Minuten zu verschieben, weil der Herr Manfred gerade ein Sexhefterl studiert. Irgendwann werde ich ihm auf dem Weg zur Toilette ein neckisches „Aber Herr Manfred“ ins Ohr raunen, aber derartige Intimitäten sind normalerweise nur dem Herrn Doktor erlaubt, der die Zeitungen noch nach der Sperrstunde lesen darf, während er inmitten der hochgestellten Sessel einen Gugelhupf mit Schlag zu sich nimmt.
Also, um zur Begebenheit des vorigen Sonntags zurückzukommen: Gäste sind wir gewohnt im Café Westend. Wir fühlen mit ihnen, wenn Sie mit unsicherer Stimme eine Melange bestellen, hoffend, das richtige bestellt zu haben, wenn sie doch nur Kaffee kennen.
Übrigens, so ganz im Vertrauen: Ein bißchen Schmäh ist bei den ganzen Caféarten dabei. Es sollen einmal vier Herren „Eine Schale Gold, einen gestreckten Braunen, einen Kapuziner und eine Melange bestellt haben. Der Herr Ober ging zur Budel und rief nach hinten: „Mali, vier Café“.
Ich hielt also gerade in diesem Café meine Nachhilfestunde in Physik ab, erzählte von Einstein und Schrödinger, als ich rechts von mir an einem der Mitteltische, die den Gästen aus dem Ausland vorbehalten sind, zuerst Geraune, dann verdeckten Aufruhr vernam. Ich habe es von Anfang an erlebt, und es hat sich folgendermaßen geschickt.
Ein Gast aus Deutschland bestellte ein Frühstück. Als er mit „Eine Melange bitte“ begann, applaudierte ich stumm. Er hat sich informiert. Doch dann begann es: „Und zwei Semmerl“. Natürlich hätte ich ihm weiter stille Anerkennung zollen sollen, denn „Semmerl“ zu sagen, das verriet genaue Kenntnisse. Doch etwas hielt mich zurück. „Haummma net“ pfauchte der Herr Ober. Oh Du Armer, weißt Du nicht, daß es am Sonntag hier kein Gebäck gibt? Sei zufrieden mit der Melange und bestell jetzt einen Gugelhupf, dann ist alles gut.
Der Gast nahm für den zweiten Anlauf seinen Mut zusammen. „Dann näme ich zwei Kipferl“. Oh mein Gott. „Kipferl“ zu sagen, das zeigt ein gerüttelt Maß an linguistischer Fachkenntnis, aber am Sonntag!!!
„Haumma net!!!!“ Das Selbstbewußtsein des Deutschen war gebrochen, er sank in sich zusammen und ergab sich dem Lokalcolorit. Gottseidank, ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn er rebelliert hätte. Traurige Verwirrtheit machte sich auf seinem Gesicht breit. Ich hätte ihm gerne auf die Schultern geklopft: Das kann ja jedem passieren“.
Charme, so lehrt mich der Duden, Abteilung Fremdwörter, Charme ist eine liebenswürdig-gewinnende Lebensart. Und dann schreiben die Reiseführer über den Wiener Charme der Wiener Herren Ober im Wiener Café, Wiener Charme ist etwas ganz besonderes. Wiener Charme, verehrte Hörer, ist, wenn der Herr Ober das Tablett mit dem kleinen Braunen grundsätzlich einen Zentimeter über dem Tisch abstellt, und wenn er dabei „No, is scho do“ ruft. Dann können Sie sicher sein, er mag sie.
Nach 5 Jahren Caféhauserfahrung wurde ich vor kurzem beim Eintreten begrüßt mit „Ein kleiner Brauner, der Herr“. Nie habe ich einen kleinen Braunen getrunken, immer nur große, oder eben eine Melange. Aber ich kann ihnen dieses Glücksgefühl nicht beschreiben, diesen wärmenden Strahl der Sonne im schmuddeligen Grau des Alltags, als ich so begrüßt wurde. Ich fühlte, er hat mich angenommen. „Ja bitte, Herr Manfred, und ein Buttersemmerl!“