372. Worüber lohnt es sich zu reden?

Große Worte, kleine Worte. Zwischenrufe. Seufzer. „Ach ja“. Wer redet, teilt sich mit. Und manchmal ist es auch gut, eine Pause zu machen.


Manuskript

Worüber lohnt es sich zu reden? Ja, das kann man schon sagen, wenn man Soziologie studiert, zum Beispiel, da heißt es nämlich dann: „über alles lohnt es sich zu reden“, und über alles bedeutet auch über die Kleinigkeiten des Alltags, die man erlebt hat, die Verspätung verursacht haben, eine Freude hervorgerufen haben, die etwas beschreiben, was man erlebt und gesehen hat. Diese scheinbar einfachen Erzählungen und Beschreibungen sind notwendig, dass man einander dann versteht, auch bei komplexeren Dingen. Das schreibt das Buch über soziologische Paradigmen, das furchtbar interessant ist, weil genau das haben wir ja eigentlich jetzt in den letzten Jahren mit Corona eingeschränkt.

Diese Sozialkontakte, wo man belangloses Miteinander direkt von Auge zu Auge, von Ohr zu Ohr, Mund zu Mund bespricht, aber wir haben sehr wohl dann die wichtigen Dinge uns erzählt den Konferenzen, und wir haben uns dann zunehmend gewundert, warum wir einander nicht mehr verstehen, warum diese Welten so verschieden geworden sind, warum es Trennungen und Gräben gibt. „Offenbar“, sagt das Buch mit soziologischen Theorien, „weil wir eben diese ganz gewöhnlichen Dinge nicht mehr teilen.“

TRENNER

„Wow“, hat die Zahnärztin gesagt, als sie in meinen Mund reingeschaut hat, und diesen Zahn, den Vierer rechts oben gesehen hat, von dessen Problem ich ihr bereits am Telefon erzählt habe. „Wow“, hat sie gesagt, und vorher noch die Dame mit der Mundhygiene, die hat das vorher noch gesehen, die hat gesagt „ui“. Ja, wenn man eh beim Zahnarzt nicht viel erzählen kann, und die Personen, auf die es ankommt, dann „wow“ und „ui“ sagen, weiß man, dass auch diese einfachen und sehr, sehr kurzen Worte sehr bedeutungsvoll sind. Wann sagen Sie zum Beispiel „oh-oh“? Und was machen die anderen dann in Ihrer Umgebung, schauen die zu Ihnen hin, oder gehen sie in Deckung? Mein Hund hört in der ganzen Wohnung die Ausrufe des Entsetzens aus der Küche, wenn etwas hinunterfällt. Wenn ein Ei zum Beispiel auf den Boden klatscht, dieses „bah“, interpretiert er als: „da gibt’s jetzt was mit Sicherheit für mich zu fressen“. – Hat eben erst stattgefunden, soweit kann er gar nicht entfernt sein, dass er das nicht hört. Ja, ja, diese kleinen „Mikro“-geräusche, ich glaube, die haben wir alle evolutionär drauf und wir hören sehr gut, was die anderen damit meinen.

TRENNER

„Ahhh“. Sagte der Mann, an der Ecke beim Supermarkt, nachdem er mit seinen Kindern aus dem Supermarkt rausgekommen ist und in die Leberkässemmel gebissen hat, die er ausgepackt hat. Und er schaute mich an. „Ahhh, dafür leben wir“, sagte er, obwohl wir uns noch nie gesehen hatten. Und wenn man da genau hingeschaut hat, hat er als erstes davon abgebissen von der Leberkässesemmel und danach, hat er den Kindern davon gegeben, hat er sie abbeißen lassen. Und das erinnert uns doch an den Film der Sicherheitsmaßnahmen, oder an diese Vorführung im Flugzeug, wenn die Sauerstoffmaske herunterfällt, dann soll man sie als Erwachsener zuerst selbst aufsetzen, und dann erst den Kindern geben. Dieser erste Biss in die Leberkäsesemmel war echt lebensnotwendig offenbar. Was wissen wir, was er schon an diesem Tag erlebt hat?

Und manchmal lohnt es sich auch zu warten. 


ATMO Bahnübergang Bregenz

Das Warten am Bahnübergang. Schon vor dem Senken des Schrankens kündigt sich diese Zeitspanne an, durch eine Glocke, die verstummen wird, wenn der Schranken die Straße versperrt. Dann wird es still. Man steht da und denkt nach, man weiß, dass nichts in der Welt die kommende Minute verändern würde, verkürzen. Und während man auf diese Weise ruhig wird, kommt bald der Zug. Man sieht die Menschen, man freut sich, dass das Warten nun ein Ende hat. Und wenn er dann hochgeht, geht auch die Zeit wieder weiter.

Zur Pandemie

Zwei Jahre leben wir nun mit Corona. Viel wurde erforscht, entwickelt und geredet. Folgendes lässt sich sagen:

  1. Die Krankheit ist schlimmer als die Impfung.
  2. Die Pandemie ist keine Privatsache.
  3. Wissenschaft und Glauben sind fein zu unterscheiden.
Nachtzug

Nachtzug

Aber mal ehrlich. Ich finde Schlafzüge auch super, aber zeig mir einen, in dem man nicht in Zellen reist, die einem Gefängnis gleichen. Oder einem Aquarium. Ich weiß nicht. Besser ist, und das ist mir lieber, am Tage zu reisen, Mittags in einem Städtchen auszusteigen und in einem guten Restaurant zu Mittag zu essen, am Nachmittag nach einem Spaziergang am fremden Orte wieder einen Zug zu ersteigern, um am Abend dort auszusteigen, wo eine Kleinstadt ist, um dort gepflegt zu nächtigen. Das Frühstück am gedecktem Tisch, bevor es wieder weiter geht. So dauert die Fahrt nach Paris vielleicht drei Tage, aber menschliche drei Tage, und man kommt ausgeruht und erholt am Zielort an.

Interessen

Seilbahnchefs, Wirtschaftskammerpräsidenten. Interessensvertreter:innen sorgen für die Interessen ihrer Gruppe. Das kann für sich genommen nicht schlecht sein. Für das Gesamtbild sind Journalist:innen zuständig. Spannend wird es, wenn politische Entscheidungsträger:innen dazukommen. Sie beziehen ihre Entscheidungsgrundlagen von Expert:innen, aber eben auch von Interessensvertreter:innen – die haben sie ja gewählt. Wir kommen zur Forderung “Macht braucht Kontrolle”. Dann funktioniert das Ganze auch in kritischeren Situationen.

Hörtipp: Bauern und Interessensvertretungen #65

“Neue Autorität”: Gewählte Macht im Blumenbeet

Ellbogenarbeit, Bullying. Ist nicht cool. Nur mit Regeln kann dem Einhalt geboten werden. Mit Autorität, die sich nicht vom Schulhof zurückgezogen hat, um ihn jenen zu überlassen, die Regeln mit Körperkraft und reiner Macht bestimmen. Autorität, die sich um alle kümmert. Nach gemeinsam ausgehandelten Regeln. Das braucht Worte, und nicht Kraft.

Buchtipp: “Neue Autorität” heißt ein Konzept, das von Haim Omer in einem Buch vorgestellt hat, und das ich ganz bemerkenswert fand. Sichtbar zu sein, zu sagen “wir sind hier, damit alle lernen können”, anstatt sich zurückzuziehen, das fand ich passend.

Rassismus

Aggression definieren Verkerkehrspsychologen als einen emotionalen Zustand, bei dem man in Kauf nimmt oder beabsichtigt, dass das Gegenüber davon negativ betroffen wird. Bei Rassismus ist es vermutlich ähnlich. Es ist eine Geschichte zu bemerken, dass die XXX. ein Volk sind, die in der Straßenbahn durch lautes Reden auffallen, es ist eine andere Sache – nämlich  – wenn Angehörige dieses Volkes, erkennbar durch ihren Namen, am Wohnungsmarkt keine Wohnung bekommen, mit dem Hintergrund, dass sie so laut reden. Das ist struktureller Rassismus und muss durch Gesetze, Überwachung und soziale Maßnahmen kontrolliert werden. Dass das Ganze zusätzlich auf einem Fehlschluss beruht – die leisen angehörigen der betroffenen Gruppe hört man in der Straßenbahn nicht – ist eine völlig andere Geschichte.

Link: Reich durch Radeln, Wut auf Rädern (Podcastepisode)

Abschiebung

Wenn sich mehrere Ebenen vermischen, die jede für sich genommen eine ziemlich klare Aussage haben, ergibt sich ein Dilemma. Jede:r der Beteiligten argumentiert korrekt. Am Ende des Tages bleibt aber etwas übrig. Das mag für die einen das Recht sein, für die anderen die Richtigkeit eines Prozesses, und hoffentlich für die meisten die Menschlichkeit. Kinder abzuschieben, die hier ihren Lebensmittelpunkt haben? Mitten in der Nacht? Vor den Augen ihrer Mitschüler:innen? Mit Hunden und vermummten Polizisten? Das tut man nicht.

Clubhouse

Menschen, die einander treffen, um miteinander zu reden. Audio only. Das ist doch schön. Der negative Rest ist hoffentlich Detail: Datenschutz, Vermischung bestehender Ebenen und Regeln, Ungewohntes. Aber in Zeiten von Isolation und Behauptung ist die Metaebene zu bekannten Themen wichtig und interessant gepflegt zu diskutieren. Und darum geht es. Also gut.

Update August 2022: Clubhouse spielt keine Rolle mehr, zumindest in meinem Leben, ich habe es vor kurzem vom Smartphone gelöscht. War es schlecht? Nein, die erlebten Diskussionen waren toll und erinnerungswürdig. Über die Situation mit Corona, Impfungen, über die Regierung, mit regierungsteiligten oder regierungsnahen Personen.

Der neue Präsident

Joe Biden hat die Aufgabe, das Land wieder zu einen. Das hören wir oft. Ein Präsident hat die Macht, eine Stimmung vorzugeben. Respekt, Anstand und Expertise. Einen müssen das Land aber die Menschen selbst. In jeder einzelnen Begegnung mit jemandem, der anders denkt. Und spricht. Und ist.

Krude Fragen

  1. Wenn im Botanischen Garten eine Wanze lebt, die Menschen frisst, ist es besser sie frisst den Menschen ganz oder nur Hälfte?
  2. Am Foto ist ein Stern, der explodiert ist. Sehen Sie das als ein Problem? (Foto: Wolfgang Birkfellner)
  3. Wie müsste eine 5. Jahreszeit sein, die völlig neu wäre?
  4. Welchen Vorteil hat es, ebenerdig zu wohnen?
  5. Wie weiß ein Bildhauer, wenn er fertig ist?
  6. Welchen Vorteil hat eine Stirnreihe?
  7. Was ist „krude“, woher kommt dieses Wort?

(To be continued)