Die österreichischen Gletscher gehören weltweit zu den am besten untersuchten. Sie werden seit mehr als 100 Jahren systematisch vermessen, um Gletschertagebücher zu erstellen. Das Klima im Hochgebirge bestimmt die Ausdehnung der Gletscher. Interviewpartnerin: Andrea Fischer, Leiterin des Gletschermessdienstes des Österreichischen Alpenvereins.
Teil 1: Spuren der Vergangenheit
Teil 2: Schwankungen und Gleichgewicht
Teil 3: Vielfältige Wechselwirkungen
Teil 4: Eine “Bibliothek” für die Umwelt
Teil 5: Historische Sichtweisen
Die österreichischen Gletscher gehören weltweit zu den am besten untersuchten. Sie werden seit mehr als hundert Jahren systematisch vermessen, um Gletschertagebücher zu erstellen. Das Klima im Hochgebirge bestimmt die Ausdehnung der Gletscher.
Fast alle Gletscher in Österreich waren in der sogenannten “kleinen Eiszeit” vor etwa 150 Jahren doppelt so groß wie heute. 900 Gletscher gibt es heute noch in Österreich. Sie sind kleinflächig, zerrissen, nur wenige haben gut sichtbare “Zungen” auf der Talseite, an denen man das Abschmelzen des Eises beobachten kann. 30 österreichische Gletscher werden mit mehr als 5 km2 Eisfläche als “groß” bezeichnet.
Gletscher sind Grenzflächen zwischen Erde und Atmosphäre. Je nach ihrer Oberflächenbeschaffenheit können sie viel oder wenig Sonnenenergie aufnehmen, was zu einem Schmelzen des gefrorenen Wassers führt. Als “Firn” wird dabei jener Schnee bezeichnet, der mehrere Jahre überdauert und innerhalb von etwa 30 Jahren zu Eis wird. Dieses Eis ist verformbar, plastisch, wenn es über Kuppeln zu Tal fließt, bilden sich Spalten. Das Gletschereis ist bei österreichischen Gletschern bis 200m tief.
Je nach Temperatur der Atmosphäre, der Sonneneinstrahlung und der Beschaffenheit der Gletscheroberfläche nimmt die Gletschermasse zu, oder der Gletscher “zieht sich zurück”. Diese Bezeichnung ist eigentlich irreführend. Der Gletscher fließt immer nur nach unten. Wenn aber unten an der Zunge mehr Eis schmilzt, als oben nachgebildet wird, wandert die Gletscherzunge und damit das sichtbare “Ende” des Gletschers nach oben.
Wie Jahresringe lagern sich die Bedingungen der Atmosphäre am Gletscher in regelmäßiger Abfolge an. Es entsteht ein Klimaarchiv. Durch Lufteinschlüsse lassen sich auch vergangene Atmosphärenzustände analysieren. Schadstoffe, Saharastaub, organische Materialien werden ebenso im Eis gespeichert.
Über die Zusammensetzung der Isotope des Wassers kann auf die Herkunft des Gletscherwassers geschlossen werden. So können Klimamodelle vergangener Zeiten erstellt werden, die Ausblicke auf die Zukunft ermöglichen.
Das Bild vom Gletscher selbst hat sich immer schon gewandelt. Die letzte große Eiszeit liegt etwa 10.000 Jahre zurück. In diesem Zeitraum haben die Menschen die Alpen besiedelt, das Eis ist zurückgegangen, mit Tieren und Jagd wurde der “Lebensraum Alpen” erobert.
INTERVIEWPARTNERIN:
Dr. Andrea Fischer
Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
Leiterin des Gletschermessdienstes des Österreichischen Alpenvereins
Österreichs Bild vom Gletscher
Sahnehäufchen auf den Bergen
Seit Menschen begannen, die Alpen zu besiedeln, prägt das Bild vom „ewigen Eis“ ihre Einschätzung von Klima und Lebensraum der Berge. Erinnerungen werden mit Fotos, Geschichten, Sagen, Märchen und Beschreibungen von Generation zu Generation weitergegeben. Da aber die österreichischen Gletscher seit 1850 fast jedes Jahr zurückgehen, sind diese Geschichten immer auch mit Wehmut verbunden.
Das Bild der Berge begann sich seit genau dieser Zeit auch wissenschaftlich zu entwickeln. Mit tragbaren Instrumenten.
OT 1: Andrea Fischer, interdisziplinäre Gletscherforscherin: Der Alpenraum ist ein schrecklicher Ort
URL: https://www.sprechkontakt.at/audio/radio255_online_gletscher_1.mp3
Die österreichischen Gletscher sind seit der sogenannten “kleinen Eiszeit” um rund die Hälfte zurückgegangen. Diese „kleine Eiszeit“ war eine Periode zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert, in der es relativ kühl war und sich große Gletscherflächen bilden konnten. Ab 1850 wurde es auf der ganzen Welt wärmer – und somit war bald auch ein Rückgang der Gletscher zu beobachten.
Die Größe der Gletscher lässt Rückschlüsse auf das Klima zu.
30 Jahre muss ein Gletscher mindestens beobachtet werden, um kurzfristige Schwankungen von langfristigen Klimatrends zu unterscheiden. Der Verein „Gletscher und Klima“ sammelt die Daten für Österreich.
Link: http://www.gletscher-klima.at/
In Österreich gibt es die “Interdisziplinäre Gebirgsforschung“, fächerübergreifende Hochgebirgsforschung, die mit vielen auch international tätigen Wissenschaftler/innen unter dem Schirm der Österreichischen Akademie der Wissenschaften betrieben wird. Es geht dabei nicht nur um Fragen der Dokumentation der Klimaveränderung, sondern auch um deren Auswirkung auf die Besiedlung des Alpenraums durch Pflanzen, Tiere und Menschen.
Wanderungsbewegungen sind die Folge.
Gletscher kennt unterschiedliche Zyklen: Ein großer Zyklus ist die Phase zwischen Eiszeit und Zwischeneiszeit, die durch die Einstrahlungsbedingungen der Sonnenstrahlen auf die Erde bestimmt wird. Winter und Sommer bilden darüber hinaus den saisonalen Zyklus. Zwischen September bis Mai bildet sich die winterliche Schneedecke, die über dem Sommer mehr oder weniger abschmelzen kann. Wenn die Nettobilanz positiv ist, wächst der Gletscher, wenn sie negativ ist, zieht er sich zurück. Ein Gletscher ist selten im Gleichgewicht.
Laut Gletscherbericht 2016 des Österreichischen Alpenvereins waren in Österreich von 90 beobachteten Gletschern 87 im Rückgang, 2 sind gleichgeblieben, und einer ist vorgestoßen. Ein Bild, das sich auch durch die letzten 20 Jahre zieht. Einzig 1980 wiesen 75% der Gletscher einen Vorstoß auf, nicht aufgrund einer Unterbrechung der globalen Erwärmung, sondern durch eine kleinräumige Abweichung vom Klimatrend. Da in kühleren Jahren auch die Lawinengefahr steigt, werden solche kleinräumigen Schwankungen durchaus heftig bemerkt und sind in der Erinnerung der Menschen gut verankert.
Link: Gletscherbericht des Österreichischen Alpenvereins
https://www.alpenverein.at/portal_wAssets/docs/service/presse/2017/Praesentation_Gletscherbericht_2017.pdf
Das älteste in den österreichischen Alpen gefundene Eis stammt aus dem Holozän, es ist ca. 7000 Jahre alt. Üblicherweise ist das Eis der Gletscher in Österreich nur wenige 100 Jahre alt. Denn so lange dauert es, bis aus Schnee und Eis von der Oberfläche Gletschereis gebildet wird, das bis zur Gletscherzunge fließt, wo es abschmilzt.
OT 2: Andrea Fischer: Schmutzige Gletscher sind nicht unbedingt Zeichen einer katastrophalen Umweltsituation
URL: https://www.sprechkontakt.at/audio/radio255_online_gletscher_2.mp3
Gletscher sind wahre Klimabibliotheken.
Gletscher nehmen durch ihre Speicherfunktion von Eis eine besondere Rolle in der Dokumentation von ein. Schichtweise wird jeden Winter Firn an der Oberfläche der Gletscher abgelagert, zusammengepresst, aus ihm wird nach ca. 30 Jahren plastisches Eis, das zu fließen beginnt.
Die Einschlüsse in den jahreszeitlichen Schichten lassen Rückschlüsse auf den Zustand der Atmosphäre zu: ihren Gehalt an Staub, Pollen, und selbst ihre chemische Zusammensetzung wird durch Luftbläschen im Eis gespeichert. Die Wissenschaftler/innen können durch die Isotopenzusammensetzung des Wassers auch Rückschlüsse auf seine genaue geographische Herkunft ziehen.
Alle Informationen münden in Klimamodellen die von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft reichen.
Der Rückzug der österreichischen Gletscher hat für die Menschen, Tiere und Pflanzen in diesem Lebensraum durchaus große Bedeutung.
Die wirklich dramatischen Probleme sind aber anderswo zu finden – dort wo der Anstieg der Meeresspiegel oder steigende Temperaturen wichtigen Lebensraum reduzieren, dort wo Permafrost schmilzt, wobei gespeicherte Treibhausgase freigesetzt werden, was zu einer positiven Rückkopplung der Erderwärmung führen kann, und dort, wo die höhere Energie der Atmosphäre zu mehr Stürmen und Extremwetterereignissen führt.
OT 3: Andrea Fischer: Spuren im Eis
URL: https://www.sprechkontakt.at/audio/radio255_online_gletscher_3.mp3
Heute sind die Gletscherregionen touristisch stark inszeniert. Die Schigebiete prägen somit das Bild über die Gletscher, Urlauber/innen nehmen das Bild von der schneebedeckten Gebirgshaube mit nach Hause. Sie sind betroffen, wenn sie zum Beispiel den Schutt auf der Pasterze, dem Gletscher am Großglockner sehen. Diese Gesteinsspuren sind aber durchaus normal. Der wahre Klimawandel findet stiller statt.
Link: Andrea Fischer, Glaziologin: https://www.andreafischer.at
Interdisziplinäre Gebirgsforschung: http://www.mountainresearch.at/
In der Nähe von Innsbruck befindet sich der Stubaier Gletscher auf über 3000m. Der Gletscher am Bild heißt Schaufelferner. Nur in zwei Jahren, 1920 und 1980, ist dieser Gletscher in den letzten 150 Jahren größer geworden. Seit den frühen 70-er Jahren befindet sich hier ein Schigebiet. Der Stubaier Gletscher gehört zu den 30 größten Gletschern Österreichs mit einer Fläche von über 5 km2. Sie haben eine gut ausgeprägte Zunge an ihrer Talseite, an der das Wasser abschmilzt. Über 200m können österreichische Gletscher tief sein.

Gletscher bilden im Hochgebiorge die Grenzfläche zwischen Atmosphäre und Untergrund. Schmutz an der Gletscheroberfläche ist nicht unbedingt ein schlechtes Zeichen für den Zustand des Gletschers. Durch das regelmäßige Abschmelzen der oberen Schichten werden Gesteinsspuren der Seitenmoränen und dunkler angewehter Sand wirksam. Diese dunklen Stellen – Kryokonitlöcher – sammeln das Sonnenlicht stärker und führen zu einer unregelmäßig geformten Oberfläche und stärkerem Abschmelzen des Eises.
Link: http://www.spektrum.de/lexikon/geographie/kryokonitloecher/4435

Wir können alleine durch die Form der Felsen der Gebirgslandschaft weit in die Vergangenheit zurückblicken. Dazu braucht es aber einen geübten Blick. Historische Spuren können an den runden Gesteinsformen zum Tal hin an den Hängen abgelesen werden. Darüber sind eckige Felsen sichtbar. Die sogenannte Schliffgrenze zeigt somit die Grenze der eiszeitlichen Gletscher, die früher weit in das Alpenvorland hinausreichten und das Tal verfüllt haben.

Im Schigebiet des Stubaier Gletschers befindet sich auch eine Eishöhle, in der die Besucher/innen an den Grund des Gletschers gehen können. Dort hat es immer genau 0 Grad, obwohl das Eis darüber eigentlich kälter ist. Das Eis ist hier 400 Jahre alt. Sichtbar werden die schichtweisen Ablagerungen. Im Bild zu sehen auch am unteren Bildrand eine Schicht Saharastaubs, der einige Male pro Jahr über Wind und Wetter den Weg auch nach Österreich findet. Das violette Licht stammt von einer Lampe, die das durchsichtige Eis sichtbar macht.
Gletscher sind ist durch ihre Schichten hochaufgelöste Archive vergangener Klima- und Wetterzustände. In den eingeschlossenen Luftblasen wird auch die Zusammensetzung der Atmosphäre mit abgespeichert, was Rückschlüsse zum Beispiel auf ihren klimaformenden CO2-Gehalt zulässt.
