283a. Reise nach Prien

283a. Reise nach Prien

Wohin soll denn die Reise gehen, wird man gefragt, wenn man wo einsteigt, in ein Gefährt, in ein Mobil, bei dem man das Reiseziel bestimmen kann. Wohin soll denn die Reise gehen, als ob man wüsste, was ein gutes Ziel wäre, denn dazu müsste man ja schon einmal dort gewesen sein, um sich sicher zu sein, ja dorthin soll es gehen. Und oft ist man ja nicht alleine unterwegs. Man muss sich verständigen, die Wünsche koordinieren. Es ist unter allen bedenkbaren Umständen und Erfahrungen schwierig, sich innerhalb der Familie ein Reiseziel für die Ferien auszumachen. Besonders, wenn die Kinder 14, 15 Jahre alt sind.

Heuer haben wir eine Reise nach Prien gemacht. Und davon möchte ich erzählen. Wir gingen in Wien zum Hauptbahnhof. Dort haben wir uns mit dem Rücken zur großen Anzeigewand gestellt. Ausgemacht war: auf 1, 2, 3, würden wir uns umdrehen. Wir würden zu dem Meer fahren, das in der Richtung des Reiseziels des 3. Zugs liegt. Den ersten und den zweiten Zug würden wir ja nicht mehr erwischen. Aber den 3. Zug, den nehmen wir, und dieser fuhr auf 1, 2, 3 nach Zürich. So war die Richtung klar. Wir fahren ans Meer in Richtung Zürich. Also nach Frankreich. Wir fahren an den Atlantik.

Wohin soll denn die Reise gehen? Bordeaux. Wir machten uns aus, immer um 11 Uhr 30, auszusteigen, egal wo der Zug gerade ist, um dort Mittagessen zu gehen, und nach einer Pause wieder weiterzufahren. Bis 18 Uhr ungefähr, um egal wo, dort auszusteigen, wo der Zug grad hält – um dort zu nächtigen.

½ 12 war es in Salzburg. Nach dem Mittagessen dann weiter mit dem nächsten Zug in Richtung Meer. Es war ein langsamer Zug. Er fuhr nach Zell am See. Der See sah so verlockend aus, und wenn es keine Eile gibt, dann steigt man aus, und schwimmt ein Stück. Der nächste Zug, der fuhr nach Innsbruck, Zeit zum Schlafen. Stück für Stück und Zug um Zug, weiter Richtung Ozean. Basel, Mulhausen, Dijon, und so weiter und so weiter – nach 5 Tagen erreichten wir auf diese Art Bordeaux.

Das Schöne an dieser Art der Reise war, dass wir nie einen Zug versäumt haben, wir haben ja immer nur den nächsten genommen. Und während man bei großen Zielen schnell einmal auf Hauptverkehrsstrecken landet, sich in der Folge zwischen Hauptstädten zu schnell fortbewegt, sind wir auf dieser Reise auf diese Weise in Gegenden gekommen, an Stellen ausgestiegen, die wir vorher mit Sicherheit oft nicht einmal vom Namen kannten. Regionalzüge, Schiffe, Stopps und Strecken, die man selbst nie wählen würde. Wir haben erlebt, dass es wichtig war, sich den Schlafplatz wirklich nur im letzten Zug des Tages auszumachen. Das geht mit den digitalen Buchungsplattformen ja sehr leicht. Würde man schon am Vormittag das Abendziel fixieren, oder Gott behüte auch am Vortag, da wäre das Schicksal viel zu stark eingeschränkt, und die Eile beginnt – man muss ja den vorgesehenen Zug, die vorherbestimmte Stadt erreichen. Da fängt der Stress dann wirklich an. Es ist gar nicht leicht, mit all den Sicherheiten, die man sich erkaufen kann, dem Schicksal eine Chance geben, die Strecke zu gestalten.

Viele Grüße also aus Bordeaux. Wer weiß, wohin uns die nächste Reise treiben wird, ans nächste Meer, auf diese Art. Ich bin noch schuldig, warum es eine „Reise nach Prien“ war, obwohl wir nach Bordeaux gefahren sind. Prien, das ist kein Ort, sondern ein Name, der schon viele Jahre in meinem Kopf herumgetragen wird. Prien ist ein Mensch, der Herr Prien. Er ist oder war Bibliothekar in Wien. Ich selber habe ihn nie gekannt. Er hat diese Reiseform erfunden. Herr Prien hat vor 30 Jahren in der Bibliothek für Slawistik an der Universität Wien gearbeitet und einem Freund, der dort studiert hat, von dieser wunderbaren Form der Fortbewegung abseits der großen Reisekorridore erzählt. Der Freund hat es wiederum mir erzählt, und nach 30 Jahren war es dann soweit. Unser heuriges Reiseziel hat seinen Namen erhalten, ja eigentlich der Weg, die Reiseform nach Prien …

ORF Radio Ö1 – Moment/Randnotizen, 6. August 2018. Eine erste Fassung dieser Randnotizen wurde im Deutschlandfunk/Sonntagsspaziergang als “Akustische Ansichtskarte aus Bordeaux” am 1. Juli 2018 ausgestrahlt.


Hörerreaktion

Vielen Dank für die gestrigen Moment-Randnotizen.  Moment ist sehr oft ein Quell von Freude, Nachdenklichkeit, Innehalten, Neugier, und nicht zuletzt Schmunzeln. Ihr gestriger Beitrag ist ein Juwel in allen diesen Aspekten. Dieser Sommer ist leider schon verplant, aber nächstes Jahr werde ich sicher auch nach Prien fahren. – P. W.