21. Dec 1999 | Tagebuch
Gerauft wurde nur dann, wenn abgepfiffen war. Haette der eine Hockeyplayer dem anderen noch waehrend des Spieles eine verpasst, haette es fuer ihn fuer zwei Minuten “ab auf die Strafbank” geheissen. Und die ist wiederum durch eine Glasscheibe vom Gegner getrennt, der eventuell auch einsitzen muss.
Wir sprechen hier vom Hockeyspiel der Canadiens gegen die Gaeste aus Pittsburgh. Die Brauerei Molson hat dazu, und nicht nur zu diesem Spiel, ein Hockeystadion spendiert, aus dem sie eventuell auch Gewinne lukriert, da muesste man nachfragen. Die Eintrittskarte fuer ganz hinten oben, mit wunderbarem Gesamtueberblick, kostet $ 22,70. Plexiglasscheiben trennen die ersten Reihen vom Spielfeld, und das ist Naturgemaess ein Eisfeld, mit Werbungen darunter verborgen. Darueber schwebt ein Riesenluster der am Hauptbildschirm das Spielgeschehen zeigt, den Spielstand, und an den Nebenbildschirmen Werbungen einspielt, und auch wer einsitzen muss. Oft kommt Werbung und oft eine Detailfigur des Publikums. Die freut sich dann immer, springt auf, reisst die Haende nach oben und wiegt im weiblichen Fall die Hueften. Zusaetzlich werden Informationen gegeben, wann es passend waere, zu klatschen, zu stampfen, oder im Krisenfalle auch zu schunkeln. 25000 Menschen koennten das im neuen Molson Centre tun.
Gespielt wird drei mal 20 Miuten mit 20 Minuten Pausen dazwischen, an denen die Besucher hinauseilen um den obligaten Hot Dog zu kaufen, Coca Cola oder auch ein Molson Bier. Ein gelbes Pick-Up Auto der Marke Dodge faehrt herein und prostituiert sich. Gleich danach ein rotes Lastwaegelchen mit einem Weihnachtsmann darauf, der mit einem grossen Gewehr Wuerste in die Menge schiesst. T-Shirts sind darin, lautet die Auskunft der Kenner.
Gemuetlich ist die ganze Halle, mit guter Luft und schoener Sicht. Das Spiel selbst verlaeuft tendenziell schleppend. Kaum ist eine Minute gespielt, wird gestoppt, irgendetwas unsichtbares passiert, gegebenenfalls wird ein Spieler ausgetauscht. Bei wechselnder Musik. Ueberhaupt ist zu bemerken, dass auf den Spielerbaenken mehr Spieler sitzen, als alm Feld herumfahren: 5 pro Mannschaft und jede einen Tormann. Vier Schiedsrichter stehen herum, fahren dann und wann dazwischen, und weichen dem Puck hoechstens durch einen Schritt nach oben oder zur Seite aus. Oft muessen sie auch ihren Kopf schuetzen vor den Schlaegern bzw. den Schlaegen.
Das Spielgeschehen unterliegt einer bemerkenswerten Organisation und Taktik. Schnell wird der Puck nach vorne getrieben, um dann unmittelbar zur Seite dem aufholenden Spieler der gleichen Mannschaft zugespielt zu werden. Der dann ganz gerne ein Tor schiesst, und dann ertoent eine Sirene, die Halle jubelt, und rote Blinklichter auf der entsprechenden Seite des Spielfeldes zeigen die Richtigkeit des Gesehenen an. Wie schoen ist es, wenn das Spielgeschehen dichter, den Aufforderungen zu klatschen vorausgeeilt, und es so gesehen spannend wird! Und wie dann Pittsburgh gegen die Canadiens gespielt haben, wird morgen die “Gazette” schreiben: 5:1 gewonnen.
18. Dec 1999 | Tagebuch
INFORMATIONEN ZUM GEDENKDIENST
Jänner 2000
GESCHICHTE UND GEGENWART DES MHMC
(Montreal Holocaust Memorial Center)
Das MHMC geht auf eine Initiative der Association of Survivors of Nazi Oppression zurück, die 1974 gegründet wurde. Diese jüdische Vereinigung der Überlebenden des nationalsozialistischen Regimes gewann die Unterstützung der Stadt Montreal und des Allied Jewish Community Service (heute: Federation Combined Jewish Appeal, kurz: Federation CJA) für die Errichtung einer Holocaust-Gedenkstätte, die 1979 im Gebäude der Federation CJA eröffnet wurde. Die Holocaust-Survivors spielen bis heute eine aktive Rolle als Museumsführer und richtungsgebende Mitarbeiter in Gremien und im Servicebereich des MHMC.
Der erste Schritt zur Errichtung eines Museums war die Schaffung eines Archives zur Aufbewahrung von Kunst- und Erinnerungsgegenständen, Dokumenten und Fotografien, die mit dem Holocaust in Verbindung stehen. Die Sammlung des Archives umfaßt heute etwa 50.000 Objekte. Aus den Beständen des Archives wurde 1985 die erste große Ausstellung des MHMC zum Thema „Children of the Holocaust – Legacy of a Lost Generation“ (Kinder des Holocaust – Nachlaß einer verlorenen Generation) zusammengestellt und der Öffentlichkeit präsentiert.
Die Dauerausstellung des Museums wurde 1991 unter dem Titel „Splendor and Destruction: Jewish Life that Was, 1919 – 1945“ (Glanz und Zerstörung: vergangenes jüdisches Leben, 1919 – 1945) präsentiert und führte zu einer jährlichen Besucherzahl von 15.000 Personen.
Die Führungen durch das Museum werden vorwiegend von den Überlebenden des Holocaust gehalten, die in kurzen Vorträgen ihr persönliches Schicksal während der Shoa (hebr.: Holocaust) schildern.
Eine Hauptzielgruppe aller Aktivitäten des Centres sind Schulklassen. Das MHMC bietet für Schüler und Studenten speziell betreute Führungen durch das Museum an, widmet sich intensiv der ständigen Verbesserung des geschichtlichen Unterrichts zum Thema „Holocaust“ und ist aktiv an wissenschaftlichen Symposien zur Didaktik der Vermittlung des Holocaust, von Toleranz und Antirassismus beteiligt.
In Summe erreichte das MHMC 1995 durch das gesamte Veranstaltungsgebot, das außer festen Ausstellungen auch Vorträge, Tagungen und Wanderausstellungen behinhaltet, knapp 100.000 Besucher.
Derzeit wird das MHMC vollständig umgebaut, die ständige Ausstellung wird um eine Darstellung des jüdischen Lebens in fünf Städten Europas und Noradfrikas vor dem 2. Weltkrieg und das Leben nach dem Holocaust erweitert. Museumspädagogen sorgen für eine zeitgemäße und multimediale Darstellung der Sammlung. Im zweiten Teil des Jahres 2000 wird der Umbau abgeschlossen und eine Neueröffnung zu erwarten sein. Eine verkleinerte, temporäre Ausstellung ist aber schon jetzt zu besuchen.
Im Mittelpunkt der Dokumentations-, Forschungs- und Publikationstätigkeit des MHMC stehen die Schicksale von Opfern und Überlebenden der Shoa. Ihnen ist das Programm „Witness-to-History“ gewidmet. Es umfaßt bisher etwa 400 auf Video aufgezeichneten Interviews mit Holocaust-Überlebenden. Diese Dokumente werden wissenschaftlich ausgewertet und Forschung und Lehre zur Verfügung gestellt.
Die Organisation von Gedächtnisfeierlichkeiten zum Gedenken an den Holocaust ist ein weiteres Aufgabenfeld des MHMC.
Als Serviceeinrichtung hilft das MHMC ehemaligen Zwangsarbeitern, die notwenigen Formulare für Entschädigungen durch schweizer oder österreichische Banken auszufüllen.
Finanziert wurde das MHMC 1997 zu 45% durch Spenden. 55% der Mittel wurden von der Mutterorganisation Federation CJA zur Verfügung gestellt. Die Republik Österreich stellt mit der Entsendung zweier Gedenkdiener zwei unentgeltliche Arbeitskräfte zur Verfügung.
GEDENKDIENST ALS FORM DES ÖSTERREICHISCHEN ZIVILDIENSTES
In Österreich dürfen präsenzdienstpflichtige Männer frei wählen, ob sie anstatt des 8-monatigen Militärdienstes den 12-monatigen Zivildienst leisten wollen. Dieser Zivildienst ist in Österreich normalerweise mit der Tätigkeit an sozialen Einrichtungen im Inland verbunden. Es besteht jedoch seit 1992 auch die Möglichkeit, einen 14-monatigen Dienst im Ausland zu leisten, an Einsatzstellen etwa, die sich aktiv mit Zeitgeschichte und der österreichischen Rolle im nationalsozialistischen Regime beschäftigen. Diese Idee dieses Gedenkdienstes geht auf den österreichischen Politikwissenschaftler Andreas Maislinger zurück, der 1980 mehrere Monate als freiwilliger Mitarbeiter für die deutsche Aktion Sühnezeichen – Friedensdienste in Auschwitz-Birkenau tätig war.
Ziel dieses in Anerkennung der Täterrolle Österreichs im nationalsozialistischen Regime vom Bundesministerium für Inneres genehmigten Gedenkdienstes ist es, jungen Österreichern die Möglichkeit zu geben, sich aktiv mit Zeitgeschichte und dem Holocaust zu beschäftigen und Zeichen zur aktiven und verantwortungsvollen Beschäftigung mit der österreichischen NS-Vergangenheit zu setzen.
Heute werden Gedenkdiener nach Israel, Europa und Nordamerika geschickt, sie sind aktiv in alle Bereiche der Einsatzstellen eingebunden und sind durch ihre unterschiedliche Vorbildung spezialisiert, zu geschätzten Mitarbeitern geworden. Für die Shoa Foundation des Filmemachers Steven Spielberg katalogisieren und evaluieren Gedenkdiener etwa Interviews, die von Überlebenden gemacht wurden; österreichische Gedenkdiener führen durch Museen oder besuchen als Vortragende Schulklassen Universitäten und Symposien.
Der Verein für Dienste im Ausland arbeitet heute mit 30 Institutionen weltweit zusammen. 39 Gedenk-, Friedens- und Sozialdiener arbeiten an 20 Einrichtungen, eine Zahl die sich erhöht. Die Beschäftigung mit der Vergangenheit wurde um die Beschäftigung mit Gegenwart und Zukunft erweitert. In jüngster Zeit wurden Gedendienststellen um soziale oder friedenssichernde Einrichtungen erweitert. Sozialdiener etwa betreuen etwa in Buenos Aires Straßenkinder und Friedensdiener unterstützen in Palästina die Tätigkeit der Palaestinian Society for Human Rights and Environment.
DER ÖSTERREICHISCHE GEDENKDIENST AM MHMC
Im April 1995 wurden die ersten österreichischen Kontakte zum MHMC geknüpft, und Judith Pfeifer trat als nichtzivildienstpflichtige Frau ihren freiweilligen Dienst in Montreal an.
Die Resentiments der Überlebenden gegenüber jungen Österreichern als Repräsentanten des „Täterlandes“ konnten durch den Einsatz der Leitung des MHMC und österreichischer Holocaust-Opfer überwunden werden. Die ursprüngliche partielle Ablehnung des Gedenkdienstes am MHMC gründete sich auf das Argument, dieser Gedenkdienst sei erst 50 Jahre nach dem Holocaust und daher viel zu spät ins Leben gerufen worden und solle der Republik Österreich auf diesem Weg zur Wiedergewinnung ihrer durch die Waldheim-Affäre und die Wahlerfolge der FPÖ unter Jörg Haider angeschlagenen internationalen Reputation verhelfen.
Die Zusammenarbeit gestaltete sich aber dann als so überaus erfolgreich, daß das MHMC auch von österreichischer Seite durch das Bundesministerium für Inneres als offizieller Einsatzort für den Gedenkdienst anerkannt wurde. Die Gedenkdiener stehen im steändigen Kontakt mit der österreichischen Bot
schaft in Ottawa und dem österreichischen Konsulat in Montreal, die die Aktivitäten sehr genau und mit großem Interesse verfolgen.
Von 1996 bis 1997 leistete Philipp Manderla Gedenkdienst, 1998/99 Klaus Jagoditsch und Wolfgang Müller, seit dem 16. Oktober 1999 Michael Pollan und seit dem 1. Dezember 1999 Lothar Bodingbauer.
Die meisten Gedenkdienstleistenden hatten zur Zeit ihrer Tätigkeit ihr Studium bereits abgeschlossen oder waren in fortgeschrittenen Studienabschnitten. Die damit verbundene Selbständigkeit ihrer Mitarbeit dürfte in Zukunft durch die Unaufschiebbarkeit des Zivildienstes gefährdet sein: Kommende Gedenkdienstgenerationen werden gerade erst die Mittelschule beendet haben.
Die Gedenkdiener sind in alle Arbeitsbereiche des MHMC vollständig eingebunden: Sie katalogisierne, indizieren, übersetzen, entwickeln Materialien, führen, betreuen ehemalige Zwangsarbeiter und entwickeln eigenständige Programme; Gedenkdiener sind den angestellten MHMC-Mitgliedern gleichgestellt.
Darüberhinaus werden Gedenkdiener von Mitarbeitern und Besuchern des MHMC oft sorgenvoll nach den politischen und sozialen Verhältnissen in Österreich befragt. Es ist also naheliegend, dem Gedenkdienst im Ausland auch eine Botschafter- oder Repräsentanzrolle zuzuschreiben.
16. Dec 1999 | Tagebuch
Kinderchor inmitten der Cavendishmall, einem Einkaufszentrum etwas ausserhalb der Stadt. Mit dressiertem Gesicht stehen sie da gruppiert herum, bewegungslos. Sie singen freudlos, wenn auch im Chor, ihre einstudierten Weihnachtslieder. “The little Drummer Boy” zum Beispiel. Dann und wann setzten sie ihre Floeten an und pusten hinein. Dirgiert werden sie von einer weisshaarigen Dame, begleitet von ihrem Duplikat am Elektro-Piano. Dreissig Menschen sehen den Kindern – schon etwas froehlicher – zu. Ein alter Mann geht vorbei, bleib stehen, ist unschluessig, ob er laecheln soll, oder nicht, probiert es, laechelt doch nicht und geht weiter. Recht hat er. Aber was sollte man tun, 8 Tage vor Weihnachten.
15. Dec 1999 | Tagebuch
Renata traegt vermutlich eine Peruecke. Graumeliert, oben glatt, links und rechts die Haare nach aussen gedreht. Sie ist eine sonnige Frau und gelb war ihre Lieblingsfarbe. Als Voluntaerin hilft sie im Holocaust Museum mit, waehrend des Krieges war sie Zwangsarbeiterin in einer deutschen Waschmittelfabrik. Ihren unmittelbaren Vorgesetzten vertraute sie, wie sie sagt, denn sie waren in Ordnung. Aber der Abteilungsleiter war ein Nazi, kurz vor Kriegsende hat er sich abgesetzt. Er ist einfach verschwunden. Viele Menschen in der Fabrik seien durch “freundliches Feuer” der Briten und Amerikaner ums Leben gekommen, als das Gelaende bombardiert wurde. Renata hat, wie alle aelteren Damen Montreals rot bemalte Lippen, am Nachmittag allerdings schon etwas ausgebleicht. Sie treagt gruene Kleider und einen pelzbesetzten Schal und sagt: “Life is beautiful, Lothar, isn’t it?“
14. Dec 1999 | Tagebuch
Henry versteckte seinen Daumen zwischen Zeigefinger und Mittelfinger. So wie es Kinder gerne machen, wenn sie angestrengt nachdenken. Den Fragebogen auszufuellen, mit der genauen Angabe, in welchen Konzentrationslagern Henry eingesperrt war, das bedurfte angestrengten Nachdenkens.
Gewiss waren die Namen, die Daten und die Reihenfolge der verschiedenen Lager unveraendert in seienem Gedaechtnis, aber sie waren etwas verschuettet, und um die Angaben freizuraeumen, dazu musste Henry den Daumen zwischen die Finger stecken. Sein Atem roch nach scharfen feinen Pfefferminzdrops, er klapperte mit seinen falschen Zaehnen und meinte, ja gewiss, es waeren viele Lager gewesen in denen er gewesen sei. Ob er denn vielleicht die groessten nennen sollte, am Fragebogen fuer die Entschaedigung zur Zwangsarbeit. Genaugenommen am Fragebogen zur Registgrierung fuer die Entschaedigung zur Zwangsarbeit waehrend des 2. Weltkrieges. Die United Restitution Organisation hatte ihn an die juedischen Bewohner Montreals ausgeschickt, um die Ansprueche zu registrieren.
Henrys letzten grossen Stationen waren Auschwitz und Birkenau. Und er hat bei IG Farben gearbeitet. Viel Geld scheint er heute nicht zu besitzen, und es ist ihm voellig klar, dass der Fragebogen nur zur Registrierung gilt und noch keine Entschaedigung bedeutet. Mit den Zaehnen klappernd geht er davon. Ein sich zurueckziehender freundlicher Mann.
12. Dec 1999 | Tagebuch
Das Cumming House ist nur der Verwaltungsapparat der juedischen Gemeinde Montreals und auch der ganz Kanadas. Dahinter ist durch Verbindungsgaenge das Tageszentrum fuer Senioren erreichbar und das YHA, die Young Hebrew Association, mit Sportmoeglichkeiten und Volkshochschulartigen Kursen.
Um $ 30 Millionen wurde das Cummings House renoviert und es ist nun definitiv nobel eingerichtet. Viel Stein und Marmor, Teppichboeden in den oberen Stockwerken. Die Raeume haben Namen nach Familien erhalten, die sie gesponsert haben. 400 Menschen arbeiten hier, was man kaum glauben moechte. In der Eingangslobby wacht ein Security-Mann ueber jeden Ein- und Austretenden, links davon ist nun das Montreal Holocaust Museum im Erdgeschoss zu finden: Dessen Buero und die Ausstellung “Kinder im Holcoaust”.
Das Buero des Museums bekommt noch keine Frischluft, und ist quasi auf der Strasse, nur durch grosse Fensterscheiben von ihr getrennt. Das bedeutet, zu jeder Zeit die Wetterlage zu kennen, zu mancher Zeit den Mond, und gegebenenfalls die Sonne. Die Angestellten moegen das Buero nicht, und obendrein soll es in ein paar Monaten in den Keller, was gar nicht schoen ist. Alles oben wird dann zum Hauptmuseum. Und dabei meinen sie, wuerde der Holocaust durchaus besser zum Keller passen. “Ausstellungsstuecke zaehlen mehr als die Menschen”.
“Ruhe” schreit Bill, der Chef, dazwischen im Buero, “wir sind hier ein Museum!”. Jeder kann am Bueroleben teilnehmen und ist dorch durch Trennwaende von den anderen getrennt. Die beiden Gedenkdiener haben einen Schreibtisch mit Besucherstuhl in den Gaengen dazwischen erhalten, und koennen so, Laufburschen aehnlich, jederzeit einspringen, wo sie gebraucht werden.
12. Dec 1999 | Tagebuch
Schlechte Seiten der Montrealianer, oder vielleicht der Nordamerikaner im allgemeinen:
1. Eine inflationaere Menge an Plastiksackerln: Im Supermarkt, in jedem Markt, fuer Werbezetteln. Wer als Firma kein Plastiksackerl mit seinem Namen bedruckt hat, ist ein Niemand, ein Nichts. Das Montreal Holocaust Memorial Centre ist zwar noch nicht ins neue Gebaeude umgezogen, es gibt aber schon bedruckte Plastiksackerln mit der neuen Adresse.
2. Die klassischen Musiker geben sich zwar in ihren gedruckten Programmen grosse Muehe, aber gegen Europas Orchester haben sie keine Chance. Ganz Wien ist Musik im Vergleich, da muss man auf die Programme nichts mehr hinschreiben, das ist zu spueren. Es gibt den Geist der Stadt!
3. Irgendwelche polierten Aepfeln gleicher Groesse. Ist doch nicht notwendig, oder? Nicht zu fassen, das meiste Obst und Gemuese ist genetisch veraendert. Die Tomaten halten endlos.
4. Kinderaufbewahrung in Einkaufszentren. Discomusik, alles bunt, bunte Lichter, bunte Musik und die Kinder zappeln herum. Negativ!
11. Dec 1999 | Tagebuch
Gute Seiten der Montrealianer, oder vielleicht der Nordamerikaner im allgemeinen:
1. Der Gasofen zuendet sich von selber an, man drueckt und dreht auf, zwei Sekunden spaeter brennt die Platte. Bravo!
2. Im Supermarkt packt an der Kasse ein Helfer die Einkaeufe in – schlechte Seite – Plastiktaschen und verstaut sie auf eventuell mitgebrachten Schubkarren. Er denkt dabei mit und verwendet zwei Sackerl fuer einen Kartoffelsack, gibt, wenn es ein schweres Ding war, nichts mehr hinein, und zerdrueckbare Sachen immer obendrauf. Auch die Kassierin legt es ihm schon passend hin.
3. Vier verschiedene Wochenzeitungen fuer Stadt-Programm und Stadt-Kultur sind gratis: Zwei in franzoesischer und zwei in englischer Sprache.
4. Werbung wird im Haus unten beim Postfach in Plastiksackerl – schlechte Seite – bereitseitgehaengt und nicht zur Tuer heraufgetragen. Schlechte Seite: Auch der Postmann macht sich die Muehe des Heraufgehens nicht, er hinterlaesst unten im Postfach eine Karte, zum Packerl-selber-holen.
5. Die franzoesische Kueche in der Provinz Quebec mit Baguette und Wein, und Kaese und Kaffee. Welch ein Genuss!
6. Die Kommentatoren beim Schirennen fahren auf die Oesterreicher voll ab: Vor der Werbung wird noch ein Bild Hermann Meiers gezeigt, mit Untertitel: “The Hermann-nator, after the break. A whole lot of Austrians more to come”. Und wie sie sich freuen. Nebenbei: Die Oesterreicher sind auch gut, die ersten vier Plaetzte gehen an Oesterreich, dann ein Italiener, dann wieder ein Oesterreicher.
7. Die vielen bunten Menschen. Es geht auch anders, Mr. Haider. Angeblich nimmt Quebec jeden Einwanderer, Hauptsache, er spricht franzoesisch, gleich mit welchem Akzent.
8. An manchen Fussgaengeruebergaengen sind an den Ampeln gegenueber Zaehler aufgehaengt. Diese zeigen dem Ueberquerungswilligen im Count Down Stil an, wieviele Sekunden ihm zur Ueberquerung noch bleiben. Der Count Down beginnt bei 25.
9. Ortsgespraeche sind kostenlos, und daran koennte man sich gewoehnen.
10. So viele Leute haben einen tollen Haarschnitt!
11. Die fehlende kollektive Hysterie der Kanadier, wie wir es von den Amerikanern so gar nicht gewoehnt sind.
10. Dec 1999 | Tagebuch
Die Rue Dennis ist ueber und ueber mit Christbaumlaempchen geschmueckt. In allen Farben. Im Lateinischen Quartier der Innenstadt befinden sich, in viktorianischen Hauesern an beiden Seiten der Strasse aufgereiht, die kulinarisch bunten Restaurants der Stadt; und viele Menschen nuetzen am Freitag Abend die Gelegenheit zum “dining out”. Unglaublich viele Menschen, die Restauran sind voll. Meist dunkel, und mit etwas Kerzenlicht sitzen sie wohlgeordnet an den Tischen und sie sind jeden Alters. Was sie essen weiss man nicht, doch es wird schmecken. Sie sehen gluecklich aus.
9. Dec 1999 | Tagebuch
Busfahren auf der Linie 161. Leicht wird einem schlecht. Grund dafuer sind die staendigen Stops an jeder Strassenkreuzung. Stop-Schilder fuer jede Strasse, oder auch “Arret” fuer alle. Und dann geht’s wieder weiter, nach einem leichten “touch-down”, einem angedeuteten Stehenbleiben der Beteiligten.
An der Haltestell reihen sich die Mitfahrwilligen in eine Reihe ein, im Einstieg wird dem Chaffeur die Karte gezeigt oder wahlweise eine zwei Dollar Muenze ins Auqarium geworfen, das ist ein Glasbehaelter der die Fahrkarten oder den Fahrpreis kurz dem Fahrer zeigt, bevor er sie an den Blechbehaelter darunter weitergibt. Wer nachher wieder aussteigen will, zieht die gelbe Reissleine entlang der Fensterscheiben. Nicht fest, mit der ganzen Faust nach unten, sonder meist nur zwei Finger werden verwendet: Mit einem elganten kurzen Ruck, zackig leicht, so wird gezogen, und damit ist die Sache noch nicht getan. Man muss beim Ausstieg hinten ganz zur Tuere gehen, also eine Treppe hinuntersteigen, dann erst wird sie sich oeffnen. In Wien soll man gerade dort nicht stehen, und so konditioniert traut man sich in Montreal nicht mitzumachen. Zweite Moeglichkeit, die hintere Tuer aufzukriegen bei anderen Bussen: Die ganze Hand an den mittleren Tuerrahmen auf die gelbe Linie legen, das funktioniert auch.
Die Sitze sind enger angeordnet, als im vertrauten Mitteleuropa, und von draussen sieht der Bus sehr futuristisch aus. Wie ein Panther im Sprung nach vorne, mit breitem Hintern. Innen auffallend viele Omis mit rotgeschminkten Lippen. Der Rest der Mannschaft sitzt regungs- und bewegungslos.
PS: Die Reißleinen sind in manchen Bussen auch rot.