73. Bildungsökonomie

Was kostet ein Sitzenbleiber? Es gab eine Zeit, in der Bildung als grundsätzliche und unantastbare Bedingung für die Bezwingung des Wilden ins uns gesehen wurde. Heute wird Bildung fast ausschließlich in Kosten-Nutzen-Rechnungen an ihrer Auswirkung im Bruttoinlandsprodukt gemessen, verglichen im globalen Wettbewerb. Es zahlt sich demzufolge in unseren Breiten aus, schon in die Bildung von Kindergartenkindern zu investieren, allenfalls in die Erwachsenenbildung, die Alten hingegen werden möglichst kostengünstig allenfalls noch etwas bei Laune gehalten. Leise aber beharrlich entstand in den letzten Jahren ein neues ökonomisches Forschungsgebiet: die Bildungsökonomie. Eine Sendung über die Suche nach dem Wert der Bildung.

Manuskript (ohne letze Änderungen)

JOURNAL PANORAMA: BILDUNGSÖKONOMIE 

Lothar Bodingbauer

PRESSETEXT

Bildungsökonomie: Sei gescheit, mein Teuerster!

Es gab eine Zeit, in der Bildung als grundsätzliche und unantastbare Bedingung für die Bezwingung des Wilden ins uns gesehen wurde – wie auch immer  das geschah. Heute macht Effizienz auch vor Bildungsfragen nicht halt. Der Bildungserfolg wird in Kosten-Nutzen-Rechnungen an seiner Auswirkung am Bruttoinlandsprodukt gemessen, verglichen im globalen Wettbewerb. Es zahlt sich aus, schon in die Bildung von Kindergartenkindern zu investieren. Leise aber beharrlich entstand in den letzten Jahren ein neues ökonomisches Forschungsgebiet: die Bildungsökonomie. Ein Journal-Panorama auf der Suche nach dem Wert der Bildung – von Lothar Bodingbauer.

ANMODERATION

Menschen, die im Bildungswesen arbeiten, reagieren auf bildungsökonomische Fragen oft äußerst allergisch. „Immer nur nach dem Nützlichen zu fragen, ziemt sich gar nicht für großzügige und freie Menschen“, wird Aristoteles zitiert, wenn es um die Frage nach der Effizienz von Bildungsmaßnahmen geht. Seit einigen Jahren machen aber wirtschaftliche Optimierungsversuche auch vor Bildungsfragen nicht halt. Der Bildungserfolg wird in Kosten-Nutzen-Rechnungen an seiner Auswirkung am Bruttoinlandsprodukt gemessen, verglichen im globalen Wettbewerb. Leise aber beharrlich entstand ein neues ökonomisches Forschungsgebiet: die Bildungsökonomie. Hören Sie dazu jetzt ein Journal-Panorama auf der Suche nach dem Wert der Bildung – von Lothar Bodingbauer.

BEITRAG

Mikrofon /     0:24    Text 

Jeder, der einmal in der Schule war, ist in Österreich ein Bildungsexperte, und jeder, der einmal Geld ausgegeben hat, ein Ökonom. Wer beides tat, ist Bildungsökonom. So könnte man überspitzt die Verwirrung auf den Punkt bringen, die derzeit in Österreich um den Begriff „Bildungsökonomie“ herrscht. Dabei ist es doch so einfach. Man muss nur den richtigen fragen.

CD-1 / 1    0:37    Mailbox Lückl – Bildungsministerium

(Mailboxsignal: Kling – Heute, 10 Uhr 35): Grüß Gott, Herr Bodingbauer, Lückl Bildungsministerium. Sie haben gestern versucht, mich zu erreichen. Betreffend Ihre Anfrage, was für Kosten für den Staat anfallen beim Sitzenbleiben eines Schülers einer Schülerin liegen beim Bildungsministerium keine derartigen Zahlen aus entsprechenden Erhebungen vor. Eventuell könnte die Bundesanstalt Statistik Österreich dementsprechendes Zahlenmaterial für Sie bereitstellen. Mit freundlichen Grüßen, Lückl Bildungsministerium.

Mikrofon /     0:23    Text 

7700 Euro kostet einmal Sitzenbleiben im Durchschnitt in Österreich der öffentlichen Hand. Was immer man mit dieser Zahl anfangen will. Sie ist auch im Statistischen Zentralamt nicht leicht zu kriegen – die sonst alles haben, was in Österreich Daten verursacht. Was kostet ein Schuljahr dem Staat? Vielleicht ist diese Frage einfach nicht interessant?

CD-2 / 1    0:2    OT Kurt Scholz

Die Ökonomie ist unser Schicksal…

Mikrofon /     0:5    Text 

… sagt Kurt Scholz, der frühere Wiener Stadtschulratspräsident …

CD-1 / 2    0:46    OT Kurt Scholz

und auch ich bin der Meinung, dass man jeden Euro, der in das Schulwesen investiert wird, genau anschauen und umdrehen soll. Man soll wissen, was Unterrichtsstunden kosten, was die Absage von Unterricht kostet, man soll durchaus ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass das Schulwesen der zweit- oder drittgrößte Budgetbrocken überhaupt im Bundesbudget ist. Dafür soll man ein klares Bewusstsein haben. Davon trennen möchte ich allerdings eine Schule oder eine Pädagogik, die nur mehr unter dem Diktat der Zahlen steht. Derzeitig haben wir eine schleichende Entwicklung, in die Richtung, je billiger, desto besser organisiert ist das Schulwesen. Und dagegen muss man schon gewisse Einwände haben.

CD-2 / 2    1:19    ******** Mix Abendschüler

Ja, es hat mit meinen Eltern auch zu tun. Ich soll machen was ich will. Sie können mich nicht zwingen dazu. Das war beste, was sie machen haben können. So bin ich selbst immer wieder auf die Schnauze gefallen, rausgehaut worden, da passt es nicht. Und so bin ich selbst draufgekommen, wie wichtig die ganze Ausbildung da ist, dass man die ganze Ausbildung hat und so. — Es war so, dass ich mit 14, 15 Interessen entwickelt haben, die sich mit der Schule nicht überschnitten haben, Musik, selber Musik machen, ich dachte mir, das Wissen, das mir in der Schule übermittelt wird, kann ich mir selber über das Internet beizubringen, zumindest die Sachen, die mich da interessieren. Das war aber nicht ausreichend, um positiv abzuschließen, und darauf bin ich zwei mal in der 6. Klasse durchgefallen. — Ich habe Konditor gelernt, dann auf Patisserie umgestiegen, und habe in besseren Hotels gearbeitet, was furchtbar anstrengend war, ich habe aber was gesehen von der Welt, habe Geld verdient, jetzt kann ich mich zwei Jahr hinsetzen, arbeiten, was nicht so interessant ist, einfach nur sitzen, und die Schule machen.

Mikrofon /     0:26    Text 

Das war die Sicht von drei Wiener Abendschülern, die im zweiten Anlauf die Matura machen. Jeder von ihnen hat zwei Schuljahre a 7700 Euro in den Sand gesetzt. Auch Manfred Adlmanseder hat dem Staat mehr gekostet als der Durchschnitt. Er hat Russisch studiert, Doktorrat, dann Jus studiert, zweites Doktorrat. Jetzt ist er Finanzchef einer bedeutenden Maschinenbaufirma, exportorientiert.

CD-1 / 3    0:11    OT Manfred Adlmanseder

Es ist durchaus ein Vorteil, wenn man in einer Führungsposition zum Telefon greifen kann, um den Direktor eines Unternehmens anrufen kann und sich mit ihm in seiner Sprache zu unterhalten…

Mikrofon /     0:12    Text 

Ein Vorteil, der aber ziemlich teuer war. Stichwort Bildungsökonomie: hätte der Staat Ihnen nicht einen Sprachkurs zahlen können, musste es ein Russischstudium sein, anders gefragt:

CD-2 / 3    0:58    OT Manfred Adlmanseder

Wo liegt der Vorteil für die Volkswirtschaft, dass Sie als Finanzchef Puschkin gelesen haben? — Schauen Sie, Puschkin mag ein Privatvergnügen sein. Nur stellen Sie sich vor, ein Abendessen mit Geschäftspartnern in Moskau. Sie sitzen zusammen, im Cafe Puschkin, ich war erst letzte Woche dort im übrigen. Man plaudert, unterhält sich, parliert in Russisch. Natürlich kommen Themen wie Literatur, Musik. Ja was glauben Sie, wir können nicht als exportorientieres Land in der Führungsebene eines Unternehmens auftreten, wenn wir hier nicht mitreden könne. Bildung, auch schöngeistige Bildung, Musik Malerei, sind ein gemeinsamer Bestandteil Europas. Und ich sage es ihnen ganz ehrlich, für Geschäftsabschlüsse nicht gerade schlecht, wenn man ein bisschen was davon versteht.

Mikrofon /     0:17    Text 

Da ist doch etwas gut gegangen – beim Einzelnen. Bildung wurde eingekauft, von ihm, vom Staat, das Ergebnis lässt sich sehen. Das könnte doch eine schöne Verbindung ergeben: die Bildung und der Markt, fragt Lorenz Lassnig, Institut für Höhere Studien.

CD-1 / 4    2:4    OT Lorenz Lassnig

Was wäre, wenn man Bildungswesen organisieren würde, nach Marktwirtschaft. Dass Bildung eine Ware wie jede andere auch. Wohnungen, Brot. Hier gibt es eine wesentliche Unterscheidung: diese Unterscheidung ist mit privaten und sozialen Erträgen verbunden. Hier wird untersucht,  in wie weit durch Bildungsinvestitionen private Erträge erzielt werden, Ertrag gemessen in Einkommen mit bestimmten Bildungsabschluss. Ergebnisse: Rendite in Bildung gleiche Höhe wie bei normalen Kapitalinvestitionen. Aktienfonds kauft – Wenn der Staat investiert, oder wenn der einzelne Bürger investiert. – Das ist unabhängig, Investitionen egal woher sie kommen. Was kann man daraus politisch schließen. Bildungsökonomie hat einen starker Trend, die Hochschulbildung mit hohen Erträgen auf private Investitionen aufbauen soll, wohingegen man die allgemeine Bildung nicht auf privaten Investitionen aufbauen soll, hier soll man nicht nach ökonomischen Erträgen schauen, sondern hier gibt es wesentliche Aspekte, die über den Markt heraus  eine Rolle spielen: sozialer Zusammenhalt, Kinder aus verschiedenen sozialen Schichten gegenseitig kennen lernen, dass man eine gemeinsame Kultur schafft und so weiter.

Mikrofon /     0:40    Text 

Hier gibt also die Ökonomie der Politik die Hand. Dieses Gemeinsame im Staat ist nämlich nicht ganz freiwillig, sagt Lorenz Lassnig. Fehlender sozialer Zusammenhalt kostet der Volkswirtschaft Wirtschaftswachstumspunkte. Damit sind wir weg vom Einzelnen. Jede Investition in die Bildung rechnet sich für das Individuum und für den Staat, und zusätzlich entsteht ein Gruppeneffekt, wenn besondere Bildung vermittelt wird: vernetztes Denken, Teamwork. Das bringt dem Individuum selbst nicht viel, aber dem Staat sehr wohl. Und zwar ebenso viel, wie die Arbeitsleistung selbst, sagt Lorenz Lassnig – Zur Sicht der Wirtschaft nun.

CD-2 / 4    2:11    OT Claus Raidl

Was braucht Böhler-Uddeholm?

Mikrofon /     0:6    Text 

Eine Frage, die Claus Raidl, der Vorstandsvorsitzende von Böhler Uddeholm beantwortet.

CD-1 / 5    1:50    OT Claus Raidl

Wir brauchen gutausgebildete Controller, gut ausgebildete Diplomingenieure, die sowohl in der Forschung einsetzbar sind in Produktion, Vertrieb, Produktentwicklung, wir brauchen gutausgebildete Juristen, wir brauchen gut ausgebildete Marketingleute. Finanzleute, die wissen, wie man Unternehmen billig finanzieren kann, wissen wie Kapitalmarkt funktioniert, die Börse funktioniert. Wenn ich es aus meiner kleinen Sicht von Böhler-Uddeholm sehe, so verlange ich, erwarte ich vom Bildungssystem, dass diese Qualifikationen auf den Bildungseinrichtungen vermittelt werden, Universitäten. Fachhochschulen, berufsbildenden Schulen; HAK, dass dort diese Qualifikationen vermittelt werden, die mir helfen, dass sich Böhler-Uddeholm sich im Wettbewerb besser behauptet. Denn wenn Sie bessere Dipl.Ing. für neue Produkte habe, für Forschungen, Ergebnisse aus Forschung, und Ergebnisse aus der Forschung, wenn Sie bessere Mitarbeiter haben für Finanzierungen, dann werden Sie einen Konkurrenzvorteil haben. Daran gibt es ein doppeltes Interesse, das Interesse des Individuums, man soll doch um Gottes willen einem Jungen Menschen mit 10 oder 12 Jahren durch die Auswahl seiner sekundären Ausbildung den Weg zu einer höheren Bildung versperren, das ist die individuelle Sicht, auch die Sicht der Wirtschaft ist, wir müssen ein Interesse haben, dass die Begabungen der jungen Menschen wirklich alle zur Entfaltung kommen, denn wir können die alle brauchen.

CD-2 / 5    1:22    ******** Mix Große Menschen

Ja, Bildung ist ein großer Begriff, aber was ich schon von klein auf gemerkt hat, meine Eltern, meine Mutter speziell auch, dass wir am Abend Bücher, vorlesen, mag sein, dass es bei anderen Bauern nicht selbstverständlich war — Meine Mutter hat immer gesagt, wir haben nicht so viel Geld, aber alles was ich an Geld habe, investiere ich in Eure Ausbildung. — Schule losgegangen ist, ist sehr gefördert worden, eine kleine Schulbank bekommen, da kann ich Hausübung machen, das ist von meiner Mutter sehr gefördert worden. — Selber schwere Jugend gehabt,. hätte sicher mehr aus mir machen könne, wenn ich ein gescheiteres Elternhaus gehabt hätte, da habe ich gesagt, solche Fehler dürfen nicht passieren, das muss einfach hinhauen — und mein ältester Bruder war ein Jahr in USA als Student, später draufgekommen, Eltern haben Kredit aufgenommen – später als er älter wurde, haben wir ein Terrarium gehabt, heimische Fischarten, Schlangen. Und da musst halt mit dem Kind machen. Ihm hat es gefallen, mir hat es gefallen, das war wirklich was ganz was Schönes.

CD-1 / 6    0:6    OT Gudrun Biffl

Wieviel Bildung lässt man wem zukommen, auf wieviel Bildung hat man Rechtsanspruch?

Mikrofon /     0:5    Text 

Fragt die Arbeitsmarktexpertin Gudrun Biffl vom Wirschaftsforschungsinstitut.

CD-2 / 6    0:58    OT Gudrun Biffl

Da komme ich jetzt von der Arbeitsmarktseite und sage, die Wirtschaft und auch daher die Gesellschaft braucht ein ganz bestimmtes Qualifikationsniveau der Menschen, um bestimmte Produktionsprozesse meistern zu können. Es ist durchaus sinnvoll, in einer Situation, wo ich eine Technologie habe, wo ich eine große Zahl von standardisierten Fähigkeiten brauche, also die Industrialisierungsphase, dass man ein Bildungssystem hat, das genau diese standardisierten Qualifikationen im hohen Maße für den Markt produziert. Wenn sich aber jetzt unser Wirtschaftssystem wegbewegt von diesen Qualifikationsprozessen, über Globalisierung, über die technologische Entwicklung, und wir sind ein reiches Land,  dann müssen wir uns überlegen, dass wir die jungen Menschen in die Qualifikationen hineinbringen, die sie dann brauchen für die nächste wirtschaftliche Entwicklungsstufe. Und da haben wir gewisse Probleme in Österreich.

CD-1 / 7    0:6    OT Hannes Eichsteininger

Es gibt Schüler, die braucht niemand. Das sind gar nicht so wenige.

Mikrofon /     0:5    Text 

Hannes Eichsteininger, Lehrer an der Polytechnischen Schule in Ried im Innkreis.

CD-2 / 7    0:39    OT Hannes Eichsteininger

Es ist ja das Problem in Österreich, dass es den Hilfsarbeiter, der früher an der Maschine gestanden ist und den Hebel umgelegt hat, nicht mehr gibt. Dadurch bleiben die Leute, die in diesem Bereich gearbeitet haben, die bleiben wirklich über. Die werden mitgeschleppt, Arbeitsloseninitiativen. Aber auch diese Unterstützungen laufen aus, wenn 18-19. Und das ist ein ungelöstes Problem, da ist Geld alleine nicht die richtige Lösung. Da können sie die Firmen mit Geld zuscheissen, die werden diese Leute nicht einstallen. Hier haben wir ein Arbeitslosenproletariat, das niemand benötigt.

CD-1 / 8    0:34    OT Gudrun Biffl

Österreich selektioniert. Wir selektionieren so, dass ein relativ großer Anteil an Jugendlichen nicht in Lage versetz wird, außer zu extrem hohen individuellen Kosten, auch Selbstmotivation Externistenmatura, Berufsreifeprüfung neben Erwerb ist nicht so leicht , das heisst es wird eine Gruppe abgesagt, die gar nicht einmal vorgesehen sind für die univistäre Ausbildung.

CD-2 / 8    0:9    OT Ursula Müller

Im allgemeinen kann man es in der 3. Klasse schon sagen, ob es ehr gute Schüler sind, und die gehören in ein Gymnasium, oder ob es eher durchschnittliche Schüler sind oder unterdurchschnittliche.

Mikrofon /     0:4    Text 

Ursula Müller, Volksschuldirektorin in Altheim, Oberösterreich.

CD-1 / 9    1:3    OT Ursula Müller

Da tut sich noch so viel, es gibt natürlich die Kinder, bei denen man es vom 1. Schultag an sieht, die so kompetent sind. Bei uns am Land hängt es noch stärker vom Familienhintergrund ab, weil für die Kinder die Belastung des Fahrens dazukommen, wenn sie nach Braunau oder Ried fahren müssen, sie 16 und 20 km Bus fahren, das ist für 10-jährige nicht unbedingt lustig, schon manchmal, erste Tragödien im Bus ab, es gibt auch diese Kinder, es ist eine Belastung. Wenn die Eltern selbst ins Gymnasium gegangen sind, und viel davon halten, werden sie die Kinder entsprechend persönlich stärken, dass diese Belastung aushalten, wenn die Eltern sagen, wir sind in die HS gegangen, es ist aus uns etwas worden, diese Belastung tuen wir unseren Kindern nicht an, dann ist natürlich der Weg in die Hauptschule gezeichnet, wenn es sich um sehr gute Schüler handelt.

CD-1 / 9    1:11    OT Gudrun Biffl

Vererbung des Bildungsniveaus heißt, dass die Kinder das selbe Ausbildungsniveau haben wie die Eltern. Das sind in Österreich 52% der Schüler. Das heißt, wir selektionieren. Normalerweise sagen wir immer, unser Bildungssystem selektioniert nach Fähigkeiten und Begabungen. Ganz eigenartig, weil man im Endeffekt nicht danach selektioniert, sondern nach dem sozialen Status. Wenn man wirklich nach Fähigkeiten und Begabungen selektionieren wollte, muss man diesen gesamten sozialen Krimskrams entfernen, welches Potenzial hat dieses Kind, das muss man fördern, herausfinden, in welchem Maß kann das das Schulsystem machen, im welchen Maße das Elternhaus. Bei uns kommt die Förderung in hohem Maße  aus dem Elternhaus. Daher haben es Kinder aus einem bourgeoisen Hintergrund es nun mal leichter, sich in diesem Bildungssystem zurechtzufinden, als Kinder die aus bildungsfernen Schichten kommen. Da können die Eltern einfach nicht den Beitrag leisten, und in Folge dessen fallen ihre Kinder automatisch zurück, weil das Schulsystem ihnen nicht diese Förderung angedeihen lässt, die diese Kinder bräuchten. Und das ist der Unterschied zu den nordischen Ländern.

Mikrofon /     0:5    Text 

Sagt die Arbeitsmarktspezialistin Gudrun Biffl vom Wirtschaftsforschungsinstitut.

CD-1 / 10    1:18    ******** Mix Abendschüler

Als ich mit meinen Eltern in dieser Zeit diskutiert habe, wo ich nicht wußte, was ich machen soll, war mein Papa verständnisvoll, er hat gesagt, mach irgendwas, mach weiter, überleg dir was anderes meine Mama war stressig, sonst verlierst wieder ein Jahr. Und die Mischung aus beiden hat dazu geführt, dass ich es selber verstanden habe — Im Gymnasium habe ich es versabelt, weil ich zu faul dazu war, und jetzt kann ich es, cih weiß, dass ich es kann, und das will ich mir beweisen. — Und jetzt denke ich mir, das ist ja wirklich interessant was ist da wirklich passiert, lerne es anders als mit den Augen und Kopf als mit 16, nehm auch mehr mit, es zahlt sich auf jeden Fall aus, mit 20 die Abendschule zu machen als mit 18 die Matura. — Bildung ist persönlich, will niemand was beweisen, mache Matura, weil ich Bandbreite des Wissens haben will, wenn man in einer Gesprächsrunde ist, und es geht um das und das, du hast eine Ahnung, worums geht, man muss zwar nicht mitreden können, aber ich verstehe, worums geht.

Mikrofon /     0:36    Text 

Ein staatlich geplanter Bildungsweg, der es allen recht macht, ist schwierig. Die Startpunkte sind verschieden, die Wege verlaufen unterschiedlich, und die Ziele sind anders. Effizienz in diesem Zusammenhang bedeutet normalerweise, nicht den Lehrer schneller reden zu lassen, oder die Stunden zu kürzen oder zu verlängern, sondern ganz grundlegend den Storch aus den Startpunkten der Ausbildung zurückzudrängen, die Streuung in den Ergebnissen nicht allzu groß werden zu lassen, und auch durchaus darüber zu wachen, dass nicht einige zu effizient ihren Bildungsweg durchziehen.

CD-2 / 10    0:5    OT Walter Kiessling

Zu einem entscheidenden Kriterium bei der Beurteilung von Bildungssystemen ist der Output geworden.

CD-2 /     0:17    Text 

Stellt der Bildungswissenschaftler Walter Kiessling fest. Er hat nicht immer Zeit, den Studenten ein Feedback zu geben, wie viel Zeit sie sich für ihre Seminararbeiten nehmen zu müssen, wie sie vom Copy und Paste, wie sie vom Plagiatsverhalten wegkommen können.

CD-1 / 11    0:26    OT Walter Kiessling

Zunehmend mehr Studierende ich sage jetzt einmal auch als Reaktion auf das gesellschaftliche Klima vermeiden Lernprozesse, die risikoreich sind. Wo nicht ganz klar ist, da ist der Anfang und hier ist das Ende, und dazwischen kann mir nichts passieren, da geht ein Schritt nach dem anderen und es gibt noch klare Zwischenetappen, sondern dass es sein kann, dass ich scheitere, zurück zum Start muss, aber zum Schluss kommt vielleicht etwas Neues heraus.

CD-2 / 11    0:38    OT Claus Raidl

Wir brauchen auf jeder Ebene eine Basis, die mindestens im obersten Drittel, bei diversen EU-Rankings ist. Es braucht aber jede Gesellschaft, und ich weiß, dass das vor einigen Jahren nicht möglich war zu sprechen, durch falsch verstandene Gleichheitsgrundsätze, es braucht jede Gesellschaft eine Elitenausbildung. Wichtig ist nur, dass sie jedem zugänglich ist, nicht an Geburt und Stand geknüpft ist, oder an irgend so was geknüpft ist.

CD-1 / 12    0:5    ATMO Kindergarten

(darüber nach kurzer Zeit folgender Text)

Mikrofon /     0:10    Text 

Die Kinder im Montessori Kinderhaus in Wien wachsen in zwei Sprachen auf, das kosten den Eltern pro Nase und Monat 350 Euro pro Monat. Es zahlt sich aus…

CD-2 / 12    0:36    OT Lorenz Lassnig

Weil hier gibt es nach den neueren Ergebnissen der Bildungsökonomie relativ klare Aussagen, dass die Investitionen im ganz frühen Alter noch vor der Volksschule, am besten verwerten, die höchsten ökonomischen Erträge bringen. Wenn in diesem Alter eine gute Basis geschaffen wird, die Kinder die besten Möglichkeiten haben, von höherer Bildung und so weiter und von Hochschulbildung zu profitieren.

CD-1 / 13    0:48    OT Gudrun Biffl

Man muss so was wie Schlüsselqualifikationen in den Bildungssystemen anbieten, umfassende Ausbildungen, nicht notwendigerweise Spezialisierungen. Wir sind häufig auf dem Spezialisierungstrip. Du brauchst eine relative Breite der Ausbildung, um dann auch Berufsswitching betreiben können. Viele Berufe im Informations- und Kommunikationsbereich, Bereiche wo das Wissen nicht aufbauen ist, wo sprunghaft etwas anders gebraucht wird, man muss über die Fähigkeit zu verfügen, etwas anders anzufangen, nicht ganz unten. Das ist auf allen Bildungsebenen, fängt mit der Vorschule an, Volksschule bis hinauf ins universitäre System.

Mikrofon /     0:3    Text 

Sagt Gudrun Biffl zu den Maßnahmen. Kurt Scholz: 

CD-2 / 13    0:59    OT Kurt Scholz

Wir brauchen ein Schulwesen, das sich seine soziale Selektivität eingesteht, und nach diesen Bewusstsein, dass das Schulwesen starken stärker macht und schwachen fast nicht hilft müssten eine Fülle von organisatorischen Maßnahmen, finanzielle Maßnahmen, Maßnahmen die den Übertritt ins höhere Schulwesen erleichtern. Aber es muss immer ergänzt werden durch den Appell an den Einzelnen. Du musst wollen, du musst auch gegen Hindernisse höhere Bildung erreichen. Ich sehe derzeit in Österreich leider Gottes wenig Entwicklung in diese Richtung. Der Appell an die Opferbereitschaft ist nicht sonderlich populär und der Glauben an die Sozialmechanik,  ich führe jetzt die Gesamtschule ein, und dann bricht das Paradies der Gerechtigkeit und der Gleichheit an, der ist in meinen Augen übergroß.

Mikrofon /     0:13    Text 

Womit wir wieder Zuhause wären, in den eigenen vier Wänden. Wir erinnern und an die Rendite. Sie ist wie bei jeder Vorsorge dort am größten, wo am frühesten begonnen wird. Wir sind bei den Maßnahmen.

CD-1 / 14    0:52    OT Gudrun Biffl

Ich habe immer wieder versucht, über Au Pair aus dem englisch- oder französischsprachigen Raum kommen, nicht nur die Sprache, sondern auch die Kultur hereinzubringen. Sie haben nicht nur die Sprache gesprochen, sondern auch die Küche hereingebracht, sie haben Lieder gesungen. Sie sind unterschiedlich Probleme angegangen. Das heißt die Kinder sind multikulturell aufgewachsen, das hat sie in die Lage versetzt, so weiterzuarbeiten. man macht nicht irgend einen Tourismusurlaub, sondern man geht längere Zeit wohin, arbeiteten dort , machten bei Sozialprojekt mit. Kriegen mit, Menschen in verschiedenen sozialen Situationen. All das ist unglaublich wichtig, dass man sich in einer komplexen Welt zurecht findet.

CD-2 / 14    2:22    OT Kurt Scholz

An der Spitzte stünden bei mir nicht die Budgetzahlen, sondern etwas ganz altmodisches , sondern lachende Kinder, oder das Glück der Kinder. Das wäre etwas, wo ich sagen würde, das wäre ein Ziel des Schulwesens, dem ich alles andere unterordnen würde. Wenn ich einmal fröhliche, lachende, optimistische Kinder habe, Kinder mit Zuversicht, die ich nur habe, wenn ich Lehrer habe, die Zuversicht in ihrem Beruf haben, dann würde ich sagen, was sind diese Inhalte, die diese Menschen in der Schule besprechen werden. Da gibt es eine breite Diskussion, welche Bildungsinhalte wir im Schulwesen haben. Und wenn ich einerseits das Menschenbild vor mir habe, nach dem ich erziehen will, und die Inhalte des Bildungswesens, müsste man fragen, mit welchem Kosteneinsatz erziele ich das. Die ökonomische Frage an erster Stelle zu stellen, ist meines Erachtens eine Sünde wider dem Geist des Bildungswesens. — Das nächste, wahrscheinlich investieren in Eltern, Vater- Kind Erlebnisse. Das Veschwinden der Väter aus der Erziehung ist die größte Tragödie der modernen Bildung. Es gehen hier so viele Rollenvorbilder verloren, dass den Kindern wirklich im Bildungsgang etwas wesentliches abgeht. Den Buben wie den Mädchen. — Würde ich Millionen gewinnen, eine Schule zu gründen. Keine exklusive Privatschule, eine relativ normale Schule, mit einer Beindung. Dass die Lehrerinnen und Lehrer dort handverlesen sind. Den dieser Faktor Mensch ist für mich mehr und mehr der entscheidende. Ich glaube nicht mehr an die Lehrplanreform mit Papier Schere und Kleister, wo irgendetwas modernistisches hineingeschrieben wird. Man sollte Lehrer wie die antiken Philosophen mit der Lampe in der Hand suchen und die besten können dann – fast egal wie der Lehrplan ausschaut – dann auch mit den Kindern etwas erreichen. 

Mikrofon /     0:18    Text 

Hier stößt die Bildungsökonomie an ihre Grenzen. Effizienz und Emotion. Wie misst man Emotion? In der bildungspolitischen Diskussion wird damit gerne gespielt. Insgesamt fehlen der Bildungsökonomie immer wieder diese Daten, sagt Lorenz Lassnig vom Institut für höhere Studien.

CD-1 / 15    0:35    OT Lorenz Lassnig

Ich glaube nicht, dass Katastrophenstimmung angesagt ist. Meine Sicht ist die, das ist vielleicht nicht so wissenschaftlich begründbar, dass man nicht gut Bescheid weiß darüber. Wenn man hohe Anforderungen stellt und nicht gut bescheid weiß, dann entsteht Unsicherheit und politischer Hickhack, und gleichzeitig gibt es feste Interessenspositionen, die man aus meiner Sicht auch angreifen sollte, und dann entsteht eben die Situation die wir haben.

CD-2 / 15    1:18    ******** Mix Abendschüler

Mir war es ganz wichtig, dass ich Matura mache, ich habe schon beim Schulabbruch gesagt, ich werde diese Matura nachholen. Ich sehe es nicht als verlorene Zeit an — verloren deshalb nicht, weil es in der Zeit, wo Schule nicht gut gelaufen ist, ich in eine andere Richtung entwickelt habe, Musik. — Ausgewogenheit im Leben, das man Bildung hat, dass ich meine Grenzen kenne, da her und nicht weiter, dann kann ich mit mir zufrieden sein und beeinflusse nicht meine Umwelt durch schlechte Einflüsse, grantig sein. — Der Plan bis jetzt funktioniert es super, weil man am Vormittag arbeitet, ich arbeite 8-14 Uhr, dann esse, und dann am Abend wieder in die Schule gehe, es ist hart, aber es schaut gut aus.

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70. Katalog des Lebens

70. Katalog des Lebens

Zum 300. Geburtstag von Carl von Linné: Der schwedische Naturwissenschaftler Carl von Linné war leitender Gärtner des Botanischen Gartens von Uppsala. 1745 legte er eine Blumenuhr an, die mit dem zeitlich unterschiedlichen Aufblühen von Blumen im Laufe des Tages die Uhrzeit anzeigte. Wirklich bekannt und berühmt wurde Carl von Linné jedoch durch sein Bemühen, die Arten der Natur zu sortieren und zu katalogisieren. Er entwickelte eine Taxonomie von Tieren und Pflanzen, die mit ihren lateinischen Doppelnamen auch heute noch als „Katalog des Lebens“ von all jenen verwendet wird, die sich praxisbezogen mit Lebewesen beschäftigen. Wissenschaftlich entwickeln sich vor dem Hintergrund genetischer Untersuchungsmethoden die Konzepte der Unterscheidung von Arten nun in eine völlig andere Richtung. Künftige Taxonomien aufgrund von DNA-Basensequenzen scheinen jedoch den praxisbezogenen Zweck des Umgangs mit Arten und Artkonzepten nicht zu erfüllen. Die Sendung beantwortet die Frage, wie Carl von Linné die Taxonomie der Natur entwickelt hat, und in welcher Weise sie heute noch notwendig und zeitgemäß ist.

CARL VON LINNÉ – 300. GEBURTSTAG

MANUSKRIPT DIMENSIONEN

LOTHAR BODINGBAUER

23. Mai 2007

DIGAS    Zitat Carl von Linné

Worte können die Freude nicht beschreiben, die nach dem Winter durch die Sonne allem Leben gebracht wird. Der Birkhahn und der Auerhahn beginnen ausgelassen zu sein, der Fisch sich immer schneller zu bewegen. Jedes Tier fühlt einen sexuellen Drang. - Ja, Liebe kommt sogar zu den Pflanzen. Männliche und weibliche, sogar die Hermaphroditen halten ihre Hochzeit – das ist das Thema, das ich hier diskutieren werde – sie alle zeigen ihre sexuellen Organe. 

Wenn das Blüten-Bett gemacht ist, dann ist es Zeit für den Bräutigam, seine geliebte Braut zu umarmen und sich ihrer hinzugeben.

DIGAS    Sprecher 

Der Katalog des Lebens

CD 1/1    0:15    OT Deutsch Marietta Manktelow-Steiner

Im 19. Jahrhundert er war wie ein Heiliger. Er machte keine Fehler, er war phantastisch. Er war unser König, unser schwedischer Blumenkönig. Er war sehr freundlich zu den Leuten. Aber er hatte auch seine schwarzen Stunden...

DIGAS    Sprecher 

Zum 300. Geburtstag des schwedischen Naturforschers Carl von Linné

CD 1/2    0:21    OT Deutsch Marietta Manktelow-Steiner

Wir systematisieren unsere Häuser, und was wir haben. Es ist eine Arbeit, das ist natürlich. Denn das menschliche Gehirn muss mit Systematik arbeiten. Und dann hat man einige Leute, die sind supergut auf systematisieren, und sie können große Systematik machen, und Linné war einer von diesen Menschen.

DIGAS    Sprecher 

Eine Sendung von Lothar Bodingbauer.

CD 1/3    0:24    OT Deutsch Marietta Manktelow-Steiner

Also Linné war ja ein sehr großer Wissenschaftler. Linné hatte eine große Bedeutung für Sprechen von der Natur. Er konnte die Natur beschreiben in solcher Sprache, dass Leute heute das lesen können, und spüren, dass er fühlte, wie wir fühlen von der Natur.

Mikro    Text 

Mariette Manktelow-Steiner ist eine der direkten Nachfolger von Carl von Linné. Sie hat in Wien Botanik studiert, und arbeitet heute an der Universität Uppsala, dem Cambridge des Nordens, ein wissenschaftliches Zentrum für Medizin und die angrenzenden Naturwissenschaften. Linné verbrachte dort die größte Zeit seines Lebens. 10 km außerhalb der Kleinstadt erwarb er ein Sommerhaus, um den schädlichen Einflüssen des Stadtlebens zu entgehen – und Botanik zu betreiben, in seinen Rabatten – den Beeten, die er anlegte und deren Inhalte er sorgsam beschriftete. 

Heute befinden sich in jedem Botanischen Garten der Welt unzählige Pflanzen, die im Namensschild ein „L“ führen. Dieses „L“ steht für Linné. Man kann daran erkennen, dass Carl von Linné diese Pflanze als erster wissenschaftlich beschrieben hat.

Geboren wurde Carl von Linné vor genau 300 Jahren in Südschweden, am 23. Mai 1707, gerade als Isaac Newton in England starb und Exkursionen von Forschern rund um die Welt im vollen Gang sind. Die Fundstücke der belebten Natur werden zurück an die Universitäten und Akademien gebracht, in Kisten und Säcken, in Skizzen und Reistagebüchern. Diese Funde brauchen einen Namen. Sie müssen geordnet werden. Linné sortierte die heimische Natur und die fremde. - Von der Hausmaus bis zur Kiefer. Fast die gesamte europäische Flora und große Teile der Fauna wurde von ihm beschrieben. 

Linné beendete das damalige Namenschaos, in dem er 18.000 europäische Pflanzennamen auf nur etwa 3.000 reduzierte und ein System für die Vergabe entwickelte. Die zwanzig oder mehr verschiedene Bezeichnungen für den Feldhasen ersetzte er durch: Lepus europaeus - der europäische Hase; und - revolutionär für diese Zeit: Linné ordnete den wissenden Mensch, den Homo Sapiens, in das Reich der Tiere ein, und nicht als Bindeglied der irdischen Schöpfung zu den Engeln. Alles, sagte er dennoch, alles sei Teil eines göttlichen Plans, jedes Stück der Natur ist Teil einer Ordnung, die es zu finden gilt.

CD 1/4    0:36    OT Deutsch Marietta Manktelow-Steiner

Er war nicht ein Prozessmensch, er war nicht ein Prozessforscher. Er war ein Systematiker und damit möchte er alles sortieren und das ist typisch für einen Musterforscher, wenn man so sagen kann. Also Systematiker in dieser Welt sie machen eine große Arbeit, um alle Dinge zu sortieren. Und das ist ja sehr notwendig für all die anderen Forscher, die mit den Prozessen, zum Beispiel evolutionäre Prozesse arbeiten möchten. Das muss man auch einen Baum des Lebens haben.

Mikro    Text 

Mariette Manktelow-Steiner organisiert im Linné-Jubiläumsjahr 2007 die wissenschaftlichen Anteile der Feierlichkeiten in Uppsala. Mit Linné teilt sie den Beginn des Wegs der Interessen.

CD 1/5    0:48    OT Deutsch Marietta Manktelow-Steiner

Als ich 14 Jahre alt war, es war so gut, Pflanzen zu sammeln und pressen und so. Mein Vater schaute mich in der Flora, da war ein Schlüssel. Man konnte die Arten finden durch diesen Schlüssel. Das war vollkommen faszinierend für mich. Ich konnte das nicht ändern ich muss immer diesen Schüssel verwenden ich wollte immer alle Arten lernen, und darum bekam ich ein Botaniker und ich glaube ich bin ein Systematiker, ein Systematiker vom Anfang. Also ich habe ein Systematikergehirn und jetzt systematisiere ich nicht Pflanzen, sondern diese Projekt von Linné Jubiläum das ist dieselbe Arbeit aber mit anderen Dinge zu sortieren.

Mikro    Text 

Ein Systematiker versucht, unterschiedliche Dinge oder auch Vorstellungen, abstrakt oder konkret, in eine Ordnung zu bringen. Er gruppiert sie nach Eigenschaften, die er selbst festlegt oder für wichtig hält, oder nach Regeln, die von der Wissenschaftsgemeinde entwickelt und für wichtig gehalten werden.

Linné schuf 24 Klassen von Pflanzen, in die er jede einzelne einordnete. Das Kriterium dafür ist bestechend einfach und für jedermann zugänglich: die Anzahl und Anordnung der Staubfäden und Stempeln in den Blüten, die männlichen und weiblichen Geschlechtsorgane. Karin Martinsson ist ebenfalls Botanikerin an der Universität Uppsala.

CD 1/6    1:6    OT Englisch / Weiblich Karin Martinsson

Das wurde vor ihm nicht gemacht, und es gab nun eine neue, praktische Methode. Es ist sehr einfach, die Staubblätter und die Stempel zu zählen, und dann die Art in eine der 24 Klassen des Sexualsystems zuzuordnen.

Wir haben hier eine Fuchsia. Und wenn wir da die Staubblätter zählen, da haben wir... – [warten bis engl. „8“ genannt wird“] 8 Staubblätter. Die Fuchsia gehört also in die Klasse Octandria - mit 8 Staubblättern und einem Stempel. 

Linneus selbst erkannte, dass das kein natürliches System ist. Diese Klassen reflektieren nicht, wie die Arten verwandt sind. Aber es ist ein sehr praktisches System, und es machte möglich, all die neuen Arten zu klassifizieren, die aus der ganzen Welt nach Europa gekommen sind, als Ergebnisse der wissenschaftlichen Exkursionen.

Mikro    Text 

In der Folge entstand die Wissenschaft der klassischen Taxonomie, die sich bis heute erhalten hat. Die Lebewesen - nicht nur die Pflanzen - werden in Gruppen sortiert, die einem hierarchisch geordneten Kategoriensystem zugeordnet werden. Je weiter oben in der Hierarchie, desto abstrakter. Die unterste Stufe bildet die konkrete Art. Zum Beispiel: das Buschwindröschen. Darüber: Die Gattung - Windröschen, aus der Familie der Hahnenfußgewächse, die zur Abteilung der Bedecktsamer gehört, aus der Überabteilung Samenpflanzen, dem Unterreich der Gefäßpflanzen und - ganz oben in der Hierarchie - dem Reich der Pflanzen. 

((Nächster Cut starten, beginnt mit Atmo))

Lenna Hansen ist leitende Gärtnerin in Linnés früherem eigenen kleinen botanischen Garten, mitten in Uppsala.

CD 1/7    1:26    OT Englisch / Weiblich Lena Hansson

Das ist ein kleiner Unterstand, wo wir die Schilder während dem Winter aufbewahren. Diese Schilder sind aus Schiefer, und wir haben eine kleine Malerei auf der Vorderseite, und dann die Linné’schen Namen. Einen neuen Namen, wenn es ihn gibt, stellen wir danach in Klammer. Dann das Gebiet, wo die Pflanze vorkommt, dann eine lateinische und eine arabische Zahl, das ist die Klasse und Ordnung im Sexualsystem. So weiß man gleich, in welchem Gebiet man hier im Garten nach der Pflanze suchen soll. Und dann kommt noch der schwedischen Namen - wenn es einen gibt. Alle kennen wir gar nicht mehr, die es damals gab, denn sie haben sich in ganz Schweden sehr unterschieden.

Mikro    Text 

Linnés Hauptwerk, die „Systaema Naturae“, veröffentlichte er 1735 in der holländischen Universitätsstadt Harderwijk, wo er mit seinen aus Schweden mitgebrachten Arbeiten das Doktordiplom der Medizin erwarb. Er hatte kein Geld mehr, doch ein Gönner, der Botaniker Jan Frederik Gronovius finanzierte das Werk, das in seiner ersten Auflage nur 10 Folioseiten enthielt, während die 13. Auflage, 35 Jahre später, schon aus mehr als 3.000 Seiten bestand. 

Der eigentliche Beginn des linnéschen Namenssystem ist 1753 mit seinem Buch: „Species planetarum“ anzusetzen, in dem er alle bekannten Arten des Pflanzenreiches publizierte, und drei Jahre später, in der zehnten Auflage der „Systema Naturae“ veröffentlichte er auch die Namen aller ihm bekannten Tiere.

Vor dieser Zeit wurden die Arten durch eine Aufzählung ihrer Eigenschaften benannt. Zum Beispiel hieß das Buschwindröschen: „Anemone seminibus acutis foliolis incisis caule unifloro“, und das bedeutet: Anemone mit spitz zulaufenden Samen, eingeschnittenen Blättern und einblütigem Stiel. 

Der neue Name hebt die Unterschiede hervor: Anemone nemorosa, die Anemone des Waldes, im Gegensatz etwa zur Anemone Alpina. Die - ja, und jetzt sind wir bei einem Problem, die Alpen-Kuhschelle. Die „Anemone alpina“ wird nämlich heute nicht mehr den Anemonen, sondern der Gattung der Kuhschellen zugeordnet: Pusaltilla alpina heißt sie heute. Der alte Name: Anemone alpina ist als Synonym geblieben. 

Das System, so schrieb Linné, sollte so einfach sein, dass eine Art ohne die Hilfe eines Lehrers identifiziert werden kann. Und gerade deshalb wird es heute weltweit verwendet, von allen, die praktisch mit Tieren und Pflanzen arbeiten, handeln und forschen. Zum Beispiel auch Matz Hjertson, Evolutionsbiologe in Uppsala.

CD 1/8    0:25    OT Englisch / Männlich Matz Hjertson

Das ist einer der Räume in unserem neuen Gebäude, mit extra Security und Klimakontrolle. Dieses Material wurde von Linneus hier in Uppsala verwendet. – Ich ziehe jetzt meine Handschuhe an, um Ihnen etwas zu zeigen. – Das ist das Stück Pflanze, das ist die Grundlage für den Namen.

Mikro    Text 

Welche Überraschung. In diesem Hochsicherheitsraum in Uppsala befindet sich unter vielen anderen gepressten Pflanzen auch DAS Buschwindröschen aus unserem vorigen Beispiel, die Naemone Nemorosa. Ähnlich dem Pariser Urmeter für die Physik - ist dieses eine Exemplar die Referenzpflanze für die Beschreibung und den Namen der Art.

Linné war sich der Bedeutung dieser Typus-Expemplare für die Forschung noch nicht bewusst. Wenn er ein besseres Exemplar bekam, tauschte er es einfach aus. Das konnte in der Folge zu Problemen führen: zur Vermischung von Arten, besonders von „schwierigen“ Arten.

CD 1/9    0:40    OT Englisch / Männlich Matz Hjertson

Bei vielen Pflanzen, die heute von Forschern untersucht werden, müssen sie zunächst einmal wissen, womit sie es grundsätzlich zu tun haben. Sie beginnen mit einer Art, die sie aufgrund ihres Aussehens festlegen, genau so wie Linné es getan hat. Aber manchmal stellt sich heraus, dass diese Art, auf diese Weise morphologisch beschrieben, „nicht hält“. Es gibt sehr ähnlich aussehende Arten, die jedoch eine unterschiedliche genetische Basis haben. 

Jeder hier in Europa kennt zum Beispiel einen Apfel. Es gibt aber verschiedene Kulturarten. Und wenn man auf die genetische Kodierung schaut, kann man auf hunderte, wenn nicht auf 1000e Varietäten stoßen.

Mikro    Text 

Die heutige Taxonomie hat die Linnésche Taxonomie weiterentwickelt und verfeinert, sie versucht die Arten nach inneren Kriterien zu verbinden, nicht nach der bloßen äußeren Erscheinungsform. Sie arbeitet mit DNA-Analyse, Computermethoden, Matrizen und Wahrscheinlichkeiten.

Eine völlig neue Taxonomie - der so genannte Phylocode, ein Strichcode des Lebens auf DNA-Basis, kommt derzeit über seine Kinderschuhe nicht hinaus. Nicht zuletzt durch seinen Ansatz, für alle Arten völlig neue Namen zu vergeben. Und die klassische Taxonomie nach Linné hat einen Vorteil: sie gilt als äußerst stabil, denn wissenschaftliche Ansichten über Verwandtschaftsverhältnisse können sich weitaus schneller wandeln, als die äußere Erscheinungsformen,die Kriterien nach denen die Arten ursprünglich geordnet wurden. 

Allen Methoden gemein ist, dass sie DEN Baum des Lebens zeichnen wollen. Ist er denn wirklich ein Baum?

CD 1/10    0:36    OT Englisch / Männlich Matz Hjertson

Das ist wahrscheinlich nicht der Fall. Wenn man bei den Mikroben schaut, bei Bakterien und ähnlichen Lebewesen, dann gibt es einen kontinuierlichen Gen-Transfer zwischen verschiedenen Arten, wir haben Virusse, die Gen-Sequenzen übertragen, gleichsam über den ganzen Platz. Es sieht auch danach aus, dass horizontaler Gen-Transfer zwischen Pflanzenarten öfter vorkommt, als bisher gedacht. 

Statt einem verzweigenden Baum des Lebens müssen wir heute mehr immer von einem Netz sprechen, zumindest in bestimmten Gebieten.

CD 1/11    0:23    OT Deutsch Marietta Manktelow-Steiner

Die Klassifizierung der Organismen wird verändert jede Minute, jede Stunde, während wir hier sitzen und reden, so forscht jemand in der Welt ein Forscher, ein Forscher korrigiert, ein kleinen Zweig auf dem Baum des Lebens. Jede Stunde verändert sich diese Klassifikation.

Mikro    Text 

Was wäre ein Botaniker ohne botanischen Garten, klagte Linné dem schwedischen König, und erhielt daraufhin und aufgrund seiner bisher gebrachten wissenschaftlichen Leistungen unterhalb des Schlosses von Uppsala ein Gelände, das noch der heutigen Universität als botanischer Garten dient. Eric Århammer betreut als leitender Gärtner das Linneanum, die Orangerie.

CD 1/13    0:45    OT Deutsch Erik Århammer

Wir gehen jetzt hinaus in die Orangerie, wo hier die Mittelmeergewächse stehen, zu den vier Lorbeerbäumen von Carl von Linné, die er als Stecklinge bekommen hat. Das sind große alte knorrige Bäume, hier sind wir beim ersten schon angelangt. Vom Alter geprägt, rissige knorrige Rinde, 6m hohe Lorbeerbäume, 270 Jahre alt ungefähr, 4 Stück. Hier steht dann Laurus Nobilis, das ist der lateinische Gattungs- und Artname, dahinter solle dann ein L stehen, weil Carl von Linné hat diesen Baum wissenschaftlich beschrieben.

Mikro    Text 

Wie die meisten Botaniker war Linné ein guter Beobachter und Beschreiber der Verhältnisse. Er schrieb wertfrei, präzise, auf Schwedisch und damit für alle verständlich. Legendär sind seine Berichte über eine ausgedehnte Lapplandexkursion, die er schon als 25-jähriger unter großen Strapazen unternahm.

CD 1/14    0:29    OT Deutsch Erik Århammer

Da hat er alles aufgeschrieben, was ihn an Neuigkeiten zukommen konnte, wie auch die Sitten und Gebräuche der Ortsbevölkerung und das Wetter und die Landschaft und die verschiedenen Gebrauchsgegenstände. Er hat alles beschrieben. Das ist unglaublich informativ gewesen und ist es heute noch, das ist sehr interessant zu lesen.

DIGAS    Zitat Carl von Linné

Sogar die lahmste Kuh, die unter normalen Umständen kaum in der Lage wäre, zu gehen, rennt wie ein Rentier durch die Felder. Ihre Schwänze auf und ab, sie laufen und springen, bis sie schließlich zu einer Wasserstelle kommen, wo sie halten, wie eine Rast auf der Flucht vor einem Feind. Ich haste herbei, um zu sehen, was sie da mit einer Kraft größer als die einer Peitsche oder der Tod selbst gejagt hat, und finde etwas, dem ich selbst schon begegnet bin: Oesturs Bovi. Diese Bremsen attackieren nicht den Körper, sondern die Füße, zwischen den größeren und den kleineren Hufen der Tiere. Das Insekt fliegt keine zwei oder drei Spannen über den Boden, meistens nur auf halber Höhe. Das Vieh rennt, bis es Wasser findet, worin es stehen kann, bis die Bremsen sie nicht mehr belagern.

Mikro    Text 

Linneus wissenschaftlichen Exkursionen innerhalb Schwedens waren von seinen Auftraggebern - der Universität oder der Krone - auch dazu gedacht, neue Möglichkeiten für Anpflanzungen zu finden, für Arten, die bisher teuer importiert werden mussten. 

Er forderte, nachhaltig mit den Wäldern umzugehen, und immer mehr wandelte er sich von der Beschreibung des Zustands zur Vorstellung des Faktors „Zeit“. Erst spät entwickelte er eine Vorstellung von „Evolution“. Olof Jacobson, Leiter der schwedischen Linné-Gesellschaft:

CD 1/15    1:39    OT Englisch / Männlich Olof Jacobson

Als er begann, dachte er, dass alles bereits erschaffen war, und alle Arten bereits fertig. Aber bevor er starb, war er überzeugt, dass eine Art von Evolution vor sich geht. Er konnte es nicht benennen, wie. Aber er war überzeugt, dass „etwas“ von sich geht. Was das Alter des Planeten betrifft, war er überzeugt, dass er viel älter ist, als was man bisher gedacht hat, wenn man das Alter nur von der Bibel übersetzt. -- Er bestieg einmal den Berg Chinekola (sprich: „chine-kolä“) , einen Berg mit vielen Schichten, und er war wie immer sehr sorgfältig, die verschiedenen Schichten zu beschreiben. Als er das getan hat, sagte er, es wäre dumm zu denken, dass die Steine über den anderen Schichten zur selben Zeit erschaffen worden sind, als die anderen. Wir sehen eine immense Anzahl von Jahren vorbei streichen. Wir hatten ein Meer hier einmal, es waren Tiere darin, die haben wir heute nicht mehr, sie sind aber in dieser Schicht. Darüber sieht man viel Sand, da war ein Fluss mit Sandschichten. Darüber gibt es wieder andere Schichten, wo es viele Pflanzen gibt. Und was man über all diese Schichten herausfinden kann, ist, dass die Kreation der Erde ein Produkt der Zeit ist.

DIGAS    Zitat Carl von Linné

Mir wird schwindlig, wenn ich auf diesen Höhen stehe und hinunterschaue durch die Zeitalter und sehe, wie Klangwellen gleich, die fast verloschenen Spuren einer früheren Zeit, die heute nur noch flüstern kann, und alles andere von damals ist bereits still. 

Mikro    Text 

Neben seinen naturgeschichtlichen Lehrbüchern verfasste Linné unzählige Manuskripte und Briefe, die derzeit von der Schwedischen Linnégesellschaft klassifiziert, systematisiert und als Faximile mit englischer Zusammenfassung im Internet veröffentlicht werden.

CD 1/16    0:29    OT Englisch / Männlich Olof Jacobson

Er hatte ein großes Korrespondentennetz. Linné hatte mehr als 400 Korrespondenten außerhalb von Schweden. Das ist wirklich ein Netzwerk. Wenige Wissenschaftler heute haben ein lebendes Netzwerk einer derartigen Größe, und er benützte es, um an Informationen heranzukommen, und um Informationen herzugeben, über die Naturwissenschaften.

Mikro    Text 

Schon als Medizinstudent im 2. Jahr hielt Carl von Linné Vorlesungen über Botanik. Er präsentierte Naturgeschichte als etwas Neues. Seine Exkursionen, Herbationes genannt, sind heute legendär. Die Studenten erhielten Aufgaben: einige hatten zu schreiben, andere zu zeichnen, einer holte mit einer Flinte die Vögel vom Himmel - Ferngläser gab es noch nicht, um sie genau zu beschreiben. Alle andern botanisierten und scharten sich - manchmal zu hundert bis zweihundert - um ihn. 23 seiner Studenten wurden selbst Professoren.

DIGAS    Zitat Carl von Linné

Niemand vor ihm, hat seine Studien mit größer Begeisterung verfolgt und niemand hatte mehr Hörer, niemand vor ihm machte mehr Beobachtungen im Bereich der Naturgeschichte, hatte eine größere Einsicht in die drei Reiche der Natur, niemand vor ihm war ein größerer Botaniker oder Zoologe, und hat die Flora, Fauna und Topographie seines Landes besser beschrieben als er. Niemand schrieb mehr Bücher, schrieb sie richtiger, methodischer, niemand hat die ganze Wissenschaft so sehr verändert und eine neue Zeit eingeleitet. Niemand schickte seine Wissenschaft in so viele Teile der Welt, schrieb seinen Namen auf mehr Pflanzen und Insekten, und tatsächlich – auf die ganze Natur, und niemand listete so viele Lebewesen auf, wurde Mitglied so vieler wissenschaftlicher Gesellschaften, und niemand ...

... wurde berühmter, als er.

Mikro    Text 

Wer hier über Linné schreibt, ist Linné selbst. Es war Stil seiner Zeit, seine eigene Biographie in der dritten Person zu schreiben, um sie als Lebenslauf für Bewerbungen zu verwenden, oder als Nachruf für sein Begräbnis. Es war aber sein persönlicher Stil, das reichlich selbstbewusst zu tun.

CD 1/17    1:0    OT Deutsch Marietta Manktelow-Steiner

Er war ein Sohn von einem Pfarrer, sein Großvater war ein Bauer. Er selbst bekam ein „von“. Er war adelig. Er machte eine Klassenreise. Wir sagen es auf Schwedisch. Damit folgen immer Komplexe. Man fühlt sich nicht gut genug. Man macht gute Dinge, man wird berühmter aber drinnen ist man immer zweifelnd und man denkt, vielleicht bin ich nicht so gut, wie sie sagen. So wenn man liest Linneus Selbstbeschreibung, dann schreibt er. Ich bin der berühmteste Botaniker der Welt, und alle müssen meinem Sexualsystem folgen aber gleichzeitig konnte er schreiben: Wenn ich sterbe, wäscht mich nicht. Ich bin nicht eine große Person, vergesst mich nur ...

DIGAS    Zitat Carl von Linné

Legt mich in einen Sarg, ungewaschen, ungekleidet, eingewickelt in ein Leintuch. Nagelt den Sarg zu, damit niemand meine Erbärmlichkeit sieht, lasst die Glocken der Stadt-Kathedrale läuten, aber keine Glocken am Land; und Männer meiner Heimat sollen mich zu Grabe tragen. Es soll keine Unterhaltung geben, und auch kein Bedauern.

Mikro    Text 

Charles Darwin wurde für seine Evolutionstheorie gescholten und gebeutelt, seine Ideen wurden von Rassisten missbraucht. Mit Carl von Linné ist das bis heute nicht geschehen. Sein System der Namensvergabe ist, so scheint es, ohne Tadel, jeder kann damit arbeiten und ableiten, was auch immer er kann und will. 

Gibt es dennoch Schattenseiten? Im Alter wurde Linné depressiv, er war massiv überarbeitet. In den Sommermonaten arbeitete er von 4 Uhr Morgens bis 10 Uhr Nachts. 

Kann Systematik auch zu einer Obsession werden? Marietta Manktelow-Steiner:

CD 1/18    0:53    OT Deutsch Marietta Manktelow-Steiner

Ja natürlich, das ist so, und vielleicht war es auch so für Linné. Ein bisschen, weil er systematisierte auch Moral, er hatte Beobachtungen von Menschen in seinem Leben und am Ende hat er geschrieben ein kleines Buch für seinen Sohn, wie er leben sollte, weil er hatte gesehen in seinem Leben dass macht man etwas schlecht, dann kommt etwas Schlechtes zurück. Dieses Buch ist genannt Nemesis Divina. Göttlich Rache. Ja. Also es ist ein Problem, Systematiker zu sein. Ich kann zum Beispiel nicht eine Tapete sehen, ohne die Muster ausforschen, darum habe ich nur eine Farbe auf meinen Wänden in meinem Haus.

DIGAS    Sprecher 

Sie hörten: Der Katalog des Lebens - Zum 300. Geburtstag des schwedischen Naturforschers Carl von Linné.

CD 1/19    0:26    OT Deutsch Marietta Manktelow-Steiner

Alle sind Systematiker mehr oder weniger. Kein Mensch kann leben ohne Systematik. Man muss immer die Gläser in einem Platz haben, die Messer an einem anderen Platz, sonst wird man verrückt.

DIGAS    Sprecher 

Gestalter der Sendung war Lothar Bodingbauer. Gesprochen haben:

Nina Strehlein

         (VORNAME FEHLT) Strzowski

und Arthur Treinacher

Morgen in "Dimensionen - Die Welt der Wissenschaft": Kulturgüterschutz, eine Sendung über Naturwissenschaft und Denkmalpflege.

69. Reisender Messerschmied

Auf ausgedehnten Wanderungen jenseits des 69. Breitengrades lernte der junge Oberösterreicher Norbert Leitner die Wildnis Nordeuropas kennen. Zuhause sattelte er vor fünf Jahren um und richtete sich eine Schmiedewerkstatt ein. Seine Messer heißen: 69 Grad Nord. Er arbeitet nun als freischaffender Messerschmied für Abenteurer, die über das Internet den Weg zu ihm ins Innviertler Outback finden.

67. Physik im Hohen Norden

67. Physik im Hohen Norden

Foto: Radiarantenne (Eiscat radar) in der Nähe von Sodankylä, Finnland

Nordlicht, Klimawandel und die Physik der Kälte und Finsternis: Der hohe Norden ist für Physiker ein ganz besonders spannendes Gebiet. Den Nordlichtern auf der Spur verfolgen die Wissenschaftler mit Radaranlagen und Messraketen Erscheinungen der hohen Atmosphäre. Sie studieren das Magnetfeld im Norden Finnlands und beschäftigen sich nebenbei noch mit den Auswirkungen extremer Kälte auf den Menschen.

Link zur Physikalischen Soiree 123 | Manuskript (PDF) | Sendung (mp3)


Mauksript

01 Zitat Weyprecht 0:13

 

Um den Pol herum flimmern und flackern nach allen Seiten die kurzen Strahlen, in der Richtung nach dem Punkte in der Nähe des Zenits, gegen den der Südpol der freien Magnetnadel zeigt. Was wir sehen ist die Nordlichtkorona.

Sprecherin
Physik aus Lappland.

02 OT Samenfrau / Fuchsfeuer 0:18

Nordlicht heißt auf Finnisch Revontulet. Das heißt eigentlich Fuchsfeuer. Und nach Erzählung entstehen Nordlichter dadurch, dass ein Fuchs rennt am Himmel und aus dem Schwanz kommen dann diese Farben und dieses Feuer, und darum heißt es Revontulet.

Sprecherin

Nordlicht, Klimawandel, und die Physik der Kälte und der Finsternis.

03 OT Samenfrau / Winter 0:13

Und das ist auch nicht deprimierend, wie Menschen manchmal behaupten. Weil wir haben ja immer Schnee und Schnee, reflektiert von Mond, Sterne und Polarlichter, und das ist frisch und schön.

Sprecherin
Eine Sendung von Lothar Bodingbauer.

02 ATMO Fußgängerübergang 0:55

Hineinziehen in Sprecherin, kurz stehen lassen, dann Text:

Text Ort

Das sind die akustischen Signale eines Fußgängerübergangs auf einer Straße im Norden Finnlands - in Lappland. Jenseits des Polarkreises. Dieser Übergang auf der Straße nach Sodankylä zum Geophysikalischen Observatorium zeigt schon exemplarisch, wie die Wissenschaftler hier arbeiten: Signale werden gesendet, und das Echo zurück wird erforscht. Diese Signale werden natürlich nicht einfach über die Straße geschickt, sondern nach oben, (ab jetzt ATMO wegziehen) in den Himmel. Es sind elektromagnetische Signale - Radiowellen. Die Wellen werden in der hohen Atmosphäre zum Teil zurückgeworfen. - Dies gibt Aufschlüsse wie die Atmosphäre beschaffen ist. Dort wo das Nordlicht entsteht, wo Ozon die UV Strahlen filtert, wo die Sonnenstürme ankommen, und wo eine Vielzahl chemischer Prozesse das Leben auf der Erde beeinflusst. Die Physik im Hohen Norden Finnlands besteht zu großen Teilen aus dem Studium der Hohen Atmosphäre.

04 OT Esa / Star 0:05

Of course one basic key question is: we are living with a star.

Text Vorstellen

Wer die Erde verstehen will, muss zur Sonne schauen, sagt der Nordlicht-Spezialist Esa Turunen. Er ist einer der Wissenschaftler am geophysikalischen Institut in Sodankylä.

05 OT Esa / Solar 0:26

Übersetzung:

Wir leben mit einem Stern, der Sonne. Die Teilchen von der Sonne, die das Nordlicht bilden, brauchen 2, 3 Tage, um die Erde zu erreichen. Die Sonne ist also sehr nahe! Wir müssen deswegen lernen zu verstehen, was auf der Sonne passiert, und wie sich das auf die Erde auswirkt. Alles auf der Erde hängt von der Sonne ab, und wie sie sich benimmt.

Text Nordlicht Schlüsselstelle

Das Nordlicht nimmt eine Schlüsselstelle zwischen Sonne und Erde ein. Es ist tatsächlich eine Spur – nicht von einem Fuchs, wie es die Erzählungen der Samen beschreiben – sondern die Spur des Sonnenwinds. Wer sich also auf die Fährte des Nordlichts macht, wird die Sonne finden. Warum aber führt diese Spur in den Hohen Norden? Der allgemeine Ausdruck für das Nordlicht ist Polarlicht. Man könnte das Polarlicht daher auch im Süden finden, weil das Magnetfelder der Erde an beiden Polen auf den Boden trifft und zuvor noch durch die Atmosphäre führt. In den Auralen Zonen, in ringförmigen Gebieten, die sich wie zwei Heiligenscheine um die Pole erstrecken. Dort stößt das Magnetfeld durch die Atmosphäre, dort entsteht das Nordlicht, oder das Polarlicht, und diese Gegenden gilt es zu erforschen.

06 OT Esa / 60 Theorien 0:10

Übersetzung:

Als die ersten Wissenschaftler hierher kamen, hatten sie überhaupt keine Ahnung wie das Nordlicht entsteht. Es gab 60 Theorien, aber keine davon stimmte.

Text Weyprecht

Was Wissenschaftler nicht verstehen, versuchen sie zunächst einmal genau zu beschreiben. Wie Carl Weyprecht, Leiter der österreichisch-ungarischen Expedition zum Franz Joseph Land um 1870:

07 Zitat Weyprecht 0:40

Dort im Süden, tief am Horizonte, steht ein matter Lichtbogen... Langsam nimmt der Bogen an Intensität zu und hebt sich gegen den Zenit; er ist vollkommen regelmäßig. Es sind keine Strahlen darin zu erkennen. Höher und höher steigt der Bogen, in der ganzen Erscheinung liegt eine klassische Ruhe.... Noch steht er entfernt vom Zenit, und schon trennt sich ein zweiter Bogen vom dunklen Segmente im Süden ab, dem nach und nach andere folgen. Alle steigen dem Zenit entgegen... Über das ganze Firmament sind nun Lichtbogen gespannt, Es stehen sieben zur gleichen Zeit am Himmel!

08 OT Esa / Station 0:26

Übersetzung:

Die ersten Wissenschaftler kamen 1882, 1883. Sie errichteten währen des 1. Internationalen Polarjahres eine permanente Forschungsbasis hier in Sodankylä, am Rande der Auralen Zone. So weit im Norden wie möglich, wo die Zivilisation die Station noch versorgen konnte.

Text Nordlicht

Die ersten Wissenschaftler glaubten noch, das Nordlicht befinde sich auf 200, 300 Metern Höhe, und man könne es mit Radiowellen sichtbar machen. Diese Idee unterscheidet sich nur wenig vom Glauben, dass das Nordlicht kommt, wenn Krieg droht, oder wenn man bloß pfeift – so wird es den Kindern der Gegend erzählt.

Heute ist die Entstehung des Nordlichts in den großen Zügen wissenschaftlich erklärt. Sie ist mit der Aktivität der Sonne verbunden.

Nordlichter entstehen, wenn die Sonne impulsartig viele hochenergetische Teilchen zur Erde schleudert. Dieser Vorgang wird Sonnenwind genannt, er entsteht in Sonnenflecken. Schon Galileo Galilei hat diese Flecken mit seinem Fernrohr beobachtet. - Da es nun alle 11 Jahre besonders viele Sonnenflecken gibt, und alle 11 Jahre auf der Erde besonders viele Nordlichter, liegt der Zusammenhang mit dem Sonnenwind sehr nahe.

Schnelle Elektronen und Protonen werden im Sonnenwind mit 500 km pro Sekunde in den Weltraum geschleudert. Diese Teilchen werden vom Magnetfeld der Erde eingefangen, das dabei messbar verzerrt wird. Die Teilchen werden durch die Magnetfeldlinien zu den Polen der Erde transportiert. Bevor jedoch sie dort am Boden angekommen sind, durchstoßen sie die Atmosphäre, auf 100 bis 150 km Höhe. Die Atmosphäre beginnt zu leuchten: Das Nordlicht entsteht, die Aurora Borealis.

09 Zitat Weyprecht 0:25

Und wiederum eine andere Form. Im Süden liegt dicht über dem Horizonte ein schwaches Band, das wir kaum beachten. Auf einmal hebt es sich rasch... Kurze Zeit hält es sich stationär, da kommt plötzlich Leben hinein. Von Ost gegen West jagen lebhaft die Lichtwellen durch... Die Natur führt uns ein Feuerwerk vor, wie es sich die kühnste Fantasie nicht herrlicher zu denken vermag...

Text Farben

Die Farben des Nordlichts können unterschiedlich sein. Es kommt darauf an, welche Moleküle und Atome vom Sonnenwind getroffen werden. Meist ist es Sauerstoff der leuchtet, sein Licht ist grün oder auch rot. Stickstoff sendet ebenso rotes Licht aus, aber auch blaues Licht und violettes.

Nordlichter sind häufig.
In zwei von drei Nächten sind sie in Lappland zu sehen.

10 OT Esa / Prozesse 0:46

Übersetzung:

Heute wissen wir, was das Nordlicht ist. Das Nordlicht, das die Menschen sehen, ist aber nur 5% der Prozesse die wir in den Polarregionen in der oberen Atmosphäre haben. Der Grund, auch heute in diesem Gebiet hier weiter zu forschen ist: wir möchten wissen, was die globale Rolle dieser Prozesse in der Oberen Atmosphäre der Arktis ist. Jene Prozesse, die hier Polarlichter entstehen lassen: Haben sie auch eine globale Bedeutung? Zu welchem Ausmaß haben sie es? Zu welchem Ausmaß wird die gesamte Atmosphäre davon beeinflusst, und damit auf lange Sicht gesehen, auch das Klima auf der Erde?

Text Heute

Sodankylä ist eine kleine Stadt in Lappland mit etwa 10.000 Menschen. 50 fest angestellte Wissenschaftler und Ingenieure arbeiten dort, Geophysiker und Meteorologen. Sie forschen im Arktis Research Center einer Außenstelle der Universität Oulu, der Universität Lapplands. Das Arktik-Institut befindet sich von städtischen Einflüssen ungestört mitten im Wald, bei den Flüssen und den Seen.

Die meisten der anwesenden Menschen und Geräte beobachten die Umwelt: nach oben, nach unten, und nach allen Seiten. Gemessen wird mit vielen verschiedenen Methoden.

02 Atmo Ballonstart 0:27

5 Sekunden stehen lassen, darüber dann folgender Text; Atmo läuft aus

Text Wetterballon

Auf einer Lichtung im Wald werden Wetterballons gestartet, vollautomatisch, alle 4 Stunden, das ganze Jahr über. Sie werden mit Wasserstoff gefüllt, deswegen der Alarm für die Umgebung. Lautlos heben sie sich in die Luft und verschwinden schnell im Himmel. Ihre Messkapseln messen Druck, Temperatur und Wind entlang des Weges und funken die Daten zur Erde.
Die Wetterballons messen bis zu etwa 20 km Höhe. Von dort an übernehmen Satelliten.

11 OT Osmo / Vorstellen 0:07

I am Osmo Aulamo, I am Head of Satellite Operationas in Arctic Research Center here in Sodankylä.

Text Wolken

Wenn Osmo Aulamo zur Arbeit fährt, bewundert er oft die höchsten vorkommenden Wolken, auf 20 km Höhe. Über ihre Bedeutung für das Klima weiß er sehr genau Bescheid. Sie sind faszinierend und bedrohlich zugleich.

12 OT Osmo / Wolken 0:32

Übersetzung:

Das sind wirklich schöne und farbenfrohe Wolken am Himmel. Es sind aber genau jene Regionen der Atmosphäre, wo das Ozon zersetzt werden kann. Notwendig dafür sind kalte Temperaturen und Chlor, vereinfacht gesagt. Wenn Sie Chlor in diese Gegend hineinbekommen, können sie damit Ozon zerstören. Das passiert eben genau in der Stratosphäre, in diesen schönen Wolken.

Text International

Wo die Stratosphären-Wolken gebildet werden, ist es ausgesprochen kalt. Bis -80 Grad Celsius. Die Ozonzersetzung braucht genau diese tiefen Temperaturen. Doch nicht nur die Temperaturen bestimmen die chemischen Prozesse ab dieser Höhe, sondern auch die Einflüsse des Sonnenwinds. Die Messungen am Arctic Research Center in Sodankylä sind von internationalem Interesse.

13 OT Zede /Hassler 1:48

Übers ganze Jahr gerechnet sind natürlich Finnen hier. Aber momentan ist hier eine Kampgange, die hat den schönen Namen Sauna, eine Abkürzung für Total Ozonmessungen in Sodankylä. Da sind wir für 3 Wochen hier kommen Gruppen aus der ganze Welt aus Nordamerika und Europa. Mein Name ist Alexander Zede. Ich arbeite in Washington im Goddard Space Center. Bei der Nasa. Ich bin Atmosphären- wissenschaftler. Unser Interesse an dieser Kampgange ist, wir wollen Satellitendaten mit Bodendaten vergleichen, in hohen Breitengraden. Und bei niedrigen Sonnenständen, deshalb sind wir hier im Frühling. Der Grund dafür, dass wir diesen Ort ausgesucht haben ist, dass die Bodendaten und Satellitendaten stimmen nämlich unter diesen Bedingungen nicht gut überein. Deshalb hat man viele verlässliche Bodengeräte zusammengebracht, und aufgestellt und relativ viele Spezialisten versammelt, die dann sagen, das ist der beste Wert vom Boden, und wenn der Satellit immer noch andere Wert hat, ist es die Schuld vom Satelliten. --- Birgit Hassler, ich bin vom Deutschen Wetterdienst, und wir messen hier Gesamtozon. Man spaltet das Licht von der Sonne in verschiedene Wellenlängen, eine in der Ozon stark absorbiert wird, und eine in der Ozon nicht absorbiert wird. Und wenn man vergleicht, kann man sagen, soviel Ozon ist in der Atmosphäre vorhanden. --- Heuer sind wir über dem Durchschnitt. Die Ozonwerte, die wir gerade messen, sind 10 bis 20% über dem Werten der letzten 15 Jahre. Das ist eine Jahr-zu-Jahr Variation. Das hängt aber mit den Temperaturen zustande.

Text Ozon-Hoch

Das momentan gemessene Ozon-Hoch gibt aber noch keinen Anlass, die globalen Sorgen aufzugeben. Die Konzentration der Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffe in der Atmosphäre gesamt ist zwar schon zurückgegangen, aber seit ihrem Verbot, in Kühlschränken verwendet zu werden, wird es noch Jahrzehnte dauern, bis das Ozon-Gleichgewicht der Atmosphäre wieder hergestellt ist.

Osmo Aulamo überwacht als Meteorologe auch die Ozon- Satellitenmessungen. Gomos heißt das System:

14 OT Osmo / Satellitenmessung 0:16

Übersetzung:

Wir messen zuerst mit dem Satelliten das Sternenlicht außerhalb der Atmosphäre, und dann durch die Atmosphäre durch. Es werden dabei gewisse Wellenlängen absorbiert. Und daraus kann man dann berechnen, wie viel Ozon vorhanden ist.

Text Ozongehalt

Die Messungen des Ozongehalts der Atmosphäre erfolgen von zwei Seiten: bodengestützt, und satellitengestützt. Die Vorteile der beiden Methoden werden kombiniert.

15 OT Osmo / Lokal 0:33

Übersetzung:

Wir können hier lokal Ozon messen, und das ist einer der wenigen guten Plätze dafür. Wir können aber nicht die gesamte Erde mit diesen Bodenmessungen abdecken, die wir brauchen für das Verständnis der Situation. Wenn wir nun die sehr genauen aber punktuellen Bodendaten mit den eher ungenauen aber dafür globalen Satellitendaten verbinden, dann können wir zwei Aspekte desselben Problems kombinieren und so ein ziemlich gutes Bild von der Situation erhalten.

Text Messen

Die Wissenschaftler in Lappland versuchen die Mechanismen und Gesetze der Vorgänge in der Atmosphäre zu erkennen. Alle zugänglichen physikalischen und chemischen Größen, die Bedeutung haben könnten, werden dafür gemessen: die meteorologischen Grunddaten, aber auch geophysikalische Größen:

RIO-Meter sind Messgeräte für den Einfluss kosmischer Strahlung; Imaging Riometer stellen die Ergebnisse auch bildlich dar, Ionosonden bestimmen die Höhen der verschiedenen Atmosphärenschichten, Radargeräte befassen sich mit dem Wetter, dem Weltraumschrott und der globalen Funkwellenausbreitung. Das Aardwark System heißt übersetzt Erdschweinsystem und ist ein weltweites Netzwerk zur Ortung von Blitzen. Eine All-Sky- Camera macht alle 10 Sekunden ein Bild des gesamten Himmels. Und weil das Erdmagnetfeld alle Einflüsse der Sonne und des Weltraums widerspiegelt – ist das Pulsation Magnetometer Network von besonderer Bedeutung. Es misst die Änderungen des Erdmagnetfelds. Sind sie hoch, gibt es Nordlicht – seine Sichtbarkeit ist eigentlich die einfachste Messung der Änderungen des Ermagnetfelds. Die genauen Messwerte lassen aber auch Rückschlüsse auf die Ursache des Nordlichts zu: das Weltraumwetter.
Die Magnetometer des Arktic Institute befinden sich abseits von Störeinflüssen in einigen Hütten mitten im Wald auf einer Lichtung. Esa Torunen erklärt, dass die Messanlagen nur unter besonderen Umständen betreten werden dürfen:

16 OT Esa / Gehen 0:25, Atmo bis 0:47

Übersetzung:

Wir können jetzt nicht hineingehen, weil wir alle so viel Eisen an uns haben. Die Brillen, in den Schuhen, in den Uhren. Auch ein Goldring hat noch zuviel Eisen drin. Unser Magnetmeister muss sogar die Damen bitten, die BHs auszuziehen, weil sie auch Eisen beinhalten.

OT wird zu ATMO, darüber folgender

Text Hütten

Nicht nur die absolute Stärke des Magnetfelds wird gemessen, sondern auch, wie sich das Magnetfeld verändert. Die Station ist Teil eines internationalen Netzwerks.

17 OT Esa / Hütten 0:47

Übersetzung:

Das größere Gebäude hier besteht aus zwei Hütten, ineinander geschachtelt. Es ist ein Meter Raum dazwischen. Früher wurde dieser Raum mit zwei Öfen geheizt, mit Feuerholz. Heute verwenden wir natürlich Elektrizität. Es muss die innere Hütte eine sehr gleich bleibende Temperatur haben. Früher, ohne Computer, machten wir die Magnetmessungen sehr herkömmlich. Man hatte einen Quarzfaden, einen Spiegel, einen Magnet im Faden. Man hatte Licht, und drei Meter Laufstrecke. Am Ende war ein Fotopapier, das sich langsam bewegte. Das zeichnete auf – und jeden Tag musste jemand das Fotopapier entwickeln. Darauf waren die Messwerte eingezeichnet.

Text Zeitreihe

Seit 1914 erfolgen die Messungen kontinuierlich. Eine unschätzbar wertvolle Zeitreihe entstand über die Entwicklung des Magnetfelds der Erde. Glaubte man ursprünglich damit nur das Nordlicht zu erklären, dient die Magnetfeld-Messreihe heute auch Studien über die globale Temperaturentwicklung.
Die Fotografien der Magnetmessungen haben den 2. Weltkrieg unbeschadet überstanden, nicht so die Bilder der Nordlichter.

18 OT Esa / Fotografien 0:27

Übersetzung:

Früher wurden die Nordlichter noch auf Glasplatten fotografiert. Am Ende des 2. Weltkriegs wurden aber hier leider diese Platten zerstört. Es explodierte der Kellner, alles flog in die Luft.
Schade, es muss wirklich gute Fotografien gegeben haben.

Wir hatten Deutsche Truppen hier, ganz Lappland war besetzt. Als sie zurückgeschlagen wurden, brannten sie alles nieder.

Text Geophysiker

Es sind die Geophysiker, die sich mit den Magnetfeldmessungen befassen. Ihr Forschungsgebiet beginnt im Boden. Zwischen 0 und 20 km Höhe messen die Meteorologen, und darüber, bis in den Weltraum hinaus, erstreckt sich wieder das Forschungsgebiet der Geophysiker.

Das Gebiet um Sodankylä eignet sich besonders gut für die Magnetfeldmessungen. Die Geschichte, warum gerade hier in

Finnland das Geophysikalische Institut gegründet wurde, ist ebenso speziell wie kurios.
Anfang des 17. Jahrhunderts kamen französische Wissenschaftler für ein Jahr, um zu messen, ob die Erde rund sei. Sie steckten, wo der Finnische Meerbusen endet, Dreiecke in die Landschaft, maßen und bestätigten: Ja, die Erde sei rund. 1 Jahr später gab es 200 Kinder mit französischen Vätern im Gebiet, und weitere 200 Kinder hatten finnische Väter, aber die Kinder sahen nicht finnisch aus.

Als dann anlässlich des Polarjahres 1882 Wissenschaftler anfragten, ob sie eine Forschungsstation errichten könnten, dort oben am Meer, leicht erreichbar durch Schiffe, lehnte die Bevölkerung dankend ab. Keine Wissenschaftler mehr. Diese wanderten landeinwärts, überwandten Rentierzäune, errichtet von Samen, die ebenfalls keine fremden Leute ertragen wollten, einer schwamm über einen Fluss mit einem Messgerät und stellte fest – ja, in Sodankylä gibt es den perfekten Ort für Magnetfeldmessungen. Wegen einer vierzig Meter dicken Tonschicht im Untergrund. So die Geschichte, wie sie Jirkki Manningen, Experte für das „Erschweinsystem“ – das Aadvark Netzwerk erzählt.

19 früher 20 OT Jirkki / Erdschwein 0:29

Übersetzung:

Das ist ein interessantes Tier. An unserem Observatorium ist das Very Low Frequency Network danach benannt. In Europa haben wir 4 - 5 Empfänger-Stationen. Die empfangen Signale von Sendern rund um die Welt. Hier haben wir gerade das Signal aus Hawaii bekommen. Damit können wir die Situation der Ionosphäre und der oberen Atmosphäre studieren entlang des Pfades nach Sodankylä.

03 Atmo Radio 0:30

darüber folgender Text

Das Pfeifen und Knistern der Mittel- und Kurzwellen im Radio wird von atmosphärischen Störungen verursacht, zumeist von Blitzen. Der Zustand der Atmosphäre ist für die Ausbreitungsbedingungen der Wellen verantwortlich.

Auch das Militär interessiert sich dafür.
Jirkki Manningen erzählt, was sonst mit den Daten passiert, die die Wissenschaftler sammeln: Sie sind für alle frei zugänglich im Internet abrufbar.

20 früher 21 OT Jirkki / Nutzer 0:53

Übersetzung:

Die meisten Nutzer unserer Daten sind Wissenschaftler. Aber daneben gibt es auch Anfragen zum Beispiel von der Forstwirtschaft. Zahlt es sich aus, dass sie eine Woche rausgehen, um Land zu vermessen, wenn es einen Magnetsturm hat, oder es Nordlicht gibt, und sie ihre Messungen danach wegwerfen können? Das ist viel Geld, da könnten auch wir etwas dafür verlangen. Wenn wir aber Leistungen verkaufen, dürfen wir die Bildungs-Lizenzen unserer Computerprogramme nicht mehr nutzen, wir müssen Geschäftslizenzen kaufen – das macht unsere Leistungen wieder teuer, und niemand kauft sie ein. Solange wir also die Daten kostenlos hergeben, gibt es kein Problem, aber wenn wir aber Geld dafür haben wollen, müssen wir die Lizenzänderungen berücksichtigen.

Text

Das Weltraumwetter schlägt sich auf das Erdmagnetfeld nieder. Wer es misst, kann Warnungen vor Magnetstürmen herausgeben, oder Weltraumwetterberichte, so wie diesen:

ZITAT Sprecherin

Eine Sonnenwind Schockwelle wurde gestern um 18 Uhr durch den ACE Satelliten am L1-Punkt aufgezeichnet. Die Geschwindigkeit des Sonnenwinds sprang von 450 auf 500 km pro Sekunde. Im Gegensatz zum vorhergehenden Event am 12. Mai ist die z-Komponente des Magnetfelds der Erde weitgehend im Norden geblieben. Geo- magnetische Konsequenzen blieben deswegen beschränkt. Die gestrige Schockwelle steht vermutlich in Verbindung mit der leichten vollen Halo CMD am 12. Mai.

Text

Sonnenwind oder Stürme kosmischer Teilchen bedeuten im Allgemeinen Gefahr für die Erde. Wenn nicht unmittelbar für die Menschen am Erdboden, dann doch Gefahr für viele technische Einrichtungen:

Sonnenwinde können Pipelines vorzeitig korrodieren, sie gefährden Passagiere und die Besatzungen auf Flügen über die Pole der Erde, sie sind tödlich für Astronauten auf Weltraumspaziergängen, Satelliten können durch sie Schaden nehmen und das GPS- Navigationssystem kann Abweichungen bekommen. Sonnenwind kann auch in Hochspannungsleitungen Überspannungen auslösen – Stromausfälle sind die Folge.

Das Ziel der Messungen in Sodankylä ist, computergestützte Modelle zu bilden, die mit der Wirklichkeit übereinstimmen: Welche chemischen Vorgänge laufen in der Atmosphäre ab, unter welchen Bedingungen? Wie ist die Energiebilanz? Verstehen wir die Verbindung von Weltraumwetter und dem Klima der Erde? Kennen wir die Gründe für Veränderungen? Wie wirkt sich die globale Erderwärmung auf die Atmosphäre aus? Was bedeutet das im Umkehreffekt für das Klima? Mit welchen Überraschungen ist zu rechnen?

Die Analysen der Messwerte stehen weltweit erst am Anfang. Die Modelle werden gebildet und wieder verworfen. Der Atmosphärenwissenschaftler Esa Torunen:

21 früher 19 OT Esa / Frust und Freude 0:40

Übersetzung:

Es ist für uns nicht sonderlich frustrierend, wenn wir eine lange Rechnung noch einmal machen, weil sie falsch war. Aber wir sind schon froh, und fühlen uns erfolgreich, mit kleinen Dingen: einfach, wenn wir ein neues Resultat bekommen. Wenn wir wissen, das hat vorher noch keiner getan. Oder wenn wir ein kompliziertes Computermodell machen, und wenn eine Figur dabei herauskommt, eine einfache getupfte Linie, und wir vergleichen sie mit den wirklichen Messwerten eines Satelliten. Und es ist ein perfektes Match, das macht uns doch sehr glücklich

Text Fragen

Suchte man anfänglich nach Erklärungen für die Entstehung von Nordlichtern, so stehen heute Umweltfragen im Mittelpunkt des Interesses. Insbesondere die Sonnenaktivität wurde bislang unterschätzt, und ihre Auswirkungen auf die Ozonschicht und den Energiehaushalt der Atmosphäre.

Die Ursachen und Wirkungen der Vorgänge in der Hohen Atmosphäre sind heute erst ansatzweise verstanden. Ganz geklärt sind sie noch lange nicht.
Was machen aber Wissenschaftler, wenn sie etwas noch nicht verstehen? Sie beobachten.

Und so sich die All Sky Kamera in Sodankylä alle 10 Sekunden ein Bild des Himmels macht, das via Internet für jeden sofort abrufbar ist, so machen sich auch jene die hier leben, immer wieder auf die Suche nach dem Nordlicht.

Wie auch Reeta und Jonna, zwei Schülerinnen aus Lappland: 22 OT Kind Reetta 0:22

Übersetzung:

Wir waren auf dem Berg Schlittenfahren und da waren solche Nordlichter, solche verrückten, die haben wir dann lang beobachtet. Wir hüpften vom Berg in einen Schneehügel, legten uns auf den Rücken und beobachteten die Nordlichter. Und plötzlich waren sie dann verschwunden.

23 OT Kind Jonna 0:14

Übersetzung:

Einmal war ich draußen im Freien und da war ein total schönes Nordlicht, das seine Form interessant verändert hat. Mein Papa hat gesagt, dass das eine Krone ist oder so was ähnliches. Und dieses Nordlicht hatte viele verschiedene Farben - und so ein schönes Nordlicht hatte ich vorher noch nie in meinem Leben gesehen.

24 OT Kind Reetta 0:18

Übersetzung:

Als kleines Kind habe ich mich auch oft über die Nordlichter gewundert und wie verrückt geschrieen: „Was sind die denn?!“ und dabei bin ich herumgerannt. „Was sind die eigentlich?“ zeigte ich lachend mit dem Finger auf sie, wie verrückt. „Was sind die, ich will sie berühren!“ Dann hat mein Patenonkel gesagt: „Das sind Nordlichter.“ „Wow“, sagte ich dann.“

25 Zitat Weyprecht 4 0:25

Doch schon ist alles abgeblasst. Mit der gleichen unbegreiflichen Geschwindigkeit, mit der es gekommen, ist es auch wieder verschwunden. Das war das Nordlicht des kommenden Sturmes, das Nordlicht in seiner vollen Pracht. Keine Farbe und kein Pinsel vermögen es zu malen!

Sprecherin

Sie hörten: Nordlichter, Klimawandel und Finsternis: Die Physik Lapplands. Eine Sendung von Lothar Bodingbauer. 

66. Hoffen im Garten

Geplatzte Paradeiser, krumme Karotten, zerstörter Salat im Vorjahr? Die neue Gartensaison hat begonnen. Die Fehler des Vorjahres können nun verbessert werden. Was sind die Wünsche an das neue Gartenjahr? Was soll gelingen? Eine akustische Suche nach Rezepten, Hoffnungen und Strategien für das erfolgreiche Gartenjahr.

64. Aal

Anuilla anguilla, der europäische Aal, stellt mit seinen Wanderungsbewegungen in das Bermudadreieck und zurück eine bemerkenswerte Ausnahme in der österreichischen Fischwelt dar. Nur wo er über Rhein und Elbe einen Zugang zum Atlantik hat, kommt er bei uns natürlich vor. Durch Hindernisse und Gefahren auf dem Weg ist der Aal in jüngster Zeit massiv vom Aussterben bedroht. Der Fischökologe Josef Wanzenböck vom Limnologischen Institut der Akademie der Wissenschaften spricht über die Besonderheiten dieses schlangenförmigen und durch seine Lebensweise kryptisch wirkenden Fischs, der schon in Film “Die Blechtrommel” von Günter Grass eine schwer zu vergessende Rolle als ungustiöser Nebendarsteller bekommen hat.

Aalglatt und dennoch gefährdet

Die Bestände des Europäischen Aals (Anguilla anguilla L.) sind in den letzten Jahrzehnten dramatisch zurückgegangen. Deshalb arbeitet die Generaldirektion Fischerei der Europäischen Kommission an einem Maßnahmenpaket zur Rettung der Aale. Zur fachlichen Beratung steht ihr ein Gremium von Fischereiexperten zur Verfügung. Einer von ihnen ist der Fischökologe Josef Wanzenböck vom Institut für Limnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Mondsee.

Josef Wanzenböck leitet die Arbeitsgruppe zum Management des Aals, die im heurigen Frühjahr detaillierte Vorschläge zum Schutz der Aale ausgearbeitet hat und diese dem Plenum der Fischereiexperten vorgelegt hat. Der Abschlussbericht, der der Europäischen Kommission als Entscheidungsgrundlage dienen wird, wurde vor kurzem veröffentlicht. “Da der Aalbestand in den letzten drei Jahrzehnten auf weniger als fünf Prozent zurück gegangen ist, muss man die vorgeschlagenen Maßnahmen möglichst unverfälscht umsetzen, um die Lebensgrundlage dieser faszinierenden Tierart langfristig zu sichern”, ist Josef Wanzenböck überzeugt.

Die Experten empfehlen, das Fischen von Aalen in allen Lebensstadien auf mindestens die Hälfte zu reduzieren. Aale sind nicht zuletzt wegen ihres komplizierten Lebensrhythmus sehr gefährdet: Sie schlüpfen im Westatlantik und wandern mit dem Golfstrom Richtung Europa. Dort angekommen wandern sie im Lauf ihrer Jugendentwicklung flussaufwärts, bis sie zum Laichen wieder in den Atlantik ziehen. Aus diesem Grund stellen Flusskraftwerke und Pumpwerke ohne Fischtreppen für Aale tödliche Hindernisse dar. Die Experten raten deshalb – im Einklang mit den Empfehlungen der Europäischen Wasserrahmenrichtline – dringend zu ökologisch sinnvollen Begleitmaßnahmen beim Ausbau der Flüsse. Eine weitere Möglichkeit den Aalbestand zu erhalten, stellt das Handelsverbot mit den Jugendstadien des Aals, mit den schmackhaften Glasaalen dar. Glasaale sollten in Zukunft nur noch zum Besatz natürlicher Gewässer innerhalb des natürlichen Verbreitungsgebietes des Aals gehandelt werden dürfen.

58. Geocaching

Moderne Schnitzeljagd: Mit Satellitenunterstützung und GPS-Navigation finden moderne Schnitzeljäger ihr Ziel. Geocaching heisst die heutige Form der Schatzsuche, die es gibt, seit die Amerikaner die Genauigkeit der Positionsbestimmung via Satellit spürbar erhöhten. In Internetforen werden “Geocaches” - wohlplazierte Schätze - weltweit ausgeschrieben, Zusatzaufgaben vor Ort machen die Schatzsuche spannend. Eine Möglichkeit, Computerkinder wieder in die Natur zu bekommen.

56. Physikunterricht in der Krise?

Physik zählt zur Allgemeinbildung, wenn auch die meisten Menschen einfache physikalische Phänomene falsch erklären. Mädchen schneiden in Physik prinzipiell schlechter ab als Burschen. Teure Physiklabors wollen autonom budgetierende Schulen nicht mehr unterhalten. Die Physik-Didaktiker sind ratlos. Was tun? Die Experimente sollen schülerzentrierter werden – nicht der Herr Professor soll experimentieren, sondern die Schüler sollen es – lustvoll - tun. „Gender Mainstreaming“ hat auch in den Physiksaal Einzug gehalten, und ehemalige physikdidaktische Hardliner fordern Junglehrer auf, mutiger zu unterrichten. Nicht das Schulbuch soll in die Schule hineingetragen werden, sondern das Leben. Erfolgreich? Noch nicht. Die Beliebtheit des Faches „Physik“ nimmt nach wie vor mit zunehmenden Alter ab, die PISA Studie zeigte Erschreckendes in Österreich. Eine Sendung um den Zustand des Physikunterrichts an Österreichs Allgemeinbildenden Höheren Schulen.

55. Kleiner Chronist

Sebastian Mitterbauer: Portrait eines 15-jährigen mit ungewöhnlichen Interessen: Niemand in der Gegend kann so gut Kurrent wie Sebastian Mitterbauer. Wann immer ein alter Text mit den nicht mehr lesbaren Buchstaben auftaucht, wird Sebastian gerufen. Als 14-jähriger wurde er zum Experten für Haus- und Ortschroniken. In den Ferien räumt er das Gemeindearchiv auf. Vom spanischen Erbfolgekrieg bis hin zur jüngeren Geschichte erstreckt sich seine spezielle Welt.

Manuskript

CD Cut 1 (00:18) Trailer

Da kann ich selber etwas erforschen, was andere erforscht haben, und was noch nicht in die Öffentlichkeit gekommen ist. Da liegen Berge von Urkunden in den Archiven herum, die noch nie bearbeitet worden sind. Das ist sehr interessant, wenn man sich so etwas durchliest.

00:18 OT 1 Ausschnitt (60)

Wie ich noch in die dritte Klasse Volksschule gegangen bin, habe ich daheim nebenbei die Kurrentschrift gelernt, und habe mich immer weiter hineingelesen in die Urkunden. Manche Sachen sind nicht sehr schön geschrieben, aber ich versuche, dass ich sie trotzdem übersetze.

Wer immer sich in ein Gemeinde- oder Stadtarchiv begibt, taucht ein in eine Welt der längst vergangenen Zeit. Der Forscher wird belohnt – durch Geschichten und Begebenheiten auf die einen Reim zu machen sich heutzutage wenige verstehen. Die Chronik eines Ortes trifft viele Menschen und hinterlässt sonderbare Spuren.

N.N. begrüßt Sie bei Moment Leben Heute.

1

Einer der wenigen, die eine Dorfchronik in alter Schrift und antiquierter Sprache lesen können ist Sebastian Mitterbauer. Er sortiert im oberösterreichischen Altheim die alten Dokumente dieser kleinen Stadt. Er sortiert Kassabücher und ordnet Urkunden. Sebastian ist 15 Jahre alt. Er, kaum noch auf der Welt, datiert und übersetzt die meist kurrent geschriebenen Dokumente des Ortes und seiner Umgebung ins heutige Deutsch. Hören Sie ein Portrait der ungewöhnlichen Interessen eines ganz normalen Schülers – von Lothar Bodingbauer.

Manuskript Beitrag (OT Länge 7:12)

00:22 OT 2 Kurrent lernen – Beispiel für Urkunde (61a)

Ich habe mich mit der Blockschrift in der ersten … und die habe ich dann halt nebenbei gelernt.

Sebastian überträgt zunächst einmal die Kurrentschrift in einen leicht lesbaren Computertext.

00:32 OT 3 Schreibweise, Zitat (61b)

Die Schreibweise von damals ist natürlich eine Katastrophe … Gewalt ich mich angenommen, verordnet gehaben.

Reich und schön – das, was heute Themen von Fernsehserien sind, wurde früher auf andere Weise abgehandelt: zum Beispiel in einem Erbrechtsbrief, den Sebastian gerade übersetzt.

00:30 OT 4 Lesen gelernt (62)

Es ist wahrscheinlich ein Erbrechtsbrief … Kunstschätze, oder einen Haufen Geld, das ist sehr interessant, wenn man sich so was durchliest.

Das Schreiben allerdings hat Sebastian schon wieder verlernt.

00:07 OT 5 Kein Brieffreund (63)

Weil ich keinen Brieffreund habe, den ich in Kurrent schreiben kann. Lesen kann ich es schon gut.

2

Und das reicht auch völlig aus, um in der Geschichte des Ortes zurückzugehen. Sebastian verbringt viele Stunden im Gemeindearchiv von Altheim. In der Zeit zurückzugehen heißt für ihn zunächst, im Gemeindearchiv einige Schränke weiter nach hinten zu gehen.

ATMO 1 Archiv (64)

Vorbei an Flaschen mit seltsamen Inhalt, Gegenständen aus Holz, die heute längst keinen Namen mehr haben, weil sie keiner mehr kennt. Das Gemeindearchiv von Altheim sammelt nicht nur Schriftstücke, sondern auch wichtige Gegenstände des Ortes: Flachsrechen, Holzrahmen, Bilder, Kugeln, wer weiß wie sie heißen, wer weiß, wofür man sie spart.

02:13 OT/ATMO 6 Bierflaschen, Foltermethoden (65) – darüber auf Zeichen

Das ist ganz interessant, das sind alte Bierflaschen – Bresenhuberchronik … müsste ich in meiner Brauereichronik nachschauen.

Eine eigene Brauereigeschichte des Ortes hat Sebastian selbst geschrieben. Und so ist das Nachschauen ins geschichtliche Detail für hier nicht allzu schwierig.

OT/ATMO 6 hoch bis Ende:

… aber das ist Geschichte der Brauereien in Altheim.

Und sonst, selbst Chronik schreiben? Chronist zu sein? Das wäre zu viel, meint Sebastian, aber ein Tagebuch geht sich schon aus.

(00:39) OT 7 Tagebuch (66)

Ja ich schreibe nur was rein, wenn … so was wie Anne Frank, mache ich nicht, das ist mir zuviel.

Anne Frank, Schülerin, getötet während des 2. Weltkriegs durch Nazi-Schergen. Das ist neuere Geschichte, wie Sebastian in der Schule lernt. Er weist auf die Kästen links hinten im Gemeindearchiv hin.

(00:36) OT 8 3. Reich (67)

Da sind dann noch die Akten vom 3. Reich … dass man weiß wo man suchen muss, wenn man was sucht. (Geräusch).

3

In vielen Land-Gemeinden wurden die Dokumente der Kriege vernichtet, Aufzeichnungen zu den Taten und Gesinnungen der Gemeindebevölkerung aus den Chroniken herausgerissen. Für Sebastian Mitterbauer ist es noch zu früh, das Kapitel „2. Weltkrieg und die Altheimer zu öffnen. Es seien einfach noch zu viele am Leben, die das betrifft.

Der Chronist als Verschlossener. Als Hüter der Geschichte. Was er findet und übersetzt, mag an die Außenwelt dringen. Was er verbirgt, bleibt wohl für immer verborgen.

(00:48) OT 9 Rauschige (68)

Da hat es einmal in der Fastnacht … aber es ist gut, dass es so etwas heute nicht mehr gibt.

Heute. Wieder zurück, hier und jetzt, erzählt Sebastian von seinen Berufsplänen. Er möchte Tischler werden. Heimatforscher möchte er bleiben. Als Nebenberuf.

(00:28) OT 10 Zukunft – Geschichte studieren (69)

Ich werde es sicher nicht so betreiben … die was schon warten drauf, dass sie wo reinkommen.

Sebastians Vater ist selbst an der Geschichte des Ortes interessiert, er hat seinen Sohn schon früh mitschauen lassen bei dem, was er tut.

(00:22) OT 11 Vater (70)

Und das hat mich einfach interessiert … Dokumente herumgelegen, das hat mich damals schon interessiert..

Eigentlich ist Sebastian Mitterbauer ein ganz normaler Jugendlicher. Vielleicht etwas restriktiv beim Fernsehen seien seine Eltern, meint Sebastian, deshalb spielt sich sehr viel im eigenen Kopf ab.

(00:09) OT 12 Normal sein (71)

Meine Hobbys wie Radfahren … nur dass ich einen Vogel habe für die Heimatkunde, das ist nicht ganz normal.