Foto: Lothar Bodingbauer, Braunau 2016

Programmtext

Eine Kleinstadt auf der Suche nach der Normalität: Adolf Hitler wurde in Braunau am Inn geboren. Wie es die Braunauer selbst heute mit diesem sensiblen Thema halten, darum geht es in dieser Sendung. Für die einen ist es unerwünschtes Erbe, sie wollen nicht mehr darüber reden. Für die anderen ist Braunau der ideale Ort fü eine historische Psychotherapie. Braunau am Inn. Eine Kleinstadt auf der Suche nach der Normalität.

Sendung (mp3)


Trailer

MITTAGSJOURNAL – Programmankündigung Journal-Panorama Braunau

Die fünfzig-Jahre Jubiläen häufen sich dieser Tage in Österreich und Deutschland.

Kommenden Sonntag vor fünfzig Jahren, am 30. April 1945, hat Adolf Hitler im Führerbunker in Berlin sein Leben beendet.

Dieses Leben mußte auch irgendwo beginnen, Adolf Hitler wurde in Braunau am Inn geboren.

Wie es die Braunauer selbst heute mit diesem sensiblen Thema halten, darum geht es im heutigen Journal-Panorama.

Für die einen ist es unerwünschtes Erbe, sie wollen nicht mehr darüber reden. Für die anderen ist Braunau der ideale Ort für  eine historische Psychotherapie.

Braunau am Inn. Eine Kleinstadt auf der Suche nach der Normalität. Heute Abend im Journal-Panorama, um ca. 18.20 im Programm Österreich 1.


Manuskript

BRAUNAU – Eine Kleinstadt auf der Suche nach der Normalität

April 95, ORF Radio Österreich 1: Journal-Panorama, 30 Minuten

Lothar Bodingbauer / Manuskript ohne letzte Korrekturen


C ATMO Radfahrer + Reportagetext

Viele Besucher erreichen Braunau auf dem Innradweg. Natur und Kultur an der Grenze zwischen Hüben und Drüben. Den verschwitzten Radlfahrer erwartet hier unter der Innbrücke eine Informationstafel. Sie erzählt vom Flair urbanen Lebens, vom Fluidum einer in Jahrhunderten gewachsenen Handelsstadt. Dem Innviertler an sich wird Arbeitsfleiß zugesprochen, und eine starke Heimatbindung, die durch eine geradezu barocke Lebensfreude ergänzt werde. Vom unglücklichen Buchhändler Johann Philipp Palm ist die Rede, der 1806 von den Franzosen erschossen worden ist, vom 100m hohen Stefansturm, von den Stadtmauern, von der freiwilligen Feuerwehr, von der Glockengießerei. Aber ist hier nicht auch… Wird hier nicht etwas verschwiegen?

A SPRECHERTEXT SPRECHER A

Als glückliche Bestimmung gilt es mir heute, daß das Schicksal mir zum Geburtsort gerade Braunau am Inn zuwies, liegt doch dieses Städtchen an der Grenze jener zwei deutschen Staaten, deren Wiedervereinigung mindestens uns jüngeren als eine mit allen Mitteln durchzuführende Lebensaufgabe erscheint.

B TEXT

Adolf Hitler – mein Kampf

A OT Bahnhof

Bahnhof Braunau am Inn, Bahnhof Braunau am Inn. Nächster Anschluß: Triebwagenregionalzug nach Wels, Planabfahrt 15.31 vom Bahnsteig 2

Braunau – oder kenn´ ich das Wort nur, weil dort der Hitler geboren ist? Wahrscheinlich von dem.

C ATMO Innplätschern (in den letzten Satz)

B TEXT

Der Zufall wollte es, daß 17.000 Braunauer Bürger heute mit einem historischen Erbe leben, das nur wenige, aber doch einige erfreut. Am 20. April des Jahres 1889 wurde in ihrer Stadt Adolf Hitler geboren, und dafür ist der Name Braunau in aller Welt bekannt.

—ATMO weg im letzten Satz

A OT Mix

Adolf was born there – haha

Das mußten wir gut genug lernen in der Schule

Braunau – das liegt doch irgendwo an der Grenze, oder?

Ja, weil wir haben das früher oft genug gehört, wo er geboren ist, und das hat man sich gemerkt, und früher war unser Gedächtnis noch in Ordnung, darum weiß ich´s. Es zieht mich nichts dahin.

Naja, das ist immer so a eigene Sache, die was man heute, sagen wir, irgendwie schon, ich meine, nicht unbedingt vergessen, aber net das ganze wieder aufzeichnen.

+++ATMO Innplätschern hoch

B TEXT

Von der Sorge um die Vergangenheit abgesehen, gibt es in Braunau ganz andere Probleme. Die wirtschaftliche Situation ist mit der Krise der Aluschmiede AMAG nicht gerade gut, und dem Bau einer Sondermüllverbrennungsanlage kann die Bevölkerung absolut nichts abgewinnen.

Kultur- und Tagespolitik haben anscheinend nichts miteinander zu tun, für Wolfgang Simböck jedoch ist der einschlägige Ruf Braunaus mit der wirtschaftlichen Entwicklung verbunden. Das hat der mittlerweile verstorbene Politiker in einem Interview kurz vor seinem Tod so formuliert.

—ATMO endgültig weg

A OT Simböck

Denn Konzerne, in zunehmenden Maß internationale Konzerne, auch amerikanisch dominierte Konzerne werden, wenn sie sich ansiedeln, das Image betrachten. Sie müssen ihre Ware auch verkaufen, am Briefpapier steht der Standort Braunau, und deswegen müssen wir darauf achten, daß das ein guter Name ist, ein klangvoller Name. Und das ist unsere einzige Chance, diesem Namen einen guten Klang zu geben, wenn wir uns der Vergangenheit stellen, und was Positives daraus machen.

C ATMO Straße/Glocken

B TEXT

Begeben wir uns nun auf einen Braunauer Stadtspaziergang. Stadtbewohner und Gäste promenieren gemeinsam des Sonntags zwischen Straßencafés und geparkten Automobilen. Bunt sind die Fassaden der Bürgerhäuser – eine richtige Innstadt. 

A SPRECHERTEXT SPRECHER B

Die Straßen sind so sauber, als hätte man sie mit einem Shampoo gewaschen. Die Sonne scheint warm, die Kinder sprechen munter durcheinander, und die Erwachsenen lächeln. Es ist ein rührendes Bild.

B OT Besucher —ATMO leise

Ja, wir machen hier nur eine ganz kurze Stippvisite, wir sind in Bad Füssing, zur Kur, und machen dort einen Ausflug hier rum. Wir wollen erstmal hier kucken, wo das Geburtshaus ist, verstehen Sie, das wollen Sie gerne hören, das wollen Sie wissen, ne?

A SPRECHERTEXT SPRECHER B +++ATMO lauter

Und plötzlich schießt ein Gedanke durch den Kopf. Kann es denn wirklich sein, daß in diesem Paradies, wo Ruhe und Wohlstand herrschen, daß in dieser Stadt Hitler geboren wurde? Ist er wirklich diese Straßen entlang gegangen? Und hat hier die besorgte Mutter den kleinen Adolf hier an die Hand genommen? Ging er in diese Schule? Saß er wirklich auf dieser Parkbank? Großer Gott, was das Leben doch für Absurditäten bringt!

B TEXT

So schreibt Ilja Levitas über seinen Besuch in Braunau, er ist Vorsitzender des Zentralrates der Juden in der Ukraine.

Wir durchschreiten das Salzburger Tor und gelangen in die sogenannte Salzburger Vorstadt, wo es auf der linken Seite ein unscheinbares gelbes Haus mit der Aufschrift “Volksbücherei Braunau gibt”.

A OT Besucher —ATMO leise

Ist der da geboren, in dem Haus, ich denke, ich hätte mal ein kleines Haus gesehen in der Zeitung, aber das ist ein großes Haus!

Wir haben gefragt, prompte Antwort, ein jeder hat uns gesagt, da ist es. Da haben wir gefragt … warum nicht abgerissen? Na ja, es fällt ja so zusammen, habe ich gesehen.

B TEXT +++ATMO lauter

Die Braunauer selbst sind mit den Gegebenheiten vertraut. Oft wird man gefragt, wo das ominöse Haus zu finden sei.

A OT Mix —ATMO leiser

Äh, weil ma heut a Eis holn gehen, und da weiß ich genau, ein paar Schritte weiter, da ist das Hitlerhaus, und da steht der Stein davor. Da ist a Schrift drauf – Was steht da drauf? – Des weiß ich net.

I bin schon gefragt worden auch – ich sags ihnen halt, wos ist, und halte mich möglichst draus, weg wieder.

bin jetzt 36 Jahre da, und bin des öfteren gefragt worden, wo das Hitlerhaus ist, ich sags den Leuten, wer sichs gerne anschauen will, der soll sichs anschauen.

B OT Kotanko +++ATMO lauter

Als eingesessener Braunauer kenne ich seit vielen Jahren die mehr oder weniger versteckte Frage von Gästen, wo ist das haus. Nun, diese Frage kann eindeutig beantwortet dahingehend beantwortet werden: Das Haus steht hinter dem Mahnstein.

A MUSIK Avo Pärt

B TEXT +++ATMO lauter

“Für Frieden, Freiheit und Demokratie. Nie wieder Faschismus. Millionen Tote mahnen”. Das ist die Aufschrift auf dem Stein, Granit aus Mauthausen. Will jemand das Haus fotografieren, ist das Mahnmal mit dabei. Das ist durchaus beabsichtigt, gesteht Bürgermeister Gerhard Skiba.

A OT Bürgermeister

Es gibt zig Leute, die das Haus anschauen, die sollen in dieser Verbindung mit dem Anschauen mit dem Mahnstein und der eingearbeiteten Aussage konfrontiert werden.

B SPRECHERTEXT SPRECHER B

Hier hat der kleine Schicklgruber wohl über seinen Büchern gesessen? Nichts in dieser Stadt erinnert daran, daß hier dieser Unmensch, der den Menschen so viel Leid und Schmerz zugefügt hat, zur Welt gekommen ist. Man spricht hier nicht gerne über ihn Und nichts erinnert daran.

A OT Mix —ATMO leiser

I tät sagen, ein Andenken brauchens ihm nicht gerade machen.

Die sollen a Museum einimachen und a Ruh ist. Das kann man doch eh nicht leugnen, die Zeit war. Unten sollens a Restaurant einimachn, oben die Ausstellungen, und dann hat Braunau eine enorme Einnahmequelle. Dann brauchen die Leiter nicht mehr lange zu fragen, dann wissens, dort ist es.

— ATMO im nachfolgenden Text verplätschern lassen

B TEXT

Der Politologe Andreas Maislinger, als Einheimischer mit den Besonderheiten der Stadt und seiner Bürger vertraut, sieht eine andere Zukunft: Das Hitlerhaus soll weggerissen und etwas Neues gebaut werden.

A OT Maislinger

Obwohl dieser Vorschlag aus Israel gekommen ist, sehe ich schon die Schlagzeilen in der ganzen Welt: Braunau entledigt sich der Geschichte. Braunau will das Hitlererbe weghaben, will etwas leugnen. Das heißt, Braunau kommt von diesem Image nicht weg. Aber trotzdem. Wenn man das international absichert und breit diskutiert, das Haus ist Baufällig, es muß renoviert werden. Aber warum soll man gerade dieses Haus renovieren, also weg damit.

B TEXT

Fragen wir eine Amerikanerin, die die Altstadt interessiert, und die sie genau unter die Lupe nimmt. Wünscht sie sich mehr Informationen über Adolf Hitler hier in Braunau?

A OT Amerikanerin

ÜBERSETZUNG

Nein, nicht unbedingt. Ich glaube, daß sich die Leute hier irgendwie dafür Schämen, unglücklicherweise hat Hitler dieser Stadt einen schlechten Ruf gebracht. Er ist einfach hier geboren, das ist alles. Es gibt genug Informationen überall auf der Welt, über das, was mit Hitler war, und was er getan hat.

B TEXT

Es gibt in Braunau eine Handvoll Leute, die sich bemühen, dem rechtslastigen Ruf der Stadt und seiner Bürger entgegenzuwirken. Aber nicht allen Braunauern ist das ein Anliegen. Das zeigt sich an einem anderen Haus der Altstadt, nur ein paar Schritte vom Hitlerhaus entfernt. Anläßlich einer Fassadenrenovierung erschien dort ein Spruch, in dreißig Zentimeter hohen braunen Lettern, der heute zweifelhafte Assoziationen weckt und die Gemüter erhitzt.

A OT Besucher + Simböck

Am deutschen Wesen soll die Welt genesen – wo steht denn das? Was hat das für einen Sinn und Bedeutung? Was hat das mit Österreich zu tun? Ihr seid Österreicher und wir sind Deutsche, das ist der Unterschied.

B TEXT

Die Besucher aus Deutschland sind irritiert. Der verstorbene Kulturstadtrat Wolfgang Simböck fand die Aufschrift provozierend.

A OT Simböck ACHTUNG Pegel zu hoch

Diese Provokation, die meiner Meinung nach eine sehr arge ist, wenn man nämlich bedenkt, wo die Aufschrift herkommt, daß es Leute gibt, die ihre Angehörigen verloren haben, die von dieser Art des deutschen Wesens höchst beleidigt sein müßten, das ist ganz schlimm.

B TEXT

Auf der Suche nach der Bedeutung dieses Spruches, erzählt uns Hausbesitzer Ludwig Seidl, daß der Spruch nicht mißzuverstehen wäre, weil es ja kein politischer sei:

A OT Hausbesitzer + Simböck

Es trifft ja eigentlich … in dem Sinn soll es ja ein Genesenswunsch sein, und nicht eine politische Bestimmung, so wie das jetzt von den Medien in Verbindung gebracht wird. Es heißt ja, am Deutschen Wesen soll die Welt genesen, man erinnert sich an die Aufbauzeit nach dem Weltkrieg, und nachdem die Deutschen wirklich etwas hervorragendes geleistet haben, sollte das als Genesungswunsch ursprünglich auch verstanden worden sein, aber weil man heute schon Schwierigkeit hat, wenn man das Wort Deutsch oder Deutschtum in den Mund nimmt, verurteilen das halt viele.

– Dieser Hausbesitzer ist also eindeutig deutschnationalen Kreisen zuzuordnen, das bestreitet er zwar, aber ich weiß, daß er beim Österreichischen Turnerbund engagiert ist, also für mich ist die Sache ziemlich eindeutig.

B TEXT

Der sinnige Spruch wurde schon 1920 an der Fassade angebracht. Er ist im Laufe der Zeit bis zur Unkenntlichkeit verwittert. Glaubte man ursprünglich den Verfasser als Theodor Körner zu identifizieren, ist sich nun das Bundesdenkmalamt sicher, den Urheber in Emanuel Geibel zu finden. In seinem 1861 verfaßten Gedicht “Deutschlands Beruf” lautet die letzte Strophe:

A SPRECHERTEXT SPRECHER A

Macht und Freiheit, Recht und Sitte,

Klarer Geist und scharfer Hieb,

Zügeln dann aus starker Mitte

Jeder Selbstsucht wilden Trieb.

Und es mag am deutschen Wesen

einmal noch die Welt genesen.

B TEXT

Emanuel Geibel schrieb im Vorfeld des deutsch-französischen Krieges von 18640 eine Reihe patriotischer Gedichte und begegnete der aufkommenden Kriegsbegeisterung mit antifranzösischen Untertönen. Rechtliche Möglichkeiten, den Hausbesitzer zum “Überweisseln” anzuhalten, gibt es nicht, das mußte auch Bürgermeister Gerhard Skiba erfahren. Wolfgang Simböck fand auch, daß im Stadtamt selbst Fehler gemacht wurden.

A OT Simböck

Noch dazu kommt, daß ein äußerst unglücklicher, um nicht zu sagen verbrecherisch blöder Beamter der Stadtgemeinde nichts daran gefunden hat, als ihm der Spruch vorgelegt wurde, und gefunden hat, das sei in Ordnung, diesen Spruch so anzubringen, der sich irgendwie nur darum gekümmert hat, ob die Schrift auch ordentlich Frakturschrift sei, und Altstadtgerecht, und inhaltlich nichts daran gefunden hat. Meiner Meinung war das wirklich kriminell dumm.

B TEXT

Die Braunauer selbst sind geteilter Meinung, Gesetz den Fall, man macht sich darüber Gedanken.

A OT Mix

I was net, ob des draufghört oder net, sollen andere entscheiden, das ist meine Meinung.

Ja des is in Hausbesitzer sei Sach, und sunst geht des überhaupt neamt nix an.

Meiner Meinung nach, hinpassen tuts auf keinen Fall, weil in der Zeit samma nimma, wo des war.

Die Welt genesen, die hätts notwendig, daß die Welt genest, weil die ganze Welt eine Kloake ist – Durchs Deutsche Wesen? – Das einzige Wesen, das ich auf der Welt betrachte, ist der Mensch.

B TEXT

Sehen die einen eine Diskussion zu diesem Thema als unumgänglich an, glauben die anderen eher an eine Verschwörung.

A OT Mix

Ja von den Sozialisten gibts Probleme. Aber der Spruch ist schon weit älter, als es die Sozialisten überhaupt gibt. Sollen die Sozialisten erst einmal Geschichte lernen, dann wissens, was gemeint ist.

Und des is mei Meinung, daß die, die künstlich a böses Blut machen, die das künstlich aufputschen, böses Blut machen, oder von zur Zeit bestehenden Problemen ablenken.

B TEXT

Und überhaupt:

A OT Mann

Des is schon lang vorher gewesen, und warum sollen wir unsere Geschichte ändern, die schon lange vor Hitler gewesen ist. Mir san mir und des is immer scho gewesen, wurscht wer da auf die Welt gekommen ist oder nicht.

LIED: Oberösterreich – bist so sche – bist so rein – liabs schens Oberösterreich, dir bleib i treu.

B TEXT

Inzwischen ist es in Braunau wieder ruhig geworden. 

A OT Mann

Na ja, es gäbe viel zu erzählen, gäbe viel zu erzählen.

C ATMO Stadt

B TEXT

Die Fassade des renovierten Altstadthauses hält die Spuren der Kontroverse fest: Neben dem in brauner Farbe gehaltenen Spruch selbst, zieren große, schwarze Farbklexe, Hammer und Sichel die Fassade. Haus- und Spruchbesitzer Ludwig Seidl:

A OT Hausbesitzer

Jetzt ist es eigentlich relativ ruhig, es ist immer noch ein kleiner Teil, der möchte, daß des runter kommt, was genau passiert, kann man noch nicht sagen. Also wenn wirklich die breite Bevölkerung der Meinung wäre, es sollte der Spruch herunter, dann würde ich ihn wieder herunter geben.

B TEXT

Das normale Leben in Braunau unterscheidet sich wahrscheinlich nur unwesentlich von dem anderer Kleinstädte in sensiblen wirtschaftlichen Regionen. Nur, Adolf Hitler wurde eben in Braunau geboren. Wie man mit diesem Erbe umgehen soll, ob es vielleicht gescheiter wäre, das Ganze als einen Fauxpas des lieben Gottes zu sehen, und nicht mehr darüber zu reden, darüber besteht keine Einigung. —ATMO weg

Ein Versuch, die Vergangenheit in den Griff zu bekommen, sind die Braunauer Zeitgeschichte Tage, die seit drei Jahren immer im September über die Bühne gehen. In Diskussionsforen und Vorträgen werden Fragen nach dem richtigen Umgang mit dem sensiblen Erbe behandelt. Der Politologe Andreas Maislinger ist der wissenschaftliche Leiter der Braunauer Zeitgeschichte Tage.

A OT Maislinger

Das Thema der 4. Zeitgeschichte Tage vom 22. – 24. September 1995 ist der Fall Jägerstätter. Titel der Tagung ist “Notwendiger Verrat”. Für viele, die Mehrheit, ist Franz Jägerstätter ein Vaterlandsverräter, wie es auf den Kriegerdenkmälern steht. Hat seine Familie verraten.

Zum ersten Mal wird auf einer Breiten Basis über Jägerstätter diskutiert, es hat noch keine Debatte über Jägerstätter gegeben. Mit breiter Basis meine ich auch die Braunauer Bevölkerung, Bauern, aus St. Radegund und Wissenschaftler aus Israel, Deutschland und den USA. Das ist ja das reizvolle an den Braunauer Zeitgeschichtetagen, daß einfache Wissenschaftler mit normalen Leuten reden.

B TEXT

Fritz Muliar soll kommen, der Salzburger Weihbischof Andreas Laun, Fundis und Realos, Total-Verweigerer und Bundesheeroffiziere. 

Franz Mittermaier, Lehrer an der Handelsakademie und Freiheitlicher Vizebürgermeister sieht die Aktivitäten der deklarierten Verdrängungsgegner anders:

A OT Mittermayer

Ein Großteil der Bevölkerung ist diesen Sachen von Anfang etwas distanziert gegenübergestanden, weil man den Eindruck gehabt hat, daß mit diesen Zeitgeschichtetagen die linke Szene, die sehr aktiv ist, Politik machen will, sozusagen Politik der Umerziehung der Braunauer durch verordnete Vergangenheitsbewältigung, und dafür gibt es in Braunau wenig Verständnis, vor allem deswegen, weil wir die Erfahrung gemacht haben, nicht nur in Braunau, daß solche Aktionen der Vergangenheitsbewältigung ja doch immer wieder gerade dann, wenn sie von der linken Seit inszeniert werden, in irgendwelchen Schuldzuweisungen enden, und diese Sache lehnen wir eigentlich ab, weil wie ich schon gesagt habe, wir in Braunau nicht der Meinung sind, daß uns oder unserer Stadt eine besondere Schuld an den Ereignissen vor 50 Jahren treffen würde.

B TEXT

Die einen legen die Wunden der Vergangenheit offen, andere wollen sie endlich schließen. Es ist im Grunde die gleiche Problematik wie beim Tauziehen. Man zieht am selben Strang, aber nicht in die gleiche Richtung. Noch einmal Franz Mittermayer:

A OT Mittermayer

Und wenn der Bürgermeister sagt, und da komme ich auf das, ja das ganze ist eine Werbung für Braunau, da sind wir auch anderer Meinungen wir glauben, daß man mit diesen schrecklichen Ereignissen von damals keine Werbung betreiben sollte. Und wenn Sie fragen, was haben wir dem entgegenzusetzen, nun wir glauben, daß es vielleicht wichtiger ist, sich hier in Braunau mit der Gegenwart zu beschäftigen, mit den Problemen der Wirtschaft, der jungen Leute usw, damit ist es, glaube ich leichter möglich, die jetzige Demokratie zu festigen, und damit können wir besser sicherstellen, daß es zu so unheilvollen Entwicklungen wie das vor 50 60 70 Jahren geschehen ist, nicht mehr kommt. Und ich glaube, die Leute in unserer Stadt möchten lieber in die Zukunft schauen, weil dort die Probleme liegen. Na, wir haben uns bis jetzt zurückgehalten, wir haben uns distanziert von diesen Aktivitäten und das werden wir von den Freiheitlichen auch weiterhin tun.

B TEXT

Dem Evangelischen Pfarrer Peter Unterrainer sind die Vorwürfe der Freiheitlichen vertraut. Er ist Mitglied des Personenkomitees für Jägerstätter.

A OT Unterrainer

Es ist von seiten der Freiheitlichen Partei der Vorwurf gekommen, wir wollen mit Jägerstätter eine Konfrontation aufbauen mit der Kriegsgeneration hin, dieser Vorwurf war schon eine Bösartigkeit an sich und war natürlich taktisch auf die Kriegsgeneration ausgerichtet, die ja alles auf Verdrängung ansetzt, und hat schon eine breite Wirkung gezeigt hier in Braunau, sodaß zu den Veranstaltungen nur vereinzelt Menschen aus dieser Generation gekommen sind. Aber was wir wollen ist die Versöhnung mit der Kriegsgeneration, und die Versöhnung der Kriegsgeneration mit sich selbst.

B TEXT

Warum kann den dieser Jägerstätter die Menschen so polarisieren?

A OT Unterrainer

Dieser Jägerstätter hat nichts anderes gemacht, als…

B TEXT

In Braunau begegnen wir dem Phänomen, daß die politische Rechte schon weit auf der linken Seite beginnen kann. Als im Stadtparlament über den Vorschlag abgestimmt wurde, zu Ehren Franz Jägerstätters einen Brunnen zu errichten und eine Straße zu benennen, stellte sich auch die sozialdemokratische Partei gegen des eigenen Bürgermeisters Vorschlag. Punschkrapferlsozialismus nennt Pfarrer Unterrainer diesen Vorgang. Außen rosa, innen braun. Zuwenig Information, meint Bürgermeister Gerhard Skiba.

A OT Skiba

Es ist meiner Meinung nach, und das muß ich auch eingestehen, sicherlich zu wenig Aufklärungsarbeit betrieben worden. Einfach nur zu sagen, das ist eine gute Absicht, und wir möchten das machen, und wir können damit einen guten Dienst für Braunau zustande bringen, das ist offensichtlich zu wenig.

B OT Mix

Ich finde, daß dieser Jägerstätter durchaus eine umstrittene Person ist, er hat mit dem System, das damals geherrscht hat, eine Konsequenz an den Tag gelegt, ich finde das gehört gewürdigt.

Braunau hat mit Jägerstätter nichts zu tun. Der Jägerstätter hat eh alles genau kennt, der weiß eh, was mit ihm los war. Alles schad ums Geld. Der hat ja nichts gut gemacht, der hat sich nur aus Dummheit um Kopf und Kragen gebracht, mehr ist dazu nicht zu sagen, haha.

C ATMO Schule

A TEXT

Für Florian Kotanko, liegt die Problematik noch nicht bei den Akten. Er ist Lehrer am Gymnasium und Mitglied des Personenkomitees für Jägerstätter. 

B OT Kotanko

Das Personenkomitee wird nicht lockerlassen, sondern wir werden versuchen, Überzeugungsarbeit zu leisten, daß die Erinnerung an Franz Jägerstätter nicht ein Denkmal gegen jemanden ist, sondern ein Denkmal für jemanden ist. Es werden dadurch, daß man ein Denkmal für jemanden baut, ja nicht alle anderen abqualifiziert.

—ATMO weg im nächsten Satz

A TEXT

Und was macht die Braunauer Jugend. Gibt es eine linke Szene, gibt es rechte Umtriebe?

B OT Mix

Warn amoi a paar Hooligans da, aber das hat sich schnell verlaufen.

Ja die han überall

Da gibts eher a linksradikale Szene, habe ich das Gefühl.

(Jugendlicher) Geht mi nix an, i bin ka rechter und a ka linker. Pfft. geht mi nix an der ganze Schaas. Solln tun was meng.

A TEXT

Tatsächlich gibt es in Braunau keine eindeutig politisch zuordenbare Jugendszene. Abgesehen von Herumgröhlern, die im Rausch Parolen brüllen. Die eigentliche, intellektuelle rechte Szene befindet sich in der Nachbarstadt Ried, meinen einige Braunauer. Gelegentliche rechte Auftritte gibt es trotzdem. Auch Haus- und Spruchbesitzer Ludwig Seidl hat Beobachtungen gamacht.

B OT Seidl

Habe ich eigentlich noch nicht mitbekommen, auch wenn sich die rechten Jugendliche, wobei das eine gewisse Randerscheinung ist, in Braunau vor dem Hitlerhaus treffen; vor meinem Haus habe ich das gottseidank noch nicht bemerkt, und ich möchte es auch nicht.

A TEXT

Es tut sich für Jugendliche eigentlich nichts besonderes in Braunau.

B OT Jugendlicher

Schau es fangt schon beim Fortgehen an, die Möglichkeiten sind sehr begrenzt, Du mußt 30 bis 60 km fahren, damit du was machen kannst. Freizeitmöglichkeitn, das Jugendzentrum war nicht schlecht, gehen aber immer dieselben rein. So ist Braunau eher Scheißdreck, echt. Haha, stimma tuts.

C ATMO Gedenkdienstaktion

A TEXT

Es dauerte eine Weile, bis die Beschäftigung mit der belastenden Vergangenheit in Braunau normal wurde. Das Repertoire der Freudschen Abwehrmechanismen funktioniert auch im Innviertel ganz gut. Mittlerweile sehen die meisten der Braunauer die Aktionen der “Erinnerer” nicht mehr als einen Angriff auf die eigene Psyche. Immer wieder finden Aktionen statt, die sich mit der Aufarbeitung der Geschichte befassen. Wie beispielsweise vom Projekt Gedenkdienst, einer Einrichtung, der es österreichischen Zivildienstleistenden ermöglicht, sich mit der nationalsozialistischen Zeit und dem Holocaust auseinanderzusetzen. 

B OT Passantin

Mindestens drei Millionen Juden gehen zu Lasten der an den Verbrechen beteiligten Österreicher. Simon Wiesenthal – ist der Jude? (Heiterer Ausruf:) Möchts Euch jetzt in die österreichische Politik einmischen, ja ihr gehörts jetzt auch zu uns, die EGler. Jetzt haben die Österreicher nichts mehr zu sagen, Hahaha, jetzt gehts euch dran.

A TEXT

Jene Personengruppe, die die unrühmliche Vergangenheit dokumentieren will, ist sich aber noch nicht einig was genau dokumentiert werden soll. Den österreichischen Widerstand oder die österreichische Mittätersschaft. Der Politologe Dr. Andreas Maislinger bringt jedenfalls seine Aktionen gerne nach Braunau.

—ATMO weg

B OT Maislinger

Ich gehe davon aus, daß es genau der richtige Ort ist, um auf eine Tatsache hinzuweisen, daß Österreicher an einem besonderen Ausmaß an der Vernichtung der Europäischen Juden beteiligt waren. Daß man genau diese Tatsache dokumentiert. Und sonst nichts. Keinen österreichischen Widerstand, der wurde schon zu Genüge, ich meine immer mehr übertrieben dokumentiert, durch das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. Ich möchte, daß in Braunau diese Seite aufgezeigt wird.

A OT Frau

Na, dieses Braunau, kommt ganz unschuldig dazu?! Hmhm. (Nachdenklich) Wir können ja nichts dafür. Ich bin trotzdem hier noch gerne.

B OT Bürgermeister

Für mich ist wichtig, daß soviel wie möglich Leute Einkommen, Lebensbedingungen haben, die dazu führen daß sie zufrieden leben können. Unzufriedenheit, Neid, Ärger und Zorn und was immer daraus entsteht, wenn man mit der eigenen Lebenssituation nicht zufrieden sein kann, das ist der Nährboden für viele solcher Entwicklungen.

A OT Simböck

Ganz wichtig ist es, daß die Leute die Möglichkeit haben, Kultur selbst zu machen.

C ATMO Clubhaus

B TEXT

Wir beenden unseren Stadtspaziergang in Bahnhofsnähe und hören durch die offenen Fenster eines kleinen Clubhauses die Verwirklichung des Wunsches, Kultur selbst zumachen.

—ATMO weg

A OT Liederkranz Probe

Wir sind die Chorgemeinschaft Liederkranz Braunau. Wir bestehen aus ungefähr 40 Mitgliedern und kommen jede Woche zusammen, um zu proben. Unser Programm ist eigentlich sehr vielfältig. Wir pflegen unter anderem das österreichische Volkslied als Teil unseres Repertoires, und das ist nicht als Patriotismus oder Nationalismus gedacht, sondern rein als Teil unseres Liedgutes. Wir sind politisch nicht aktiv. Wir sind eine Chorvereinigung, wir singen aus Freud am Singen, und das ist alles.

B Musik “Hörst Du das Lied der Berge?”

ENDE