Gute Stimmung bei der Königin der Instrumente Das Stimmen einer Orgel ist eine wahre Sisyphusarbeit. Ständig ändert sich die Temperatur im Kirchenraum und damit auch die Tonhöhen der Pfeifen. Kein Zweifel: Die Orgel lebt. Für den Orgelbaumeister Adolf Donnabaum ist das ein Traum. Einen Tag vor der Aufführung des „Messias“ schütteln sich am frühen Morgen der Cembalostimmer, der Mikrofonierer und der Orgelstimmer die Hände. Die Klangherren haben jene Helfer aus dem Saal vertrieben, die polternd an den Sesseln herummräumten, und jeder der drei bekommt nun die angemessene Zeit für seine Aufgabe. Zwei Stunden hat sich Adolf Donnabaum herausgehandelt. Er ist Orgelbaumeister. 500 Pfeifen erwarten ihn im Gehäuse der „Franz Schmitt Orgel“, der Hausorgel eines früheren Leiters der Wiener Philharmoniker. Still ist es im Raum geworden. Nur der elektrische Blasebalg wird unhörbar zur Arbeit fauchen. 24 Orgeln hat Adolf Donnabaum im Laufe der letzten dreißig Jahre selbst gebaut: „Mit diesem Instrument kann man alles ausdrücken, was der Mensch sagen will. “ Genau das wird Händels Oratorium mit gemessenen 443, 3 Hertz für den Grundton „a“ machen. Dieser Kammerton wird sich noch erhöhen, wenn Menschen kommen, und mit der mitgebrachten Temperatur die Tonhöhe der Orgelpfeifen steigen lassen. „Wenn man eine Metallpfeife auch nur in die Hand nimmt, ändert sich der Ton. Das macht das Stimmen ziemlich schwer“. Zuerst wird der Grundton gestimmt, und dann geht es mit Oktaven, Quinten und Quarten auf- und abwärts. Das Principal ist das erste Register, das so gestimmt wird, alle anderen ordnen sich ihm unter. „Wohltemperiert“ heißt die Stimmung, und das bedeutet, daß der unvermeidliche mathematische Stimmfehler, das sogenannte „pythagoräische Komma“, gleichmäßig auf alle Intervalle aufgeteilt wird. Der Orgelbaumeister arbeitet schnell und konzentriert. Legt Bleigewichte auf die Tasten, ohne Assistent könnte er sonst nicht den Ton anschlagen und gleichzeitig die Pfeifen aus ihrem vorgsehenen Platz nehmen. Störungen beim Gang der Arbeit quittiert er mit zwei steilen Falten auf der Stirn. Das Funktelefon ist abgeschaltet. Abgelenkt will er während der Zeit des Stimmens nicht werden, „die Konzentration wäre dahin, nach einer Stimmung bin ich ohnehin geistig ziemlich ausgebrannt“. Unterstützung kommt von einem elektronischen Meßgerät, das mit wandernden Strichen anzeigt, ob der vorgeschlagene Ton zu hoch ist, oder zu tief. Das geht aber nicht mehr bei Mixturen, bei denen mehrere Pfeifen gleichzeitig durch einen einzigen Tastendruck aktiviert werden. Das Meßgerät kann zwar mit den Vorlieben des Stimmers programmiert werden, es kann jedoch nicht mehr zwischen mehreren Tonhöhen unterscheiden, und auch nicht zwischen Klang und Geräusch. „Ob der Fehler in den Obertönen liegt, oder nicht, kann nur das geschulte Ohr auseinanderhalten. Aber das Meßgerät ist schon eine Erleichterung. 80% der Arbeit kann ich damit sehr schnell machen, für den Rest brauche ich meine Ohren, und vor allem, mein Gefühl“. Das Stimmhorn ist das wichtigste Werkzeug für die Stimmung der Metallpfeifen. Auf der einen Seite eines Stabes sitzt ein Kupferkegel, mit dem die Öffnungen der Pfeifen aufgeweitet werden, die Töne werden damit tiefer. Mit der andere Seite des Stimmhornes, einem Trichter, werden die Pfeifen am oberen Ende wieder zusammengebogen, die Töne werden höher. Ein Korkgriff verhindert, daß sich das Stimmhorn erwärmt, was wiederum die Tonhöhe beeinflussen würde. Die Arbeit schreitet gut voran. Nur einzelne Intervalle machen Probleme. Und so tanzen mit den verstreichenden Minuten die Töne durch das Orgelgehäuse. Mit Katzenjammer hat das nichts zu tun, mehr vielleicht mit dem Quietschen einer Eisenbahn in Kurven. Im Inneren der Orgel vollzieht sich der Lauf der Töne einer Oktave gleichmäßig von einer Seite zur anderen. Nur die sichtbaren Pfeifen im Prospekt an der Front der Orgel sind nicht nach Tonhöhen, sondern nach ästhetischen Kriterien geordnet. Hören kann das Ohr den Mißklang zweier Töne durch die Schwebung: Ein regelmäßiges Lauter- und Leiserwerden des Zusammenklanges, ein paar mal pro Sekunde, oder auch nur einmal alle paar Sekunden. Und irgendwo dazwischen liegt der Kompromiß, das Ideal. Wo genau, wird durch Stil und Sicherheit des Stimmers festgelegt, und über diese Fragen wird unter Fachleuten gerne diskutiert. Das war schon immer so. „Es ist besonders tragisch, wenn bei der Orgel etwas nicht stimmt, denn die Töne der Orgel sind tragend. Die Leute hören jeden Fehler“. Violinspieler können falsche Tonhöhen unmittelbar ändern, der Cembaloklang verfliegt im Kirchenraum, aber der Orgelton krallt sich in den Winkeln und Nischen fest. Wenn alle Pfeifen halbwegs gleichmäßig verstimmt sind, dann kann ein guter Orgelspieler transponieren, das Stück einen Halbton höher oder tiefer spielen als im Notenblatt notiert. Nach einer halben Stunde ist das Principal fertig. Ein Ton des angestimmten Akkordes reißt noch aus und wird vom Stimmhorn gezähmt. Adolf Donnabaum gibt etwas verschämt zu, nicht so gut zu spielen, wie er stimmt, indes beenden einige wohlgestimmte Akkorde jene Monotonie, die durch die regelmäßig angeschlagenen Intervalle beim Stimmen eingetreten ist. Der Meister kratzt sich ein wenig an seinem kurzen weißen kurzen Bart und erinnert sich daran, den „Subbaß 8 Fuß“ nicht zu vergessen, eine Gruppe großer Pfeifen, die mit dem Pedal zum Toben gebracht werden. „In Wien“, zwinkert Orgelbaumeister Donnabaum dann zwischendurch, „kommen zuerst die Lipizzaner, dann die Sängerknaben und dann die Philharmoniker. Die Orgel wird oft so lange gespielt, bis es gar nicht mehr geht, solange sie noch irgendwie pfeift, wird sie benützt. “ Dann seien von 20 Registern vielleicht noch vier spielbar und der Organist schließt ständig Kompromisse. „Es gibt aber auch Orgelbesitzer, die ihr Instrument regelmäßig pflegen und stimmen“, und das müsse auch sein, denn die ständigen Temperaturwechsel der Jahreszeiten schlagen sich in veränderten Tonhöhen nieder. Früher, als die Kirchen noch nicht geheizt waren, war es noch besser – für die Orgeln. Und früher haben die Lederriemen in der Traktur der Orgel noch 50 Jahre gehalten, heute sind es durch die schnelle Art der Gerbung nur mehr 30 Jahre. „Da muß dann halt viel gemacht werden“, freut sich der Orgelbaumeister und leidet zugleich. Bei älteren Orgeln muß sich der Mensch dann an das Instrument anpassen, wenn etwa die Übertragung des Tastendruckes an die Windlade unter den Pfeifen nicht mehr unmittelbar sondern nur noch zäh funktioniert. Das gehört dann zur Persönlichkeit der Orgel. Aber das genau ist es, was Adolf Donnerbaum begeistert. Für ihn ist durch den Beruf des Orgelbauers ein Traum in Erfüllung gegangen. „Es hat alles gepaßt! Meine Eltern waren mit der Kirchenmusik sehr vertraut, ich habe Violine gelernt, und als ein Orgelbauer einen Lehrling suchte, war ich dabei. “ Gelernt hat er in Linz, und in den fünfziger Jahren ist er nach Holland gegangen, dort wo die große Tradition zu Hause ist. „Das kommt durch den Reichtum und das Konkurrenzverhalten der verschiedenen Konfessionen dort. Jeder wollte die schönste und wohlklingendste Orgel bauen lassen, und Geld war auch genügend da. “ Die Lehre zum Beruf des Orgelbauers dauert in Österreich dreieinhalb Jahre. Jedes Jahr beenden fünf bis zehn Lehrlinge diese Ausbildung. Die meisten Orgelbauer sind in Vorarlberg zu Hause, der Konkurrenzdruck im In- und Ausland ist groß. Dennoch sind die inländischen Betriebe gut ausgelastet. Es gab eine Zeit, da beschäftigte Adolf Donnabaum 8 Angestellten und wurde damit zum Manager. Heute arbeitet er – wenn nicht gerade Stimmzeit ist – allein in seiner Werkstatt im 3. Wiener Bezirk, an der Werkbank mit Holz- und Metallpfeifen, an Trakturen. Am Schreibtisch entwirft er Angebote und Konstruktionsplänen für neue Orgeln. „Wenn man in einen Raum kommt, der leer ist, und man bekommt den Auftrag, eine Orgel zu bauen, dann verbindet man architektonische und ästhetische Kriterien mit der musikalischen Kunst und dem Handwerk. Da wird alles konstruiert, angefertigt, zusammengebaut, gestimmt, das ist eine wunderbare Arbeit, man muß alles können, und daß aus Bäumen und Erzen so etwas entstehen kann, ist eine Faszination. Wenn es klingt, ist es vollendet. “ Richtig zufrieden ist Adolf Donnabaum eigentlich nie. „Orgelstimmen ist ja eine Sisyphusarbeit. Wenn man eine Zeitlang arbeitet, erwärmt sich die Luft hier durch den Orgelmotor, jede Luftbewegung wirkt sich aus, dann muß man irgendwann sagen: Schluß, jetzt paßt es“. Die Erwartungen an ihn sind hoch, und wenn die Königin trotz Huldigung verstimmt ist, halten sich die Veranstalter an ihn, auch wenn physikalische Gesetze an den Dissonanzen die Physik schuld sind. Oder die Bewegung. „Das Leben der Orgel ist eben immer vorhanden. “ Nach zweieinhalb Stunden sind die vielen Pfeifen und Register der Orgel in der Südstadtkirche in Maria Enzersdorf wieder befreundet. Die Ausgangssituation war gut. Nun ist der Cembalostimmer an der Reihe, und tags darauf wird die Orgel mit dem Cembalo den Gesang von Chor und Solisten lächelnd oder traurig unterstützen. Kunst und Kirche werden zum Leben erweckt, und Adolf Donnabaum wird dabeisein und hören.