Wir leben in einer westlichen Schuldgesellschaft. Auch bei Bildungsproblemen wird nach dem Schuldigen gesucht. In einer asiatischen Schamgesellschaft würde man zuerst die Betroffenen bedauen: Es tut mir leid. Doch daran scheint im Moment niemand zu denken. Schuld hat mit Schule nichts zu tun. Es braucht sich auch niemand zu entschuldigen. Sehen wir uns lieber den Hintergrund hier in Österreich an. Bildung geschieht in Österreich vorwiegend über risikolose Lernwege, und das vor dem Hintergrund der psychologischen Folgen des 2. Weltkriegs. Folgen für “uns”, für die Angehörigen der “Verfolger”. Weit hergeholt? Keineswegs. Im folgenden drei ungewöhnliche Beobachtungen und Kombinationen.

1. Lehrer der letzten Jahrzehnte sind in hohem Maße Kinder von Menschen, die den Krieg erlebt haben. Alle haben den Krieg erlebt, auch abseits der Front. Angehörige der von den Nazi deklarierten Gruppen hatten keine Chance. Die Angehörigen der Verfolger waren zwar sicher, konnten aber Fehler machen. Wer Fehler machte, wurde verhaftet, deportiert. Familie und Existenz war in Gefahr. Daher die Angst vor Fehlern. Vor diesem Hintergrund wurden die Kinder erzogen – die heutigen Lehrer.

2. Lehrer, die vor diesem Hintergrund Angst vor Risiko haben, haben auch Angst vor risikobehafteten Lernwegen. Sie wollen alles richtig machen, wollen der Behörde genügen. Sie fordern Regeln, wollen Sicherheiten, homogene Schülergruppen, die Angaben für die kommende Zentralmatura. Bei Überbelastung, die durch die geänderten Umstände an unseren Schulen rasch kommen muss, wird vor dem Hintergrund der Angst agiert – Angst, die durch ihre Erziehung die und Erfahrung von Eltern des 2. Weltkrieges in Verbindung mit Existenzverlust steht. Und schnell haben wir da auch die Aggression im Haus – Resultat der Angst vor Gefahr für Leib und Leben.

3. Lehrerbildungsanstalten und Schulbehörden werden in hohem Maße von ehemaligen Lehrern beschickt. Von Lehrern, die risikobehaftete Lernwege scheuen – richtig – weil viele von ihnen als Riskovermeider erzogen wurden. Dabei wäre Risiko – eben beim Lernen – gar nicht mehr fatal.

Angst macht keine gute Schule. Gute Schule braucht risikobehaftete Lernwege. Lernwege ohne vorgegebenen Ausgang. Mathematikbeispiele mit zu wenigen, zu vielen Angaben – wie das Leben halt so spielt. Es muss gefiltert oder vervollständigt werden. Dabei wissen wir wissen nicht, wie das Ergebnis sein wird, wie diese hochwirksamen Pfade der Erkenntis verlaufen.

Diese Lernwerge zu gestalten braucht:

1. Sichere Lehrer

2. Sichere Schüler

3. Sichere Eltern

Was Schüler und Eltern betrifft ist auch hier sehr oft die Angst vor risikobehafteen Lernwegen vorhanden. Angst, “es” nicht zu schaffen. Das ist eine Beobachtung.

Naheliegend und leicht einsehbar ist das vor dem Hintergrund von Flucht und Asysl. Hier muss etwa vor dem Lernen einer neuen Sprache die Sicherheit aufgebaut werden, die alte nicht zu verlieren. Dann ist eine sichere Existenz auch notwendig, das Selbstbewußtsein für ein Gestalten seiner Welt zu entwicklen. Angst vor Selektion macht kein gutes Lernen. Und was bildungsferne Schichten betrifft, ist auch hier die Exisitenzgefährdung die alles bestimmende Randbedingung.

Auch Universitäten bemängeln verschulte Lehrgänge, kritisieren den Unwillen der Studierenden, risikobehaftete Lernwege zu gehen, die nachhaltiger und erfolgreicher wären, als das Trampeln vorgefertigter Pfade. Die Betreiber institutionalisierte Lernumgebungen müssen gestalten, nicht verwalten, sie müssen vor allem sicher sein. Müssen das Thema Angst in ihrer persönlichen Erziehung vor dem Hintergrund des Schreckens unseres Kulturkreises, des 2. Weltkrieges auch innerhalb ihrer Familien bewältigen.

Audio-Link: Der Sprung ins Leere – über das Phänomen der Angst.
SWR2 Aula Podcast von Wolgang Schmidbauer