350. Taliban

Die Taliban haben in Afghanistan eine dreitägige Feuerpause angekündigt – Anlässlich des muslimischen Festes Id al-Fitr, dem traditionellen Fastenbrechen nach dem Fastenmonat Ramadan.

Die Bürger sollten das Fastenbrechen friedlich und sicher feiern können, teilte der Sprecher der Taliban, Mohammad Naeem am Montag per Tweet mit. Das Fest wird heute Mittwoch oder Donnerstag dieser Woche beginnen, je nach Sichtung des Mondes. Fast zeitgleich ereignete sich ein neuer blutiger Anschlag mit mehreren Toten.

SIGNATION Wort der Woche

Die Taliban sind eine Gruppe von Menschen. Eine terroristische Vereinigung. Milizen. Islamistisch. Afghanistan. Die Taliban: Der Name kommt von Arabisch talib – Schüler, Suchender. Einen Atemzug weiter fallen Begriffe wie: Mittelalter, Koranschulen in Pakistan, das Bergland von Afghanistan. Drei Viertel des Landes bestehen aus schwer zugänglichen Gebirgsregionen. Ein Puffergebiet zwischen den Großmächten. Unzugänglich. Stämme, die früher als Nomaden in Bewegung waren. Andere Riten. Andere Regeln. Und dann, die Gegenwart: ein historischer Sprung: Als die Sowjets 1989 abziehen, bekämpfen sich bewaffnete Gruppen, die Mujahedins, muslimische Guerillagruppen, die mit Waffengewalt eine vermeintlich göttliche Ordnung herstellen wollen. Sie besetzen 1992 Kabul, die Hauptstadt. Der pakistanische Geheimdienst fördert die Taliban, die vom Süden Afghanistans vorrücken. Sie sollen dem Chaos des Bürgerkriegs der Mujahedin ein Ende setzen und sie besetzen 1994 die zweitgrößte Stadt Kandahar. Ihr weltanschauliches Konzept ist in den Flüchtlingslagern Pakistans entstanden – eine brutale Ordnung. Mit Anschlägen gegen die Zivilbevölkerung, Sperren, damit Lebensmittelhilfslieferungen nicht ankommen. Die Taliban sind paschtunische Koranschüler der Deobandi-Bewegung. Sie steht für eine strenge und klassische Auslegung des sunnitisch-hanafitischen Islam und strebt die Rückkehr zu dessen „Wurzeln“ an. Ein Bilderverbot. Radikalität. Massaker an Tausenden von Menschen. Geld kommt vom Opiumhandel, Waffen von unterstützenden Hintergrundmächten. Mit dabei: Russland, die USA, China, Pakistan. Die Golfstaaten. Der Einsatz von US-Drohnen, die ohne Risiko aus der Luft ihre Führer töten, verändert die Lage. Ebenso ein Treffen der USA mit den Taliban im Vorjahr, um sie als Verhandlungsmacht anzuerkennen.

Möglicherweise sind es weniger Antworten, als Fragen, die uns im Zusammenhang mit Taliban interessieren sollten.

Wie „funktioniert“ das Machtsystem der Taliban? Und kann man irgend etwas Gutes über die Taliban sagen? Fragen, die wir an Thomas Schmidinger schicken, der sich gerade im Irak aufhält.

01 Atmo Taliban in letzten Satz

02 OT Taliban Schmidinger 1 darüber

*Ich bin gerade im Irak unterwegs, wo ich einerseits Projekte unterstütze vor allem mit Überlenden des Genozids an die Jessiden, und andererseits auch meine Feldforschungen aktualisiere.*

Thomas Schmidinger ist an der Universität Wien Sozial- und Kulturanthropologe mit den Schwerpunkten Kurdistan, Jihadismus, Naher Osten und Internationale Politik. “Puh”, sagt er, als er die Liste der Fragen erhält.

03 Atmo Taliban Whatsapp / darüber (Mikro offen lassen)

Und er schickt über Whatsapp folgende Antworten.

04 OT Taliban Schmidinger 2

*Die Taliban waren immer eine relativ stramm organisierte und gut bewaffnete Organisation, die auch eine gemeinsame Ideologie vertreten hat. Was sie aber vor allem gegenüber den verschiedenen sogenannten Mujahedingruppen von Afghanistan im Vorteil hatten, dass sie tatsächlich in einem großen Teil von Afghanistan so etwas wie eine zwar extrem totalitäre aber doch Rechtssicherheit hergestellt haben, so etwas wie ein Gewaltmonopol. Und viele Afghanen, die mit der Ideologie der Taliban überhaupt nicht einverstanden waren, haben nach 2001, nach dem Einmarsch der Amerikaner und ihrer Verbündeten, gesagt, dass Afghanistan einfach unter den Taliban sicherer war, und dass es gewissermaßen eine immer noch besser ist, in einer Diktatur zu leben, als im totalen Chaos.*

Zentral könnte der Begriff: Werterelativismus sein:

05 OT Taliban Schmidinger 3

*Ja, ob man die Taliban jetzt respektiert oder nicht, hängt vom Wertesystem ab. Wenn mein ein Kulturrelativist ist, wenn man der Meinung ist, dass jeder seine eigene Kultur hat, und Menschenrechte nicht universell sind, dann kann man die Taliban schon respektieren und sich denken, die sind halt anders. Wenn man der Meinung ist, dass Menschenrechte universell sind, dass Männer und Frauen gleichwertig sein sollen, dann sind die Taliban natürlich genau das Gegenteil von einem menschenrechtsorientierten System. Also sie sind sicher ein politischer Gegner, der gleichheits- und freiheitsorientiert ist.*

Taliban werden eine Rolle spielen in der weiteren Geschichte Afghanistans und der ganzen Region. Die wirklich große Frage ist, ob es jemandem gelingen wird, die vielen unterschiedlichen Menschen in dieser Region zu vereinen.