INFORMATIONEN ZUM GEDENKDIENST
 Jänner 2000

GESCHICHTE UND GEGENWART DES MHMC
(Montreal Holocaust Memorial Center)

Das MHMC geht auf eine Initiative der Association of Survivors of Nazi Oppression zurück, die 1974 gegründet wurde. Diese jüdische Vereinigung der Überlebenden des nationalsozialistischen Regimes gewann die Unterstützung der Stadt Montreal und des Allied Jewish Community Service (heute: Federation Combined Jewish Appeal, kurz: Federation CJA) für die Errichtung einer Holocaust-Gedenkstätte, die 1979 im Gebäude der Federation CJA eröffnet wurde. Die Holocaust-Survivors spielen bis heute eine aktive Rolle als Museumsführer und richtungsgebende Mitarbeiter in Gremien und im Servicebereich des MHMC.
Der erste Schritt zur Errichtung eines Museums war die Schaffung eines Archives zur Aufbewahrung von Kunst- und Erinnerungsgegenständen, Dokumenten und Fotografien, die mit dem Holocaust in Verbindung stehen. Die Sammlung des Archives umfaßt heute etwa 50.000 Objekte. Aus den Beständen des Archives wurde 1985 die erste große Ausstellung des MHMC zum Thema „Children of the Holocaust – Legacy of a Lost Generation (Kinder des Holocaust – Nachlaß einer verlorenen Generation) zusammengestellt und der Öffentlichkeit präsentiert.

Die Dauerausstellung des Museums wurde 1991 unter dem Titel „Splendor and Destruction: Jewish Life that Was, 1919 – 1945 (Glanz und Zerstörung: vergangenes jüdisches Leben, 1919 – 1945) präsentiert und führte zu einer jährlichen Besucherzahl von 15.000 Personen.

Die Führungen durch das Museum werden vorwiegend von den Überlebenden des Holocaust gehalten, die in kurzen Vorträgen ihr persönliches Schicksal während der Shoa (hebr.: Holocaust) schildern.
Eine Hauptzielgruppe aller Aktivitäten des Centres sind Schulklassen. Das MHMC bietet für Schüler und Studenten speziell betreute Führungen durch das Museum an, widmet sich intensiv der ständigen Verbesserung des geschichtlichen Unterrichts zum Thema „Holocaust und ist aktiv an wissenschaftlichen Symposien zur Didaktik der Vermittlung des Holocaust, von Toleranz und Antirassismus beteiligt.
In Summe erreichte das MHMC 1995 durch das gesamte Veranstaltungsgebot, das außer festen Ausstellungen auch Vorträge, Tagungen und Wanderausstellungen behinhaltet, knapp 100.000 Besucher.

Derzeit wird das MHMC vollständig umgebaut, die ständige Ausstellung wird um eine Darstellung des jüdischen Lebens in fünf Städten Europas und Noradfrikas vor dem 2. Weltkrieg und das Leben nach dem Holocaust erweitert. Museumspädagogen sorgen für eine zeitgemäße und multimediale Darstellung der Sammlung. Im zweiten Teil des Jahres 2000 wird der Umbau abgeschlossen und eine Neueröffnung zu erwarten sein. Eine verkleinerte, temporäre Ausstellung ist aber schon jetzt zu besuchen.
Im Mittelpunkt der Dokumentations-, Forschungs- und Publikationstätigkeit des MHMC stehen die Schicksale von Opfern und Überlebenden der Shoa. Ihnen ist das Programm „Witness-to-History gewidmet. Es umfaßt bisher etwa 400 auf Video aufgezeichneten Interviews mit Holocaust-Überlebenden. Diese Dokumente werden wissenschaftlich ausgewertet und Forschung und Lehre zur Verfügung gestellt.

Die Organisation von Gedächtnisfeierlichkeiten zum Gedenken an den Holocaust ist ein weiteres Aufgabenfeld des MHMC.

Als Serviceeinrichtung hilft das MHMC ehemaligen Zwangsarbeitern, die notwenigen Formulare für Entschädigungen durch schweizer oder österreichische Banken auszufüllen.
Finanziert wurde das MHMC 1997 zu 45% durch Spenden. 55% der Mittel wurden von der Mutterorganisation Federation CJA zur Verfügung gestellt. Die Republik Österreich stellt mit der Entsendung zweier Gedenkdiener zwei unentgeltliche Arbeitskräfte zur Verfügung.

GEDENKDIENST ALS FORM DES ÖSTERREICHISCHEN ZIVILDIENSTES

In Österreich dürfen präsenzdienstpflichtige Männer frei wählen, ob sie anstatt des 8-monatigen Militärdienstes den 12-monatigen Zivildienst leisten wollen. Dieser Zivildienst ist in Österreich normalerweise mit der Tätigkeit an sozialen Einrichtungen im Inland verbunden. Es besteht jedoch seit 1992 auch die Möglichkeit, einen 14-monatigen Dienst im Ausland zu leisten, an Einsatzstellen etwa, die sich aktiv mit Zeitgeschichte und der österreichischen Rolle im nationalsozialistischen Regime beschäftigen. Diese Idee dieses Gedenkdienstes geht auf den österreichischen Politikwissenschaftler Andreas Maislinger zurück, der 1980 mehrere Monate als freiwilliger Mitarbeiter für die deutsche Aktion Sühnezeichen – Friedensdienste in Auschwitz-Birkenau tätig war.

Ziel dieses in Anerkennung der Täterrolle Österreichs im nationalsozialistischen Regime vom Bundesministerium für Inneres genehmigten Gedenkdienstes ist es, jungen Österreichern die Möglichkeit zu geben, sich aktiv mit Zeitgeschichte und dem Holocaust zu beschäftigen und Zeichen zur aktiven und verantwortungsvollen Beschäftigung mit der österreichischen NS-Vergangenheit zu setzen.

Heute werden Gedenkdiener nach Israel, Europa und Nordamerika geschickt, sie sind aktiv in alle Bereiche der Einsatzstellen eingebunden und sind durch ihre unterschiedliche Vorbildung spezialisiert, zu geschätzten Mitarbeitern geworden. Für die Shoa Foundation des Filmemachers Steven Spielberg katalogisieren und evaluieren Gedenkdiener etwa Interviews, die von Überlebenden gemacht wurden; österreichische Gedenkdiener führen durch Museen oder besuchen als Vortragende Schulklassen Universitäten und Symposien.

Der Verein für Dienste im Ausland arbeitet heute mit 30 Institutionen weltweit zusammen. 39 Gedenk-, Friedens- und Sozialdiener arbeiten an 20 Einrichtungen, eine Zahl die sich erhöht. Die Beschäftigung mit der Vergangenheit wurde um die Beschäftigung mit Gegenwart und Zukunft erweitert. In jüngster Zeit wurden Gedendienststellen um soziale oder friedenssichernde Einrichtungen erweitert. Sozialdiener etwa betreuen etwa in Buenos Aires Straßenkinder und Friedensdiener unterstützen in Palästina die Tätigkeit der Palaestinian Society for Human Rights and Environment.

DER ÖSTERREICHISCHE GEDENKDIENST AM MHMC

Im April 1995 wurden die ersten österreichischen Kontakte zum MHMC geknüpft, und Judith Pfeifer trat als nichtzivildienstpflichtige Frau ihren freiweilligen Dienst in Montreal an.

Die Resentiments der Überlebenden gegenüber jungen Österreichern als Repräsentanten des „Täterlandes konnten durch den Einsatz der Leitung des MHMC und österreichischer Holocaust-Opfer überwunden werden. Die ursprüngliche partielle Ablehnung des Gedenkdienstes am MHMC gründete sich auf das Argument, dieser Gedenkdienst sei erst 50 Jahre nach dem Holocaust und daher viel zu spät ins Leben gerufen worden und solle der Republik Österreich auf diesem Weg zur Wiedergewinnung ihrer durch die Waldheim-Affäre und die Wahlerfolge der FPÖ unter Jörg Haider angeschlagenen internationalen Reputation verhelfen.

Die Zusammenarbeit gestaltete sich aber dann als so überaus erfolgreich, daß das MHMC auch von österreichischer Seite durch das Bundesministerium für Inneres als offizieller Einsatzort für den Gedenkdienst anerkannt wurde. Die Gedenkdiener stehen im steändigen Kontakt mit der österreichischen Bot
schaft in Ottawa und dem österreichischen Konsulat in Montreal, die die Aktivitäten sehr genau und mit großem Interesse verfolgen.

Von 1996 bis 1997 leistete Philipp Manderla Gedenkdienst, 1998/99 Klaus Jagoditsch und Wolfgang Müller, seit dem 16. Oktober 1999 Michael Pollan und seit dem 1. Dezember 1999 Lothar Bodingbauer.

Die meisten Gedenkdienstleistenden hatten zur Zeit ihrer Tätigkeit ihr Studium bereits abgeschlossen oder waren in fortgeschrittenen Studienabschnitten. Die damit verbundene Selbständigkeit ihrer Mitarbeit dürfte in Zukunft durch die Unaufschiebbarkeit des Zivildienstes gefährdet sein: Kommende Gedenkdienstgenerationen werden gerade erst die Mittelschule beendet haben.

Die Gedenkdiener sind in alle Arbeitsbereiche des MHMC vollständig eingebunden: Sie katalogisierne, indizieren, übersetzen, entwickeln Materialien, führen, betreuen ehemalige Zwangsarbeiter und entwickeln eigenständige Programme; Gedenkdiener sind den angestellten MHMC-Mitgliedern gleichgestellt.
Darüberhinaus werden Gedenkdiener von Mitarbeitern und Besuchern des MHMC oft sorgenvoll nach den politischen und sozialen Verhältnissen in Österreich befragt. Es ist also naheliegend, dem Gedenkdienst im Ausland auch eine Botschafter- oder Repräsentanzrolle zuzuschreiben.