176. Beobachtungen

Ö1 MOMENT RANDNOTIZEN / Lothar Bodingbauer / 25. November 2013

Löcher sind eine interessante Sache. Und es ist dabei nicht einmal klar, ob Löcher überhaupt zu den Sachen zählen. Denn ein Loch ist die Abwesenheit von etwas, und was nicht ist, kann keine Sache sein. Wie kann man aber dann darüber reden? – Die Sprache macht es einfach: Indem man ihm einen Namen gibt, dem Loch. Ab dann ist es da – obwohl eigentlich etwas weg ist.

Ein kleiner Freund von mir, er heißt Gregori. Ging in die 2. Volksschulklasse gemeinsam mit meinem Sohn. Als Begleitperson gehe ich manchmal mit, wenn die Klasse zum Tennisplatz marschiert. Gregori erzählt gerne. Erzählt mir zum Beispiel den ganzen Weg zum Tennisplatz von so einem Loch. Er kommt aus Russland und hat einen entzückenden Akzent. Erzählt eine halbe Stunde lang mit größtem Vergnügen über das Loch. Das Loch in allen Facetten. Nie habe ich ein Loch so intensiv erlebt, wie durch das Zuhören von den Gedanken des kleinen Gregori. Weißt du, Lothar, sagte er, Drka heißt Loch. Aber Drtschka heißt „Kleines Loch“. Interessant. Drschtka. Das kleine Loch. Vielleicht hat er etwas andere Wörter dafür verwendet, ich kann ja nicht Russisch, aber, das habe ich mir gemerkt.

Ein paar Monate später erzählt mir eine Frau in Russland, dass Drka das kleine Loch ist. Und Drtschka ein wirklich extrem kleines Loch. Für den kleinen Gregori war das kleine Loch schon ein großes Loch, und von seiner Warte aus, ist das nur zu verständlich. Und für kleine Kinder, die manche Dinge auch lieber „mit ohne Zimt“ zum Beispiel essen, ist das Loch „mit ohne was“ eben auch sehr interessant.

Ist ein Loch nun die Abwesenheit von Etwas, oder ist es genau umgekehrt? Ist Wärme die Abwesenheit von Kälte? Oder ist Kälte die Abwesenheit von Wärme? Ist Frieden die Abwesenheit von Krieg? Oder Krieg die Abwesenheit von Frieden? Und ist die Dunkelheit die Abwesenheit von Helligkeit – oder Helligkeit die Abwesenheit von Dunkelheit? Ich würde gerne eine Art Lampe erfinden, die – wenn man sie einschaltet – den Raum dunkel macht. Ich würde diese Lampe dann „Dunkle“ nennen, und ich glaube, für dieses Gerät wär sicher Bedarf – weil man damit Dinge zum verschwinden bringen könnte.

Verschwunden ist aber Gregori. Von einem Tag auf den anderen. War plötzlich nicht mehr in der Schule. Mein kleiner Freund Gregori. Weg. Mit seinen Gedanken, mit seinen Facetten. Die Kinder waren außer sich, wussten auch nicht genau was war, das einzige was mir mein Sohn erzählen konnte, ist, dass Gregori zurück nach Russland musste, weil seine Mutter nicht so gut Deutsch gekonnt hat. Das ist bei den Kindern hängen geblieben. Weil jemand nicht so gut Deutsch kann, verschwindet ein Kind.

Es ist aber durchaus möglich, dass Gregori zurück nach Russland musste, weil seine Mutter eine gute Stelle an der Universität erhielt, oder für seinen Vater eine zeitlich befristete Stelle in Österreich endete. Wer weiß! Aber wenn bei den Kindern hängenbleibt, er musste zurück, weil seine Mutter nicht gut Deutsch konnte, ist das fatal für die Diskussion um die Sprache, um Integration. Um das Dazugehören. Wer nicht gut Deutsch kann, verschwindet.

Ein Loch kann man übrigens kaufen. Das Nichts. Wer es nicht glaubt, ruft ein Baggerunternehmen an und erkundigt sich, was es kostet, so ein Loch im Garten. Da kann man sich reinsetzen und den Himmel anschauen, und weiter nachdenken, ob was da ist, oder ob wer fehlt.

(Moment / ORF Radio Österreich 1)

20 schöne Metakompetenzen für die Schule

Erfinden | befreien | sich hin- und hineinsetzen | Seiten wechseln | Standpunkt formulieren | Folgen abschätzen | Interessengruppen finden | Gespräch führen | etwas verbessern | filtern und ergänzen | Trainingsplan aufstellen | sortieren | Potemkinsche Dörfer erkennen | Intrigen bekämpfen | rechtzeitig aufhören | etwas hinaustragen | aufräumen und wegwerfen | simulieren/durchspielen | formatieren | Streit schlichten

Kommentar der Anderen

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Immer wieder gibt es  Diskussion um Bildung. Im November 2013 war Anlass für viele Wortmeldungen ein zu begrüßendes neues Lehrerdienstrecht. Anlass, einen Kommentar dazu zu schreiben – in der Tageszeitung Der Standard.

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LUT002 Christian Schreger

LUT002 Christian Schreger

 

 

Volksschullehrer im Portrait

“Wenn du nichts machen kannst, dann kannst du alles machen.”

Eigene Vorstellungen hat er schon, der Herr Lehrer. Schulbücher passen da nicht gut dazu, und Deutsch als einzige Unterrichtssprache auch nicht. Die Freinet-Pädagogik aber schon, in der Kinder dazu angeleitet werden, selbst die Druckerpresse anzuwerfen.

Im Gespräch mit Christian Schreger erfährt man viel über seine ganz besondere Art, mit Kindern zu arbeiten.

Christian Schreger | Sozialer Brennpunkt | Muttersprache | Jugoslawienkriege | Spracherwerb | Sprachförderung | Leseförderung | Freinet-Pädagogik | Schulbücher | Schulpflicht | Mehrstufenklasse | Unterrichtsplanung | Lehrplan | Konservatismus | Digitales Tagebuch | Tier der Woche | Kleine Bücher | Brigitta Busch | Die Presse Bildung | Welt ABC | Becken | Diskriminieren | Sprache | Transsibirische Eisenbahn | Freitagskochen

Alle Hintergrundartikel sind in diesem “Lob und Tadel 002” – Reader zusammengefasst.

Aufnahmedatum: 25.09.2013, online seit 27.09.2013.


Diese Episode ist am 27.09.2013 erschienen. Dauer: 1 Stunde 18 Minuten und 23 Sekunden

 

LUT001 Sprache verhandeln

LUT001 Sprache verhandeln

 

 

Sprache ist politisch, und Sprache ist ein Prozess.

Die Linguistin Judith Purkarthofer erzählt über ihre Arbeit als Sprachwissenschaftlerin, die auch an Schulen stattfindet.

Sprache muss oft verhandelt werden und hat immer auch eine politische Komponente. Welche Sprachen sind erlaubt, willkommen und erwünscht. Es entstehen Sprachregimes.

So erwünscht die Mehrsprachigkeit im allgemeinen ist, muss ein vielsprachiger Hintergrund besonders in Schulen oft als Sündenbock herhalten. Eine gute Ausbildung von Lehrenden hilft, die vielen Sprachen als Quelle für Verständigung und Selbstbewusstsein zu erhalten.

In der ersten Ausgab von “Lob und Tadel” spricht Judith Purkarthofer mit Lothar Bodingbauer über die Zusammenhänge von Sprache und Raum, Mehrsprachigkeit, Sprachbiographien, Macht und Sprache, Spracherwerb, und erzählt von Sprachprojekten in Voksschulen, die die Vielsprachigkeit mit der Vielfalt des Naturerlebens zusammenbringen.

Sie selbst ist während ihrer Volksschulzeit vom Steirischen Sprachraum in das Salzkammergut übergewechselt – ein prägendes Erlebnis.


Aufnahmedatum: 17.09.2013, online seit 18.09.2013. Ein Ausschnitt aus diesem Gespräch wurde am Montag, 23. September 2013 im ORF Österreich 1 Radioprogramm “Moment Leben Heute” ausgestrahlt.


Diese Episode ist am 18.09.2013 erschienen. Dauer: 1 Stunde 44 Minuten und 47 Sekunden

 

Schule anderswo

Auch ein schönes Tonschnipsel, hier ausnahmsweise mit bewegtem Bild. Schule anderswo. Kinder üben das Marschieren in Padangbai, Indonesien. Sie trainieren für die Feierlichkeiten zum Indonesischen Unabhängigkeitstag.


Cactus & Kids

Cactus & Kids

This is a really slow and anologue thing to do. Get some cactus seeds, soil, pots, water. Some information how to do it (cactus seeds need light, don’t dig holes) and apply tender, love and care. The kids will have to wait for the results. But after a few months of dedication. Here we are. It’s not just a sofware download. It’s a relation to nature.

Projekt: Schule für alle

Projekt: Schule für alle

Da kümmern sich einige Leute darum, dass Flüchtlinge in Österreich Bildung erhalten. Und sie zahlen ihnen die Fahrkarte. Und sie suchen ihnen Lehrer/innen, die sie unterrichten. In Räumen, die sie finden. Und das ist gescheit.

http://www.vielmehr.at

Update: Ein Gespräch mit Sina und Azra über ihre Schule für alle gibt es drüben bei Lob und Tadel.

Das Ei des Pythagoras

Das Ei des Pythagoras

Wenn Sie gebeten werden, aufzuschreiben, was man mit einem rohen Ei alles machen kann, dann hätte das sehr viel mit Mathematik zu tun.

Sie können es rollen, schieben und heben; kratzen, durchpieksen, zergatschen; bemalen, polieren und umhüllen. Alleine für das Drehen gibt es drei mögliche Richtungen: längs, quer und hoch. Sie können das Ei auch veschwinden lassen, ob hinter einem Polster oder einem Buch würde ich eher als eine Möglichkeit sehen. Ihnen fallen aber sicher noch viele mehr ein.

Mathematisch zu denken bedeutet, vor Aufgaben wie dieser keine Scheu zu haben. Mathematiker versuchen nicht nur eine Lösung zu finden, sie schauen auch gerne, ob es die einzige ist.

Wenn ich Sie nun auch noch bitten würde, Ihre Liste zu ordnen, dann würden Sie sofort fragen, nach welchen Kriterien, und der Auftrag wäre, sie zu finden.

Viele der Arten der Eimanipluation sind umkehrbar, manche nicht. Die einen ändern die Farbe des Eies, die anderen nicht. Viele davon finden in der Fläche statt, manche in einer Grube. Manchmal fliegt was durch den Raum. Zeitweise ändert sich der Geruch dabei, oft auch das Gefühl an den Fingern.

Eine ziemlich spannende, erkenntniswirksame und durchaus lustvolle Angelegenheit ist es, wenn das mit einem gut ausgebildeten Lehrer angeleitet im Mathematikunterricht passiert.

Würde diese Aufgabe dort gestellt, wäre das Bildungsziel nicht die fertige Liste veschiedener Manipulationsmöglichkeiten und das Finden der einzig wahren Ordnung, sondern das Erkennen, dass Systematisieren eine gut trainierbare Fertigkeit ist, und dass es viele mögliche Arten für Ordnungen gibt, von denen man je nach Bedarf, Einfluss, oder Vermögen die eine oder andere davon wählt.

Im Unterricht würde zusätzlich die Fertigkeit trainiert, darüber zu reden, zu diskutieren, wonach man sucht, was einem fehlt, was weiterführende Fragen wären. “Fertigkeiten” werden im Bildungswesen Kompetenzen genannt. Ihre Bedeutung soll im zukünftigen Mathematikunterricht und abschließend bei der neuen Reifeprüfungung gestärkt werden.

Mathematik ist immer noch ein Selektionsfach in Österreich. Wer das Ziel nicht erreicht, wird vom weiteren Bildungsweg ausgeschlossen.

Aufgaben wie das Ei des Pythagoras verringern die Möglichkeit, mit Mathematik zu selektionieren. Das Ei des Pythagoras wäre ein Ei des Kolumbus im Bildungswesen, weil es fördern würde, statt auszusortieren. Die Eiaufgabe ist herkömmlich nicht benotbar.

Sie würden auch gerne “das Ei beschwören” ins Spiel bringen? In dieser Kategorie befänden sich auch “anbeten”, “verleugnen”, oder “es mit kleingeschriebenen Formeln vollzuschreiben”. Alles Möglichkeiten, die zu vergessen dann doch noch zu schade wäre, stehen sie doch für die bisherige Schulmathematik selbst.