379. Randnotizen — unterwegs

Wer allein unterwegs ist, braucht sich nicht wirklich viel um andere zu kümmern. Im öffentlichen Verkehr geht das gar nicht, und selbst wenn man auf einem Fluss unterwegs ist – auch dort ist fast unvermeidbar, jemanden zu treffen.


Beitrag (mp3)


Manuskript

SIGNATION

Wieder was erlebt dieser Tage. Steh ich in der U-Bahn in Wien, Linie U1, und höre am linken Ohr: “Wenn du dich einmal selbst verteidigen kannst, darfst du auch alleine fahren”. Es war die Oma, offenbar, die hier mit ihrem Enkelsohn, 8 Jahre, eine Art Einschulung in das U1-Fahren machte. Beide waren mit Daunenjacken verhältnismäßig warm angezogen für einen sommerlichen Tag, aber unter der Erde ist es ja kühl. Wenn du dich einmal selbst verteidigen kannst… Es war schon der erste Teil dieses Satzes, der meine Faszination fand. Und dann kam die Spezialeinschulung auf die U1. “Am schlimmsten”, sagte die Oma, sind die Stationen Praterstern und Schwedenplatz. Meine Kinder haben das bestätigt, fachlich hatte sie also recht. Ich erinnere mich, als ich 14 Jahre alt war, und mich meine Oma das erste Mal nach Wien mitnahm. Da hat sie mir eine 72-Stundenkarte gekauft und mich losgeschickt, ohne Details, und wir haben uns dann im Donauturm auf eine Sachertorte getroffen.

ZWISCHENJINGLE

Und dann der 13A. Immer ein Erlebnis dieser Bus. Für alle, die nicht in Wien zuhause sind, der 13A ist ein Gelenksbus mit vorderem und hinterem Teil. Er durchquert die ganze Stadt innerhalb des Gürtels, vom Hauptbahnhof zur Alserstraße quer durch die Bobo-Bezirke 4-9. Als Mitfahrender kann man sich nach vorne setzen, oder nach hinten, in jedem Fall sind es zwei Schicksalsgemeinschaften, die durch die Fahrt zusammengeschweißt und zusammengehalten werden. Ich also im hinteren Teil dieses Mal. Setze mich hin, der Hund springt mit Beißkorb auf den Schoß, und ich sage “so, jetzt sitz ma” – und alle lächeln. Vermutlich. Über ihren Masken verzogen sich die Augen etwas zu Schlitzen. Und sollte dieser Beitrag in zwanzig Jahren einmal aus dem Archiv geholt werden, wir trugen damals in Wien noch Corona-Schutzmasken, als sie in Restösterreich schon wieder abgeschafft waren. Wir fahren fast schon los, da möchten 10 Oberösterreicher wieder aussteigen, weil sie im Bus der falschen Richtung waren. Das dauerte, bis sie es bemerkten, das dauerte, bis sie es dem Fahrer signalisierten, und er war freundlich und ließ sie wieder raus. Wir lachten, diesmal hörte man es, im hinteren Teil des Busses. Die Gemeinschaft begann sich zu formieren. “Hübsche Nase”, dachte ich mir, hat diese Person gegenüber, und es dauerte ein bisschen, bis es mir dämmerte, warum mir das auffiel. Die Maske bedeckte nur den Mund. Und nicht die Nase. Und wie man so ein bisschen ins Träumen und Überlegen kommt, was das bedeutet, fiel mir ein, dass diese Situation wie bei diesen Internet-Logins ist, wo man seine Menschlichkeit beweisen muss. Zeig, dass du kein Roboter bist, und klicke alle Bilder mit Schornsteinen, oder Zebrastreifen. Oder alle Bilder mit Fahrrädern. Und schon klickte ich im hinteren Teil des 13As alle Mitreisenden durch, ob ich ihre Nase sehen konnte. Bei 3 von 25 hat es Klick gemacht. Ich hatte sie durch, bevor ich dann schon da war, im 6. Bezirk, um mir meine Sonnenbrille zu holen, die ich mir im Brillengeschäft dort ausgesucht habe, am Tag zuvor.

ZWISCHENJINGLE

Die Sonnenbrille brauche ich nämlich fürs Kajakfahren. Kürzlich war ich wieder unterwegs. Auf Thaya und March in Niederösterreich. Eine wunderschöne ruhige Flusstrecke. Sonnencreme mit Lichtschutzfaktor 50 schützt zuverlässig vor Sonnenbrand, und man kann damit den ganzen Tag in der Sonne sein. Was man aber nicht heißt, dass man das soll. Denn es gibt immer noch den Sonnenstich, das ist eine andere Geschichte, aber was ich erzählen wollte waren ungefähr 50 Begegnungen mit den Fischern entlang dieser Flüsse. Sie zielen mit ihren Angeln quer über den Fluss und man muss wie im Super-Mario-Computerspiel einmal links unter der Schnur und einmal rechts über der Schnur durchfahren. Je nach Situation. Schnüre, die man kaum sieht, und deshalb deuten die Fischer mit erhobener Hand auf diese fast unsichtbaren Fischer-Leinen und sie rufen “Hallo”. 50 freundliche Begegnungen, weil es in ihrem Interesse ist, dass man sie sieht, und in meinem, dass ich sie sehe. Das, was nach Konflikten “Ende-nie” aussehen könnte, ist definitiv nicht der Fall, 50 nette Grüße, man nickt sich zu, und dankt einander. Fast schon so wie ein bisschen im öffentlichen Verkehr, wenn man sich gut versteht.