Unser freundlicher Turnlehrer war bei der SS, der Vater des sympathischen Mathematiklehrers war bei der SA. 1989 habe ich in Braunau am Inn maturiert.
In einer Stadt wie jeder anderen in der Gegend.
Mit einem „Haus der Verantwortung“ könnte sich das ändern. Diese Initiative des Politologen Andreas Maislinger möchte ich hier mit einem offenen Brief an die Braunauerinnen unterstützen.
Wien, am 26. Oktober 2013
Liebe Braunauerinnen,
als Mitglied einer Familie in Altheim, die im 2. Weltkrieg über die Napola mit einem doch veritablen und bis heute durchaus belastenden nationalsozialistischen Hintergrund verbunden war, ist es mir ein besonderes Bedürfnis, die Anliegen des Politologen Andreas Maislinger zu unterstützen, der in Braunau ein „Haus der Verantwortung“ einrichten und betreiben möchte.
Das sind meine Gründe:
1) Durch die Möglichkeit des Gedenkdienstes konnte ich im Jahr 2000 meinen Zivildienst in der jüdischen Gemeinde in Montreal, Kanada, absolvieren. Ich lernte viele Vertriebene kennen, und voriges Jahr besuchte ich mit meinen Kindern jüdische Holocaustüberlebende in dieser Stadt. Wir saßen alle an einem Tisch, und wir aßen Palatschinken. Das tat unserer gesamten Familie sehr gut. Ohne die Initiative Auslandsdienst von Andreas Maislinger wäre das nicht möglich gewesen – und in einem „Haus der Verantwortung“ könnte dieses weltweite Netzwerk koordiniert werden.
2) Anlässlich der Braunauer Zeitgeschichte Tage habe ich als Journalist mehrere Radiosendungen über die Inhalte dieser spannenden Symposien veröffentlicht. Diese Sendungen – Versöhnungsmechanismen, Adel, Umgang mit dem „historischen Erbe“ als Hitlergeburtsstadt – wurden nicht nur österreichweit ausgestrahlt, sondern auch über deutsche Sender. Solche Sendungen sind erst dann möglich, wenn inhaltliches Gewicht und passende Aktualität der Themen auf der Waagschale liegen. Das war mit der Gestaltung der Zeitgeschichte Tage durch Andreas Maislinger als wissenschaftlicher Leiter verlässlich der Fall – in einem „Haus der Verantwortung“ könnten diese jährlichen Tagungen geplant und gestaltet werden.
3) Gerade in der heutigen Zeit wird das Arbeiten am Prozess zunehmend wichtiger als das bloße Beschreiben von Zuständen. Gedenksteine sind Zustände, aber ein „Haus der Verantwortung“ ist ein Prozess. Prozesse brauchen Gespräche – und durchaus auch eine gute Presse – in einem „Haus der Verantwortung“ als Drehscheibe können zukunftsweisende Prozesse geplant und erarbeitet werden. Menschen kommen herbei, die genau das interessiert.
So ein „Haus der Verantwortung“ möchte Andreas Maislinger im sogenannten „Hitlergeburtshaus“ einrichten. Man könnte es in jedem beliebigen Haus machen – aber die Idee ist gut. Das Haus wird international auch sehr genau beobachtet. Braunau hat nichts zu verteidigen – aber viel zu gewinnen.
Konkret schlage ich vor, ein „Haus der Verantwortung“ im „Hitlergeburtshaus“ einzurichten, das zu je 1/3 von der Stadt Braunau, dem Innenministerium sowie dem Verein Auslandsdienst betrieben und von Andreas Maislinger koordiniert wird. Für eine ausreichende Ausstattung an Finanzmitteln wäre Sorge zu tragen.
Das Konzept des „Hauses der Verantwortung“ sieht vor, in drei Stockwerken des Hitlerhauses in Braunau Fragen der Gegenwart, der Zukunft und der Vergangenheit zu lösen. Keinesfalls ist dazu ein Schuld- oder Unschuldsgeständnis der Stadt Braunau notwendig, was die Stadt als Hitlergeburtsort betrifft.
Andreas Maislinger hat für sein Engagement verdienstvolle nationale und internationale Auszeichnungen erhalten, sodass die Region Braunau von seiner Arbeit auch „zertifiziert“ profitieren kann.
Zu betonen ist, dass Maislingers Initiativen inhaltlich bereits laufen und für die Braunauer Bürger kein Risiko darstellen. Initiativen wie die Koordinierung von mehr als 1000 Zivildienern im Ausland bisher und die wissenschaftliche Leitung von rund 20 erfolgreichen Zeitgeschichte-Tagen. Seine Diskussionsveranstaltungen sind konstruktive Elemente einer modernen Gesellschaft, die Prozesse – mehr als Zustände – in die Mitte rückt.
Übrigens 1: Das Ö1 Radiokolleg über „Orte mit Ideen“ lief ab 21.10. 2013
Übrigens 2: Diese Liste zeigt, wie sehr Erziehung, die unter dem Einfluss nationalsozialistischer Ideale stand, auch heute noch Probleme schaffen kann.
Mit freundlichen Grüßen, Lothar Bodingbauer jun.
Radiojournalist und Abendschullehrer in Wien
Absolvent des Gymnasiums in Braunau 1989
www.sprechkontakt.at