12 Tipps für den eigenen Reisebericht
Was ich bei Reiseberichten gerne habe, ist:
1) Eine Spur, die erkennbar verfolgt wird. Und wie verfolgt man eine Spur? Man startet bei etwas, das man bemerkt. Und dann geht’s los. Man trifft Menschen und hört ihre Geschichten. Man blickt in die Vergangenheit und entdeckt ihre Spuren in der Gegenwart.
Beispiel: Der Katalog des Lebens, Carl von Linné, Radiosendung, aufgenommen in Uppsala, Schweden: https://www.sprechkontakt.at/phs151/
2) Was bemerkt man? Gemeinsamkeiten und Unterschiede mit dem Bekannten. Es wahrscheinlich unmöglich, vielleicht sogar unsinnig, einen Ort beim ersten Mal zu portraitieren – außer man hat Zeit. Was immer geht, sind Blicke. Die man bemerkt, die man beschreibt.
3) Nichts ist belangloser, als das, was an einem Ort „geboten“ wird.
4) Wenn etwas in besonders schönem Licht erscheinen soll, ist der Schmutz an den Rändern genauer unter die Lupe zu nehmen.
5) Manchmal bringen einen beim Aufnehmen die Fragen nicht weiter. Dann kann man es durchaus mit einer Feststellung probieren. Oder mit einem Ausdruck der Verwunderung. Der Bitte um Hilfe.
6) Die An- und Abreisen miteinzubeziehen ist je nach Umstand möglich, unvermeidlich, völlig irrelevant oder für den Beginn oder den Abschluss der Geschichte lebensnotwendig.
7) Im Radio erzählen wir eigene Geschichten, wir erzählen die Geschichten der anderen, und wir erzählen die Geschichten einer völlig leblosen Welt: die der Geräusche. Verkehrslärm ist zu vermeiden. Was vor Ort aufgenommen wird, das zählt. Es gibt so viele interessante Geräusche. Sie werden aber erst dann verständlich, wenn sie mit Gefühlen zum Leben erweckt werden.
Meine schönsten Beispiele: https://www.sprechkontakt.at/atmosderwelt/
8) Wir hören gerne jemandem zu, der von seinen Träumen spricht. Sollte niemand von seinen Träumen sprechen, hilft es, die Frage nach diesen Träumen als letzte Frage im Interview zu stellen.
9) Public Relations sind keine Träume.
10) „Ich“ oder „wir“ ist möglich, aber schwierig. „Wir“ kann man erst nehmen, wenn jedem klar ist, wer das ist. Und „ich“ kann man erst nehmen, wenn man als Gestalter interessant ist. Vorderhand also nie, aber es gibt Ausnahmen: „ich“ als Persona muss etabliert sein oder werden.
11) Scheitern hörbar, lesbar, spürbar zu machen, ist eine ehrenwerte Aufgabe und es kann böse enden. Es verrät viel über die/den, der berichtet. Und deswegen kommt es ganz darauf an. Sprich (zumindest im Radio) nicht über das, was letztlich nicht gelungen ist. Aber: einen Erfolg werden die Hörer:innen erst dann gestatten, wenn man zuvor ehrlich und nachvollziehbar gescheitert ist.
12) Worüber lohnt es sich zu reden? Zu schreiben? Wenn ich für mich schreibe: alles lohnt sich. Wenn ich für andere schreibe, dann sollte ich schlüssig die Relevanz nachweisen, zeigen, dass es sich lohnt, die Geschichte zu hören. Das funktioniert immer. Man dreht den Blickwinkel und wendet ihn. Man zoomt hinein, oder hinaus. Man hört Stimmen oder blendet sie aus. Die Relevanz muss für jede Geschichte neu verhandelt werden.
Extra: Es gibt in jeder Sprache die wunderbaren Wortgruppen. Für etwas, was ist (Dinge). Für etwas was passiert (Prozesse). Für die Vergangenheit und die Zukunft. Für Möglichkeiten und Bedingungen (Modalverben). Das alles spannt einen ganzen Raum für Neues auf.
Lothar Bodingbauer ist Reise- und Wissenschaftsjournalist. https://www.sprechkontakt.at/
*** Lothar Bodingbauer, Radiojournalist mit Schwerpunkt Reisen, Wissenschaft, Leben. Homebase: dort wo sein MacBook ist. Kontakt: lothar@sprechkontakt.at