Es lässt sich immer auf eine Frage herunterbrechen: „Worüber lohnt es sich zu reden?“. Die Antwort auf diese Frage bestimmt, was ein guter Reisebericht ist. Was guter Reisejournalismus ist. Ob das, was über die Reise erzählt wird, spannend, packend, fesselnd, wirklich ist.

Ein gutes Beispiel findet sich überraschend nahe. 4 Bücher. Jemand hat eine vierbändige Gesamtausgabe von Graham Greenes Werken in die Ecke eines Lehrerzimmers einer Schule gestellt. Dort wo sich Druckerpatronen und Overheadfolien sammeln, altes Zeug, dort wo niemals etwas wegkommt, ich bin Lehrer dieser Schule. Man nimmt den ersten Band über die Ferien mit, um Graham Greene eine Chance zu geben. Eine Geschichte über die Reise eines Pfarrers durch den Dschungel Südamerikas. Eine Geschichte voll Hitze, Schmutz, Jammern und Niedertracht. Man nimmt es so hin. Aber spannend wird es, als man in einem anderen Buch des großartigen Reiseschriftsellers Paul Theroux eine Geschichte über Graham Greene liest. Er beschreibt dessen kurzen Aufenthalt in Südamerika, den er nach zwei Wochen mit Fieber abbrechen musste, sein Leben voller Widersprüche. Seine Abscheu vor Langeweile.

Nicht nur ist Paul Theroux ein Reiseschriftsteller, der vor allem die schwierigen Seiten einer Reise bemerkt und notiert, es ist der Zufall, der diese Kette an Beobachtungen aneinanderreiht. Eine Verbindung zu Bruce Chatwin, der wohl eine Tradition der Reiseschriftstellerei begründet hat, und der anfangs Freund dann Feind von Paul Theroux war.

Zu einer Spur, zu einer Spurensuche und zum Thema von Gedanken wird es, wenn in diese Landschaft nun auch das Lehrerzimmer eingebaut wird. Von wem stammt diese Gesamtausgabe? Gedruckt wurde sie vermutlich in den 1960-er oder 1970-er Jahren. Intakt mit Schutzumschlag, leicht eingerissen, ein wenig vergilbt. Wer stellt die Gesamtausgabe von Graham Greene sorgsam dorthin, wo sich nur altes Schulzeug ansammelt, das sich niemand traut, wegzuwerfen. Eine Lehrerin? Ein Lehrer? Vielleicht kurz vor der Pensionierung? Warum? Hat er oder sie das Werk gelesen? Den ersten Band? Die Geschichte aus dem Dschungel? Und hat diese Person die selbe Mühe gespürt, über die Plage der Reise und der politischen Umstände der Region zu lesen? Wie vermischen sich diese Welten? Überlappen sie sich, verlaufen sie parallel? Sind sie identisch?

Das, worüber man redet, ist nicht planbar. Es ist immer etwa, was sich vor Ort mit den Beteiligten, die man oft suchen muss, entwickelt. Es ist der Staub, der herumliegt, die Risse im Umschlag. Der wichtige Blick zum Konflikt. Zur Reibung der überlappenden Ränder. Das Beschreiben genau dieser Landschaft. Bereinigt um lose Enden und Dinge, die sich im Nichts wieder verlaufen. Zusammengestellt zu einer Geschichte. Die in meinem beschriebenen Fall dort beginnt, wo ich Paul Theroux das erste Mal entdeckte: Im „alten Patagonien-Express“, im Buch, das ich zuerst von ihm entdeckte. Die Geschichte hält im Lehrerzimmer kurz inne. Und geht in Therauxs Beschreibung vom Leben Graham Greenes wieder weiter. Sie endet in einem neuen Blick auf die vier Bücher. Und der Frage, von wem sie wohl sind.

Links: Theroux über Greene in „Figuren in der Landschaft“, Hoffmann und Campe

https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Theroux
https://de.wikipedia.org/wiki/Bruce_Chatwin
https://de.wikipedia.org/wiki/Graham_Greene

Foto: Berlin BVG Straßenbahn M1 / Dezember 2021 / Lothar Bodingbauer