ORF Ö1 / MOMENT Randnotizen, 3. Februar 2020, ca. 15:45 Uhr

Lothar Bodingbauer

ANMODERATION: Haben Sie sich schon einmal gewundert, wer sich um die Elektroroller kümmert, die in vielen Städten vermehrt aufgetaucht sind und manchmal recht herrenlos wirken? Lothar Bodingbauer hat es probiert.

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„Danke“, sagt der Mann sichtlich erfreut, als ich den Elektroroller vor ihm am Gehsteig wegräume. Er steht quer, der Roller, und der Mann ist ein Anrainer, der sich wie ich jeden Morgen in Wiens 4. Bezirk über mehrere dieser achtlos geparkten Elektroroller den Weg bahnen muss. „Sind Sie von denen? „Nein“, sage ich, und habe das erste Mal seit langem wieder gelogen.

Weil: Ich bin schon einer von denen, ein bisschen zumindest. Mir gehen die achtlos geparkten Elektroroller, die jedermann jederzeit mieten kann, um sie jederzeit und irgendwo wieder abzustellen, hinzuwerfen, oder – weiß gott – einfach wieder loszuwerden — sie gehen mir genauso auf den Geist, wie Ihnen vermutlich auch, wenn in Ihrer Stadt Verleihfirmen für diese Roller aktiv sind. Ein Geschäftsmodell als Zeichen unserer Zeit, für Menschen, die sich offenbar um nichts kümmern, außer um sich selbst. // Schneiden möglich // Analog zu jenen, die mit 50 in der 30-er Zone autofahren. Die das Ticktock-beim Spielen am Handy so eingestellt haben, dass es jeder in ihrer Umgebung hört. Die die Füße auf die Bank legen im Zug. Ja, haben die das nicht gelernt? Rücksicht? // Schneiden Ende //

Als Journalist sucht man „den anderen Standpunkt“. Ich wollte herausfinden, wie diese Elektro-Roller-Welt tickt. Und habe mich angemeldet als “Juicer”. Als einer, der diese Roller in der Nacht einsammelt, um sie zuhause an der Steckdose zu laden, um sie am nächsten Morgen wieder – schön aufgereiht und geordnet, der Menschheit freizugeben.

Das Gute: Die Anmeldung des Gewerbes war einfach. Online, über Nacht. Ich wurde sogar automatisch Mitglied der Wirtschaftkammer, bin jetzt „Mechatroniker“, also ein Spezialist für elektrisch-mechanische Geräte. Das Schlechte: die Rechnung für den Mitgliedsbeitrag – 80€ – kam wenig später. Das Gute: ich bekomme jetzt auch die Wirtschaftskammerzeitung und erfahre im Detail, wie es den Wirten so geht dieses Jahr. Verdient habe ich zu diesem Zeitpunkt noch nichts.

Mit der Gewerbenummer erhielt ich am Smartphone einen Zugang als „Juicer“. Ich kann nun umschalten, zwischen dem Stadtplan mit verfügbaren Rollern für die zahlenden Benutzer, und dem Stadtplan mit Rollern, die umgeparkt oder geladen werden müssen. Ein Traum für einen Journalisten. Zwei Welten, von denen die zweite noch völlig unbekannt war.

TRENNER 1

Ich tauchte hinein in die Stadt, nahm falschparkende Roller und brachte sie zu sogenannten Nestern, Plätzen, wo sie eigentlich stehen sollten, wo sie nicht stören. Zwei Euro pro Vorgang. Man schwimmt mit Touristen im pulsierenden Betrieb dieser Stadt herum, zwischen Oper und Stefansdom, aber: man arbeitet. Recht viel für recht wenig Geld. Am Ende von 5 Abenden habe ich 170 Euro verdient – vor Steuern. Das Gute: Verdient, und nicht als Tourist ausgegeben. Ich hatte eine gute Zeit. Das Schlechte: jedes Risiko ging auf mich. Kaputter Roller? Kein Geld. Nicht auffindbarer Roller? Kein Geld. Unfallversicherung? Kein Geld. Krank? Kein Geld. – 5 Stunden brauchte ich, Standort und Ansprechpartner der Roller-Firma zu finden, um endlich zu meinem Geld auch zu kommen. Und diesen Jemand habe ich auch gar nicht gefunden, weil das Geld dann doch irgendwann auf mein Konto überwiesen wurde. Von Personen, die ich nicht kannte, von Unternehmen, die ich nicht fand.

TRENNER 2

Die neue freie Welt der „Gig-Economy“ ist das. Geldverdienen, auftragsbezogen. Über Winter wurden die Roller „meiner“ Firma eingezogen, Schluss war‘s mit dem Geldverdienen, mitgeteilt wurde das eine Woche per e-Mail, nachdem sie weg waren. Die Expertise dieser Firmen ist, das habe ich herausgefunden, herauszufinden, welche Beschränkungen in den einzelnen Städten ihres Auftretens gegen Roller existieren, um dann ein Konzept zu entwickeln, trotzdem die Roller irgendwie in Verkehr zu bringen. Ökologisch bedenklich, das weiß man, denn es steigen nicht die Autofahrer auf Elektroroller um, sondern die Fußgänger. Aus Bequemlichkeit.

Sie merken schon, ich bin ein bisschen sauer. Aber, das Gute: ein Glücksgefühl stellte sich ein, wenn ich am Ring am lauschigen Herbstabend aufrecht lautlos durch die Baumreihen zische. Ein Gefühl wie damals als Kind, am Tretroller zum Badesee.

Ich habe mich aus dem Geschäft wieder zurückgezogen, wegen Sinnlosigkeit. Viel Arbeit, wenig Geld, jedes Risiko. Jede Belastung wird abgewälzt. Auf die Leute, auf die Umwelt, auf die Nachbarschaft. // Schneiden möglich // Besser ich stelle mich, wenn ich Zeit habe, an eine Straßenecke, um die Leute zu fragen, ob sie was brauchen, ob es ihnen auch gut geht. // Schneiden Ende // Meinen Kindern empfehle ich, die Zeit vielleicht für das Lernen einer neuen Sprache zu verwenden, oder ein ehrliches Handwerk.

Das Experiment war heilsam. Und über die querstehenden Roller ärgere ich mich heute noch einen Tick mehr.