302. Meisterstück Abenteuermesser
Das Abenteuermesser des oberösterreichischen Messermachers Norbert Leitner
Die Frage, was ein Meisterstück ist, ist eine sehr spannende Frage. Meisterstücke zeichnen sich oft dadurch aus, dass sie sehr filigran verziert sind, sehr detailreich ausgearbeitet sind, sehr wertvoll sind. Aus Gold, Elfenbein. Das sind natürlich alles Attribute, die einen Wert haben. Von meiner Warte aus, als Macher, steckt sehr viel Liebe drin, Leidenschaft drin, Kreativität drin, Eigensinn drin, und Lebenszeit in Form von Arbeitszeit.
Norbert Leitners Meisterstück. Es ist ein Messer. 20cm ist das Messer groß. Es wirkt wie ein kleineres Küchenmesser mit größerer Klinge und relativ kleinem Griff. Eine Woche hat Norbert Leitner daran gearbeitet. Die Klinge ist aus mehrfärbigem Damaszenerstahl. Einzelne hell- und dunkelgraue Schichten sind sichtbar. Der Griff ist aus Holz. Hellbraun. Feingeschliffen. Weich liegt es in der Hand. Die Klinge ist an ihrer Oberseite sanft gerundet, so wie ein Handrücken. Unten natürlich scharf, und oben ist sie 4 mm dick. Das Meisterstück hat einen Namen.
Sirak. Sirak. Das sind Eisgebilde, die am Gletscher hängen, die sehr filigran und sehr ästhetisch in der Landschaft stehen. Es ist oft so, dass ich das Wort zuerst habe und die Empfindung danach und erst dann das Messer mache. Meine Messer werden von Menschen gekauft, die einen starken Bezug zur Natur haben. Bei diesem Stück ist es so dass das Messer den Proportionen der Hand folgt.
Was heißt das? Das Werkzeug, das uns am vertrautesten ist, sind die Hände. Die Klingenlänge ist so lange wie der Finger. Und wenn die Hand etwas in die Hände bekommt, wo diese Proportionen bedacht sind, dann fühlt sich die Hand automatisch wohl und sagt „ah, das kenne ich, damit kann ich umgehen“. Stimmen diese Proportionen nicht, dann muss sich der Körper in Verbindung mit dem Geist einstellen drauf. Wir können auch mit Klumpert arbeiten, wir brauchen halt eine Zeit.
Meine Messer zeichnen sich dadurch aus, dass sie sehr kompakt und sehr klein sind. Und was für mich als Künstler ganz wichtig ist, ist die Reduktion. Mich interessiert, wie kann man drei Striche so setzen, dass es spricht.
Auf der Suche nach der Reduktion, sucht man da sehr viel und man lässt dann vieles weg, oder packt man gar nicht erst viel hinein? Beide Ansätze sind möglich. Mein Ansatz ist eigentlich von Haus aus, mit wenig zu beginnen, um dann draufzukommen, dass man von dem wenigen, das man reinlegt, auch noch die Hälfte wegnehmen kann. Wichtig ist, wenn man die Reduktion im Produkt sucht, auch die Reduktion in der Arbeitsweise finden muss. Das heißt, den Zugang zum Material findet ich nur dadurch, wenn ich ganz langsam und nur körperlich, sinnlich an diesem Material dran bin.
Meine Messer baue ich ausschließlich mit der Hand. Jede Linie, jedes Detail ist von Hand gemacht. Zu wissen, wie fein ich ein Holz schleifen darf, dass es spricht, hat sehr viel mit Reduktion zu tun. Höre ich zu früh auf, ist es zu früh und das Holz spricht nicht. Ist zu spät, schleife ich das Holz oder das Material, oder den Stahl, es betrifft alle Materialien, schleife ich zu fein, spricht es auch nicht.
Ist das der Sinn der Reduktion, die Dinge zum Sprechen zu bringen? Ja, absolut. Wenn du in einem Fußballstadion bist, hörst du den einzelnen nicht. Aber den möchte ich hören, was sagt er. In der Meditation versucht man ja genau das gleiche, weil das Ruhig werden nicht dadurch, dass man ruhig wird, sondern dass man zuhört. Das Holz variiert von der Qualität je nach cm ist es jedes Mal anders. Es gibt Passagen, die sind hart und widerstandsfähig. Es gibt Zonen, die sind weicher. Das mit der Hand nachzuspüren ist ein extrem sinnlicher Prozess. Dieser Prozess macht mir Freude. Die Arbeitsweise ist das Stück, das den Meister viel näher ist. Das ist das eigentliche Meisterstück, die Arbeit. Das Produkt, was immer auch gemacht wird, ist weg.
Das ist jetzt ein Repräsentant, dieses Messer, das hier liegt. Ein Repräsentant des Meisterstück „Arbeitsweise“. Ja, wenn ich dieses Stück ansehe, dann sehe ich nicht das Messer, sondern ich sehe die ganzen Fragen und die ganzen Probleme, die da Stück aufgeworfen wird, dass es am Ende so geworden ist, wie es ist, und ich kann meine Antworten darin sehen.
Moment – Meisterstück, ORF Radio Ö1, 6. Juni 2019, 15:45 Uhr.
Link zum ausführlichen Gespräch mit Norbert Leitner: Lobster und Tentakel 81.