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Ein schwarzes Brett. Ein Tagebuch. – Lothar Bodingbauer. Auch auf Instagram: lobodingbauer

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Gedenkdienst in Kanada: Mr. Bonder

Mr. Bonder nennen ihn alle. My name is Abraham. You can call me Abe, fuegte er hinzu, nachdem er sich selbst vorgestellt hatte. Abe kommt einmal die Woche ins Archiv des Museums, um Dokumente zu uebersetzen oder zusammenzufassen. Englisch, Franzoesisch, Hebraeisch und Jiddisch sind die Sprachen, die er beherrscht.

Vor seiner Pensionierung war Abraham Bonder Buchhaendler in einem abgelgenenen Teil Montreals. Es war sein eigenes Geschaeft, das allerdings nicht viel abwarf, weil die Passanten einfach zu wenig lasen. Und dennoch war seine Buchhandlung ein Zentrum: fuer linksintellektuelle Gespraeche mit Studenten und Interessenten.

Mr. Bonder ist in Montreal geboren und arbeitete nach dem zweiten Weltkrieg in Deutschland bei der Lufwaffe. Dort lernte er seine Frau kennen, mit der er nach Israel auswanderte. Im Kibbuzz Ein-Dor am Berg Tabor in der Naehe von Tel Aviv pfluegte er die Felder. Die Arbeitsweise im Kibbuzz gefaellt ihm auch heute noch gut, obwohl er wieder nach Kanada zurueckgekehrt ist. Einer fuer alle und alle fuer einen, sagt er, und seine Augen leuchten, ein bisschen von unten, um zu pruefen, ob er auch die Augen des Gegenuebers begeistern kann. Abes Augen fuellen sich immer mit Traenen, wenn er seinen Gespraechspartner direkt ansieht. Ob das aus Traurigkeit ist, oder einfach die Augen des Alters, kann man nicht wissen.

In seiner braunen Schnuerlsamthose und im karierten Hemd verlaesst er immer wieder den Raum, um neue Akten zu holen, oder alte zurueckzubringen. Er arbeitet ruhig und mit grossem Interesse. Auch ein neues Lehrbuch ueber den Holocaust studiert er schnell, sicher und ruhig: Zuerst das Inhaltsverzeichnis, dann das Buch selbst. Das ist der Blick eines Buchhaendlers, der es gewohnt ist, zu lesen. Zu Mittag haette er uns zu Wendys eingeladen, doch leider war keine Zeit, oder noch kein Wille fuer diese Art der Begegnung.

Abe ist sehr unaufdringlich, trotz seinem grossen Intersse fuer das Gespraech. Er hoert schon schlecht und legt seine Haende immer wieder hinter die Ohren. Seine schwarze Kappe mit ausklappbaren Verlaengerungen fuer die Ohren ist an den Raendern unten schon etwas abgewetzt. Abe verabschiedet sich bis naechste Woche und verlaesst leise den Raum.

Gedenkdienst in Kanada: Flug nach Montreal

Der Flug mit British Airways ist ein Vergnuegen. Von Wien nach London Heathrow ein Hops von doch zwei Stunden, zuerst entlang der Westautobahn und Donau bei guter Sicht nach unten, dann ueber Oberoesterreich beginnende Wolken und Nebel dann bis London selbst. 4 Pfund kostet eine Packung Zigaretten dort, 80 Schilling. Ein weiterer Grund, nicht zu rauchen.

Der Transfer in London Heathrow von Terminal 1 zum Terminal 4 geht reibungslos im Bus vor sich. Mit dabei zwei aeltere Wanderer aus Kaerten, nicht uebermaessig protzig ausgestattet, aber schon ganz Wanderer, sehr funktioniell. Ich habe diese Langstreckenfluege satt, jammert der eine, aber stolz und routiniert. Nach Mexiko wird es gehen, erzaehlt er, und uerbersetzt dem Kameraden englische Standardausdruecke des Busfahrers. Danach: Zweites Flugzeug, neuer Start.

Die Strecke nach Montreal wird durch eine neue Boeing 777 bedient, 5220 km. Beim Einsteigen die grosse Freude, wie gross die Sitzabstaende doch sind, und wie geuetlich doch die Sitze selbst. Doch weiter hinten die Erkenntnis, es war die Business Class, durch die man ging. Konservenbuechse fuer Economy, jedoch vor jedem Sitz ein Fernsehmonitor, der neben Videofilmen auch die genaue Strecke anzeigt, wie lange es noch dauern wird, und wie weit es denn noch geht. London – Montreal mit British Airways FlugBA 95 bedeutet: 7 Stunden 11 Minuten, am Anfang starker Gegenwind mit fast 200 km/h, der sich spaeter auf 80, 90 km/h herunterschraubt. Die Route fuehrt ueber England, Irland, weit uebers Meer, sie erreicht Groenland jedoch lange nicht. Auf 37.000 Fuss, 11000 Meter, hat es darussen -65 Grad.

Stolz kommt der Chefsteward vorbei mit einem Fragebogen: Der Platz 29A unter anderem wurde durch den Computer ausgewaehlt. Ob man einen detaillierten Fragebogen zum Service ausfuellen koennte? Assessment und Evaluierung werden in Grossbritannien vorangegtrieben. Zwanzig Frageboegen haette man allerdings auch ohne Computer im Flugzeug verteilen koennen. Ob die Stewardess auch immer gelaechelt hat (hat sie), mit Augenkontakt (ja!), oder gestresst gewirkt hat (niemals), ob die Toilette am Anfang des Fluges im guten Zustand war (weiss ich nicht), und auch waehrend dessen (das schon), oder nur am Anfang, und dann immer schlimmer (aeh, nein), oder auch nicht einmal am Anfang (keine Ahnung, zu kompliziert). Ob das Essen ausreichend war (ja), und gut (ja). Kein Problem.

British Airways hat alles unter Kontrolle und der Flug ist wirklich wunderbar, wenn ach zu lange. Zwei furchtbare Damen an den Nebensitzen schuetten Whiskey und Tonic und Wein in sich hinein, laecheln aber freundlich und verhalten sich sonst ruhig. Lange braucht die Sonne beim Westwaertsfliegen, um unterzugehen, und drei Stunden spaeter, nachdem wir abgeflogen sind, kommt wir in Kanada an. Plus fuenf Stunden Zeitunterschied, von London aus gesehen.

Die Einwanderung selbst durch Zoll und Pass passiert freundlich und problemlos. Archivist steht in der Arbeitsbewilligung. Der Aufenthalt bis 31. 1. 2001 ist gesichert.