Leben und Rolle von Aristokraten heute in Österreich: Nach dem Ende der Monarchie, im Jahr 1919, wurden die Privilegien des Adels in Österreich abgeschafft. Anders als in Deutschland dürfen Menschen adeligen Hintergrunds auch heute keinen Titel mehr im Namen tragen. Statt um den Stand durch Geburt geht es heute mehr um Leistung. Wer über die Jahre Geld und Einfluss erhalten konnte, fühlt sich aber nach wie vor als Mitglied einer Elite – und ist stolz darauf. Die Rolle des Adels muss auch fast 100 Jahre nach seiner Entmachtung immer wieder neu definiert werden. Die politische Diskussion um das 2011 schließlich abgeschaffte Habsburgergesetz war dafür nur ein Beispiel. Und bis heute haben sich viele Aristokrat/innen einer sachlichen historischen Aufarbeitung ihrer Familiengeschichte nicht gestellt.
Was kostet ein Sitzenbleiber? Es gab eine Zeit, in der Bildung als grundsätzliche und unantastbare Bedingung für die Bezwingung des Wilden ins uns gesehen wurde. Heute wird Bildung fast ausschließlich in Kosten-Nutzen-Rechnungen an ihrer Auswirkung im Bruttoinlandsprodukt gemessen, verglichen im globalen Wettbewerb. Es zahlt sich demzufolge in unseren Breiten aus, schon in die Bildung von Kindergartenkindern zu investieren, allenfalls in die Erwachsenenbildung, die Alten hingegen werden möglichst kostengünstig allenfalls noch etwas bei Laune gehalten. Leise aber beharrlich entstand in den letzten Jahren ein neues ökonomisches Forschungsgebiet: die Bildungsökonomie. Eine Sendung über die Suche nach dem Wert der Bildung.
Manuskript (ohne letze Änderungen)
JOURNAL PANORAMA: BILDUNGSÖKONOMIE
Lothar Bodingbauer
PRESSETEXT
Bildungsökonomie: Sei gescheit, mein Teuerster!
Es gab eine Zeit, in der Bildung als grundsätzliche und unantastbare Bedingung für die Bezwingung des Wilden ins uns gesehen wurde - wie auch immer das geschah. Heute macht Effizienz auch vor Bildungsfragen nicht halt. Der Bildungserfolg wird in Kosten-Nutzen-Rechnungen an seiner Auswirkung am Bruttoinlandsprodukt gemessen, verglichen im globalen Wettbewerb. Es zahlt sich aus, schon in die Bildung von Kindergartenkindern zu investieren. Leise aber beharrlich entstand in den letzten Jahren ein neues ökonomisches Forschungsgebiet: die Bildungsökonomie. Ein Journal-Panorama auf der Suche nach dem Wert der Bildung – von Lothar Bodingbauer.
ANMODERATION
Menschen, die im Bildungswesen arbeiten, reagieren auf bildungsökonomische Fragen oft äußerst allergisch. „Immer nur nach dem Nützlichen zu fragen, ziemt sich gar nicht für großzügige und freie Menschen“, wird Aristoteles zitiert, wenn es um die Frage nach der Effizienz von Bildungsmaßnahmen geht. Seit einigen Jahren machen aber wirtschaftliche Optimierungsversuche auch vor Bildungsfragen nicht halt. Der Bildungserfolg wird in Kosten-Nutzen-Rechnungen an seiner Auswirkung am Bruttoinlandsprodukt gemessen, verglichen im globalen Wettbewerb. Leise aber beharrlich entstand ein neues ökonomisches Forschungsgebiet: die Bildungsökonomie. Hören Sie dazu jetzt ein Journal-Panorama auf der Suche nach dem Wert der Bildung – von Lothar Bodingbauer.
BEITRAG
Mikrofon / 0:24 Text
Jeder, der einmal in der Schule war, ist in Österreich ein Bildungsexperte, und jeder, der einmal Geld ausgegeben hat, ein Ökonom. Wer beides tat, ist Bildungsökonom. So könnte man überspitzt die Verwirrung auf den Punkt bringen, die derzeit in Österreich um den Begriff „Bildungsökonomie“ herrscht. Dabei ist es doch so einfach. Man muss nur den richtigen fragen.
CD-1 / 1 0:37 Mailbox Lückl - Bildungsministerium
(Mailboxsignal: Kling - Heute, 10 Uhr 35): Grüß Gott, Herr Bodingbauer, Lückl Bildungsministerium. Sie haben gestern versucht, mich zu erreichen. Betreffend Ihre Anfrage, was für Kosten für den Staat anfallen beim Sitzenbleiben eines Schülers einer Schülerin liegen beim Bildungsministerium keine derartigen Zahlen aus entsprechenden Erhebungen vor. Eventuell könnte die Bundesanstalt Statistik Österreich dementsprechendes Zahlenmaterial für Sie bereitstellen. Mit freundlichen Grüßen, Lückl Bildungsministerium.
Mikrofon / 0:23 Text
7700 Euro kostet einmal Sitzenbleiben im Durchschnitt in Österreich der öffentlichen Hand. Was immer man mit dieser Zahl anfangen will. Sie ist auch im Statistischen Zentralamt nicht leicht zu kriegen - die sonst alles haben, was in Österreich Daten verursacht. Was kostet ein Schuljahr dem Staat? Vielleicht ist diese Frage einfach nicht interessant?
CD-2 / 1 0:2 OT Kurt Scholz
Die Ökonomie ist unser Schicksal...
Mikrofon / 0:5 Text
... sagt Kurt Scholz, der frühere Wiener Stadtschulratspräsident ...
CD-1 / 2 0:46 OT Kurt Scholz
und auch ich bin der Meinung, dass man jeden Euro, der in das Schulwesen investiert wird, genau anschauen und umdrehen soll. Man soll wissen, was Unterrichtsstunden kosten, was die Absage von Unterricht kostet, man soll durchaus ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass das Schulwesen der zweit- oder drittgrößte Budgetbrocken überhaupt im Bundesbudget ist. Dafür soll man ein klares Bewusstsein haben. Davon trennen möchte ich allerdings eine Schule oder eine Pädagogik, die nur mehr unter dem Diktat der Zahlen steht. Derzeitig haben wir eine schleichende Entwicklung, in die Richtung, je billiger, desto besser organisiert ist das Schulwesen. Und dagegen muss man schon gewisse Einwände haben.
CD-2 / 2 1:19 ******** Mix Abendschüler
Ja, es hat mit meinen Eltern auch zu tun. Ich soll machen was ich will. Sie können mich nicht zwingen dazu. Das war beste, was sie machen haben können. So bin ich selbst immer wieder auf die Schnauze gefallen, rausgehaut worden, da passt es nicht. Und so bin ich selbst draufgekommen, wie wichtig die ganze Ausbildung da ist, dass man die ganze Ausbildung hat und so. --- Es war so, dass ich mit 14, 15 Interessen entwickelt haben, die sich mit der Schule nicht überschnitten haben, Musik, selber Musik machen, ich dachte mir, das Wissen, das mir in der Schule übermittelt wird, kann ich mir selber über das Internet beizubringen, zumindest die Sachen, die mich da interessieren. Das war aber nicht ausreichend, um positiv abzuschließen, und darauf bin ich zwei mal in der 6. Klasse durchgefallen. --- Ich habe Konditor gelernt, dann auf Patisserie umgestiegen, und habe in besseren Hotels gearbeitet, was furchtbar anstrengend war, ich habe aber was gesehen von der Welt, habe Geld verdient, jetzt kann ich mich zwei Jahr hinsetzen, arbeiten, was nicht so interessant ist, einfach nur sitzen, und die Schule machen.
Mikrofon / 0:26 Text
Das war die Sicht von drei Wiener Abendschülern, die im zweiten Anlauf die Matura machen. Jeder von ihnen hat zwei Schuljahre a 7700 Euro in den Sand gesetzt. Auch Manfred Adlmanseder hat dem Staat mehr gekostet als der Durchschnitt. Er hat Russisch studiert, Doktorrat, dann Jus studiert, zweites Doktorrat. Jetzt ist er Finanzchef einer bedeutenden Maschinenbaufirma, exportorientiert.
CD-1 / 3 0:11 OT Manfred Adlmanseder
Es ist durchaus ein Vorteil, wenn man in einer Führungsposition zum Telefon greifen kann, um den Direktor eines Unternehmens anrufen kann und sich mit ihm in seiner Sprache zu unterhalten...
Mikrofon / 0:12 Text
Ein Vorteil, der aber ziemlich teuer war. Stichwort Bildungsökonomie: hätte der Staat Ihnen nicht einen Sprachkurs zahlen können, musste es ein Russischstudium sein, anders gefragt:
CD-2 / 3 0:58 OT Manfred Adlmanseder
Wo liegt der Vorteil für die Volkswirtschaft, dass Sie als Finanzchef Puschkin gelesen haben? --- Schauen Sie, Puschkin mag ein Privatvergnügen sein. Nur stellen Sie sich vor, ein Abendessen mit Geschäftspartnern in Moskau. Sie sitzen zusammen, im Cafe Puschkin, ich war erst letzte Woche dort im übrigen. Man plaudert, unterhält sich, parliert in Russisch. Natürlich kommen Themen wie Literatur, Musik. Ja was glauben Sie, wir können nicht als exportorientieres Land in der Führungsebene eines Unternehmens auftreten, wenn wir hier nicht mitreden könne. Bildung, auch schöngeistige Bildung, Musik Malerei, sind ein gemeinsamer Bestandteil Europas. Und ich sage es ihnen ganz ehrlich, für Geschäftsabschlüsse nicht gerade schlecht, wenn man ein bisschen was davon versteht.
Mikrofon / 0:17 Text
Da ist doch etwas gut gegangen - beim Einzelnen. Bildung wurde eingekauft, von ihm, vom Staat, das Ergebnis lässt sich sehen. Das könnte doch eine schöne Verbindung ergeben: die Bildung und der Markt, fragt Lorenz Lassnig, Institut für Höhere Studien.
CD-1 / 4 2:4 OT Lorenz Lassnig
Was wäre, wenn man Bildungswesen organisieren würde, nach Marktwirtschaft. Dass Bildung eine Ware wie jede andere auch. Wohnungen, Brot. Hier gibt es eine wesentliche Unterscheidung: diese Unterscheidung ist mit privaten und sozialen Erträgen verbunden. Hier wird untersucht, in wie weit durch Bildungsinvestitionen private Erträge erzielt werden, Ertrag gemessen in Einkommen mit bestimmten Bildungsabschluss. Ergebnisse: Rendite in Bildung gleiche Höhe wie bei normalen Kapitalinvestitionen. Aktienfonds kauft - Wenn der Staat investiert, oder wenn der einzelne Bürger investiert. - Das ist unabhängig, Investitionen egal woher sie kommen. Was kann man daraus politisch schließen. Bildungsökonomie hat einen starker Trend, die Hochschulbildung mit hohen Erträgen auf private Investitionen aufbauen soll, wohingegen man die allgemeine Bildung nicht auf privaten Investitionen aufbauen soll, hier soll man nicht nach ökonomischen Erträgen schauen, sondern hier gibt es wesentliche Aspekte, die über den Markt heraus eine Rolle spielen: sozialer Zusammenhalt, Kinder aus verschiedenen sozialen Schichten gegenseitig kennen lernen, dass man eine gemeinsame Kultur schafft und so weiter.
Mikrofon / 0:40 Text
Hier gibt also die Ökonomie der Politik die Hand. Dieses Gemeinsame im Staat ist nämlich nicht ganz freiwillig, sagt Lorenz Lassnig. Fehlender sozialer Zusammenhalt kostet der Volkswirtschaft Wirtschaftswachstumspunkte. Damit sind wir weg vom Einzelnen. Jede Investition in die Bildung rechnet sich für das Individuum und für den Staat, und zusätzlich entsteht ein Gruppeneffekt, wenn besondere Bildung vermittelt wird: vernetztes Denken, Teamwork. Das bringt dem Individuum selbst nicht viel, aber dem Staat sehr wohl. Und zwar ebenso viel, wie die Arbeitsleistung selbst, sagt Lorenz Lassnig - Zur Sicht der Wirtschaft nun.
CD-2 / 4 2:11 OT Claus Raidl
Was braucht Böhler-Uddeholm?
Mikrofon / 0:6 Text
Eine Frage, die Claus Raidl, der Vorstandsvorsitzende von Böhler Uddeholm beantwortet.
CD-1 / 5 1:50 OT Claus Raidl
Wir brauchen gutausgebildete Controller, gut ausgebildete Diplomingenieure, die sowohl in der Forschung einsetzbar sind in Produktion, Vertrieb, Produktentwicklung, wir brauchen gutausgebildete Juristen, wir brauchen gut ausgebildete Marketingleute. Finanzleute, die wissen, wie man Unternehmen billig finanzieren kann, wissen wie Kapitalmarkt funktioniert, die Börse funktioniert. Wenn ich es aus meiner kleinen Sicht von Böhler-Uddeholm sehe, so verlange ich, erwarte ich vom Bildungssystem, dass diese Qualifikationen auf den Bildungseinrichtungen vermittelt werden, Universitäten. Fachhochschulen, berufsbildenden Schulen; HAK, dass dort diese Qualifikationen vermittelt werden, die mir helfen, dass sich Böhler-Uddeholm sich im Wettbewerb besser behauptet. Denn wenn Sie bessere Dipl.Ing. für neue Produkte habe, für Forschungen, Ergebnisse aus Forschung, und Ergebnisse aus der Forschung, wenn Sie bessere Mitarbeiter haben für Finanzierungen, dann werden Sie einen Konkurrenzvorteil haben. Daran gibt es ein doppeltes Interesse, das Interesse des Individuums, man soll doch um Gottes willen einem Jungen Menschen mit 10 oder 12 Jahren durch die Auswahl seiner sekundären Ausbildung den Weg zu einer höheren Bildung versperren, das ist die individuelle Sicht, auch die Sicht der Wirtschaft ist, wir müssen ein Interesse haben, dass die Begabungen der jungen Menschen wirklich alle zur Entfaltung kommen, denn wir können die alle brauchen.
CD-2 / 5 1:22 ******** Mix Große Menschen
Ja, Bildung ist ein großer Begriff, aber was ich schon von klein auf gemerkt hat, meine Eltern, meine Mutter speziell auch, dass wir am Abend Bücher, vorlesen, mag sein, dass es bei anderen Bauern nicht selbstverständlich war --- Meine Mutter hat immer gesagt, wir haben nicht so viel Geld, aber alles was ich an Geld habe, investiere ich in Eure Ausbildung. --- Schule losgegangen ist, ist sehr gefördert worden, eine kleine Schulbank bekommen, da kann ich Hausübung machen, das ist von meiner Mutter sehr gefördert worden. --- Selber schwere Jugend gehabt,. hätte sicher mehr aus mir machen könne, wenn ich ein gescheiteres Elternhaus gehabt hätte, da habe ich gesagt, solche Fehler dürfen nicht passieren, das muss einfach hinhauen --- und mein ältester Bruder war ein Jahr in USA als Student, später draufgekommen, Eltern haben Kredit aufgenommen - später als er älter wurde, haben wir ein Terrarium gehabt, heimische Fischarten, Schlangen. Und da musst halt mit dem Kind machen. Ihm hat es gefallen, mir hat es gefallen, das war wirklich was ganz was Schönes.
CD-1 / 6 0:6 OT Gudrun Biffl
Wieviel Bildung lässt man wem zukommen, auf wieviel Bildung hat man Rechtsanspruch?
Mikrofon / 0:5 Text
Fragt die Arbeitsmarktexpertin Gudrun Biffl vom Wirschaftsforschungsinstitut.
CD-2 / 6 0:58 OT Gudrun Biffl
Da komme ich jetzt von der Arbeitsmarktseite und sage, die Wirtschaft und auch daher die Gesellschaft braucht ein ganz bestimmtes Qualifikationsniveau der Menschen, um bestimmte Produktionsprozesse meistern zu können. Es ist durchaus sinnvoll, in einer Situation, wo ich eine Technologie habe, wo ich eine große Zahl von standardisierten Fähigkeiten brauche, also die Industrialisierungsphase, dass man ein Bildungssystem hat, das genau diese standardisierten Qualifikationen im hohen Maße für den Markt produziert. Wenn sich aber jetzt unser Wirtschaftssystem wegbewegt von diesen Qualifikationsprozessen, über Globalisierung, über die technologische Entwicklung, und wir sind ein reiches Land, dann müssen wir uns überlegen, dass wir die jungen Menschen in die Qualifikationen hineinbringen, die sie dann brauchen für die nächste wirtschaftliche Entwicklungsstufe. Und da haben wir gewisse Probleme in Österreich.
CD-1 / 7 0:6 OT Hannes Eichsteininger
Es gibt Schüler, die braucht niemand. Das sind gar nicht so wenige.
Mikrofon / 0:5 Text
Hannes Eichsteininger, Lehrer an der Polytechnischen Schule in Ried im Innkreis.
CD-2 / 7 0:39 OT Hannes Eichsteininger
Es ist ja das Problem in Österreich, dass es den Hilfsarbeiter, der früher an der Maschine gestanden ist und den Hebel umgelegt hat, nicht mehr gibt. Dadurch bleiben die Leute, die in diesem Bereich gearbeitet haben, die bleiben wirklich über. Die werden mitgeschleppt, Arbeitsloseninitiativen. Aber auch diese Unterstützungen laufen aus, wenn 18-19. Und das ist ein ungelöstes Problem, da ist Geld alleine nicht die richtige Lösung. Da können sie die Firmen mit Geld zuscheissen, die werden diese Leute nicht einstallen. Hier haben wir ein Arbeitslosenproletariat, das niemand benötigt.
CD-1 / 8 0:34 OT Gudrun Biffl
Österreich selektioniert. Wir selektionieren so, dass ein relativ großer Anteil an Jugendlichen nicht in Lage versetz wird, außer zu extrem hohen individuellen Kosten, auch Selbstmotivation Externistenmatura, Berufsreifeprüfung neben Erwerb ist nicht so leicht , das heisst es wird eine Gruppe abgesagt, die gar nicht einmal vorgesehen sind für die univistäre Ausbildung.
CD-2 / 8 0:9 OT Ursula Müller
Im allgemeinen kann man es in der 3. Klasse schon sagen, ob es ehr gute Schüler sind, und die gehören in ein Gymnasium, oder ob es eher durchschnittliche Schüler sind oder unterdurchschnittliche.
Mikrofon / 0:4 Text
Ursula Müller, Volksschuldirektorin in Altheim, Oberösterreich.
CD-1 / 9 1:3 OT Ursula Müller
Da tut sich noch so viel, es gibt natürlich die Kinder, bei denen man es vom 1. Schultag an sieht, die so kompetent sind. Bei uns am Land hängt es noch stärker vom Familienhintergrund ab, weil für die Kinder die Belastung des Fahrens dazukommen, wenn sie nach Braunau oder Ried fahren müssen, sie 16 und 20 km Bus fahren, das ist für 10-jährige nicht unbedingt lustig, schon manchmal, erste Tragödien im Bus ab, es gibt auch diese Kinder, es ist eine Belastung. Wenn die Eltern selbst ins Gymnasium gegangen sind, und viel davon halten, werden sie die Kinder entsprechend persönlich stärken, dass diese Belastung aushalten, wenn die Eltern sagen, wir sind in die HS gegangen, es ist aus uns etwas worden, diese Belastung tuen wir unseren Kindern nicht an, dann ist natürlich der Weg in die Hauptschule gezeichnet, wenn es sich um sehr gute Schüler handelt.
CD-1 / 9 1:11 OT Gudrun Biffl
Vererbung des Bildungsniveaus heißt, dass die Kinder das selbe Ausbildungsniveau haben wie die Eltern. Das sind in Österreich 52% der Schüler. Das heißt, wir selektionieren. Normalerweise sagen wir immer, unser Bildungssystem selektioniert nach Fähigkeiten und Begabungen. Ganz eigenartig, weil man im Endeffekt nicht danach selektioniert, sondern nach dem sozialen Status. Wenn man wirklich nach Fähigkeiten und Begabungen selektionieren wollte, muss man diesen gesamten sozialen Krimskrams entfernen, welches Potenzial hat dieses Kind, das muss man fördern, herausfinden, in welchem Maß kann das das Schulsystem machen, im welchen Maße das Elternhaus. Bei uns kommt die Förderung in hohem Maße aus dem Elternhaus. Daher haben es Kinder aus einem bourgeoisen Hintergrund es nun mal leichter, sich in diesem Bildungssystem zurechtzufinden, als Kinder die aus bildungsfernen Schichten kommen. Da können die Eltern einfach nicht den Beitrag leisten, und in Folge dessen fallen ihre Kinder automatisch zurück, weil das Schulsystem ihnen nicht diese Förderung angedeihen lässt, die diese Kinder bräuchten. Und das ist der Unterschied zu den nordischen Ländern.
Mikrofon / 0:5 Text
Sagt die Arbeitsmarktspezialistin Gudrun Biffl vom Wirtschaftsforschungsinstitut.
CD-1 / 10 1:18 ******** Mix Abendschüler
Als ich mit meinen Eltern in dieser Zeit diskutiert habe, wo ich nicht wußte, was ich machen soll, war mein Papa verständnisvoll, er hat gesagt, mach irgendwas, mach weiter, überleg dir was anderes meine Mama war stressig, sonst verlierst wieder ein Jahr. Und die Mischung aus beiden hat dazu geführt, dass ich es selber verstanden habe --- Im Gymnasium habe ich es versabelt, weil ich zu faul dazu war, und jetzt kann ich es, cih weiß, dass ich es kann, und das will ich mir beweisen. --- Und jetzt denke ich mir, das ist ja wirklich interessant was ist da wirklich passiert, lerne es anders als mit den Augen und Kopf als mit 16, nehm auch mehr mit, es zahlt sich auf jeden Fall aus, mit 20 die Abendschule zu machen als mit 18 die Matura. --- Bildung ist persönlich, will niemand was beweisen, mache Matura, weil ich Bandbreite des Wissens haben will, wenn man in einer Gesprächsrunde ist, und es geht um das und das, du hast eine Ahnung, worums geht, man muss zwar nicht mitreden können, aber ich verstehe, worums geht.
Mikrofon / 0:36 Text
Ein staatlich geplanter Bildungsweg, der es allen recht macht, ist schwierig. Die Startpunkte sind verschieden, die Wege verlaufen unterschiedlich, und die Ziele sind anders. Effizienz in diesem Zusammenhang bedeutet normalerweise, nicht den Lehrer schneller reden zu lassen, oder die Stunden zu kürzen oder zu verlängern, sondern ganz grundlegend den Storch aus den Startpunkten der Ausbildung zurückzudrängen, die Streuung in den Ergebnissen nicht allzu groß werden zu lassen, und auch durchaus darüber zu wachen, dass nicht einige zu effizient ihren Bildungsweg durchziehen.
CD-2 / 10 0:5 OT Walter Kiessling
Zu einem entscheidenden Kriterium bei der Beurteilung von Bildungssystemen ist der Output geworden.
CD-2 / 0:17 Text
Stellt der Bildungswissenschaftler Walter Kiessling fest. Er hat nicht immer Zeit, den Studenten ein Feedback zu geben, wie viel Zeit sie sich für ihre Seminararbeiten nehmen zu müssen, wie sie vom Copy und Paste, wie sie vom Plagiatsverhalten wegkommen können.
CD-1 / 11 0:26 OT Walter Kiessling
Zunehmend mehr Studierende ich sage jetzt einmal auch als Reaktion auf das gesellschaftliche Klima vermeiden Lernprozesse, die risikoreich sind. Wo nicht ganz klar ist, da ist der Anfang und hier ist das Ende, und dazwischen kann mir nichts passieren, da geht ein Schritt nach dem anderen und es gibt noch klare Zwischenetappen, sondern dass es sein kann, dass ich scheitere, zurück zum Start muss, aber zum Schluss kommt vielleicht etwas Neues heraus.
CD-2 / 11 0:38 OT Claus Raidl
Wir brauchen auf jeder Ebene eine Basis, die mindestens im obersten Drittel, bei diversen EU-Rankings ist. Es braucht aber jede Gesellschaft, und ich weiß, dass das vor einigen Jahren nicht möglich war zu sprechen, durch falsch verstandene Gleichheitsgrundsätze, es braucht jede Gesellschaft eine Elitenausbildung. Wichtig ist nur, dass sie jedem zugänglich ist, nicht an Geburt und Stand geknüpft ist, oder an irgend so was geknüpft ist.
CD-1 / 12 0:5 ATMO Kindergarten
(darüber nach kurzer Zeit folgender Text)
Mikrofon / 0:10 Text
Die Kinder im Montessori Kinderhaus in Wien wachsen in zwei Sprachen auf, das kosten den Eltern pro Nase und Monat 350 Euro pro Monat. Es zahlt sich aus...
CD-2 / 12 0:36 OT Lorenz Lassnig
Weil hier gibt es nach den neueren Ergebnissen der Bildungsökonomie relativ klare Aussagen, dass die Investitionen im ganz frühen Alter noch vor der Volksschule, am besten verwerten, die höchsten ökonomischen Erträge bringen. Wenn in diesem Alter eine gute Basis geschaffen wird, die Kinder die besten Möglichkeiten haben, von höherer Bildung und so weiter und von Hochschulbildung zu profitieren.
CD-1 / 13 0:48 OT Gudrun Biffl
Man muss so was wie Schlüsselqualifikationen in den Bildungssystemen anbieten, umfassende Ausbildungen, nicht notwendigerweise Spezialisierungen. Wir sind häufig auf dem Spezialisierungstrip. Du brauchst eine relative Breite der Ausbildung, um dann auch Berufsswitching betreiben können. Viele Berufe im Informations- und Kommunikationsbereich, Bereiche wo das Wissen nicht aufbauen ist, wo sprunghaft etwas anders gebraucht wird, man muss über die Fähigkeit zu verfügen, etwas anders anzufangen, nicht ganz unten. Das ist auf allen Bildungsebenen, fängt mit der Vorschule an, Volksschule bis hinauf ins universitäre System.
Mikrofon / 0:3 Text
Sagt Gudrun Biffl zu den Maßnahmen. Kurt Scholz:
CD-2 / 13 0:59 OT Kurt Scholz
Wir brauchen ein Schulwesen, das sich seine soziale Selektivität eingesteht, und nach diesen Bewusstsein, dass das Schulwesen starken stärker macht und schwachen fast nicht hilft müssten eine Fülle von organisatorischen Maßnahmen, finanzielle Maßnahmen, Maßnahmen die den Übertritt ins höhere Schulwesen erleichtern. Aber es muss immer ergänzt werden durch den Appell an den Einzelnen. Du musst wollen, du musst auch gegen Hindernisse höhere Bildung erreichen. Ich sehe derzeit in Österreich leider Gottes wenig Entwicklung in diese Richtung. Der Appell an die Opferbereitschaft ist nicht sonderlich populär und der Glauben an die Sozialmechanik, ich führe jetzt die Gesamtschule ein, und dann bricht das Paradies der Gerechtigkeit und der Gleichheit an, der ist in meinen Augen übergroß.
Mikrofon / 0:13 Text
Womit wir wieder Zuhause wären, in den eigenen vier Wänden. Wir erinnern und an die Rendite. Sie ist wie bei jeder Vorsorge dort am größten, wo am frühesten begonnen wird. Wir sind bei den Maßnahmen.
CD-1 / 14 0:52 OT Gudrun Biffl
Ich habe immer wieder versucht, über Au Pair aus dem englisch- oder französischsprachigen Raum kommen, nicht nur die Sprache, sondern auch die Kultur hereinzubringen. Sie haben nicht nur die Sprache gesprochen, sondern auch die Küche hereingebracht, sie haben Lieder gesungen. Sie sind unterschiedlich Probleme angegangen. Das heißt die Kinder sind multikulturell aufgewachsen, das hat sie in die Lage versetzt, so weiterzuarbeiten. man macht nicht irgend einen Tourismusurlaub, sondern man geht längere Zeit wohin, arbeiteten dort , machten bei Sozialprojekt mit. Kriegen mit, Menschen in verschiedenen sozialen Situationen. All das ist unglaublich wichtig, dass man sich in einer komplexen Welt zurecht findet.
CD-2 / 14 2:22 OT Kurt Scholz
An der Spitzte stünden bei mir nicht die Budgetzahlen, sondern etwas ganz altmodisches , sondern lachende Kinder, oder das Glück der Kinder. Das wäre etwas, wo ich sagen würde, das wäre ein Ziel des Schulwesens, dem ich alles andere unterordnen würde. Wenn ich einmal fröhliche, lachende, optimistische Kinder habe, Kinder mit Zuversicht, die ich nur habe, wenn ich Lehrer habe, die Zuversicht in ihrem Beruf haben, dann würde ich sagen, was sind diese Inhalte, die diese Menschen in der Schule besprechen werden. Da gibt es eine breite Diskussion, welche Bildungsinhalte wir im Schulwesen haben. Und wenn ich einerseits das Menschenbild vor mir habe, nach dem ich erziehen will, und die Inhalte des Bildungswesens, müsste man fragen, mit welchem Kosteneinsatz erziele ich das. Die ökonomische Frage an erster Stelle zu stellen, ist meines Erachtens eine Sünde wider dem Geist des Bildungswesens. -- Das nächste, wahrscheinlich investieren in Eltern, Vater- Kind Erlebnisse. Das Veschwinden der Väter aus der Erziehung ist die größte Tragödie der modernen Bildung. Es gehen hier so viele Rollenvorbilder verloren, dass den Kindern wirklich im Bildungsgang etwas wesentliches abgeht. Den Buben wie den Mädchen. -- Würde ich Millionen gewinnen, eine Schule zu gründen. Keine exklusive Privatschule, eine relativ normale Schule, mit einer Beindung. Dass die Lehrerinnen und Lehrer dort handverlesen sind. Den dieser Faktor Mensch ist für mich mehr und mehr der entscheidende. Ich glaube nicht mehr an die Lehrplanreform mit Papier Schere und Kleister, wo irgendetwas modernistisches hineingeschrieben wird. Man sollte Lehrer wie die antiken Philosophen mit der Lampe in der Hand suchen und die besten können dann - fast egal wie der Lehrplan ausschaut - dann auch mit den Kindern etwas erreichen.
Mikrofon / 0:18 Text
Hier stößt die Bildungsökonomie an ihre Grenzen. Effizienz und Emotion. Wie misst man Emotion? In der bildungspolitischen Diskussion wird damit gerne gespielt. Insgesamt fehlen der Bildungsökonomie immer wieder diese Daten, sagt Lorenz Lassnig vom Institut für höhere Studien.
CD-1 / 15 0:35 OT Lorenz Lassnig
Ich glaube nicht, dass Katastrophenstimmung angesagt ist. Meine Sicht ist die, das ist vielleicht nicht so wissenschaftlich begründbar, dass man nicht gut Bescheid weiß darüber. Wenn man hohe Anforderungen stellt und nicht gut bescheid weiß, dann entsteht Unsicherheit und politischer Hickhack, und gleichzeitig gibt es feste Interessenspositionen, die man aus meiner Sicht auch angreifen sollte, und dann entsteht eben die Situation die wir haben.
CD-2 / 15 1:18 ******** Mix Abendschüler
Mir war es ganz wichtig, dass ich Matura mache, ich habe schon beim Schulabbruch gesagt, ich werde diese Matura nachholen. Ich sehe es nicht als verlorene Zeit an --- verloren deshalb nicht, weil es in der Zeit, wo Schule nicht gut gelaufen ist, ich in eine andere Richtung entwickelt habe, Musik. -- Ausgewogenheit im Leben, das man Bildung hat, dass ich meine Grenzen kenne, da her und nicht weiter, dann kann ich mit mir zufrieden sein und beeinflusse nicht meine Umwelt durch schlechte Einflüsse, grantig sein. --- Der Plan bis jetzt funktioniert es super, weil man am Vormittag arbeitet, ich arbeite 8-14 Uhr, dann esse, und dann am Abend wieder in die Schule gehe, es ist hart, aber es schaut gut aus.
Wer wird die Entschädigungen bekommen? Portraits jüdischer Menschen, die während der NS-Zeit Zwangsarbeit leisten mußten. Was sie heute denken, wie sie leben, und wovon sie träumen.
Montreal Holocaust Memorial Centre: Gedenkdiener B. berichtet: Was ein österreichischer Zivildiener in Montreal erlebt: Von Insurance-Claims, stillen Feiern und angekündigten Politikern.
10 akustische Ansichtskarten mit lieben Grüßen aus dem Alpenraum: Wie leben in den Bergen? Ausgezeichnet mit einer “Lobenden Erwähnung” beim Dr. Galler-Tourismuspreis.
"Dieses Ischgl gibt es schon ewig, aber Siedler gibt es seit ca. 1100 Jahren. Und zwar sind da die ersten Siedler aus dem benachbarten Engadin, aus Szent herüber gekommen über das Timberjoch, und haben hier die erste Höfe erbaut.." – Paul Zangler, Lehrer in Ischgl. Heute ist Ischgl eine Fun-Sport-City. Akustische Einblicke beim Kulissenwechsel Winter-Sommer.
Gestaltung: Lothar Bodingbauer und Ingrid Rachbauer
Arbeitslosigkeit in der Region Braunau im Jahr 1996, nach der Umstrukturierung des Aluminiumwerks Ranshofen (AMAG). Wie man die Zahlen dreht und wendet, egal ob absolut oder relativ gerechnet wird, die Zahl der Arbeitslosen steigt Risikogruppen sind ältere Menschen, Personen mit Lehr- oder Pflichtschulabschluß, Nicht-Österreicher, Beschäftigte in Industrie und Gewerbe. Aber was sind Zahlen, Raten und Vergleiche. Betroffene profitieren höchstens vom Verschwinden des Vorurteils, jeder könne arbeiten, wenn er nur wolle. Für den Einzelnen und die Familien bedeutet Arbeitslosigkeit Krisenphase mit offenem Ende.
Manuskript
Arbeitslos. Eine Region ist machtlos und beunruhigt.Im Vormonat waren in Österreich fast 240.000 Menschen arbeitslos. Wie man die Zahlen dreht und wendet, egal ob absolut oder relativ gerechnet wird, die Zahl der Arbeitslosen steigt. 12% sind es nun mehr als im Vorjahr. Risikogruppen sind ältere Menschen, Personen mit Lehr- oder Pflichtschulabschluß, Nicht-Österreicher, Beschäftigte in Industrie und Gewerbe. Aber was sind Zahlen, Raten und Vergleiche. Betroffene profitieren höchstens vom Verschwinden des Vorurteils, jeder könne arbeiten, wenn er nur wolle. Für den Einzelnen und die Familien bedeutet Arbeitslosigkeit Krisenphase mit offenem Ende. Lothar Bodingbauer hat sich in Oberösterreich umgesehen. Ort der folgenden Reportage ist die Region Braunau.
2 OT Arbeiter
Was uns so ärgert, es ist um die Hälfte fast reduziert worden, aber nur der ganze Führungsstab droben ist heute noch. Das paßt sicher nicht mehr, aber na ja.
OT Meditation
TEXT:
Die Adressaten dieser Meditation, 30 Männer und Frauen jeden Alters, waren vor einem Monat noch Härteres gewohnt. Schichtarbeit in der Aluschmide Ranshofen, an Walzgerüsten und Preßmaschinen. Fließbandarbeit in einem anderen Krisenbetrieb, der schließen mußte oder anderswo billiger produziert. Auch ein Käsereimeister ist dabei.
Einer hat vorhin erzählt, er würde jetzt gerne Staplerfahren. Diese Zeit ist nun vorbei. Sie alle haben ihre Arbeit verloren.
Alle wissen, sie sind da, um sich zu erholen, um fit zu werden, für die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz.
4 OT Arbeiter
Vielleicht finden wir ja noch etwas (4)
3 (~2) OT Meditation
2 OT Arbeiter-Mix
Man wird selbstbewußter da herinnen, weil man lernt, Eigeninitiative zu ergreifen…
Na, mich hat das nicht geschreckt, weil ich schon immer gerechnet habe, daß ich einmal hinaufgeholt werde…
Ich war Gruppenleiter in der Forschung und Entwicklung. Durch die Umstrukturierung in der Forschung der AMAG ist diese Stelle aufgelöst worden…
Mir wäre eigentlich im Freien irgendwas noch, weil ich war jetzt 43 Jahre immer drinnen, in der Hüttengießerei, und in der Werkstätte…
Ich war zuletzt im Magazin noch ein wenig, aufräumen…
Was ich in Zukunft noch lernen kann oder nicht, ich weiß nicht, ob das noch was günstiges draus wird. Gesundheitich war ich auch schon so halbwegs geschädigt, ich habe schon ewig lang Astma…
Durch das Sanierungskonzept in der AMAG hat man auch zu mir gesagt, ich hätte die Möglichkeit, auf einvernehmiche Art und Weise das Arbeitsverhältnis zu lösen…
Früher war ich in der Elektroyse 20 Jahre…
Ich bin ersetzt worden dort, das weiß ich…
Entweder Landschaftspfleger oder Gärtner täte mich noch interessieren…
Bevor ein jüngerer gehen muß, erklärt man sich eben bereit, Platz zu machen…(~3)
Weil die Firma hat abgebaut, dann bin ich in die Stiftung gegeangen. Ich hoffe, daß ich noch irgendwas -
4 leise MUSIK Internationale - also Beruf habe ich keinen erlernt…
Und ich hoffe, daß ich noch irgendwo unterkomme…
In der freien Natur wird´s sicher noch was geben für mich. (2)
MUSIK
TEXT:
Hyper, hyper. Wir heben ab. Auf dem Weg in die Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft gibt es keinen Platz mehr für Aluschmelzer, Staplerfahrer, Löchergräber, Kabelroller. Die erkämpften Rechte der Arbeiter gelten nicht mehr für Arbeitslose, und das Recht auf Arbeit ist System- und Konjunkturabhängig.
Gerhard Skiba ist Bürgermeister der Bezirkshauptstadt Braunau.
Arbeitslosigkeit sei der Trend der Zeit.
2 OT Bürgermeister
Freie Marktwirtschaft heißt glasklar, Produktion dort wo die Arbeitskosten günstiger sind, wo man die Leute ausbeuten kann, wo man zu niedrigen Fertigungskosten und Stückkosten kommt. Ich kann nicht einer Firmenleitung den Schüssel wegnehmen und sagen, ihr dürfts nicht absiedeln. Wenns so einfach wäre, dann würde ich das tun.
OT Seelsorge
Wie es angefangen hat, größere Formen anzunehmen, hat es noch Proteste gegeben. Ich denke an die Schließung der Elektrolyse. Am Anfang ist noch protestiert worden, mitlerweile haben wir eine Arbeitslosigkeit in einem ungeahnt größeren Ausmaß, und es gibt eigentlich keinen Protest mehr. Wenn man weiß, daß das Lohnniveau ich glaube innerhalb von einem Jahr um 1000 Schiling gesunken ist, das muß man sich vorstellen, was das für eine Region heißt. (2)
(~4) TEXT:
Die Arbeitslosenrate im Bezirk Braunau liegt bei etwa 8 Prozent. Gleichverteilt. 4% Männer, und 4% Frauen. Arbeitsplätze fehlen vorwiegend in jenen Bereichen, wo es weniger ums Handeln und Delegieren, als ums Zupacken geht. Nun soll auch das Krankenhaus schließen.
Marianne Hagenhofer ist Leiterin des Arbeitsamtes Braunau.
2 OT Hagenhofer
Die offenen Stellen sind stärker denn je zurückgegangen, es ist derzeit so, daß grob 10 Personen auf 1 offene Stelle kommen. Sie können sich vorstellen, wie groß der Verdrängungswettbewerb unter den Arbeitslosen dann ist.
OT Wirtshaus
Die Frauen erwischts jetzt wieder, weil wieder ein Betrieb zusperrt, wo ziemich viele Frauen beschäftigt sind, und die AMAG will auch wieder heuer 500 Leute entlassen. (*2)
TEXT:
Braunau ist nach Linz und Steyr der von Arbeitsosigkeit am stärksten betroffene Bezirk Oberösterreichs. Die Strukturveränderung habe das bewirkt, erklärt Marianne Hagenhofer, andere Bezirke müßten diesen Prozeß erst vollziehen. Was heißen soll, daß im Bezirk Braunau die Betriebe schon zugesperrt haben, oder abgewandert sind, auf die Phillipinen, oder nach Ungarn.
Der Großbetrieb der Region, das Aluminiumwerk Ranshofen, die AMAG, wartet auf einen Käufer und schrumpft inzwischen gesund.
2 OT Arbeiter
Meistens ist ein ganzes System gesperrt worden, das sind immer zwei Ofenhäuser. Aber wie gesagt, die Nebenbetriebe, dies gerissen hat, das hat dann natürlich auf das ganze Werk übergegriffen. - Das Ofenhaus war ja der Teil, der die Defizite von Walzwerk und Preßwerk aufgefangen hat. Und das hat jeder begriffen, wann die das Ofenhaus sperren, daß es dann Feierabend wird. Es ist auch von Seiten des Betriebsrates ganz wenig Druck gemacht worden. Getan hat er auch nicht viel.
OT Bürgermeister
Das Probem ist, die AMAG ist im Grunde genommen als Aluminiumproduzent am Wetmarkt ein Klacks. Und Aluminium wird heute ganz wo anders in ganz anderen Dimensionen am Weltmarkt erzeugt und angeboten. Da hat Ranshofen ganz einfach nicht mehr mitkönnen.
OT Arbeiter
Wenn Dir da oben einer die Wahrheit sagt, wärs schön. Aber man spürt das eh ungefähr, weißt, ganz dumm sind ja wir auch nicht, daß wir nicht wissen, was wirklich im Werk oben lauft. Es wird ja ständig kleiner gemacht, und die Devise, wies immer heißt oben, mit 50 Jahren hast einen Kündigungsschutz, mein Gott na, haben ein paar von der Führungsetage gesagt, mag sein, aber wenn wir jemanden anbringen wollen, bringen wir jeden an.
OT Stiftling
Weil es immer geheißen hat, die älteren haben einen Kündigungsschutz, aber dann heißt es natürlich auch, wenn wir nicht gehen, müssen andere gehen, und für 50jährige oder noch jüngere ist es natürlich noch schwieriger, als für denjenigen, der ein paar Jahre vor der Pension steht. (2)
TEXT:
Die Firmenleitung der AMAG mußte einem Sozialplan zustimmen, der neben Abfertigungen auch die Gründung einer Arbeitsstiftung vorsah. Die nicht mehr benötigten Arbeitnehmer können weiter von 8 bis 16 Uhr ins Werk fahren - nicht mehr in die Produktionsbetriebe, sondern in den Schulungsraum der Alu-Stiftung.
Leiter der Stiftung ist Heinrich Simböck.
2 OT Chef
Begonnen hat die Arbeitsstiftung in Ranshofen im Zuge der Schließung der Elektrolyseanlage. Es wurden damals 711 direkt Betroffene in der AMAG betreut, und haben über die Arbeitsstiftung selber ein Licht am Horizont gesehen, sie waren nicht alleine. Da sind wir auch ganz besonders dankbar, daß das ganze so funktioniert.
OT Trainer
Unser Motto ist wirklich Hilfe zur Selbsthilfe, die Stiftung ist nicht da, einen Arbeitsplatz zu finden, das ist ein wirklich wichtiger Punkt von uns, wir suchen keine Arbeit nicht, wir helfen nur.
OT Stifting: Es geht so schnell
OT Stifting
Und es ist einfach erstaunlich, wenn man das so sieht. Heute sind wieder 3 weg zur Arbeitssuche, und heute habe ich gerade einen Kollegen getroffen, der hat mit mir zusammengearbeitet, der macht Masseur, der ist schon wieder in Deutschland draußen, den habe ich gerade kurz getroffen, der ist schon wieder weg. Und es ist interessant, wie schnell das geht, daß die Leute wieder eine Arbeit finden.
Stiftung Trainer
Arbeiten mit über 50jährigen ist das schönste, was es gibt, sie sind dankbarer wie jüngere, man arbeitet im Bereich Teamarbeit. Nicht gerade Arbeitsplatzsuche, sondern wir packen unser Zeug und gehen in die Natur spazieren, daß das auch nicht zu kurz kommt. (*2)
TEXT:
Die Teilnehmer, die zwar arbeitslos sind, aber nicht so heißen, weil sie Stiftlinge sind, sie lernen das, wofür sie nie Zeit hatten, weil sie arbeiten mußten.
Teamarbeit, Selbstdarstellung- und Bewerbungsstrategien. 4 Jahre sind Zeit, um sich beruflich neu zu orientieren, und an Weiterbildungsprogrammen teilzunehmen. Ältere Teilnehmer können so auch die Zeit zur Pension überbrücken. „Sich aus dem Arbeitsleben ausblenden” heißt das.
Für Jungunternehmer des Bezirkes sind die Stiftlinge begehrtes Personal. Für die Unternehmungsgründung bezahlt die Stiftung einzuschulende Mitarbeiter.
2 OT Jungunternehmer
Ist aber bei einem Unternehmen, das neu anfangt, teilweise die einzige Möglichkeiten. Denn mit dem Start ein großes Personal zu haben, ist für kleine Jungunternehmen fast nicht mehr möglich am Anfang. Und wenn das Unternehmen lauft, kann man die entsprechenden Stiftlinge ja auch einstellen. (*2)
TEXT:
Betriebsgründungen sind jedoch rar, Arbeitsplätze sind rar, und die Perspektive, unnötig zu sein, ist keine gute.
2auf MONO stellen!
OT Frau
Mein Mann ist 28 Jahre in der AMAG gewesen, jetzt habens ihn freigestellt. Der weiß mit 47 Jahren nicht mehr wohin. Aber jetzt hat er schon dort oder da gefragt, ob sie ihn aufnehmen würden, zu arbeiten, er bekommt überall eine Absage, Grund: das Alter, jetzt gehts natürlich wieder an. Na, es war am Anfang sehr schlimm, dann haben wir ihm gut zugeredet, dann ist es wieder gegangen. Gemütsverstimmungen, seelisch, psychisch. Eigentlich, der ganze Mensch ist anders worden.
OT Hagenhofer
Jemand der noch nie arbeitslos war, weiß eigentlich nicht, was Arbeitslosigkeit bedeutet. Wenn man gerne arbeiten würde, aber trotz alledem keine Arbeit bekommt, ist das ja sofort ein psychisches Problem.
OT Arbeitsloser
Konkret sind meine Schwierigkeiten, sind das Finanzielle. Was ich jetzt verdiene, ca. 9000 Schilling, das reicht halt gerade, daß ich die Miete bezahlen kann, 3000 Schilling, 1000 Schilling Strom, ca 600 Schilling Versicherung, der Rest blebt zum Leben, dann habe ich Schulden, ca. 70000 Schilling, die muß ich auch noch zahlen, dann bleiben ca. 2000 Schilling zum Leben. Und dann wirds knapp. Das schlimme ist, daß die Leute so unfair sind, daß sie sagen,. schau da geht er, er ist schon sop lange daheim. Derjenige der Arbeitet, ist sich ja dessen nicht bewußt, was es heißt, arbeitslos zu sein. Nur, den kann es über Nacht auch treffen. Und dann wird er selbst sehen, was das heißt. Innerlich, was sich da abspielt, man hat Existenzangst, es treten viele Problem auf. Man kann sich nix mehr leisten. Man trinkt nun ium ein Bier zuviel, weil man sagt, der Schädel raucht mir, weil ich nicht weiß, was ich tun soll. Man wird ja dann irgendwie psychisch ein bißerl angeknackst, weil man nicht weiß, wie gehts morgen weiter, oder nächstes Monat. - Ich täte sagen, zum Fürchten fängt man an, wenns über 1 1/2, 2 jahre geht. Das geht an, ab einem jahr. Man fühlt sich, so Quasi, Dich kann eh keiner brauchen, dann sagt jeder, jetzt bist schon ein Jahr daheim, Dir muß man das Arbeiten wieder lernen. Wenn einem das gesagt wird, bricht schon innerlich was zusammen, weil man sich abwertet, und sagt, vielleicht hat er wirklich recht. Obwoh man aber im Hinterstüberl den Willen hat, ich möchte ja. Aber immer wieder, das reinsagen, Du bist eh schon so lang arbeitsos, du kannst nichts, du wirst nie was können, und das macht es aus, daß man ein bißerl aufgibt. (*2)
2 OT Lehrer
Also ich bin schon längst pragmatisiert, deswegen kann ich so locker drüber reden, weil das ganze berührt mich überhaupt nicht. (*2)
3 OT Stempel (3)
TEXT:
Und das ist das Geräusch zur Sendung. So klingt Arbeitslosigkeit.
„Stempeln gehen“, sagt der Volksmund.
Für einen Jungakademiker aus Wien war der Umzug in die Region schockierend.
2 OT Akademiker
Und der Kontrast war einfach so schlimm. Das, was ich bisher am Jungakademikerservice in Wien gesehen habe, wo man wirklich darauf spezialisiert ist, jungen Universitätsabsolventen adäquate Jobs zu vermitteln, und wo die Leute hingehen um ihre Karriere zu planen. Mit diesen Vorstellungen bin ich ungefähr auch ans Arbeitsamt in Braunau gegangen. Was ich dort gesehen habe, das war Not, war menschliches Elend, war menschliche Not, bei jedem anders gelagert, und das zu sehen, tut weh.
ATMO Kindergeschrei
TEXT:
Das Arbeitsamt Braunau heißt nun Arbeitsmarktservice. Das neuerbaute Gebäude am Rande der Stadt erinnert mehr an ein Großambulatorium. „Arbeitslosikgkeit ist keine Krankheit“, meinen die einen, „ist sehr wohl eine“, die anderen. Die Klobürste sei zu verwenden, und man habe sich niederzusetzen. Das Schild auf der Toilette ist aber schon das einzige, was anzeigt, daß man sich in einem Amt befindet.
4-(~2) OT/ATMO Arbeitsamt
Sie können auf 11 reingehen…
TEXT:
Felix Leininger ist seit 18 Jahren Arbeitslosenberater. Er stempelt aktiv. An ihn die Frage, wieviele Leute denn jetzt eigentlich sozialschmarotzen. Also gar nicht arbeiten wollen! (~2)
3 OT Berater
Ich habe jetzt ungefähr 450 Leute in der Vormerkung, 99% wollen wirklich, ein geringer Teil hat sich an das Einkommen gewöhnt, die man nicht vermitteln kann, weil so viel egute Arbeitslose da sind. Der Betrieb sucht sich die besseren aus.(*3)
TEXT:
Zahl und Größe der Probleme haben in den letzten Jahren enorm zugenommen, erzählt der Berater inmitten farbenfroher Leinwandgemälde, die er in seiner Freizeit malt und mit ins Amt bringt.
Alleinerziehende Frauen haben die größten Schwierigkeiten, wieder einen Arbeitsplatz zu finden. Halbtags oder Teilzeitstellen werden kaum angeboten und wenn, dann sind meist mit den angebotenen Kinderbetreuungszeiten unvereinbar.
2 OT Frau
Wei ich könnte es für mich nicht vorstellen, daß ich mir denke, ich ginge arbeiten, und in der Zeit schaut eine Betreuerin auf mein Kind. Das kann ich mir nicht vorstellen. Wenn das Kind reif ist für den Kindergarten, dann kann ich auch was arbeiten in der Zeit. Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß ich arbeiten gehen muß, und eine andere, fremde Frau, schaut auf mein Kind in der Zeit, wo ich mir denke, das ist eigentlich meine Arbeit. Auf das stehe ich. -
Stehen kann man nur so lange, wie nichts angeboten wird. Das ist nämlich die Probematik. ich sitze auf der einen Seite herinnen, daß ich die Leute wieder in Arbeit bringe, auf der anderen Seite, muß ich das soziale abchecken, das ist die Schwierigkeit bei den Frauen. Darum sind viele Frauen im Notstandshilfebezug, aber das liegt nicht an den Frauen, sondern an den Betrieben, daß nichts angeboten wird, und an den betrieben, und an den Kinderbetreuungseinrichtungen. - Daß das Geld weiterlauft, Antrag ausfüllen und auf Zimmer 28 abgeben. - Super, das kann ich heute geich abgeben. - Ja, gleich nach vorn gehen. (*2)
TEXT:
Das Amt erhielt einen anonymen Hinweis, daß ein Klient jeden Tag von einem Auto abgeholt werde. Verdacht auf Pfuschen. Der Mann wird zu Felix Leininger ins Amt gebeten.
3 OTBerater
Man ist ja Psychologe auch, man kann ja umgehen auch mit den Leuten, gerade mit solchen. Der kommt herein, braust auf, und zwei Minuten später ist er wieder ruhig. -
(Action bis zum Türeschließen) (*3)
2 OT Angestellte
Und man muß reden können. Auch wenn einer mal hereinkommt und durchdreht und schimpft und plärrt, dann muß ich ruhig beiben und sagen, schrei Dich einmal aus, und dann reden wir normal weiter. Das ist aber nicht immer zu machen, das ist auch klar. Aber das finde ich, macht einen Berater aus. (2)
3 OT Beschuldigter
Überhaupt kein Problem nicht. Menschlich ist es. Wie du in den Wald schreist, kommts raus. Gibt überhaupt nichts. Kannst ganz normal reden mit ihm, ist ganz klar. Wir kennen uns schon lange, hatte schon öfters zu tun mit ihm. Wenns mit der Arbeit wieder pfeift, alles in Ordnung, habe ich damit eh nichts mehr zu tun, servus. (~3)
2 OT Psychologin
Menschen sind sehr verschieden. natürlich finden sich unter Arbeitslosen genauso wie unter Leuten die Arbeit haben, Anstrengungsvermeider, keine Frage. Im großen und ganzen ist es so, daß die Situation der Arbeitslosigkeit so deprimierend ist, daß man sich nicht wundern muß, daß die Menschen die Lust verlieren, die Hoffnung verlieren, resignieren. Das heißt ist mehr gelernte Hilflosigkeit, wie man es in der Psychologie sagt, also ein völlig anderes Phänomen.(2)
TEXT:
Die Psychologin Brigitte Rollet zum Thema Anstrengungsvermeidung. –
Ein Glück für die Region Braunau ist ihre Lage, in unmittelbare Nähe zur deutschen Grenze. Drüben im Chemiedreieck Burghausen arbeiten etwa 5000 Österreicher. Etwa im Wacker-Werk: jeder 5. Arbeitnehmer kommt aus Österreich. Gerd Keller ist der Arbeitsdirektor des Unternehmens.
2 OT Geschäftsführer
Dadurch daß wir mit unserem Produktionsstandort so nahe an der Salzach sind, haben wir diese Salzach nie als Grenze empfunden zu Österreich, was unseren Arbeitsmarkt anbelangt. Nehmen Sie einen Zirkel und ziehen Sie einen 50km Kreis um das Werk, dann ist das unser Beschaffungsmarkt für Arbeitskräfte. Wir werden in diesem Jahr etwa 260 Mitarbeiter hier in Burghausen einstellen können, das hängt damit zusammen, daß die Halbleiterindustrie sehr stark wächst, Wachstumsraten zwischen 15 und 20% in den nächsten zwei Jahren, das wirkt sich natürlich deutlich in unserer Einstellpolitik aus. (*2)
TEXT: Aus Österreich hat sich für die Beschäftigung der Österreicher noch niemand bedankt.
2 OT Geschäftsführer
Sagen wir, das wäre vieleicht ganz nett, aber wir kommen auch so ganz gut zurecht. (*2)
TEXT:
Nehmen Firmen staatliche finanzielle Anreize wahr, neue Mitarbeiter mit Handicaps einzustellen, ältere Arbeitslose etwa?
2 OT Geschäftsführer
Eigentich weniger. Wir müssen eigentlich sehen, primär, funktionierende Abteilungen zu haben, und wir haben nur sehr wenige Bereiche, wo es in Frage kommt, Mitarbeiter, die mit welchen Handicaps auch immer versehen sind, vernünftig und adäquat einzusetzen. Diese Anreize haben wir bisher gar nicht in Anspruch nehmen können. (*2)
TEXT:
Was tun? Wer oder was auch immer Arbeitslosigkeit verursacht. Tatsache ist, daß Menschen, die arbeiten könnten, keine Arbeitsplätze finden, weil es sie nicht gibt. In Zukunft werden sich mehr Leute weniger Arbeit teilen müssen. Zu geringeren Löhnen. Das System der Lohnarbeit den heutigen Gegebenheiten anzupassen, ist ein politisches Problem. Und auch, was mit den immer mehr werdenden Arbeitslosen anzufangen ist.
2 OT Hagenhofer
Wir haben zur Problemlösung angesetzt, wir setzen auf aktive AM Politik. Das heißt, die Personen, nicht nur Arbeitslosengeld beziehen zu lassen, und die Existenz abzusichern, sondern mit ihnen aktiv etwas zu unternehmen, um sie wieder in den Arbeitsmarkt integrieren zu können.
OT Sepp
Ich zerlege jetzt den Betteinsatz. Solche haben wir mehr, und das geht leicht.
TEXT:
Im Recyclinghof Braunau organisieren Langzeitarbeitslose die Sperrmüllsammlung. Müll wird getrennt, wiederverwertet und verkauft.
OT Sepp
Der Rahmen kommt nachher zum Brennholz, das Brennholz wird nachher zusammengeschnitten…
TEXT:
Herbert Ranftl leitet den Recycingof Braunau.
3 OT Ranftl
Wir sind ein Projekt, das für 10 vorher arbeitslose Personen konzipiert ist, dazu steht uns ein Betreuungspersonal von 2 1/2 Personen zur Verfügung. (3)
OT Arbeiter
Ja, mein Fachgebiet sind Elektrosachen zu zerlegen. Die einen könnnen recht gut Matratzen zeregen, er macht zum Beispiel die gröberen Sachen, er zerlegt sämtliche Möbelstücke eigentlich, im großen und ganzen.
3 OT Ranftl
Der Kursteilnehmer ist maximal ein Jahr bei uns beschäftigt, und in der Zeit soll er wieder einen Arbeitsplatz finden.
OT Hagenhofer
Wir belassen die Leute im Zeitrhythmus mit Qualifizierungsmaßnamen. Die Leute müssen in der Früh in die Maßnahme gehen, sie dauert 8 Stunden, und somit ist das Gefühl, arbeitslos zu sein, nicht so stark vorhanden.
TEXT:
Augenkontakt mit der Kundschaft sei wichtig, lehrt ein Plakat an der Wand, das schaffe Vertrauen. Das Projekt besteht nicht nur aus Arbeit. Auch hier sollen Fertigkeiten zur Persönlichkeitsentwicklung vermittelt werden.
2-(~3) OT Sepp
Na ja so, arbeitsmäßig gefällts mir ganz gut, aber ich bin von Schneegattern, ich hab da eine Wohnung, das ist was, was mir nicht so gut gefällt. Der Kurs baut einen schon ein wenig auf, daß man wieder zu sich selben kommt. Wenn man weg ist, dann findet man selber nicht mehr so recht rein. Die helfen einen, daß man wieder dazu zurückfindet. Wie gesagt das ist ein Problem ,in Schneegattern habe ich eine Wohnung, und ich habe mich schon eingelebt, jetzt müßte ich wieder neu anfangen, des streßt mich, ich fahre schon das Wochenende heim, das geht ales ins Geld, ich muß ins Gasthaus essen gehen. Das geht ins Geld. Das bringt mich durcheinander.
TEXT:
Flexibel, dynamisch, mobil und kommunikativ. Das sind die neuen Kriterien. Fehlt nur eines davon, reicht es aus, um in der großen Konkurrenz unterzugehen.
OT Arbeiter
Ich habe, wie gesagt, Sehnsucht nach Zuhause.
OT Arbeiter
Ich bin ein recht fexibler Mensch, ich habe da 0 Probeme gehabt, ich habe zuvor einen ganz anderen Beruf gehabt, wie jetzt. Ich komme bei den Leuten gut an, glaube ich, aber wie gesagt, unser System ist, daß wir zusammenhelfen, weil sonst gehts fast nicht - Heh! -
Ich muß aber jetzt ein Interview geben, jetzt gehts nicht.
3-(~2) OTAction
2 OT Hagenhofer
Ich sage, bei uns wird niemand gezwungen. Jeder soll in die Ausbildung oder in das Projekt freiwillig. Wenn man jemanden zwingt bringt das nix. Allerdings, wenn eine Person, für die wir glauben, das ist für die Person sinnvoll, selbstverständlich das Arbeitslosengeld nicht so ohne weiters weitergezahlt wird, es wird für 4 Wochen ausgesetzt. Man sollte die eine oder andere gemeinnützige Organisation unterstützen, wenn sie Leute braucht, daß man sie aus dem Reservoir der arbeitslosen Personen bestücken kann. Aber mit Gewalt gehts nicht, das sind alles Menschen, man kann den ja nicht anbinden.
TEXT:
Teilnehmer an Projekten der aktiven Arbeitsmarktpolitik erhielten bis vor kurzem für die Arbeit während der Arbeitslosigkeit 2000 Schilling pro Monat zusätzlich zur Arbeitslosenunterstützung. DLU heißt das, Deckung des Lebensunterhaltes.
2(~3) OT Arbeiterin
Also, was ich gerade erfahren habe, ich bekomme die normale Arbeitslosen, mehr nicht, weil ja die DLU jetzt gestrichen worden ist. - Warum ? - Sparpaket. Habe ich jetzt gerade erfahren. Man wird eingestuft, was man vorher gemacht habe, früher hat man noch 2000 dazubekommen. Das ist gestrichen worden. Aber trotz allem, besser wie nichts. -
Aber es ist alles zu bewältigen mit der richtigen Einstellung.
OT Nachrichten
Die Wirtschafts- und Arbeitsminister der 7 führenden Industrienationen haben sich in Lille für einen flexibleren Arbeitsmarkt ausgesprochen, um neue Arbeitspätze zu schaffen. In einer gemeinsamen Abschlußerklärung fordern sie eine größere Mobiität der Beschäftigten und geringere Sozialabgaben für Arbeitspätze, die nur eine niedrigere Qualifikation erfordern. Österreichs Soziaminister Hums meinte zu den Beratungen, es habe keinen Sinn, Arbeitsplätze zu schaffen, die nicht geeignet seien, Existenzen zu sichern.
OT Arbeiterin
Ich täte es für gut halten, wenn es mehr solche Projekte gäbe, dann hätten die Leute vielleicht wie in meinem Fall größere Chancen, irgendwo unterzukommen. gar nicht so schecht. Pfft.
3 OT Hagenhofer
Das Ganze ist eine finanzielle Frage. Der Arbeitsmarkttopf für aktive Beschäftigungspolitik ist nicht endlos, daß man nur daraus schöpfen kann. Man hat ein bestimmtes Budget, mit dem wir haushalten müssen. Man muß auch aufpassen, daß man den Markt mit derartigen Projekten nicht überfordert.(3)
TEXT:
Die Qualifikationsspirale dreht sich. Handelsakademiker ersetzen Handelsschüler, Maturanten Menschen mit Hauptschulabschluß. Im Zusammenhang damit sinken die Gehaltsforderungen der Arbeitssuchenden.
Gerhard Rauscher leitet das Renoveriungsprojekt im nahegelegenen Altheim. Langzeitarbeitslose haben dort ein altes Bauernhaus renoviert, das nun als Kulturzentrum und Museum dient. Für die Gemeinde war diese Renovierung billig, Material wurde von den heimischen Betrieben gekauft. Endlich profitieren auch die Arbeitslosen, ihre Fähigkeiten können erweitert werden. Zu Beginn der Schulung steht Grundsätzliches am Programm. Die Arbeitskultur.
2 OT Rauscher
Das ist wichtig, Thomas. Ich brauche heute, es geht nicht mehr so verstärkt um die Situation, daß Du als Hilfsarbeiter der fachlich fertige Mann sein für die Firma. Was den Hilfsarbeiter betrifft, übernimmt die Firma die Schulung selbst. Aber das was jeder mitbringen muß ist Verläßlichkeit, Pünktlichkeit, ist eine Situation, daß ich sagen kann, beim Thomas ist um 7 Arbeitsbeginn, dann ist er um 7 da. Das sind die Wertmaßstäbe, die man bei euch anlegt. Wo es nicht darum geht, daß ich hohe fachliche Qualifizierung habe, sondern wo ich sagen kann, er ist da, wenn man ihn braucht. Das zählt, alles andere macht Dich kaputt.
(2)
TEXT:
Während in den Stiftungen und Projekten Organisatoren und Teilnehmer an der Überlebenssicherung und Zukunfstplanung arbeiten, diskutieren drei Künstler im Braunauer Cafe Graf.
2 OT Künstler
Ich glaube, daß die Arbeitslosigkeit ein totaler Streß ist. Man muß sich rechtfertigen, daß man doch exisitiert, man hat als Künstler schon schwer, und wenn man als Arbeitsloser Soziahife bekommt, ist es noch schwerer, vor Freunden, die vielleicht einen Job haben, zu rechtfertigen, wieso man was bekommt und trotzdem lebt. -
Man hat ja seine Aufgabe, man muß funktionieren. Das ist einfach Pflicht. Ich muß auch funktionieren, wenn ich sowieso am Arsch bin. -
Sie können vielleicht ihre Phantasie wieder mehr beleben, weil sie mehr Zeit haben, ich stelle mir vor, daß sie sich mit ihrem Leben wieder mehr befassen, ich glaube es, ich wünsche es diesen Menschen. Wenn man mehr Freiraum hat und nicht im Streß ist, dann kann man ja mehr über sich nachdenken und die Welt -
Schwachsinn -
Bist du gerade arbeitslos? Sag ihm hinein, was du dir denkst! -
Was soll ich da sagen, sicher gehts mir schlecht. sieht man eh, psychischer Zustand, der Druck, Winterdepressionen. Schwere Depressionen. Ich kann jetzt gar nichts sagen, wei ich so schlecht beinand bin. -
Finde ich auch, wenn du eine Depression hast, dann redest du nicht gerne darüber. -
Ich habe immer gearbeitet, mein ganzes Leben lang. Meine Freundin, mir war alles was wert, immer noch, wenn ich was mache, dann anständig. Jetzt bin ich ein Jahr dahein, gesundheitshalber, dann schauen dich die Leute schon an wie einen Verbrecher.
OT Hagenhofer
Es ist ein Phänomen, daß Personen, die von Arbeitslosigkeit nicht betroffen sind, überhaut nicht daran denken, daß er morgen oder übermorgen er selbst schon betroffen ist, und was es heißt. Das ist das schlimmst aus meiner Erfahrung, was ich aus meiner beruflichen Laufbahn erfahren konnte, wie sie noch in Arbeit waren, war die Welt noch eine ander, als sie noch gearbeitet haben. Es ist so bezeichnend, daß es noch Leute gibt, die sagen, wenn er wirklich will, dann kriegt er schon eine Arbeit, weil es einfach nicht so ist. Das ist das Prekäre an der Situation in unserer Gesellschaft, daß jeder, der noch am Sessel sitzt, und glaubt er hat Arbeit, daß ihm das nicht passieren kann. Und leider kann es sehr rasch gehen.
OT Frau
Na ja, ich arbeite 4 Stunden, ich finde, man muß einfach zusammenhalten, ich kann nicht einfach sagen, mein Mann arbeitet nicht mehr. Er hat ja nicht aufgehört, weils ihm nicht mehr gefreut hat, sondern weil er gehen hat müssen. Er hat sich nichts zuschulden kommen lassen, er hat ein super Zeugnis bekommen, aber was fangt er damit an, das bringt uns nichts. Na ja, es wird wieder weitergehen. Hoffmas.
Die russische Stadt Wolgograd unterscheidet sich nur wenig von anderen russischen Städten. Ein Industriezentrum an der Wolga, fast 2500km von Österreich entfernt. Vor mehr als 53 Jahren hieß die Stadt Stalingrad, und Hitlers Wahnsinn hätte sie einnehmen sollen – auf dem Weg zu den Ölfeldern am Kaspischen Meer. Im August 1942 bricht die 6. Armee unter General Paulus aus ihren Stellungen am Donknie Richtung Osten auf. Stalingrad wird jedoch von den Sowjets gehalten und Paulus´ Soldaten werden eingekesselt. Am 2. Februar 1943 funkt eine deutsche Aufklärungsmaschine: „In Stalingrad keine Kampftätigkeit mehr“. Die 6. Armee hat kapituliert. Von 330.000 Soldaten der Deutschen Wehrmacht überleben 91.000 bis zum Beginn der Gefangenschaft. 5.000 kommen zurück. Stalingrad ist die psychologische Kriegswende. Vor kurzem gab es plötzlich in der Stadt, die sich geschäftig auf den Winter vorbereitet, für einige Tage 100 Fotoapparate, 40 Videokameras und 140 Österreicher mehr. Lothar Bodingbauer hat die Besucher auf eine Reise jenseits des Dons begleitet: Nicht Wolgograd heißt das Ziel, sondern Stalingrad.
„Die Veteranen“ – Eine Reise nach Wolgograd – Lothar Bodingbauer, Nov. 1995
Anmoderation
Die russische Stadt Wolgograd unterscheidet sich nur wenig von anderen russischen Städten. Ein Industriezentrum an der Wolga, fast 2500km von Österreich entfernt.
Vor mehr als 53 Jahren hieß die Stadt Stalingrad, und Hitlers Wahnsinn hätte sie einnehmen sollen – auf dem Weg zu den Ölfeldern am Kaspischen Meer.
Im August 1942 bricht die 6. Armee unter General Paulus aus ihren Stellungen am Donknie Richtung Osten auf. Stalingrad wird jedoch von den Sowjets gehalten und Paulus´ Soldaten werden eingekesselt.
Am 2. Februar 1943 funkt eine deutsche Aufklärungsmaschine: „In Stalingrad keine Kampftätigkeit mehr“. Die 6. Armee hat kapituliert.
Von 330.000 Soldaten der Deutschen Wehrmacht überleben 91.000 bis zum Beginn der Gefangenschaft. 5.000 kommen zurück. Stalingrad ist die psychologische Kriegswende.
Vor kurzem gab es plötzlich in der Stadt, die sich geschäftig auf den Winter vorbereitet, für einige Tage 100 Fotoapparate, 40 Videokameras und 140 Österreicher mehr.
Lothar Bodingbauer hat die Besucher auf eine Reise jenseits des Dons begleitet: Nicht Wolgograd heißt das Ziel, sondern Stalingrad.
Sendung
CD Musik
A OT
Und unsere Stadt ist natürlich eine schöne Stadt, weil sie liegt an der Wolga. Wir haben viele warme Zeiten, sehr gute Gemüse- und Obstsachen. Ich wünsche allen, daß sie so gute Wassermelonen und Paradeiser haben wie bei uns.
• CD kurz hoch
B Atmo Kriegsgeräusch • CD wegblenden
A SPRECHERTEXT
Liebe Kameraden!
In einem Schützenloch. Die Nacht und den halben Tag ließ uns die russische Artillerie nicht zum Angriff kommen. Wir hocken stumm und frieren. Wir frieren Tag und Nacht. Überdies schneit es. Der Wind bläst uns die Kälte zu.
Es ist leicht, im Lehnstuhl Patriot zu sein. Aber wenn es in glasklarer Nacht nach schweigendem Marsch bei Störungsfeuer „Eingraben“ heißt und der Spaten sich durch gefrorenen Acker müht, da verflucht man wohl alles Mögliche. Nur Sturheit oder Wissen um die Aufgabe lassen all dies ertragen. Man denkt aber nicht mehr gerne; Denken macht unkämpferisch, besonders die Gedanken an Zuhause und das Leben verträumen einen.
Nur keine Weichheit! Nur jetzt nicht, wo alle Kräfte geballt sein müssen. Wir alle tun unsere Pflicht. Nur die Tat gilt noch.
Es ist ein Witz, wie im Film, im Buch. Aber ehern wirklich. ich schwöre es. Fast amerikanisch, jetzt zu schreiben, da ein Christ beten würde. Oh, wäre es nur sensationelle Angeberei, dieses Schreiben im Feuer. Lieber wäre ich ein kleiner Lügner, als Todeskandidat. Wenn alle Schreiben solche Vorlagen hätten, würde nur Echtes geschrieben. Doch was ist eine Brief, diese papierne intellektuelle Phase im Fronterlebnis.
Ihr seht, man ist Mensch, man ist Deutscher. Man muß sich besiegen, um zu siegen. Wohlan denn, wir halten die Waffen bis zum Siege! Ob heuer oder nächstes Jahr, was gilts, wenn das ewige Deutsche Reich entsteht.
B Atmo weg im Text
TEXT
Drei Tage später war er tot, Tod durch Herzschuß eines sowjetischen Scharfschützen. Tod durch das System, an das er glaubte. Er schrieb an die Lehnstuhlpatrioten zuhause, er hatte meinen Namen.
A OT
Uns hat man gesagt, die Heimat verteidigen. Ja was sollen denn wir da herinnen die Heimat verteidigen. Die Russen haben sie verteidigt, die Russen waren gezwungen ihre Heimat zu verteidigen, aber doch nicht wir.
B Atmo Flugzeug in letzten Satz
TEXT
Mit meinem anderen Großvater fuhr ich nach Stalingrad.
Und wir waren nicht alleine.
Letzte Anweisung an die 140 Veteranen und deren Angehörige im ersten Direktflug Wien – Wolgograd.
A OT & Atmo • B Atmo weg
Und es ist auch nicht sehr sinnvoll, auf der Straße eingehängt das Panzerlied zu singen, das tut man einfach nicht, wenn man zu Gast ist, das habe ich damit gemeint, und ich bitte Sie, das zu berücksichtigen. – I was net, was er da daherplaudert
A kurz rauf
TEXT
Jener Herr, der mir beim Einsteigen erzählt hat, er fliege jetzt nach 53 Jahren wieder nach Stalingrad, sitzt am Fenster und sieht wieder die Ebenen des Dons, dreht nervös die Daumen.
Was kann das nur für eine Reise werden? Ich sitze mit den Spendenbüchsensammlern im Flugzeug, die ich von Allerheiligen kenne.
Was sind das für Menschen? Ewiggestrige? Unbelehrbare? Geläuterte? Gebrochene? Menschen, die sich an vergangenen Heldentaten immer noch begeistern?
Was machen Veteranen, wenn sie wieder ins ehemalige Feindesland kommen? Dorthin, wo sie ihr anderes Leben überlebt haben?
B OT
Manche prahlen mit ihren Erinnerungen, die Veteranen, und denken nicht an die Kameraden, denn die haben mindestens genauso viel mitgemacht, eventuell noch mehr. Es ist keine freudige Erinnerung, sondern eine traurige und wir können sagen, daß wir froh sind hier zu sein und noch am Leben zu sein. Es kommt nicht darauf an, daß der Russe ihn nicht erwischt hat, sondern im Gegenteil, Gottseidank daß wir am Leben geblieben sind. Das ist ein Zufall, keine Heldentat und auch kein Erfolg von den Russen.
A weg, hörbar schnell
A OT
Ich möchte Sie sehr herzlich in Wolgograd begrüßen, ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt bei uns, und alles Beste. Ich werde Ihre Gruppe im Laufe des Tages betreuen, mein Name ist Elena…
A wird Atmo, dann weg
B OT
Mein Vater war da, der war bei der 297 Infanteriedivision. Er hat ein Leben lang erzählt, wie das war, und heute steht man da, als erwachsener Mensch und sieht das wie das war, man kann sich´s vorstellen, was die für einen Jammer gehabt haben, und Sehnsüchte nach daheim. Und die Leute sind wieder gut gewillt, was man jetzt gesehen hat, das ist doch was wunderbares. Und nur vor allem macht man das als Andenken, als Danksagung, der Vater ist gut heim gekommen, er sitzt jetzt im Rollstuhl, er weint halt immer bitterlich, wenn man jetzt davon redet, über Stalingrad. Gehst e mit a, ja!
A Atmo Verkehr
B OT
Wolfgang, i fahr mit der Polizei
C Atmo Polizeisirene
TEXT
Von der Polizei eskortiert rasen unsere 5 klapprigen Ikarus-Busse durch die Stadt. Ein beeindruckender Konvoi. Für jene in den Bussen, und auch für die Wolgograder draußen. Wir überfahren jede rote Ampel, sogar der Gegenverkehr wird angehalten. Die Stadtbewohner stehen am Straßenrand und staunen. Nicht wenige mit offenem Mund.
A/C Atmos im nächsten OT weg
B OT
Ich glaube schon, daß der Großteil die Hand reicht, wenn man ihnen normal entgegenkommt, von Mensch zu Mensch, das ist das Wunderbare, ganz wunderbar, beeindruckend.
B wird Atmo
A OT
Der Russe ist ja sehr kontaktfreudig und ein liebenswürdiger Mensch, das kann ich auch nur immer sagen, ich war schon ein paar mal in der Ukraine. Und sie sind uns überhaupt nicht aggressiv oder böse gesinnt. Und man würde gerne jemanden, der in Österreich unzufrieden ist, einmal ganz kurz nach Rußland schicken.
TEXT
Franz Rechberger war in Rußland. Er kämpfte als Jugendlicher in Stalingrad – und kehrte von Krieg und Gefangenschaft zurück.
A OT
Ich bin einer der wenigen. Es hat ja eigentlich von den Gefangenen nur jeder 20. überlebt. Ich habe keine Familie zuhause gehabt, das hat mir auch sehr geholfen. Heute zieht´s mich eigentlich schon dorthin, weil wir so viele nette Freunde auch unter der Zivilbevölkerung gefunden haben und speziell die Kontakte die wir seit mehreren Jahren haben mit unseren seinerzeitigen Gegnern mit den russische Veteranen in Wolgograd. Das ist jetzt schon der Hauptgrund.
B Atmo weg
A OT
ÜBERSETZUNG
Es freut mich sehr, daß die Österreichischen Veteranen hierher gekommen sind. Es gab die Zeit, da Deutsche und Russische Soldaten gegeneinander gekämpft haben. Und jetzt ist die Zeit der Versöhnung beider Seiten. Die Bevölkerung hat nicht gekämpft, sondern die Regierungen, die Politiker. Der erste Schritt zur Versöhnung ist, daß Sie zu uns als Gäste kommen.
B OT
Ich muß die Leistung von denen akzeptieren und respektieren. Es ist und bleibt zwiespältig. Innerlich zurück. Durch den ist mein Bruder umgekommen, das richtig zu produzieren ist äußerst schwierig. Das aufzuarbeiten. Das ist so schwierig. Wenn du selber jemanden hast, der gefallen oder vermißt ist. Man kann nicht so ohne weiteres darüber hinweggehen. Irgendetwas haftet da.
C Atmo Verkehr (OT abfangen)
TEXT
Es ist viel Zeit vergangen, und mit den Jahren trennt sich die Deutsche Wehrmacht wieder in Österreichische und Deutsche Soldaten auf.
A OT • C Atmo weg
Also verhaßt sind ja wir von den Russen immer noch, es ist alleweil no so, ja, die Nemetzki. Aber uns Österreicher schauen sie doch anders an. Wir sind nicht der böse Mann. Die sagen heute noch, die Nemetzki. Die haben uns voll uns ganz angenommen. Wir haben eine Friedensbotschaft hergebracht, und die haben die angenommen.
Russe: Übersetzung
Wir unterscheiden sehr gut, zwischen diejenigen, die unsere Feinde waren und jenen, die unfreiwillig in den Krieg gehen mußten. Unsere Großmütter und Väter auf den okkupierten Territorien haben uns schon erzählt, wer sich wie benommen hat, wer unsere Frauen vergewaltigt hat, wer sich anständig benommen hat.
B OT
Ja, erschießen müssen habe ich müssen natürlich aufgrund des Befehls. Die Russen haben angegriffen, waren voll mit Wodka. Die 1.2. 3. Linie hinten, die Kommissare. Sie hätten uns überrannt. Mußten wir schießen.
TEXT
Den Opfern aller Schüsse soll gedacht werden, und so eilen wir von Kranzniederlegung zu Kranzniederlegung.
A Atmo Rosenkranz
B OT • A Atmo auslaufen lassen
Ich war selbst Soldat, bin verwundet worden, kam in russische Gefangenschaft, und erst heute ist mir das bewußt, wenn man in Stalingrad ist, welches Glück wir dazumal gehabt haben, daß wir nach einiger Zeit einigermaßen glücklich nach Hause gekommen sind.
A OT
Wir haben in 2 Tagen 2/3 der Leute verloren, bei diesen Angriffen. Am 28. waren nur mehr 12 Leute vorne von der ganzen Kompanie. Der Essensträger am Abend ich kann mich noch gut erinnern, der ist zurückgegangen mit den vollen Essenskanistern von der Höhe 102 hinunter, wir haben ihm begegnet, er hat geweint. Was er hat? Ich trage das ganze Essen wieder zurück hat er gesagt, es ist niemand mehr vorne, der was zu Essen braucht.
C Atmo Kriegsgeräusch in letzten Satz
A SPRECHERTEXT
Es fällt anfangs nicht leicht, zum Sterben bereit zu sein. Allmählich gewöhnt man sich aber. Ein friedlicher Gedanke zerstört aber gleich alles. Nebenan Singen und Fluchen. Galgenhumor ist nicht die stilvollste Auseinandersetzung, wenn auch leichter, als ernst zu sein.
Die Phantasie wagt kaum, an neues Leben zu denken. Vermessenheit? Viel eher schließt man mit dem bisherigen Leben und tritt befreit an. Wie man sich bloß wichtig nimmt, und dann sieht man sie liegen, wächsern, bleich, zerfetzt, die sich einst auch wichtig nahmen.
A OT • C Atmo weg
Es gibt keine Helden. jeder lebt gerne, es gibt Leute, die viel riskieren, es gibt Ängstliche. Aber Helden gibt´s keine.
B Atmo ins letzte Wort
TEXT
Wir stehen jetzt am Mamai-Hügel, auf der ehemaligen Höhe 102.
A OT & Atmo
Herrlich, herrlich, großartig. So was habe ich noch nie gesehen. Ganz gut. So was habe ich noch nie gesehen.
TEXT
Dieser Hügel hatte in der Schlacht um Stalingrad größte strategische Bedeutung. Wer in einnahm, beherrschte Stalingrad.
A OT
Die Höhe 102 hat vor dem 27. September so oft den Besitzer gewechselt, oft am Tag mehrere Male. Man weiß es nicht. Am 28. September haben wir tatsächlich die Höhe 102 mit den Wassertürmen eingenommen. Aber die Höhe 102 ist so groß, wir sind dort oben mit den Russen gelegen. Wir haben sie nicht vertreiben können von der Höhe 102.
TEXT
2500 Einschläge jeder Art sind hier niedergegangen – pro Quadratmeter. Eigentlich hätte der Hügel eine Erholungszone werden sollen. Nach dem Krieg begannen die Bauarbeiten für eine groß angelegte Gedenkstätte. Von der Wolga herauf führt eine lange, breite Steintreppe, gesäumt von martialischen Steinfiguren sowjetischer Helden.
Ganz oben am Berg: die Statue Mutter Russland. 85 Meter ist sie hoch. Die junge Frau streckt ein Schwert steil nach oben, sie selbst sieht in die andere Richtung, ihr Gesicht durch einen stummen Schrei verzerrt. Realsozialistische Erotik, vermischt mit Blut & Erde.
A OT & Atmo • B Atmo weg
Wann da die an Spitz gibt.
OT
Ein Cousin von mir, der um 3 Jahre älter war als ich, der muß da irgendwo liegen, seine Knochen, deswegen bin ich da. Um zu sehen, wo er seine letzten Stunden, oder sein junges Leben hergegeben hat. Eine Dankesschuld abzustatten, daß der krieg was grausames ist, und daß es nie wieder Krieg geben darf, zumindest nicht zwischen Völkern, die sich zivilisiert nennen. Die sollen das Hirn gebrauchen, und nicht die Fäuste.
A wird Atmo
TEXT
Jeder der österreichischen Besucher hat sein persönliches Anliegen. Von einem denke ich mir: Das ist aber jetzt einer der Unverbesserlichen mit wahnwitzigen Theorien, aber er wiederum unterhält sich in russischer Sprache mit jedem Portier, Polizist und Straßenhändler.
Die Definitionen verwischen sich, – und die Objekte unserer Vorurteile sind austauschbar. /
Russische Soldaten halten Ehrenwache. Im Stechschritt schreiten sie eine runde Halle ab, in deren Mitte ein ewiges Feuer brennt. Auf ihren Wände sind tausende Namen sowjetischer Gefallener eingemeisselt. Die Zahl der sowjetischen Toten wurde erst in jüngster Zeit bekannt: / Mehr als 1 Million sollen es gewesen sein.
C Atmo Schlucht
TEXT
Nur wenige Schritte weiter wurden künstliche Schluchten aufgebaut, versteckte Lautsprecher verbreiten eine beklemmende Stimmung.
Hier treffen wir einen Wolograder Schüler, der uns von nun an fast Tag und Nacht begleitet, er verkauft Souvenirs der alten Zeit. Tischgroße Landkarten um 5 Dollar, Orden, Abzeichen und Gegenstände, die er auf den Schlachtfeldern gesucht und gefunden hat.
A OT
Nicht viele Touristen besuchen Wolgograd. Das für Geschäft nicht gut. Wieviele Touristen kommen ungefähr hierher? Das Problem mit Tschetschenien. 1991 viele Deutsche und Österreicher besuchen Wolgo, aber jetzt nicht. Was machen Sie hier? Ich lerne in der Schule 5 Jahre. und 7 Jahre Geschäft gemacht. Mit Touristen. - Das halb für Familie und halb für mich.
B Atmo Panoramamuseum • C Atmo weg
TEXT
Alles, was mit dem Krieg zu tun hat, wird im Panoramamuseum ausgestellt. Auch Kinderzeichnungen. Soldaten mit Blumen und Kindern hinter dem Rücken, viel Blutiges, viel Stilles, aber auch viel Fröhliches.
Auf der Innenwand eines großen runden Raumes im letzten Stockwerk ist der Kampf um Stalingrad aufgemalt. Wahnsinn auf 360 Grad.
A OT
Erschütternd Kann ich nur sagen dazu. Erschütternd. Ja da sieht man also zusammengefaßt einen russischen Angriff auf die deutschen Stellungen. Wobei man sagen muß, der Maler hat versucht alles die ganze Schlacht an einem Tag und in einem Bild unterzubnringen. Dadurch ist es soviel. Des ist scheen
Des ist scheen. Aber Eindruck, was will ich sagen, ich war nicht da bei der Schlacht, aber die ist wunderbar. Und vor allem was die mitgemacht haben da… Sie schiessen ja selber wieder in Tschetschenien. Was soll man denn dazu sagen - Auch die Darstellung, und auch die Räume die hier verwendet wurden, ist ausgesprochen gut - Das dürfte der Mamai-GHügel gewesen sein. Und das ist natürlich noch viel dramatischer sowas, als ein Denkmal, das sagt dern Leuten nix. Wenn Sie hier die Schulklassen herführen, dann ist es schon wieder besser.
OT
Wo ist der Schutt hingekommen? Wann war der Aufbau von Stalingrad fertig? Vielleicht in 60er Jahren. - Und wo ist der Schutt hingekommen, Material von zerschossenem Haus - ist sehr viel wieder verarbeitet worden … Hier war alles kaputt, aber nach der Zerstörung kamen 80.000 Leute aus verschiedenen Städten des Landes - Verschiedene Teile sind in den Häusern wieder drinnen, nicht in Wolga.
B Atmo Führung
AOT
Es war eine sehr schwere, harte Zeit. Ich habe erst viel später wieder lachen können. Ich war im Gesicht verkrampft.
Ich habe eigentlich nie geglaubt, daß ich jemals dieses Land betreten werde, nach Rußland fahren werde.
TEXT
Und so fahren sie nach Wolgograd, um das verlorene Lachen wiederzufinden. Doch daß diese Reise alles andere als heiter ist, zeigen die Gesichter der Veteranen. Fotografieren und Filmen, das hilft. Zu stark sind die Eindrücke der Erinnerungen im Kopf - und der Relikte, die auf den ehemaligen Schlachtfeldern herumliegen.
A Atmo Schlachtfeld
TEXT
In Petschanka etwa. Ein kleines Dorf außerhalb Wolgograds. Kein Baum, kein Vogel, nur weites Steppenland und eiskalter Wind, der über die Ebene fegt. Und Sand, der nach einem Regenguß freigibt, was im Boden ist: Schädelplatten, Bombensplitter, Oberschenkelknochen, Rückenwirbel. Gürtelschnallen, Taschenuhren, ein zerschossener Stahlhelm. Man muß nicht erst danach suchen.
C Atmo Gesänge • B Atmo weg
TEXT
Aus den Häusern des Dorfes kommen Kinder und Frauen, die sich zu den Gesängen des orthodoxen Priesters Alexeij immer wieder bekreuzigen.
Das war schon damals so, erzählt einer, damals, als sie in die Gefangenschaft gegangen sind, traten immer wieder Frauen aus dem Spalier und machten über den Kriegsgefangenen das Zeichen des Kreuzes.
C Atmo kurz hoch
TEXT
Die Männer des Dorfes stehen am weitesten abseits, betrachten die Österreicher, die diesmal fotografierend, sammelnd, Kaffee verschenkend, betend und suchend in ihr Dorf gekommen sind.
Johann Kollmann kniet mit einer kleinen Gartenschaufel am Boden.
A OT
Ich habe mir Erde mitgenommen, vom Mamai-Hügel, und von da, jetzt geb ich sie wieder zurück. - Das ist von dort wo sie das letzte mal österreichischen Boden betreten haben. Im Brucker Lager ist die 297. ausgebildet worden. Die Erde ist von Bruck an der Leitha, die habe ich mitgenommen, von da nehm´ ich die Erde wieder zurück. Ich habe da Gläser zuhause, da habe ich von jedem Land immer die Erde mitgenommen.
A OT • C Atmo weg
Es liegen Italiener, es liegen Rumänen, es liegen Russen, es liegen unsere Österreichischen Soldaten und Deutsche. Ich habe für jeden dieser Toten ein Gebet gesprochen und ein Kerzerl angezündet. Und jetzt ist in meiner Seele ein bißchen Ruhe eingekehrt. Ich mach das für alle, die hier ihr Leben gelassen haben.
B Atmo Kinder
TEXT
In der Dorfschule, gleich nebenan, warten die Kinder. Und werden mit Kulis, Kaugummis und Fußbällen beschenkt.
Im Gang hängt ein Plakat - wie man mit Minen und anderen explosiven Fundgegenständen umzugehen hat, die rundherum da sind - wie auch die Kürbisse im Garten.
Ein kleines Mädchen ist noch alleine in der Klasse und möchte die Geschenke alleine in seiner Schultasche verpacken. Sie wird immer wieder von den hereinströmenden Besuchern beschenkt. Der Teddybär hat schon längst nicht mehr Platz. Ihr Gesicht zeigt ein verwirrtes, ungläubiges Staunen. „Olga“ haucht sie zum x. mal auf die Frage, wie sie denn heiße.
Nur die junge Physiklehrerin will den Kaffee wirklich nicht mehr.
A Atmo Schule
B OT
Die Schule war sehr nett, haben sich sehr bemüht, mit den vorhandenen Mitteln das bestmögliche zu machen. Man sieht auch, daß die Lehrer noch sehr viel Autorität haben und auch die Kinder sind sehr lieb und schön gekleidet. Ich meine, sie haben sich sicher für uns den Sonntagsstaat angezogen. Aber die Bemühung zählt schon sehr viel. Und es ist wertvoll, wenn wir ein bißchen die Schule unterstützen, weil die Jugend die hier jetzt zur Schule geht, ist schon die nächste Generation, die den Krieg vermeiden kann.
OT
Und dann habe ich auch eine Kreide genommen und habe auf die Tafel geschrieben meinen Namen, das wurde auch von dem Mann, der uns verfolgte und Aufnahmen machte, fotografiert, habe geschrieben Schabler, habe geschrieben, damit die Kinder angesprochen: Vergeßt den Fußball nicht. Immer wieder Austria, Austria. Ich weiß Sport bringt die Jugend, Sport bringt die Menschen, und Sport bringt Frieden. - Fußball ist Blödsinn, das ist das blödeste Spiel - Kinder vergeßt den Fußball nicht, immer wieder Austria, Austria, Austria.
TEXT
Ob die Kinder wissen, warum Besuch gekommen ist?
B OT
Daaa -
TEXT
Alles sei sehr schön gewesen - Die Österreicher hätten eine Gedenkstätte gebaut und sie seien hierher gekommen, um die Gefallenen zu ehren. –
Wie ein Heuschreckenschwarm sind wir über dieses Dorf hergefallen, nur eben nicht plündernd.
B OT
So, wir gehen jetzt zurück zu den Bussen und dort werden wir Picknicken. Es werden die Pakete ausgeteilt. Sollte jemand keinen Appetit haben, könnt ihr das der Bevölkerung geben. Also auf zu den Bussen …
OT wird Atmo
TEXT
Beim nächsten mal werden die Österreicher nicht nur neue Schulbänke mitnehmen, sondern auch ein Denkmal. Die Reise der 140 Veteranen soll diesem Projekt auch menschliches Gewicht verleihen.
A OT
Wir gehen mit unserem Denkmal nach Petschanka. Petschanka ist jener Ort, der für uns Österreicher von Bedeutung ist, dort ist die 297 ID zugrunde gegangen. Mitten in dieses Gebietes hinein. Dort wo das Denkmal aufgestellt werden soll, war ein Friedhof, da hat der Volksbund die Toten ausgegraben und umgebettet. Und auf dieser Fläche, wo der Friedhof war, werden wir dieses Denkmal hinbauen. Das ist der Österreichbezug, der hier unmittelbar gegeben ist. Das wollte ich noch kurz ergänzen.
B OT
Wanns jetzt zum Krieg wieder kommt, haben wir Kleinen wieder nicht die Schuld, das sind die Großen, die Kapital draus schlagen wollen. Komm reich mir Dein Hand, wir wollen Frieden und Freiheit“, das habe ich auch auf Russische gesagt. Wenn das das russische Fernsehen noch zeigt, weiß ganz Rußland was wir da wollen überhaupt. Nicht, das will ich noch damit sagen, also wirklich, der Frieden soll an oberster Stelle stehen.
A Atmo Musik in letztes Wort
TEXT
Das mit dem Denkmal ist so eine Sache. Der erste Versuch, ein Österreichisches Kriegerdenkmal nach Wolgograd zu schicken, endete im Eklat. „Bitte um ewigen Frieden in russischer Erde für die hier gefallenen Soldaten aus Deutschland, Österreich und allen anderen Nationen“, so sollte die Inschrift lauten. Das war selbst den Russischen Stellen bei Tauwetter zuviel. Der Schluß war nicht vermessen, daß mit den anderen Nationen eher die Verbündeten des Deutschen Reiches gemeint waren, als Russland selbst.
Mittlerweile haben die Initiatoren gelernt, das Personenkomitee 50 Jahre Stalingrad, mit Mitgliedern vom Minister bis zum Kardinal.
Die Gedankenlosigkeit wird nun korrigiert und mit sozialer Hilfe kombiniert.
Eine Wolgograder Studentin hätte nichts gegen ein Denkmal.
B OT
Übersetzung
Das würde wirklich gut sein. Es ist aufregend! Ich glaube, unsere Leute mögen das!
Meine Großeltern waren im Krieg, sie waren Soldaten, sie wird das sicher interessieren.
TEXT • A Atmo weg
Im Juni 1996 wird es nun doch soweit sein, der Wolgograder Bürgermeister sagte zwar „Njet“, nicht bei uns, 30 km weiter stimmte der Bürgermeister des 500 Seelen-Dorfes Petschanka der Errichtung zu. Das aus Stahlplatten bestehende Objekt soll mit seinen zehn Metern Höhe einen Blickfang in der Steppe darstellen, und es wird sogar leben. Denn die Stahlplatten werden rosten - in rund 120 Jahren wird nach den Berechnungen nichts mehr davon übrig sein.
Peter Fichtenbauer ist Kurator des Personenkomitees 50 Jahre Stalingrad.
A OT
Der jetzige Text ist um einigen Nuancen geändert, hat aber nie eine andere Inhaltstendenz gehabt, als die, daß es einfach so ist, eine österreichische Initiative, daß allen Opfern von Stalingrad gedacht wird.
B OT
Mein Mitgefühl bezieht sich zum Großteil gegenüber meinen ehemaligen Feinden den Russen. Aber inzwischen ist mir - schon während der Dienstzeit beim Deutsche Mitlitär die Erkenntnis gekomme, warum soll ich den Menschen erschießen, den ich garn nichgt kenn. Der vielleicht Frau und Kind hat. Ich war damals 20 Jahre alt. Diese Gedanken habe ich 1941 schon gehegt. - Applaus.
A OT
Ich muß noch hinzufügen, daß die Russen eigentlich die ersten waren, und vorzüglicher behandelt werden sollten, nicht daß man unsere drauf schreibt, sondern vorzüglich auch die russischen. Die haben wirklich einen Vaterlandskrieg geführt, und natürlich ist es ihr volles Recht und ihr Stolz, weil sie haben den Krieg nicht angefangen. - Was haben die angefangen - Na ja, das war eine militärische Strategie. Selbst wenn wir nicht einmarschiert wären, wäre Stalin einmarschiert, der hat schon Geheimbefehle erteilt, wenn man das Buch Oberst Socharow liest. Man hat den Grundtein zum 2. Weltkrieg schon im 1. gelegt. - Ja wissens, ich hab das ganze durchschaut. - Der was a weng denkt hat, der hätte damals schon sagen können, der krieg ist verloren, im 44. Jahr.
C Atmo Speisesaal (OT abfangen)
B OT
Für jemanden, der in Gefahr geraten wäre, in Bezug auf kriegerische Auseinandersetzungen etwas positiv daran zu finden, gibt es keinen besseren Kurort für diese Geisteskrankheit, als das Schlachtfeld von Stalingrad aufzusuchen.
A OT & Atmo
Die andern 11 Helden sind gefallen. Da hilft ihnen jetzt kein Denkmal nicht mehr. Kräht kein Hahn mehr danach.
C Atmo hoch
TEXT
Vor der Eingangstür des Speisesaals im Hotel, dort wo die Prostituierten mit der Hotelwache streiten, grüßt stumm der Deutsche Soldat. Symbolisch, in Form eines Stahlhelms mit sieben Einschußlöchern.
Drinnen begießen österreichische und russische Veteranen die neue Freundschaft mit Wodka und Champagner.
Es ist ein herrliches Bild. Unsere Österreicher, dazwischen die Russen mit all den Auszeichnungen, wie wir sie von der Sowjetzeit noch kennen.
B Atmo Strauß-Walzer
TEXT
Das Denkmal steht kurz vor der Errichtung. Und wenn ma jetzt noch die Reblaus spielen, dann hammas.
B Atmo hoch
TEXT
Die Veteranen sitzen mit ihren ehemaligen Feinden an einem Tisch und klopfen sich auf die Schultern. Jeder von ihnen hat gekämpft, und jeder weiß es noch.
A OT • B Atmo weg
Dann muß ich noch etwas erwähnen. Das erste mal bin ich von der damaligen NKWSD verhört worden - welche Waffengattung, ich war bei der 297 Jägerdivision. Da frug er mich, welche Waffengattung, schweres Maschinengewehr. Da frug er mich „Skolka tschelowek strelati“. Heißt wie viele Menschen hast du erschossen. Ich habe darauf geantwortet: ich weiß es nicht, man kann´s ja nicht zählen. Da hab ich die erste Ohrfeige bekommen. Die zweite war fällig, als ich gesagt habe, vielleicht 100. Dann habe ich nichts mehr gesagt, schweigend zugehört. Was ich gemacht habe, ich war Munitionsbeibringer dann habe ich 3. Ohrfeige bekommen.
B OT
Auf meinen Papa bin ich sehr stolz, auf meinen Papa bin ich sehr stolz, Vinzent Grisser, Ziehvater. - Weil er ein offenes und ehrliches Wort hat. Über die ganze Sache hier in Stalingrad. Ich hab den noch nie in meinem Leben einen aufrechteren Menschen gesehen. Ich bin ein Burgenländer. Aber was er nachgesagt hat, kann ich nur nachfühlen, was Sie gesagt haben - brauchst nicht Sie sagen, bist ein Kamerad. Vizeleutnant in Ruhe, nah is ja wurscht, …
A OT
Ich möchte noch sagen, das da draußen war so erdrückend, daß mir die Tränen gekommen sind. So ein weites Land ist Rußland wirklich. Die Hügeln und die Löcher, wo sich die Soldaten den letzten Schuß abgegeben haben, das habe ch so traurig in Erinnerung. Mir tut es nicht leid, daß wir diese Reise gemacht haben. Das war wirklich so beeindruckend, weil man hört Stalingrad, dort ist Krieg, man sieht´s auch in der Wochenschau hie und da no, aber wenn man es sieht. Es ist der größte Frieden., Die Wolga hier in Stalingrad äh Wolgograd. Man sagt oft, wenn man nach Wien fährt, muß man die Oper sehen. Wannst nach Rußland fährt, mußt Stalingrad sehen. Jeder der mit war, war die Reise das wert.
B OT
Am besten man redet nicht immer, sondern man handelt richtig, daß man den Frieden gemeinsam hervorruft, da müßte man gemeinsam in Frieden leben
A Atmo Musik
TEXT
Gelegenheit zur Völkerverständigung finden die Veteranen in einem Kosakendorf. Mit Tanz, Musik und Wodka werden sie empfangen.
A Atmo hoch
B OT • A Atmo zart weg
Ich hab was Warmes gekriegt. Ja so halbwegs ist es gegangen. Ja sicher die sind gastfreundlich, dahinten warnma, die haben uns soviel Wodka gegeben, das schier ist. Gesungen mit ihnen. Und Fotografiert haben wir soviel. Und die Buben so schön Pfeifen können, des is a Wahnsinn. - Ein sehr gutes Volk ist das. MIr als russischer Gefangener ist nicht mehr sowas untergekommen wie die Kosaken da.
Und witzig, witzig sind sie auch, und kann man ihnen reden über alles. Ich kann etwas Russische, und ich habe mit ihnen gesprochen. Die haben mich abgeküßt die jungen Frauen, des ist a Wahnsinn.
A OT
Brrrr - Die bringe ich nächstes Jahr nach Österreich, die ganze Gruppe. Kein Problem, keine Problem. - Die kleine Nase. und die kleine Nasen. Drei kleine Nasen.
C Atmo Musik
A OT
Ich hab keinen Film mehr, jetzt habe ich 36 Aufnahmen gemacht.
B OT • C Atmo weg
Ich war vor 2 Jahren auch hier, und da habe ich mir ganz was anderes vorstellt, daß sie uns irgendwie belästigen. Nein, die sind uns entgegengekommen, dadurch habe ich sooo einen Zutritt und Vertrauen und Gemeinschaft. Ich habe damals die 5 Jahre Gefangenschaft weggesteckt.
OT
Mir ist die Gänsehaut über den Rücken gelaufen. Ich war an den Stellen, an denen ich im Eisatz war. - Haben Sie die Stellen wiedererkannt? - Ja, nicht genau, aber es stimmt. Ich habe auch ein Souvenir gefunden, einen Granatsplitter. Nach 53 Jahren den Platz sehen, wo man damals im Leid leben hat müssen.
(-) Schnittmöglichkeit
Von dort ist dann der Rückzug angegangen. Ich war in der Artillerienachricht, wir haben den Fernsprechwagen gesprengt, dann zurück durch die Balkas. Auf der Straße rein nach Stalingrad Süd. Immer mit einem Geschütz mit einem LKW von der Infanterie, das haben wir auch verloren, dann war´s nur mehr wilder Haufen, bis rein wo der Obelisk steht, zum Kaufhaus. Wir haben nicht gewußt, daß dort Gefechtsstand ist. In einen Keller rein, dann ist an der Stirnseite ein Funkwagen gestanden. Ein Lautsprecherwagen. Und das war die Rede von Göring. Die Aufgabe der 6. Armee. Und dann haben wir gewußt, was los ist .
A OT
Wir kennen ein gewaltiges heroisches Lied von einem Kampf ohne gleichen. Es ist der Kampf der Nibelungen. Auch sie standen in einer Halle von Feuer, aber kämpften bis zum letzten. Und jeder Deutsche wird in 1000 Jahren noch mit heiligem Schauer das Wort Stalingrad aussprechen und sich daran erinnern, daß dort der Stempel zum Endsieg gesetzt worden ist.
B OT
Und in der früh sind die Russen draussen gestanden, dann hieß es alles raus. Antreten. Die Russen haben gesagt, nichts passier Euch, ihr seid freie Menschen. Aber das war nicht wahr. Uns hat man die Uhren abgenommen. Am Schluß waren wir halt dann 2000 von 40000.
TEXT
Viele der Veteranen widerlegen auf dieser Reise das Klischee von Kriegsbegeisterung und kollektiver Unschuld. Auf der anderen Seite zeigen die Organisatoren der Reise durchaus ein gerüttelt Maß an Eigenwilligkeit, wenn es ihrem Vorhaben dient, ein Denkmal zu errichten. Bei unserer Ankunft in Wolgograd wurde die gesamte Führungsriege des Personenkomitees 50 Jahre Stalingrad von Limousinen General Rochnins erwartet, dem Kommandierenden der Kaukasusarmee, jener Armee, die in Tschetschenien einmarschiert ist. Der General sei ein Mann, der wisse, was Leben und Sterben heisse, bemerkte ein Vertreter des Personenkomitees. Es ist das Generalstabsmäßige, was irritiert.
Rezepte habe ich auf dieser Reise viele gehört, und manchesmal Verbitterung.
A OT
Die Menschheit ist genauso wieder verblendet, weil die Generationen nix dazu gelernt haben. Tut mir leid, daß man das sagen muß. Die Alten sterben ab, die Jungen wissens nicht, nehmen es nicht zu kenntnis. Wir sind in ihren Augen veraltert und verkappt, und verkalkt. Nach ihrer Ansicht. Die könnens nicht glauben, müssen wieder sowas erleben.
OT
Ich geh von Stalingrad weg mit einem fürchterlich schweren Herzen, ich glaube es wäre sehr gut, wen viele Leute herkommen und das mit eigenen Augen sehen. Die Wund ist nicht geschlkossen, die Erde blutet nach wievor. Wenn Menschen Menschen hierherkommen mit dem innigen Wunsch ich muß das sehen, ich werde vioelleicht daduurch geläutert, ich werde fü den Frieden kämpfen, so gut ich es kann, ich vermag.
OT
Im Krieg ist es so, daß mit Semmelknödel nicht geschossen wird. Das ist die Härte des Lebens. Wie gesagt, wir kleinen Menschen können ja nichts dafür. Ich sage immer wieder, aus der Not der Zeit ist die deutsche Nation geboren, wir haben ja den Geist rege haben müssen. Laßt endlich mal die Toten ruhen, das Zeitrad der Geschichte dreht sich weiter.
TEXT
Und auch das gibt´s zu hören. Friede sei erst, wenn der letzte Krieger gestorben ist. Ein geflügeltes Wort. Friede ist dann, wenn es auch für uns einfach ist - zu vergessen, zu verstehen, aber auch zu verdrehen. Zu vergeben haben wir ja in diesem Falle nichts.
Das letzte Wort den Veteranen - die Moral zum Schluß:
B OT
Die Gaunerei lebt, und der Ehrliche geht unter. Der Russe hat genauso draufgezahlt - Was steht uns heute noch bevor - Ich möchte sagen, man soll daraus lernen und klüger werden. - Ich habe das Gefühl, unsere Politiker haben uns schmählich verraten - Ja das auf jeden Fall, das auf jeden Fall!
Eine Kleinstadt auf der Suche nach der Normalität: Adolf Hitler wurde in Braunau am Inn geboren. Wie es die Braunauer selbst heute mit diesem sensiblen Thema halten, darum geht es in dieser Sendung. Für die einen ist es unerwünschtes Erbe, sie wollen nicht mehr darüber reden. Für die anderen ist Braunau der ideale Ort fü eine historische Psychotherapie. Braunau am Inn. Eine Kleinstadt auf der Suche nach der Normalität.
Die fünfzig-Jahre Jubiläen häufen sich dieser Tage in Österreich und Deutschland.
Kommenden Sonntag vor fünfzig Jahren, am 30. April 1945, hat Adolf Hitler im Führerbunker in Berlin sein Leben beendet.
Dieses Leben mußte auch irgendwo beginnen, Adolf Hitler wurde in Braunau am Inn geboren.
Wie es die Braunauer selbst heute mit diesem sensiblen Thema halten, darum geht es im heutigen Journal-Panorama.
Für die einen ist es unerwünschtes Erbe, sie wollen nicht mehr darüber reden. Für die anderen ist Braunau der ideale Ort für eine historische Psychotherapie.
Braunau am Inn. Eine Kleinstadt auf der Suche nach der Normalität. Heute Abend im Journal-Panorama, um ca. 18.20 im Programm Österreich 1.
Manuskript
BRAUNAU - Eine Kleinstadt auf der Suche nach der Normalität
April 95, ORF Radio Österreich 1: Journal-Panorama, 30 Minuten
Lothar Bodingbauer / Manuskript ohne letzte Korrekturen
C ATMO Radfahrer + Reportagetext
Viele Besucher erreichen Braunau auf dem Innradweg. Natur und Kultur an der Grenze zwischen Hüben und Drüben. Den verschwitzten Radlfahrer erwartet hier unter der Innbrücke eine Informationstafel. Sie erzählt vom Flair urbanen Lebens, vom Fluidum einer in Jahrhunderten gewachsenen Handelsstadt. Dem Innviertler an sich wird Arbeitsfleiß zugesprochen, und eine starke Heimatbindung, die durch eine geradezu barocke Lebensfreude ergänzt werde. Vom unglücklichen Buchhändler Johann Philipp Palm ist die Rede, der 1806 von den Franzosen erschossen worden ist, vom 100m hohen Stefansturm, von den Stadtmauern, von der freiwilligen Feuerwehr, von der Glockengießerei. Aber ist hier nicht auch… Wird hier nicht etwas verschwiegen?
A SPRECHERTEXT SPRECHER A
Als glückliche Bestimmung gilt es mir heute, daß das Schicksal mir zum Geburtsort gerade Braunau am Inn zuwies, liegt doch dieses Städtchen an der Grenze jener zwei deutschen Staaten, deren Wiedervereinigung mindestens uns jüngeren als eine mit allen Mitteln durchzuführende Lebensaufgabe erscheint.
B TEXT
Adolf Hitler – mein Kampf
A OT Bahnhof
Bahnhof Braunau am Inn, Bahnhof Braunau am Inn. Nächster Anschluß: Triebwagenregionalzug nach Wels, Planabfahrt 15.31 vom Bahnsteig 2
Braunau – oder kenn´ ich das Wort nur, weil dort der Hitler geboren ist? Wahrscheinlich von dem.
C ATMO Innplätschern (in den letzten Satz)
B TEXT
Der Zufall wollte es, daß 17.000 Braunauer Bürger heute mit einem historischen Erbe leben, das nur wenige, aber doch einige erfreut. Am 20. April des Jahres 1889 wurde in ihrer Stadt Adolf Hitler geboren, und dafür ist der Name Braunau in aller Welt bekannt.
—ATMO weg im letzten Satz
A OT Mix
Adolf was born there – haha
Das mußten wir gut genug lernen in der Schule
Braunau – das liegt doch irgendwo an der Grenze, oder?
Ja, weil wir haben das früher oft genug gehört, wo er geboren ist, und das hat man sich gemerkt, und früher war unser Gedächtnis noch in Ordnung, darum weiß ich´s. Es zieht mich nichts dahin.
Naja, das ist immer so a eigene Sache, die was man heute, sagen wir, irgendwie schon, ich meine, nicht unbedingt vergessen, aber net das ganze wieder aufzeichnen.
+++ATMO Innplätschern hoch
B TEXT
Von der Sorge um die Vergangenheit abgesehen, gibt es in Braunau ganz andere Probleme. Die wirtschaftliche Situation ist mit der Krise der Aluschmiede AMAG nicht gerade gut, und dem Bau einer Sondermüllverbrennungsanlage kann die Bevölkerung absolut nichts abgewinnen.
Kultur- und Tagespolitik haben anscheinend nichts miteinander zu tun, für Wolfgang Simböck jedoch ist der einschlägige Ruf Braunaus mit der wirtschaftlichen Entwicklung verbunden. Das hat der mittlerweile verstorbene Politiker in einem Interview kurz vor seinem Tod so formuliert.
—ATMO endgültig weg
A OT Simböck
Denn Konzerne, in zunehmenden Maß internationale Konzerne, auch amerikanisch dominierte Konzerne werden, wenn sie sich ansiedeln, das Image betrachten. Sie müssen ihre Ware auch verkaufen, am Briefpapier steht der Standort Braunau, und deswegen müssen wir darauf achten, daß das ein guter Name ist, ein klangvoller Name. Und das ist unsere einzige Chance, diesem Namen einen guten Klang zu geben, wenn wir uns der Vergangenheit stellen, und was Positives daraus machen.
C ATMO Straße/Glocken
B TEXT
Begeben wir uns nun auf einen Braunauer Stadtspaziergang. Stadtbewohner und Gäste promenieren gemeinsam des Sonntags zwischen Straßencafés und geparkten Automobilen. Bunt sind die Fassaden der Bürgerhäuser – eine richtige Innstadt.
A SPRECHERTEXT SPRECHER B
Die Straßen sind so sauber, als hätte man sie mit einem Shampoo gewaschen. Die Sonne scheint warm, die Kinder sprechen munter durcheinander, und die Erwachsenen lächeln. Es ist ein rührendes Bild.
B OT Besucher —ATMO leise
Ja, wir machen hier nur eine ganz kurze Stippvisite, wir sind in Bad Füssing, zur Kur, und machen dort einen Ausflug hier rum. Wir wollen erstmal hier kucken, wo das Geburtshaus ist, verstehen Sie, das wollen Sie gerne hören, das wollen Sie wissen, ne?
A SPRECHERTEXT SPRECHER B +++ATMO lauter
Und plötzlich schießt ein Gedanke durch den Kopf. Kann es denn wirklich sein, daß in diesem Paradies, wo Ruhe und Wohlstand herrschen, daß in dieser Stadt Hitler geboren wurde? Ist er wirklich diese Straßen entlang gegangen? Und hat hier die besorgte Mutter den kleinen Adolf hier an die Hand genommen? Ging er in diese Schule? Saß er wirklich auf dieser Parkbank? Großer Gott, was das Leben doch für Absurditäten bringt!
B TEXT
So schreibt Ilja Levitas über seinen Besuch in Braunau, er ist Vorsitzender des Zentralrates der Juden in der Ukraine.
Wir durchschreiten das Salzburger Tor und gelangen in die sogenannte Salzburger Vorstadt, wo es auf der linken Seite ein unscheinbares gelbes Haus mit der Aufschrift “Volksbücherei Braunau gibt”.
A OT Besucher —ATMO leise
Ist der da geboren, in dem Haus, ich denke, ich hätte mal ein kleines Haus gesehen in der Zeitung, aber das ist ein großes Haus!
Wir haben gefragt, prompte Antwort, ein jeder hat uns gesagt, da ist es. Da haben wir gefragt … warum nicht abgerissen? Na ja, es fällt ja so zusammen, habe ich gesehen.
B TEXT +++ATMO lauter
Die Braunauer selbst sind mit den Gegebenheiten vertraut. Oft wird man gefragt, wo das ominöse Haus zu finden sei.
A OT Mix —ATMO leiser
Äh, weil ma heut a Eis holn gehen, und da weiß ich genau, ein paar Schritte weiter, da ist das Hitlerhaus, und da steht der Stein davor. Da ist a Schrift drauf – Was steht da drauf? – Des weiß ich net.
I bin schon gefragt worden auch – ich sags ihnen halt, wos ist, und halte mich möglichst draus, weg wieder.
bin jetzt 36 Jahre da, und bin des öfteren gefragt worden, wo das Hitlerhaus ist, ich sags den Leuten, wer sichs gerne anschauen will, der soll sichs anschauen.
B OT Kotanko +++ATMO lauter
Als eingesessener Braunauer kenne ich seit vielen Jahren die mehr oder weniger versteckte Frage von Gästen, wo ist das haus. Nun, diese Frage kann eindeutig beantwortet dahingehend beantwortet werden: Das Haus steht hinter dem Mahnstein.
A MUSIK Avo Pärt
B TEXT +++ATMO lauter
“Für Frieden, Freiheit und Demokratie. Nie wieder Faschismus. Millionen Tote mahnen”. Das ist die Aufschrift auf dem Stein, Granit aus Mauthausen. Will jemand das Haus fotografieren, ist das Mahnmal mit dabei. Das ist durchaus beabsichtigt, gesteht Bürgermeister Gerhard Skiba.
A OT Bürgermeister
Es gibt zig Leute, die das Haus anschauen, die sollen in dieser Verbindung mit dem Anschauen mit dem Mahnstein und der eingearbeiteten Aussage konfrontiert werden.
B SPRECHERTEXT SPRECHER B
Hier hat der kleine Schicklgruber wohl über seinen Büchern gesessen? Nichts in dieser Stadt erinnert daran, daß hier dieser Unmensch, der den Menschen so viel Leid und Schmerz zugefügt hat, zur Welt gekommen ist. Man spricht hier nicht gerne über ihn Und nichts erinnert daran.
A OT Mix —ATMO leiser
I tät sagen, ein Andenken brauchens ihm nicht gerade machen.
Die sollen a Museum einimachen und a Ruh ist. Das kann man doch eh nicht leugnen, die Zeit war. Unten sollens a Restaurant einimachn, oben die Ausstellungen, und dann hat Braunau eine enorme Einnahmequelle. Dann brauchen die Leiter nicht mehr lange zu fragen, dann wissens, dort ist es.
— ATMO im nachfolgenden Text verplätschern lassen
B TEXT
Der Politologe Andreas Maislinger, als Einheimischer mit den Besonderheiten der Stadt und seiner Bürger vertraut, sieht eine andere Zukunft: Das Hitlerhaus soll weggerissen und etwas Neues gebaut werden.
A OT Maislinger
Obwohl dieser Vorschlag aus Israel gekommen ist, sehe ich schon die Schlagzeilen in der ganzen Welt: Braunau entledigt sich der Geschichte. Braunau will das Hitlererbe weghaben, will etwas leugnen. Das heißt, Braunau kommt von diesem Image nicht weg. Aber trotzdem. Wenn man das international absichert und breit diskutiert, das Haus ist Baufällig, es muß renoviert werden. Aber warum soll man gerade dieses Haus renovieren, also weg damit.
B TEXT
Fragen wir eine Amerikanerin, die die Altstadt interessiert, und die sie genau unter die Lupe nimmt. Wünscht sie sich mehr Informationen über Adolf Hitler hier in Braunau?
A OT Amerikanerin
ÜBERSETZUNG
Nein, nicht unbedingt. Ich glaube, daß sich die Leute hier irgendwie dafür Schämen, unglücklicherweise hat Hitler dieser Stadt einen schlechten Ruf gebracht. Er ist einfach hier geboren, das ist alles. Es gibt genug Informationen überall auf der Welt, über das, was mit Hitler war, und was er getan hat.
B TEXT
Es gibt in Braunau eine Handvoll Leute, die sich bemühen, dem rechtslastigen Ruf der Stadt und seiner Bürger entgegenzuwirken. Aber nicht allen Braunauern ist das ein Anliegen. Das zeigt sich an einem anderen Haus der Altstadt, nur ein paar Schritte vom Hitlerhaus entfernt. Anläßlich einer Fassadenrenovierung erschien dort ein Spruch, in dreißig Zentimeter hohen braunen Lettern, der heute zweifelhafte Assoziationen weckt und die Gemüter erhitzt.
A OT Besucher + Simböck
Am deutschen Wesen soll die Welt genesen – wo steht denn das? Was hat das für einen Sinn und Bedeutung? Was hat das mit Österreich zu tun? Ihr seid Österreicher und wir sind Deutsche, das ist der Unterschied.
B TEXT
Die Besucher aus Deutschland sind irritiert. Der verstorbene Kulturstadtrat Wolfgang Simböck fand die Aufschrift provozierend.
A OT Simböck ACHTUNG Pegel zu hoch
Diese Provokation, die meiner Meinung nach eine sehr arge ist, wenn man nämlich bedenkt, wo die Aufschrift herkommt, daß es Leute gibt, die ihre Angehörigen verloren haben, die von dieser Art des deutschen Wesens höchst beleidigt sein müßten, das ist ganz schlimm.
B TEXT
Auf der Suche nach der Bedeutung dieses Spruches, erzählt uns Hausbesitzer Ludwig Seidl, daß der Spruch nicht mißzuverstehen wäre, weil es ja kein politischer sei:
A OT Hausbesitzer + Simböck
Es trifft ja eigentlich … in dem Sinn soll es ja ein Genesenswunsch sein, und nicht eine politische Bestimmung, so wie das jetzt von den Medien in Verbindung gebracht wird. Es heißt ja, am Deutschen Wesen soll die Welt genesen, man erinnert sich an die Aufbauzeit nach dem Weltkrieg, und nachdem die Deutschen wirklich etwas hervorragendes geleistet haben, sollte das als Genesungswunsch ursprünglich auch verstanden worden sein, aber weil man heute schon Schwierigkeit hat, wenn man das Wort Deutsch oder Deutschtum in den Mund nimmt, verurteilen das halt viele.
– Dieser Hausbesitzer ist also eindeutig deutschnationalen Kreisen zuzuordnen, das bestreitet er zwar, aber ich weiß, daß er beim Österreichischen Turnerbund engagiert ist, also für mich ist die Sache ziemlich eindeutig.
B TEXT
Der sinnige Spruch wurde schon 1920 an der Fassade angebracht. Er ist im Laufe der Zeit bis zur Unkenntlichkeit verwittert. Glaubte man ursprünglich den Verfasser als Theodor Körner zu identifizieren, ist sich nun das Bundesdenkmalamt sicher, den Urheber in Emanuel Geibel zu finden. In seinem 1861 verfaßten Gedicht “Deutschlands Beruf” lautet die letzte Strophe:
A SPRECHERTEXT SPRECHER A
Macht und Freiheit, Recht und Sitte,
Klarer Geist und scharfer Hieb,
Zügeln dann aus starker Mitte
Jeder Selbstsucht wilden Trieb.
Und es mag am deutschen Wesen
einmal noch die Welt genesen.
B TEXT
Emanuel Geibel schrieb im Vorfeld des deutsch-französischen Krieges von 18640 eine Reihe patriotischer Gedichte und begegnete der aufkommenden Kriegsbegeisterung mit antifranzösischen Untertönen. Rechtliche Möglichkeiten, den Hausbesitzer zum “Überweisseln” anzuhalten, gibt es nicht, das mußte auch Bürgermeister Gerhard Skiba erfahren. Wolfgang Simböck fand auch, daß im Stadtamt selbst Fehler gemacht wurden.
A OT Simböck
Noch dazu kommt, daß ein äußerst unglücklicher, um nicht zu sagen verbrecherisch blöder Beamter der Stadtgemeinde nichts daran gefunden hat, als ihm der Spruch vorgelegt wurde, und gefunden hat, das sei in Ordnung, diesen Spruch so anzubringen, der sich irgendwie nur darum gekümmert hat, ob die Schrift auch ordentlich Frakturschrift sei, und Altstadtgerecht, und inhaltlich nichts daran gefunden hat. Meiner Meinung war das wirklich kriminell dumm.
B TEXT
Die Braunauer selbst sind geteilter Meinung, Gesetz den Fall, man macht sich darüber Gedanken.
A OT Mix
I was net, ob des draufghört oder net, sollen andere entscheiden, das ist meine Meinung.
Ja des is in Hausbesitzer sei Sach, und sunst geht des überhaupt neamt nix an.
Meiner Meinung nach, hinpassen tuts auf keinen Fall, weil in der Zeit samma nimma, wo des war.
Die Welt genesen, die hätts notwendig, daß die Welt genest, weil die ganze Welt eine Kloake ist – Durchs Deutsche Wesen? – Das einzige Wesen, das ich auf der Welt betrachte, ist der Mensch.
B TEXT
Sehen die einen eine Diskussion zu diesem Thema als unumgänglich an, glauben die anderen eher an eine Verschwörung.
A OT Mix
Ja von den Sozialisten gibts Probleme. Aber der Spruch ist schon weit älter, als es die Sozialisten überhaupt gibt. Sollen die Sozialisten erst einmal Geschichte lernen, dann wissens, was gemeint ist.
Und des is mei Meinung, daß die, die künstlich a böses Blut machen, die das künstlich aufputschen, böses Blut machen, oder von zur Zeit bestehenden Problemen ablenken.
B TEXT
Und überhaupt:
A OT Mann
Des is schon lang vorher gewesen, und warum sollen wir unsere Geschichte ändern, die schon lange vor Hitler gewesen ist. Mir san mir und des is immer scho gewesen, wurscht wer da auf die Welt gekommen ist oder nicht.
LIED: Oberösterreich – bist so sche – bist so rein – liabs schens Oberösterreich, dir bleib i treu.
B TEXT
Inzwischen ist es in Braunau wieder ruhig geworden.
A OT Mann
Na ja, es gäbe viel zu erzählen, gäbe viel zu erzählen.
C ATMO Stadt
B TEXT
Die Fassade des renovierten Altstadthauses hält die Spuren der Kontroverse fest: Neben dem in brauner Farbe gehaltenen Spruch selbst, zieren große, schwarze Farbklexe, Hammer und Sichel die Fassade. Haus- und Spruchbesitzer Ludwig Seidl:
A OT Hausbesitzer
Jetzt ist es eigentlich relativ ruhig, es ist immer noch ein kleiner Teil, der möchte, daß des runter kommt, was genau passiert, kann man noch nicht sagen. Also wenn wirklich die breite Bevölkerung der Meinung wäre, es sollte der Spruch herunter, dann würde ich ihn wieder herunter geben.
B TEXT
Das normale Leben in Braunau unterscheidet sich wahrscheinlich nur unwesentlich von dem anderer Kleinstädte in sensiblen wirtschaftlichen Regionen. Nur, Adolf Hitler wurde eben in Braunau geboren. Wie man mit diesem Erbe umgehen soll, ob es vielleicht gescheiter wäre, das Ganze als einen Fauxpas des lieben Gottes zu sehen, und nicht mehr darüber zu reden, darüber besteht keine Einigung. —ATMO weg
Ein Versuch, die Vergangenheit in den Griff zu bekommen, sind die Braunauer Zeitgeschichte Tage, die seit drei Jahren immer im September über die Bühne gehen. In Diskussionsforen und Vorträgen werden Fragen nach dem richtigen Umgang mit dem sensiblen Erbe behandelt. Der Politologe Andreas Maislinger ist der wissenschaftliche Leiter der Braunauer Zeitgeschichte Tage.
A OT Maislinger
Das Thema der 4. Zeitgeschichte Tage vom 22. – 24. September 1995 ist der Fall Jägerstätter. Titel der Tagung ist “Notwendiger Verrat”. Für viele, die Mehrheit, ist Franz Jägerstätter ein Vaterlandsverräter, wie es auf den Kriegerdenkmälern steht. Hat seine Familie verraten.
Zum ersten Mal wird auf einer Breiten Basis über Jägerstätter diskutiert, es hat noch keine Debatte über Jägerstätter gegeben. Mit breiter Basis meine ich auch die Braunauer Bevölkerung, Bauern, aus St. Radegund und Wissenschaftler aus Israel, Deutschland und den USA. Das ist ja das reizvolle an den Braunauer Zeitgeschichtetagen, daß einfache Wissenschaftler mit normalen Leuten reden.
B TEXT
Fritz Muliar soll kommen, der Salzburger Weihbischof Andreas Laun, Fundis und Realos, Total-Verweigerer und Bundesheeroffiziere.
Franz Mittermaier, Lehrer an der Handelsakademie und Freiheitlicher Vizebürgermeister sieht die Aktivitäten der deklarierten Verdrängungsgegner anders:
A OT Mittermayer
Ein Großteil der Bevölkerung ist diesen Sachen von Anfang etwas distanziert gegenübergestanden, weil man den Eindruck gehabt hat, daß mit diesen Zeitgeschichtetagen die linke Szene, die sehr aktiv ist, Politik machen will, sozusagen Politik der Umerziehung der Braunauer durch verordnete Vergangenheitsbewältigung, und dafür gibt es in Braunau wenig Verständnis, vor allem deswegen, weil wir die Erfahrung gemacht haben, nicht nur in Braunau, daß solche Aktionen der Vergangenheitsbewältigung ja doch immer wieder gerade dann, wenn sie von der linken Seit inszeniert werden, in irgendwelchen Schuldzuweisungen enden, und diese Sache lehnen wir eigentlich ab, weil wie ich schon gesagt habe, wir in Braunau nicht der Meinung sind, daß uns oder unserer Stadt eine besondere Schuld an den Ereignissen vor 50 Jahren treffen würde.
B TEXT
Die einen legen die Wunden der Vergangenheit offen, andere wollen sie endlich schließen. Es ist im Grunde die gleiche Problematik wie beim Tauziehen. Man zieht am selben Strang, aber nicht in die gleiche Richtung. Noch einmal Franz Mittermayer:
A OT Mittermayer
Und wenn der Bürgermeister sagt, und da komme ich auf das, ja das ganze ist eine Werbung für Braunau, da sind wir auch anderer Meinungen wir glauben, daß man mit diesen schrecklichen Ereignissen von damals keine Werbung betreiben sollte. Und wenn Sie fragen, was haben wir dem entgegenzusetzen, nun wir glauben, daß es vielleicht wichtiger ist, sich hier in Braunau mit der Gegenwart zu beschäftigen, mit den Problemen der Wirtschaft, der jungen Leute usw, damit ist es, glaube ich leichter möglich, die jetzige Demokratie zu festigen, und damit können wir besser sicherstellen, daß es zu so unheilvollen Entwicklungen wie das vor 50 60 70 Jahren geschehen ist, nicht mehr kommt. Und ich glaube, die Leute in unserer Stadt möchten lieber in die Zukunft schauen, weil dort die Probleme liegen. Na, wir haben uns bis jetzt zurückgehalten, wir haben uns distanziert von diesen Aktivitäten und das werden wir von den Freiheitlichen auch weiterhin tun.
B TEXT
Dem Evangelischen Pfarrer Peter Unterrainer sind die Vorwürfe der Freiheitlichen vertraut. Er ist Mitglied des Personenkomitees für Jägerstätter.
A OT Unterrainer
Es ist von seiten der Freiheitlichen Partei der Vorwurf gekommen, wir wollen mit Jägerstätter eine Konfrontation aufbauen mit der Kriegsgeneration hin, dieser Vorwurf war schon eine Bösartigkeit an sich und war natürlich taktisch auf die Kriegsgeneration ausgerichtet, die ja alles auf Verdrängung ansetzt, und hat schon eine breite Wirkung gezeigt hier in Braunau, sodaß zu den Veranstaltungen nur vereinzelt Menschen aus dieser Generation gekommen sind. Aber was wir wollen ist die Versöhnung mit der Kriegsgeneration, und die Versöhnung der Kriegsgeneration mit sich selbst.
B TEXT
Warum kann den dieser Jägerstätter die Menschen so polarisieren?
A OT Unterrainer
Dieser Jägerstätter hat nichts anderes gemacht, als…
B TEXT
In Braunau begegnen wir dem Phänomen, daß die politische Rechte schon weit auf der linken Seite beginnen kann. Als im Stadtparlament über den Vorschlag abgestimmt wurde, zu Ehren Franz Jägerstätters einen Brunnen zu errichten und eine Straße zu benennen, stellte sich auch die sozialdemokratische Partei gegen des eigenen Bürgermeisters Vorschlag. Punschkrapferlsozialismus nennt Pfarrer Unterrainer diesen Vorgang. Außen rosa, innen braun. Zuwenig Information, meint Bürgermeister Gerhard Skiba.
A OT Skiba
Es ist meiner Meinung nach, und das muß ich auch eingestehen, sicherlich zu wenig Aufklärungsarbeit betrieben worden. Einfach nur zu sagen, das ist eine gute Absicht, und wir möchten das machen, und wir können damit einen guten Dienst für Braunau zustande bringen, das ist offensichtlich zu wenig.
B OT Mix
Ich finde, daß dieser Jägerstätter durchaus eine umstrittene Person ist, er hat mit dem System, das damals geherrscht hat, eine Konsequenz an den Tag gelegt, ich finde das gehört gewürdigt.
Braunau hat mit Jägerstätter nichts zu tun. Der Jägerstätter hat eh alles genau kennt, der weiß eh, was mit ihm los war. Alles schad ums Geld. Der hat ja nichts gut gemacht, der hat sich nur aus Dummheit um Kopf und Kragen gebracht, mehr ist dazu nicht zu sagen, haha.
C ATMO Schule
A TEXT
Für Florian Kotanko, liegt die Problematik noch nicht bei den Akten. Er ist Lehrer am Gymnasium und Mitglied des Personenkomitees für Jägerstätter.
B OT Kotanko
Das Personenkomitee wird nicht lockerlassen, sondern wir werden versuchen, Überzeugungsarbeit zu leisten, daß die Erinnerung an Franz Jägerstätter nicht ein Denkmal gegen jemanden ist, sondern ein Denkmal für jemanden ist. Es werden dadurch, daß man ein Denkmal für jemanden baut, ja nicht alle anderen abqualifiziert.
—ATMO weg im nächsten Satz
A TEXT
Und was macht die Braunauer Jugend. Gibt es eine linke Szene, gibt es rechte Umtriebe?
B OT Mix
Warn amoi a paar Hooligans da, aber das hat sich schnell verlaufen.
Ja die han überall
Da gibts eher a linksradikale Szene, habe ich das Gefühl.
(Jugendlicher) Geht mi nix an, i bin ka rechter und a ka linker. Pfft. geht mi nix an der ganze Schaas. Solln tun was meng.
A TEXT
Tatsächlich gibt es in Braunau keine eindeutig politisch zuordenbare Jugendszene. Abgesehen von Herumgröhlern, die im Rausch Parolen brüllen. Die eigentliche, intellektuelle rechte Szene befindet sich in der Nachbarstadt Ried, meinen einige Braunauer. Gelegentliche rechte Auftritte gibt es trotzdem. Auch Haus- und Spruchbesitzer Ludwig Seidl hat Beobachtungen gamacht.
B OT Seidl
Habe ich eigentlich noch nicht mitbekommen, auch wenn sich die rechten Jugendliche, wobei das eine gewisse Randerscheinung ist, in Braunau vor dem Hitlerhaus treffen; vor meinem Haus habe ich das gottseidank noch nicht bemerkt, und ich möchte es auch nicht.
A TEXT
Es tut sich für Jugendliche eigentlich nichts besonderes in Braunau.
B OT Jugendlicher
Schau es fangt schon beim Fortgehen an, die Möglichkeiten sind sehr begrenzt, Du mußt 30 bis 60 km fahren, damit du was machen kannst. Freizeitmöglichkeitn, das Jugendzentrum war nicht schlecht, gehen aber immer dieselben rein. So ist Braunau eher Scheißdreck, echt. Haha, stimma tuts.
C ATMO Gedenkdienstaktion
A TEXT
Es dauerte eine Weile, bis die Beschäftigung mit der belastenden Vergangenheit in Braunau normal wurde. Das Repertoire der Freudschen Abwehrmechanismen funktioniert auch im Innviertel ganz gut. Mittlerweile sehen die meisten der Braunauer die Aktionen der “Erinnerer” nicht mehr als einen Angriff auf die eigene Psyche. Immer wieder finden Aktionen statt, die sich mit der Aufarbeitung der Geschichte befassen. Wie beispielsweise vom Projekt Gedenkdienst, einer Einrichtung, der es österreichischen Zivildienstleistenden ermöglicht, sich mit der nationalsozialistischen Zeit und dem Holocaust auseinanderzusetzen.
B OT Passantin
Mindestens drei Millionen Juden gehen zu Lasten der an den Verbrechen beteiligten Österreicher. Simon Wiesenthal – ist der Jude? (Heiterer Ausruf:) Möchts Euch jetzt in die österreichische Politik einmischen, ja ihr gehörts jetzt auch zu uns, die EGler. Jetzt haben die Österreicher nichts mehr zu sagen, Hahaha, jetzt gehts euch dran.
A TEXT
Jene Personengruppe, die die unrühmliche Vergangenheit dokumentieren will, ist sich aber noch nicht einig was genau dokumentiert werden soll. Den österreichischen Widerstand oder die österreichische Mittätersschaft. Der Politologe Dr. Andreas Maislinger bringt jedenfalls seine Aktionen gerne nach Braunau.
—ATMO weg
B OT Maislinger
Ich gehe davon aus, daß es genau der richtige Ort ist, um auf eine Tatsache hinzuweisen, daß Österreicher an einem besonderen Ausmaß an der Vernichtung der Europäischen Juden beteiligt waren. Daß man genau diese Tatsache dokumentiert. Und sonst nichts. Keinen österreichischen Widerstand, der wurde schon zu Genüge, ich meine immer mehr übertrieben dokumentiert, durch das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. Ich möchte, daß in Braunau diese Seite aufgezeigt wird.
A OT Frau
Na, dieses Braunau, kommt ganz unschuldig dazu?! Hmhm. (Nachdenklich) Wir können ja nichts dafür. Ich bin trotzdem hier noch gerne.
B OT Bürgermeister
Für mich ist wichtig, daß soviel wie möglich Leute Einkommen, Lebensbedingungen haben, die dazu führen daß sie zufrieden leben können. Unzufriedenheit, Neid, Ärger und Zorn und was immer daraus entsteht, wenn man mit der eigenen Lebenssituation nicht zufrieden sein kann, das ist der Nährboden für viele solcher Entwicklungen.
A OT Simböck
Ganz wichtig ist es, daß die Leute die Möglichkeit haben, Kultur selbst zu machen.
C ATMO Clubhaus
B TEXT
Wir beenden unseren Stadtspaziergang in Bahnhofsnähe und hören durch die offenen Fenster eines kleinen Clubhauses die Verwirklichung des Wunsches, Kultur selbst zumachen.
—ATMO weg
A OT Liederkranz Probe
Wir sind die Chorgemeinschaft Liederkranz Braunau. Wir bestehen aus ungefähr 40 Mitgliedern und kommen jede Woche zusammen, um zu proben. Unser Programm ist eigentlich sehr vielfältig. Wir pflegen unter anderem das österreichische Volkslied als Teil unseres Repertoires, und das ist nicht als Patriotismus oder Nationalismus gedacht, sondern rein als Teil unseres Liedgutes. Wir sind politisch nicht aktiv. Wir sind eine Chorvereinigung, wir singen aus Freud am Singen, und das ist alles.
Die russische Armee wurde Ende August 1994 aus Estland und Lettland abgezogen. Anders als zur gleichen Zeit in Berlin war der Truppenrückzug aus dem Baltikum von keinem großen Zeremoniell und Lebewohl begleitet. "Das traurigste Kapitel der Geschichte des Baltikums ist beendet", so drückte es der estnische Präsident Lennart Meri aus. Ein Gedenkgottesdienst im Dom der lettischen Hauptstadt Riga wurde veranstaltet, ein Rockkonzert in Tallinn. Von offizieller Seite war das genug der Freude. Drei Jahre nach der „singenden Revolution“, nach dem Wiederentstehen der neuen Ostseerepubliken, hat Nüchternheit die Euphorie verdrängt. Das sowjetische Geschichtsbuch konnte geschlossen werden; und doch nicht ganz, denn anders als im benachbarten Litauen sind in Estland und Lettland Menschen mit russischer Nationalität auch in der Mehrheit. Minderheitengeseze also für eine Mehrheit? Eine Sendung zum politischen Umbruch in Lettland und Estland.
Trailer
ESTLAND/LETTLAND - Ostseerepubliken im Umbruch
SPRECHER:
Das traurigste Kapitel unserer Geschichte ist beendet.
TEXT:
Das erklärte der Estnische Präsident Lennart Meri vor drei Wochen. Zwei Tage vor dem vereinbarten Termin, dem 31. August dieses Jahres, verließen in Zügen nach Moskau die letzten russischen Soldaten Estland und Lettland. Ohne großes Zeremoniell und Lebewohl. Der Weg ist frei - für die Zukunft des Baltikums ohne fremde Herrschaft.
OT: Fotograf (9a, 388)
Aber es gibt keine Arbeit, ich bin Lehrer der russischen Sprache, russische Sprache ist nicht mehr popular, vorher hatten wir einen fantastischen Druck. Jeder mußte studieren Russisch. Jetzt kann man wählen, und nach dem schweren Druck, alle Schüler wählen Englisch oder Deutsch.
TEXT:
Jetzt wird man lernen, mit den Minderheiten zu leben. Minderheiten, die in vielen Städten und Orten Estlands und Lettlands auch Mehrheiten sind. In Riga, der Hauptstadt Lettlands etwa, sind mehr als die Hälfte der Bevölkerung Russen - die meisten ohne lettische Staatsbürgerschaft und Wahlrecht. In Narva, der zweitgrößten Estnischen Stadt, leben sogar 96% Nichtesten.
Hören Sie mehr aus dem Baltikum: Estland und Lettland, drei Jahre nach Wiederbeginn ihrer Unabhängigkeit. Heute Abend im Programm Österreich 1, um ca. 18.20 in einem:
Hinweis: Der Schwerpunkt dieser Sendung liegt nicht auf der sowjetischen Geschichte und dem Truppenabzug, sondern auf dem Leben und den Schwierigkeiten der Gegenwart.
Manuskript
JOURNAL-PANORAMA "ESTLAND-LETTLAND"
MUSIK Teil 1 (Marschieren)
OT Fotograf
Weil ich bin einziger verrückter Fotograf in ganz Estland - diese Foto habe ich gemacht von diesem hohen Schornstein, 108 m hoch, Leiter geht draußen. - Aber es gibt keine Arbeit, ich bin Lehrer der Russischen Sprache, Russische Sprache ist nicht mehr popular, vorher haben wir einen fantastischen Druck. Jeder müßte studieren Russisch. Jetzt kann man wählen, und nach dem schweren Druck, alle Schüler, sie wählen Englisch oder Deutsch. - Oh those Russians.
MUSIK 2. Teil (Rasputin)
OT Russe
No, Russen einfach Leute. Keine Feind. Keine. Nu, dieses Territorium, Deutschland, Schweden, Polen, dann Russen, 300 Jahre hier. Bei uns alle Russen gegen Jelzin. Es ist nicht so einfach, aber nur jetzt ist schlecht.
MUSIK hoch
OT Konsul
Die Verhandlungen mit den Russen haben an sich nie Erfolg, weil die Russen immer mit neuen Wünschen kommen. Aber daran hat man sich in Estland schon gewöhnt. Was mir eher Sorgen macht, sind ungefähr 100.000, die zum harten Russischen Kern gehören, die einerseits unbelehrbar sind, d.h. keine Staatsangehörigkeit wollen, aber auf der anderen Seite meckern. Und mit denen wird man leben müssen, mit denen wird man aber auch leben können.
MUSIK hoch
TEXT Der russische Bär hat keine Krallen mehr. Radio Lettland spielt oft und gerne dieses Lied, eine Persiflage auf den russischen Mönch und Abenteuerer _________________ Rasputin. Früher war alles noch einfach. Da gab es die Sowjetunion, die Sowjetbürger, da gab es Moskau - das Zentrum., da gab es die baltischen Unionsrepubliken deren Hauptstädte unwichtig waren - wie gesagt, Moskau war das Zentrum. Und jetzt? Neue Republiken, neue Städte, die auf einen Schlag wieder Bedeutung bekommen haben, neue Namen, neue Landkarten. Am bekanntesten wird ein fremdes Land durch ein Unglück. Spätestens seit dem Untergang der "Estonia" wissen wir: Estland liegt an der Ostsee, Hauptstadt Tallinn. Mit Fährverbindungen nach Helsinki und Stockholm. Lettlands Hauptstadt Riga liegt ebenfalls an der Ostsee, wie Tallinn eine alte Hansestadt, reich geworden durch den Ostseehandel. Und Litauen, das ist Vilnius. Verzeihen Sie bitte, wenn das eben etwas schulmeisterlich geklungen hat, aber von uns aus gesehen, sind die baltischen Staaten so ziemlich das selbe, vor Ort jedoch sind Estland, Lettland und Litauen grundverschieden. Verwechslungen hätten Verwirrungen zufolge. Das Engagement Österreichs in den wiederentstandenen Ostseerepubliken hält sich jedenfalls zurück. Warum das so ist? Geograf und Regionalforscher Dr. Michael Sauberer ist Baltikum-Experte:
OT Sauberer
Das hat wahrscheinlich viele Gründe, erstens ist der kulturelle Radius in diese Richtung von Österreich nicht sehr ausgedehnt, das kann man schon zurückverfolgen, Jahrhunderte zurück, zweitens glaube ich, war ja Österreich unter die Fittiche der Sowjetunion genommen, beim Staatsvertrag, sehr sehr vorsichtig, nur nicht irgendwie ein Wort über die Baltischen Staaten verlieren, um möglicherweise anzudeuten, daß die verlorene Unabhängigkeit völkerrechtlich nicht in Ordnung sei. Man hat hier in Österreich ein bißchen auch Angst gehabt, sich dieser Materie mit der Sowjetunion mit der SU anzulegen, und hat das weggelegt. Es war auch sehr enttäuschend, die ersten Unabhängigkeitsbestrebungen im Baltikum war, und wie die Reaktion war. In den Massenmedien wurden die Litauer, oder Esten als Sezessionisten hingestellt, als nationalisten stärksten Grade, also Gefühle, von denen man hier in diesen Ländern sehr wenig spürt, die Länder gerade in der Zwischenkriegszeit positive Traditionen hier entwickelt haben.
In allen drei Ländern lebten schon immer Menschen mehrerer Nationen miteinander. Litauen bewegte sich dabei in polnischer, die Letten und Esten in deutsch-russischer Umgebung. Daß heute in Estland und Lettland gerade die Einwanderer der ehemaligen Sowjetunion das Gleichgewicht der Nationen durcheinanderbringen hat eine Ursache:
OT Fotograf
Vor 2. Weltkrieg, haben 2 Freunde, sie heißen Josif und Adolf. Sie haben Europa geteilt. Lsterreich für Deutschland, Estland für Rußland. Dsa heißt Molotov-Ribbentropp-Pakt. Zwei gute Freunde. So war das, unsere Geschichte.
Deutschland und Rußland haben sich beide hemmungslos an den Bewohnern der baltischen Staaten bedient. Beide rekrutierten, deportierten, exekutierten. In der sowjetischen Zeit waren dann Estland und Lettland Zielgebiete der sowjetischen Einwanderung: mit den Fabriken kamen die Arbeiter, mit der Armee die Familien der Truppen. Es war schick, im Ruhestand an die Ostsee zu gehen, zumindest für Offiziere.
OT Rota
Leider, Lettland, oder man kann sagen zum Glück, Lettland ist kein einnationaler Staat. Einwohnerzahl Letten, die einheimische Nationalität ist nach 1989 52%. Andere Nationalitäten, zB Russen 33% ungefähr, Weißrussen, Ukrainer, Polen, Litauer und Juden. Zum Beispiel in Riga, Letten ist eine Minderheit.
ATMO Daugava + ATMO Möven
TEXT Riga, Stadt an der Daugava - oder Düna. Eine Stadt mit 800 Jugendstilhäusern, geplant von deutschen, lettischen, aber auch russischen Architekten. Bei den Kommunalwahlen im Mai dieses Jahres durften ein Drittel der Bürger wählen - Letten. Mehr als die Hälfte der Bewohner Rigas sind Russen. Hier treffen wir auf die paradoxe Situation, daß Minderheiten eine Mehrheit bilden. Für die Perspektiven Lettlands ist das eine äußerst ungünstige Situation, sofern die Frage der Staatsbürgerschaft nicht durch ein Gesetz geklärt íst.
OT Rota Schnuka
Das ist ganz wichtig für Lettland, das macht die Lage für Russen, Ukrainer und Weißrussen Lage ganz unstabil. Mindestens sie könnten wissen, was ist mit ihnen.
Rigas Jugendstilhäuser werden von ponischen Restaurationsfirmen renoviert, die Vorschläge für das Staatsbürgerschaftsgesetz von der KSZE. Die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa hat ein waches Auge auf die Verabschiedung eines Staatsbürgerschaftsgesetzes geworfen, das den Menschenrechten nicht widerspricht.
ATMO Radio Lettland
TEXT Das alte Staatsbürgerschaft Lettlands hätte 500.000 Nicht-Letten zu Staatenlosen gemacht, Präsident Guntis Ulmanis verweigerte die Unterschrift. Nach Regierungskrisen, Mahnungen durch den Europarat und KSZE, und Drohungen durch Russlands Präsident Jelzin ist nun alles geregelt: Vom Jahre 2003 an gibt es keine zahlenmäßige Beschränkungen mehr für die Einbürgerung - Lettisch zu sprechen, und dem Staat Lloyalität zu schwören, wird auch Bedingung für die Staatsbürgerschaft. Lettland zeigte in dieser Frage größere Härte wie Estland. Die Bereitschaft in den Verhandlungen nachgiebiger zu sein, wurde in Estlands Medien oft kritisiert, doch für den Estnischen Honorarkonsul in Salzburg, Porf. Henn-Jueri Uibopuu war das der richtige Weg:
OT Konsul
Ich halte es politisch für einen guten Schachzug, auf der anderen Seite Großzügigkeit zu zeigen, daß man auf der anderen Seite auch Forderungen stellen kann. Und ein Teil der Pensionisten, der echten Pensionisten ist ja schon 60, 65 Jahre alt, und außerdem bekommen alle Pensionisten die vor 1930 geboren sind, die bekommen automatisch die Aufenthaltsberechtigung, bei denen ist es kein Problem..
TEXT Estland ist durch den schmalen Bottischen Meerbusen von Finnland getrennt. Das schuf die günstige Position, auch schon in Sowjetischer Zeit vom Finnischen Fernsehen naschen zu dürfen, die Isolierung vom Westen war dünn. In Estland dürfen auch Ausländer wählen, sie dürfen nur nicht gewählt werden.
OT Konsul
Da sind die Esten schon relativ großzügig. Ich kenne die Wahlrechte fast aller europäischen Staaten, und Ausländerwahlrecht, aktives und passives, haben die Schweden, aktives haben die Norweger, Dänen, Esten und Holländer. Aus, schluß. Anderswo gibt es kein aktives Wahlrecht, da sind die Esten an sich großzügig.
TEXT In Narva etwa, der zweitgrößten estnischen Stadt leben 96% Nichtesten, ihre Bereitschaft, sich anzupassen, setzt Henn-Jueri Uibopuu voraus:
OT Konsul
Weil die Russen sehen, daß in Estland ihr wirtschaftliches Fortkommen einen wesentlich größeren Erfolg verspricht als in Rußland, und aus dem Grund werden sie sich umstellen müssen.
TEXT Ob es zu einem gespannten oder normalen Miteinander kommen wird, oder vielleicht sogar zu einer Integration der nichtestnischen- und nichtlettischen Mitbürger, das zu vermuten ist noch zu früh. Zu genau sind noch die Erinnerungen an die Okkupation. Die Russen gelten im Baltikum gerne als unkultiviert, und wenn etwas nicht gut funktioniert, deutet man an, es sei "russisch". Prof. Joannis vom geografischen Institut der Universität Riga:
OT Strauchi
Nach meiner Meinung, eine richtige Integration das ist nicht möglich, das ist nicht so leicht, und dazu glaube ich, daß kommt Mischung, Lettland vor 2. Krieg Lettland war praktisch nicht nur lettische Sprache. Jeder Lette, und jeder Russe spricht Lettische, Russisch, Deutsch, und jedes Geschäft auch. Das war so, und deshalb, diese verbindung mit Deutschland war ungefähr 7 Jahrhundert. Aber mit Integration das ist sehr schwer, sehr schwer natürlich. Diese Sowjetische Zeit war besonders tote Zeit in diese Richtung, daß nur russisch, russisch, russisch in allen Republiken.
OT Konsul
Schauen Sie, eine Kulturautonomie funktioniert einerseits, wenn die rechtlichen Rahmenbedinugngen da sind, aber wenn auch das Bestreben bei der Bevölkerung besteht, zwar Staatsbürger zu sein, aber auf der anderen Seite die kulturelle Identität zu wahren, und das besteht bei den Russen sicherlich. Die russische Identität beinhaltet so viel, das wäre schade, wenn es verloren ginge. Meiner Meinung nach ist es aber möglich, staatsbürgerliche Lloyalität mit kultureller Identität zu verbinden, und das wäre ansich die Lösung für Estland .
TEXT Die kommunistische Zeit ist zu Ende. An der Rigaer Universität sorgt ein Stapel der Zeitschrift "Der Kommunist" für Frischluft. Der Stapel wurde auf zwei Meter Höhe verbannt - in der Toilette hält er das Fenster offen. Rudite Kalpina geht in ihrem Buch "Lettische Grammatik" der Frage nach, ob man sich der Vergangenheit so schnell entledigen kann.
MUSIK schon in letzten Absatz
SPRECHERTEXT
Kommunisten wenden ihr Mäntelchen, um die Mittel zu legalisieren oder um den sozialen Status zu halten. Das hat sich in einem sehr kurzen Zeitraum vollzogen, durch die Vermittlung „unseres“ Fernsehens, des Rundfunks oder der Presse. An Stelle der ewig schlechten Laune und des Überdrusses in der Beziehung zum Volk steht jetzt der nationale Schluckauf, den sowohl sie als auch das Volk haben, auch von zu reichlichen Mahlzeiten. Sie sind überall - fast wie vorher. Und wir sind machtlos - wie vorher. Wir sind sie.
TEXT Und doch. Die Umstellung und Erneuerung der Strukturen wird ohne größere Skandale vorangetrieben, nur selten verschwindet ein Minister vom Amtssessel, durch nachgewiesene Verstrickung mit der alten Zeit.
OT Konsul
Der damalige Außenminister, jetzige Staatspräsident meri hat praktisch seinen anzen Stab vom Außenministerium rausgeschmissen, und hta einige von ihenn wieder eingestellt und sehr viele Junge eingestellt, die jetzt mittlerweile wieder einige Jahre drin sind. Deshalbt kann man sagen, das Außeenministerium istwohl eines der am besten funktionierenden Ministerien. Und Sie werden feststellen können, daß die besten Diplomaten, zB die in Wien, und auch in Bonn, alle relativ jung sind. Teilweise sogar von der kommunisten Zeit politisch unbelastet.
TEXT In Riga treffen wir in einer öffentlichen Speisehalle Zarins Vilnis. Er ist Philosoph an der Lettischen Akademie der Wissenschaften. Er zeichnet ein anderes Bild der neuen Zeit.
OT Philosoph
Und dafür auf nackter Erde muß man den Staat bauen. Und in erster Linie kamen nicht die besten, sondern die Leute, die egoistische Interessen haben, und auch von voriger Okkupationszeit Erfahrung hatten, als treue Diener der Okkupanten. Und für uns bildet sich nicht die europäische, aber lateinamerikanische Gesellschaft mit einigen Millionären, und andere sehr arme Leute. Oder die zweite Möglichkeit, afrikanische. Mit Verwaltungsburgeoisie.
TEXT Wie sieht er die Stimmung in dieser Zeit der Änderungen?
OT Philosoph
Muß man sagen, daß diese Schichte der Gesellschaft, die die meisten moralischen Kräfte tragen, besonders die Bauernschaft, Intelligenz und auch Rentner, sind in eine sehr miserable Situation getrieben - Selbstverständlich sind sie etwas, fühlen sich gedrückt, besteht eine Demoralisierung, aber nicht für das ganze Volk. Gibt es auch andere Schichten des Volkes und ich hoffe, daß das Volk lernt ziemlich schnell, aber auch ein Schuster muß man 5 Jahre lernen - aber wir haben keine 5 Jahre für unsere Politik noch zu lernen.
MUSIK schon in letzten Satz
SPRECHERTEXT Tränen der Rührung und ein Wust aus sonstigen Gefühlen steigen in mir hoch, wenn ich alte Männer zusammenstehen sehe, die, ungeachtet des Durchlebten, eine sanfte Kraft und die Illusion von Selbstvertrauen und Standhaftigkeit ausstrahlen. Aber es sind so wenige! Wenn sie gehen, dann wird man den besten Teil unserer Vergangenheit begraben, und wir werden eigenhändig mit der Schaufel nachhelfen.
TEXT Die Royalistische Partei Estlands hat in einem kuriosen Wunsch, Prinz Edward aus Großbritannien gebeten, für Estland die Krone zu tragen. Er wäre das rechte moralische Vorbild und geeignetster Souverän für Estland.
OT Konsul
Wie weit die Royalisten eigentlich ernst zu nehmen sind, das ist eine andere Frage. Sie erhellen vielleicht das etwas trieste Bild des Parlamentes. Ich würde sie nicht für ernst nehmen, obwohl einige Vorschläge gar nicht schlecht sind.
ATMO Kommunistenbüro
Früher bestimmte die politische Führung auch die Richtung der Kunst. Heute sind diese Beschränkungen weggefallen, die Künstler zeigen neue Performances und Installationen Doch dem grenzenlosen Kunstgenuß sind nun andere Grenzen gesetzt.
OT Tiiu Takistu
Ich möchte sagen, daß jetzt für Kunst allgemein keine gute Zeit ist. Die Menschen sind mit den alltäglichen Problemen beschäftigt. Sie beginnen aber, die neuen Trends zu verstehen, wir zeigen ihnen viel von den neuen Richtungen. Gerade haben wir in unserem Museum eine Sonderausstellung über Elmar Kites, einen estnischen Künstler, und hier sehen wir vergleichsweise viele Leute.
TEXT Tiiu Takistu verwaltet das Aktiv des Kunstmuseums in Tartu - oder Dorpat - der Universitätsstadt Estlands. Ob sie fürchtet, daß sich die estnischen Künstler nun dem westlichen Mainstream unterwerfen werden?
OT Tiiu Takistu
Das ist jetzt schwer zu sagen. Es ist gut, daß unser Land offen ist, aber ich kenne nicht einmal die Probleme der anderen kleinen Länder in Europa. Diese Probleme werden auch zu uns kommen. Auch die anderen westeuropäischen Länder fürchten zum Beispiel den Einfluß der USA auf ihre Kultur, und so werden auch wir vor diesen Einflüssen nicht geschützt sein.
OT Philosoph
Ja, die Begenung mit weslticher Welt ist ziemlich hart und unangenehm. Denn wir sind nicht als gleichwertige Partner, aber als Ausbeutungsobejkte angesehen. Und von Seitens vieler ausländischer Stätten wir merken nur diese Berebungen: liqueidieren unserer Wirtschaft, besonders Landwirtschaft, um, denn Lettland war sehr lange Zeit Exporteur von landwirtschaftlichen Produkte. Und jetzt mit Dumping wird die alndwirtschaftliche Produktionunserer Bauern erwürgt. Und auch unsere Wirtschaft ist kompiziert. Denn unter Okkupationszeiten gab es viele rückständige Industriebetriebe. Aber meiistens ausändischer Politik auch mit Hilfe einiger lok aler Politiker erwürgen nicht die rückständigen aber die modernsten Teile dieser Wirtschaft. Und das erbittert uns.
ATMO Bratsche schon in die letzten Zeilen
TEXT Am Domplatz in Riga sitzt ein Musiker. Malerisch. Ein kleines Mädchen hockt mit ihrer Katze an einem Bretterzaun. Zwei Kinder mit einer Schubkarre verkaufen die Rechte an ihrem Bild an die Touristen. Der leise Niselregen verbreitet eine triste Stimmung, sogar die bunten Werbung haben etwas an Farbe verloren. Ob man als schneller Besucher nur durch die bekannten Schriftzüge das Gefühl bekommt, daß ein nun Land sei frei?
ATMO Hotel de Rome
TEXT Die Lobby im besten Hotel der Stadt, dem "De Rome" wird von Sicherheitsbeamten überwacht. Gesichtskontrolle. Leute, deren Art verrät, daß sie ins Hotel passen könnten, passieren unbehelligt den Eingang. "Es ist einfach traurig zu sehen, wie Ihr lachen könnt", meint Dr. Raita Karníte, Direktorin des Institut für Wirtschaft der lettischen Akademie der Wissenschaften, als das Mikrofon ausgeschaltet wird.
OT Wirtschaft
150 Angestellte haben hier gearbeitet. Nun sind wir 32. Wegen Geldprobleme haben wir alle guten Wissenschaftler verloren. Das Gehalt war so niedrig, daß es für sie einfach unmöglich war, damit auch zu leben. Dieses Jahr ist die Situation ein wenig besser, wir verstehen die Bedingungen, und wir ersuchen das Ausland um Hilfe. Wir versuchen, in internationale Projekte zu kommen, verstehen dabei aber auch, daß wir nur eine Rolle als Informant haben. Wir machen nicht die Forschungsarbeit, sondern sammeln nur Informationen über die Baltischen Staaten - es bleibt uns keine andere Möglichkeit.
TEXT Die Gewinner sind die Büro-Consulting-Firmen, nicht unwesentliche Teile der Geldmittel einer Osteuropahilfe gehen in den Gehältern der Consulter auf. Dr. Raite Karníte beschäftigt sich in ihren Studien auch mit der Einstellung der Frauen zur Familie, Arbeit und Bildung in Lettland. Und das ist neu in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion.
ATMO Tallinn
TEXT Das dringendste Problem wird wohl sein, die Wirtschaft in den Griff zu bekommen. Unzählige Klein- und Kleinstunternehmen entstehen. Fast jeder geht neben seiner regulrären Tätigkeit Nebenbeschäftigungen nach. Am Burgberg in Tallinn verkauft Georg Halling Fotos aus Estland.
OT Fotograf
No, was kann ich sagen, ich bin ein Kapitalist. Meine Fotofirma besteht aus zwei Personen. Ich und mein Pudel. Mein Pudel frißt Fleisch und ich arbeite, und ist meine Buchhalterin. Mittel des Monatslohn ist jetzt 900 Kronen, das ist 120 Mark, in diesem Jahr habe ich Rente bekommen, jetzt darf ich nicht mehr arbeiten, 300 Kronen, das ist etwa 35 Mark für eine Monat. Und Sie fragen wie geht es Ihnen. Ich bin zufrieden. Wir sind frei, jetzt kann man reisen. Das ist so schön. Vorher wohnten wir in Sowjetunion wie in einem Lager, natürlich eine große Lager.
TEXT Herr Halling wurde 1936 geboren, sein Großvater war Norweger. Warum er so gut Deutsch spricht?
OT Fotograf
Das habe ich selbst studiert. Ich habe ein wunderschönes Buch, das heißt Deutsch bei Schallplatte für ausländische Dumme, extra, und so jeden Tag vor dem Schlafengehen eine halbe Stunde, ich lese Text und höre Hochdeutsch. Ich mache viele Fehler, ich weiß das, in Estnischer Sprache gibt es keinen Artikel, und in Deutsch gibt es keine Regel, alles ohne Logik. Der Mann, die Frau, das Mädchen. Mädchen ist doch keine Dinge. Ich habe ein Hilfe, sie ist steinalte baltische Deutscherin, von Zeit zur Zeit ich kaufe Kuchen, wir sitzen beim Kaffeetisch oder Teetisch und sprechen Hochdeutsch, Baltisches Hochdeutsch. Einmal frage ich sie, Frau Stadler, wenn ich bin fleißig und studiere weiter in diesem Tempo, wann kann ich endlich so perfekt Deutsche Sprache wissen, wie ein perfekter Hochdeutscher. Ich habe ein nettes Kompliment bekommen: Herr Halling, keine Sorge, ich glaueb es nimmt nicht mnehr Zeit wie in halbes Jahrhundert. Wie kann man studieren? Aber Sie haben fast alles verstanden, ja?
TEXT Mit den neuen Touristen wird das Geschäft mit den Ansichten Tallinns nicht unbedingt besser. Georg Halling weiß genau warum.
OT Fotograf
Sie haben Ihren Lebensstandard überentwickelt. Jeder hat eine gute Kamera mit, die besten Touristen kommen aus der ehemaligen Sowjetunion, sie haben immer eine Kamera mit, sie funktioniert nicht immer, oder es gibt keinen Film, oder keine Batterie, sehr nette Touristen, aber Geld haben sie auch nicht. Na schön, ich wünsche Ihnen alles Gute und das nächste mal bitte keine Batterie mit.
TEXT Am Fuße der orthodoxen Kathedrale wartet eine Reihe von Menschen auf die Besucher. Für die Tallinner ist es Brauch, jeden von ihnen eine kleine Münze in die Hand zu drücken, die ausländischen Besucher drücken sich an der Schlange vorbei. "Alltägliche Gottesdienste" steht auf einem Schild auch in deutscher Sprache angeschrieben.
Die wirtschaftliche Eigendynamik schafft Schwierigkeiten, der Markt wird von importierten Produkten überflutet. Dr. Raia Karníte aus Riga:
OT Wirtschaft
Unser Zoll arbeitet sehr schlecht. Importierte Güter sind mit keinen Steuern oder Importzöllen belegt. Mit dieser Konkurrenz sieht es für die lettischen Produkte schlecht aus. Die Produktionskosten sind hoch, es ist billiger, zu importieren. Und es wird immer mehr importiert. In dieser Konkurrenz müssen die lettischen Produkte einfach gewinnen!
TEXT Wunsch und Wirklichkeit liegen jedoch in vielen Bereichen weit auseinander. Es ist eine Sache, zu wissen, wie etwas funktionieren könnte, eine andere, diese Vorstellungen zu verwirklichen.
OT Wirtschaft
Nehmen wir zum Beispiel das Staatsmonopol auf Alkohol. Es ist schwierig, dieses Monpol auf dem Markt auch zu sichern. Das Monopol existiert in Wirklichkeit nur, wenn sich Polizisten am Markt aufhalten. Und die sind nicht so oft dort, nur eine Stunde pro Woche. verstehen Sie mich richtig, das ist der Schutz unseres Marktes. Wir wollen das machen, können aber nicht. Wir haben geschriebene Normen für alles, in der Theori wissen wir, wie alles zu machen ist!
AMTO Markthalle
TEXT In der Rigaer Markthalle ist reger Betrieb. Jene, die etwas zu verkaufen haben, flitzen an ihren Ständen emsig umher. Wo es günstigen Angebote gibt, warten in einer Reihe die Käufer. Vor der Halle wird aus Lastwagen heraus Brot, Milch und Zucker verkauft, unzählige Händler verkaufen nützliches und wertloses, und auch die obligaten Plastiksackerl aus Österreich. Ist es hier teuer, einzukaufen?
OT Markt
Nein, das würde ich nicht sagen. Wenn man die Preise am Markt mit denen in den Geschäften vergleicht, ist es hier billiger. Geschäfte sind teurer. Das war normalerweise umgekehrt. Grundsätzlich gibt es hier mehr Auswahl. Ich gehe lieber zum Markt.
TEXT Es sei jedenfalls billiger als in Moksau oder London, meint der Begleiter.
ATMO Glücksspielautomaten
TEXT Die Halle mit den einarmigen Banditen ist erfüllt von Rauchschwaden. Die Gewinner sind wie üblich die Betreiber, und die bestimmen mit BMW, VOLVO und Mercedes auch die Straßenverkehrsordnung. Die Größe des Geldbeutels bestimmt den Grad des Vorangs, erzählt ein Passant. Ein Veteran der sowjetischen Armee, behängt mit unzähligen Abzeichen und Ordnen, verkauft russische Zeitungen, auch er macht sein Geschäft.
TEXT Die Zahl der Besucher steigt ständig, die Tourismusbranche verzeichnet hohe Zuwachsraten. Viele Exilletten und Exilesten besuchen nun erstmals ihre Heimat wieder .
OT Australier
Ich besuche meine Verwandten in Riga. Es gibt Australier, die sich hier ansiedeln, aber ich selbst werde das nicht tun. Ich kann mich an alles erinnern, ich bin hier zur Schule gegangen, habe an der Universität studiert. Es gibt natürlich viele Veränderungen, vor allem in den Vororten, diese monströsen Wohnhausanlagen, die sind hässlich. Aber hier im Zentrum ist praktisch alles beim gleichen geblieben.
TEXT Wirtschaften ist die eine Seite - Die soziale Infrastruktur zu sichern, die andere, das ist die Aufgabe des Staates. Derzeit werden die Kompetenzen des Staates und der lokalen Regierungen neu verteilt. Oft werden Einrichtungen privatisiert und damit teuer, die früher kostenlos waren. Die kostenintensive Infrastrutur zu unterhalten - zum Beispiel der öffentliche Transport - das bleibt den Gemeinden.
OT Wirtschaft
Früher wurde die ganze Infrastruktur von den Produktionsgenossenschaften betrieben. Jetzt ist das alles in den Händen der Gemeindeverwaltungen. Die Gemeinden haben aber größte Probleme mit der Finanzierung dieser Einrichtungen. Die Gemeinden sind sehr unterschiedlich, haben verschiedene Einwohnerzahlen, sind arm oder nicht arm, sie haben unterschiedlich viel Geld zur Verfügung. Unser Staat hat jetzt das zweite Jahr ein Budegetdefizit, die Verteilung der Einnahmen an Staat und Gemeinden ist sehr umstritten. Das Hauptproblem für die Enwicklung der ländlichen Gebiete ist, daß es nicht genügend Geld für eine Entwicklung gibt.
TEXT Ausländische Investoren werden eingeladen, Joint Ventures zu gründen, in Estland oder Lettland zu investieren. Die Klärung der Besitzverhältnisse von Boden und Gebäuden ist noch immer nicht abgeschlossen. Rota Schnuka beschäftigt sich mit Raumplanung:
OT Aber was machen Sie, wenn Fabrik dort steht. Viele einheimische Investoren und einheimische Investoren warten was kommt, vielleicht kommt Eigentümer: "Guten Morgen", sammeln Sie ihre Fabrik und verschwinden Sie, ich wollte Erholungsort. Das ist ganz typisch.
TEXT Von österreichischer Seite her ist es vergleichsweise ruhig im Baltikum. Dabei hätten diese Staaten viel Ähnlichkeit mit unserem Land.
OT Konsul
Für ein Land wie Estland sind die Investoren aus Österreich wahrscheinlich wichtiger als Investoren aus großen Industrienationen, weil die Verhältnisse eher vergleichbar sind - Was Estland braucht, sind mittelständische Industrie und da könnten die Österreicher den Esten viel Rat geben und Hilfe leisten.
TEXT Auf universitärer Ebene werden bereits erste Kontakte geknüpft. Für Jurastudenten gibt es Austauschprogramme mit der juridischen Fakultät der Universität Tartu. Und in Riga treffen wir am geographischen Institut eine Studentengruppe, die sich ebenfalls auf baltische Spurensuche begeben hat.
ATMO Begrüßung
OT Sauberer
Ich muß dazu sagen, daß ich mich seit meiner Studienzeit intensiv mit Osteuropa auseinandergesetzt habe, und daß ich mich jetzt gerade mit jenen Bereichen, die von den Österreichern aus gesehen, ein weißer Fleck auf der Landkarte sind, sehr intensiv befasse. Daazu gehören die baltischen Staaten, die mit Österreich sehr viel Ähnlichkeit haben. Umso bedauerlicher ist es, daß von österreichischer Seite kaum irgendwelche Initiativen vorangetrieben werden, um mit diesen Kleinstaaten - wie Österreich auch, eine bessere wirtschaftlich und kulturelle Zusammenarbeit einzuzleiten.
TEXT Die Deutschen gingen im Baltikum bereits ein und aus, in Österreich fehle es aber von universitärer Seite an Informations- und Organisationskanälen. Und: Fehler im Verständnis für das richtige Benehmen als Gast gäbe es viele.
OT Ja ich finde, daß es unfair ist, mit einem Billigkflug in ein Land zu kommen, und den großen Experten zu spielen. Eine echte Kritik an einer Region kann man nur dann machen, wenn man die Region sehr intensiv kennt, wenn man Teil der Region ist, dh in der Lebenwelt in der Region auch gewohnt hat usw, und ich glaube, daß es die Aufgabe ist, solche Kritik inden Heimatregionen anzuwenden, aus denen man kommt. In den anderen Regionen, die man nicht so genau kennt, eher zu versuchen, konstruktiv den Vergleich zur Heimat darzustellen und eben mögliche positive Ansatzpunkte darzusellen, aber in keinem Fall voreilig zu kritisieren, und auch die Wortwahl genauestens zu kopntrollieren, denn eine falsche Wortwahl in einer Diskussion mit den Fachleuten dieser Region kann schon sehr viel Mißstimmung bringen kann, und das passiert ja bei den Geschäftskontakten und anderen Kontakten immer wieder.
TEXT Rudite Kalpina schreibt in ihrer "Lettischen Grammatik"
SPRECHERTEXT Sogar die Ausländer fallen einem schon auf die Nerven, wenn sie in belehrendem Ton von den Demokratien des Westens erzählen und einwerfen: ach, ihr mit Eurem osteuropäischen Nationalismus - und nach einer Stunde sagen sie, könnte nicht jemand mitkommen, wir wollen nicht im Hotel essen, aber mit Russisch kommen wir nicht zurecht!
TEXT Wie sieht nun die Zusammenarbeit der baltischen Staaten untereinander aus? Trotz der Pläne für eine gemeinsame Freihandelszone seien Estland, Lettland und Litauen doch zu unterschiedlich, um eine gemeinsame Sprache zu finden, meint Prof. Henn-Jueri Uibopuu.
OT Konsul
Jedesmal wenn Gefahr im Verzug ist, treffen sich die Präsidenten, treffen sich die Generalstabschefs, treffen sich die Premierminister. Und in dem Moment in dem die Gefahr gebannt ist, geht jeder den eigenen Weg.
OT Konsul
Man könnte jedenfalls wesentlich mehr machen, aber hier sind die drei batlischen Staaten zu viel Individualisten, und komischerweise verstehen sich die Esten und Litauer sehr gut, weil sie keine gemeinsame Grenze haben, ach, man versteht sich auch mit den Letten gut, ich bin selbst in Walk groß geworden, an der lettischen Grenze, wir haben auch lettische Freunde gehabt. Nur wirft man es auf höchster politischer Ebene den Letten vor, daß sie mit der Verteilung von Zuneigung etwas übereilig sind.
TEXT Andererseits wirft man es den Esten vor, daß sie es mit der Verteilung von Zuneigung nicht so eilig haben.
OT Konsul
Ja, bitte, die Esten sind sehr stur, und die Esten und Finnen sind halt nordische Völker. Und die Letten und Litauer sind Indogermanen, die Esten nicht.
ATMO Rockmusik
TEXT High-Noon auf dem Burgberg zu Tallinn. Sind Estland, Lettland und auch Litauen in ihren Eigenheiten grundverschieden, so wurden diese Staaten spätestens seit der neuen Unabhängigkeit wieder zum Teil Europas. In ihrer Entwicklung kennen sie die selben Probleme. Auch der große Nachbar Rußland wird einen ähnlichen Weg gehen. Eine gewagte Perspektive: vielleicht wird St. Petersburg wieder ein Zentrum des osteuropäischen Raumes werden - mit den baltischen Staaten. Auf dem Weg dorthin wird man dann auch vor allem eines brauchen: Sensibilität.