369. Zeitenwende

Ö1 / Moment – Leben heute – Wort der Woche – Zeitenwende

In seiner Regierungserklärung hat am Sonntag der Deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz von einer “Zeitenwende” gesprochen. Andere Politiker sagten das auch. Zeitungen schreiben es. Europa, ja die ganze Welt, stehe vor einer Zeitenwende.


Manuskript

Signation “Wort der Woche”

Physikalisch ist mit der Zeit ja alles klar. Sie läuft voran. Es gibt keine Umkehr. Keine Wende. Einzelne Zeitpunkte werden durch besondere Ereignisse markiert, und das war’s dann auch schon. Für die Historikerin, für den Historiker allerdings, gibt es ein Wort, die Zeitenwende.

OT 1

Das Wort „Zeitenwende“ wird in verschiedenen Kontexten verwendet. Da ist zum einen natürlich die Zeitenwende im Hinblick darauf, dass eine neue Zeitrechnung beginnt, also „vor Christus“, „nach Christus“, das bezeichnet man ja auch als Zeitenwende, oder dass dann Historiker im Nachhinein sagen, „das war ein epochaler Einschnitt“, und die Zeit davor unterscheidet sich qualitativ von der Zeit danach. Man spricht auch von Zeiten, wo sich die Ereignisse überschlagen, wo es eine Beschleunigung gibt, wo etwa in einer Woche so viel passiert wie sonst in einem Jahrzehnt. Und von dem unterscheiden muss man aber, dass Zeitgenossen selbst, dass Menschen, die ein bestimmte Ereignis erlebt haben, das selbst als eine Zeitenwende wahrgenommen haben, nicht erst dann Historiker Jahrhunderte später, sondern dass tatsächlich Zeitgenossinnen und Zeitgenossen eine solche Zeitenwende definieren.

Johannes Preiser-Kapeller, Umwelthistoriker und Byzanzexperte an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Als Historiker, sagt er, kann man erst aus einer gewissen zeitlichen Distanz rückblickend sagen, ob etwas wirklich eine Zeitenwende war.

OT 2

Zehn Jahre ist einmal ein Mindestabstand, auch als Zeitgenosse, wenn man das einigermaßen seriös einordnen möchte. Natürlich sprechen wir auch von Zeitenwenden, die dann Jahrhunderte später als solche definiert wurden. Etwa die Abfolge von Antike und Mittelalter. Das Mittelalter als Zeit haben erst Denker der Renaissance im 14., 15. Jahrhundert definiert, ganz am Ende der Periode, die sie als solche definiert haben. Da sprechen wir von Jahrhunderten, wo man dann solche Zeitenwenden definiert hat. Aber ansonsten muss man schon davon ausgehen, dass es einen Mindestabstand braucht, um überhaupt entscheiden zu können, welches Ereignis hat tatsächlich eine Veränderung herbeigeführt, die sich in der „longue durée“, wie es der große französische Historiker Fernand Braudel genannt hat, die in der langen Dauer eine Wirkung hat.

Auch der Wechsel vom Mittelalter zur Neuzeit. Das erscheint als ein Zeitpunkt, erstreckte sich aber über eine längere Zeit.

OT 3

Das merkt man auch daran, dass auch Historikerinnen und Historiker darüber gestritten haben, wann endet das Mittelalter, beginnt die Neuzeit. Da gibt es sogar Deutungen, die nicht nur vom 15. Jahrhundert ausgehen, da gibt es auch verschiedene Kandidaten, 1453 der Fall Konstantinopels, 1492 die Entdeckung Amerikas, aber zum Beispiel Jacques Le Goff, ein großer französischer Historiker hat für ein Mittelalter bis zum Jahr 1789 plädiert, bis zur französischen Revolution, weil er gesagt hat, erst dann hat sich diese alte Gesellschaftsordnung Europas, die da über 1000 Jahre Bestand hatte, so fundamental verändert.

Und wenn sich an solchen Zeitenwenden viel tut, wird auch viel wahrgenommen, sagt Johannes Preiser-Kapeller, es wird viel erzählt, berichtet, aufgeschrieben. Er nennt ein Beispiel: der Untergang des Römischen Reiches – in der Schule wird das mit dem Jahr 476 gelehrt, der große Einschnitt war aber bereits 410, als Rom von den Westgoten erobert wird.

OT 4

Das ist ein traumatisches Ereignis. Rom ist vorher 800 Jahre lang nie von Feinden besetzt worden. Die Hauptstadt des mächtigen Imperiums wird da jetzt geplündert. Und das wird wahrgenommen, hier hat sich etwas verändert. Und dann ist auf einmal das Sensorium da, vielleicht ist da eine große Krise des Imperiums dahinter und dann werden auch andere Ereignisse in diesen Interpretationsrahmen eingeordnet.

1989, der Fall der Berliner Mauer, 2001, die Terroranschläge vom 11. September. Das sind Zeitenwenden neueren Datums, die sofort den Interpretationsrahmen verändert haben.

OT 5

Der Kampf der Kulturen, die Herausforderung der amerikanischen Supermacht und so weiter. Das sind dann so verschiedene Narrative deswegen entstanden und Dinge dann in diesen Rahmen eingeordnet worden.

Auch geologische Zeitalter erleben ihre Zeitenwenden. Trias Jura, Kreide. Die Grenzen sind in den Ablagerungen sichtbar, und es wird ja derzeit auch diskutiert, ab welcher Zeit das menschliche Leben auf der Erde sich auch in den Ablagerungen wiederfindet. Bei allen Unsicherheiten, die mit Zeitenwenden und der Interpretation der Ereignisse verbunden sind, aus Japan gibt es ein Beispiel, wo Zeitenwenden ganz normaler Teil des Lebens sind, erzählt Johannes Preiser-Kapeller. Mit jedem „Tenno“, mit jedem neuen Kaiser, entsteht auch eine neue Zeitrechnung.

OT 6

Als 2019 Naruhito, der neue Tenno, inthronisiert wurde, wurde auch eine neue Periode definiert mit der Regierungsdevise Reiwa, das heißt, die Schöne Harmonie, und man rechnet jetzt, Jahr 1 von Reiwa, Jahr 2 von Reiwa, das ist eine neue Zeitrechnung, die unter dem neuen Tenno begonnen hat, so wie auch unter seinen Vorgängern. Das heißt, hier ist die Zeitenwende systemisch angelegt und wird dann jeweils aktiviert, wenn es zu einem solchen Wechsel kommt.

ABMODERATION

Zeitenwende, das Wort der Woche, gestaltet von Lothar Bodingbauer.


Beitrag (mp3)

LUT056 Kaiser Franz Joseph I

LUT056 Kaiser Franz Joseph I

 

 

Am 21. November 2016 jährt sich der Todestag von Kaiser Franz Joseph I zum 100. mal. Aufgrund seiner langen Amtszeit kannten viele Menschen seiner Zeit nur ihn als Kaiser.

"Den Kaiser kennenlernen" - das geht auch heute. Ich begebe mich auf eine Spurensuche.

  1. In Portraits: Eine Ausstellung im Oberen Belvedere – der Kurator Rolf H. Johannsen erzählt darüber. Wir besuchen die Ausstellung.
  2. Als Netzwerker: Der Mittelalterforscher Johannes-Preiser Kapeller (Österreichische Akademie der Wissenschaften) erzählt darüber. Er anaysiert historische Netzwerke, Macht und Eliten, und ich frage ihn, ob man sein Wissen darüber auch auf "den Kaiser" anwenden kann.


Diese Episode ist am 02.10.2016 erschienen. Dauer: 1 Stunde 45 Minuten und 35 Sekunden

 

LUT050 Familiengeschichten

 

 

lut050Klaus Pumberger hat sich auf die Suche nach der Geschichte seiner Familie gemacht.

Entstanden ist durch Gespräche und durch die Suche in Archiven ein Bild zweier Familien, die das Schicksal verwoben hat.

Dieses Bild hat er in seinem Buch beschrieben: "Worüber wir nicht geredet haben. Arisierung, Verdrängung, Widerstand. Ein Haus und die Geschichte zweier Familien." Erschienen im Studienverlag 2015.

Im Gespräch erzählt er über seine Spurensuche, und wie die Familie darauf reagiert hat.

Link zum Blog von Klaus Pumberger


Diese Episode ist am 26.01.2016 erschienen. Dauer: 1 Stunde 15 Minuten und 24 Sekunden

 

PHS206 Netzwerk und Mittelalter

 

 

Menschen, Landschaften, Netzwerke. Kommunikation, Einfluss. Veränderung.

Johannes Preiser-Kapeller untersucht mit den Mittel der Netzwerkanalyse das Beziehungsgeflecht im alten Byzanz. Im Mittelalter.

Wir sprechen über Päpste, Weihen, Beziehungen, Landschaften. Darüber, wie man ein Netzwerk darstellt und analysiert. Wir unterhalten uns über Komplexitätsforschung und über Bücher, die man mitnehmen müsste, wenn man das Büro fluchtartig verließe.

Gesprächspartner: Johannes Preiser-Kapeller, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Institut für Mittelalterforschung, Abteilung Byzanzforschung

Link: http://www.oeaw.ac.at/byzanz/

Buchtipp: Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Philipps II, Fernand Braudel


Diese Episode ist am 09.07.2015 erschienen. Dauer: 1 Stunde 37 Minuten und 36 Sekunden

 

PHS205 Grillen, Krautköpfe, Dalmatien

 

 

Wie haben sich Gesellschaften im Mittelalter entwickelt? Was bedeutet es, in die "Kapillaren" einer Gesellschaft forschend einzudringen? Und wie wird in Wien gegrillt?

Gespräch mit Oliver Schmitt, Professor für Osteuropäische Geschichte in Wien.

Im dritten Teil der Serie "VISCOM - die Physikalische Soiree jenseits der Ränder der Naturwissenschaft" - erzählt Oliver Schmitt von seiner Sicht aus über den Forschungsschwerpunkt der Österreichischen Akademie der Wissenschaft, eine Zusammenarbeit mehrerer Institute, die die Entwicklung der Gesellschaft im Mittelalter aus unterschiedlichsten Perspektiven beleuchtet.

Wir erfahren über die günstige Quellenlage beim Raub von Krautköpfen, sprechen viel, wie geisteswissenschaftliche Forschung aktuell gemacht wird und sehen uns auch die Themen der Gegenwart an: ein Bild Osteuropas, abgebildet an Wiens Donaustränden.

Ja, wir sprechen auch über Lust am Lesen, Reden und an Forschung.

Link: http://sfb-viscom.univie.ac.at


Diese Episode ist am 27.06.2015 erschienen. Dauer: 1 Stunde 35 Minuten und 18 Sekunden

 

PHS202 Religion und frühes Mittelalter

 

 

Walter Pohl beschäftigt sich mit dem frühen Mittelalter in Europa.

Warum ist das Römische Reich untergegangen, wie hat die christliche Religion Identitäten geprägt?

Zweiter Teil unserer 5-teiligen Gesprächsreihe zu Religion, Geschichte, Wissenschaft.

Auch in diesem Gespräch werden wir uns wieder den Überlappungen der Naturwissenschaften mit den Geisteswissenschaften beschäftigen.

Wie wurden Religionen politisch und sozial wirksam, und was hat das Internet heute damit zu tun? Wie Klöster, Askese und Reichtum unter einen - geistlichen - Hut passen. Ob Religionen auch evolutionär in der jüngsten Entwicklungsgeschichte der Menschen wirksam wurden.

Und warum "gefällt mir" im Internet zwar gut, aber noch nicht unbedingt notwendiger geisteswissenschaftlicher Diskurs ist.

Gesprächspartner: Walter Pohl, Professor für mittelalterliche Geschichte, Universität Wien und Österreichische Akademie der Wissenschaften.

Anlass für diese Sendung: Pressemitteilung "Tiefenschärfe für Religionen".


Diese Episode ist am 11.05.2015 erschienen. Dauer: 1 Stunde 5 Minuten und 11 Sekunden

 

LUT026 Auf den Spuren der Gebrüder Schwadron

 

 

Eine Stadt durch Spuren ihrer Menschen kennenlernen. Zum Beispiel durch Spuren der Gebrüder Schwadron.

Ihre Fliesen und Kanaldeckel begegnen einem in Wien auf Schritt und Tritt. Wenn man genau hinschaut.

Tina Zickler hat sich aufgemacht, die Geschichten der Firma der Gebrüder zu erforschen. Es ist eine Geschichte des Handwerks, der Kunst und der Vertreibung.

Die Fotografin Lisa Rastl hat dazu in Stiegenhäusern, Kuranstalten und privaten Wohnungen fotografiert. Die Wiener/innen selbst lieferten dazu als "Scouts" die Hinweise.

Es entstand eine Ausstellung Anfang 2014 am ehemaligen Firmensitz der Gebrüder, und jetzt im November 2014 gibt es eine Nachfolgeausstellung im Museum für Angewandte Kunst.

Link: http://www.projekt-schwadron.at

In dieser Episode hört ihr ein Gespräch mit Tina und Lisa über  das "Projekt Schwadron", zum Zeitpunkt der ersten Ausstellung im Jänner.

Es folgt einen zehnminütigen Radiobeitrag zu diesem Thema.

Und dann hört ihr ein Update der Geschehnisse zum Start der 2. Ausstellung im November.

Das Projekt hat sich sehr dynamisch entwickeln. Es zieht Kreise - auch immer weiter ins Umland hinaus. Zum Beispiel auch ins Kurhaus Semmering.

Schachtabdeckung der Brüder Schwadron am Gehsteig in der Prinz Eugen Straße, im Durchgang bei der Schweizer Botschaft.  Foto: Lothar Bodingbauer

Im letzten Teil dieser Episode gibt's noch eine Referenz an die gerade veröffentlichte Episode 91 von "Schöne Ecken" - ein Spaziergang in Kritzendorf und Wien.

Helge und Cornelis sind nämlich ebenfalls als Spurensucher unterwegs. Sie spazieren in ihrem Podcast mit Mikrofon durch Städte und Gegenden, sie fotografieren und reden auch mit Menschen entlang des Weges.

Die beiden fragen am Ende ihres Spaziergangs in Kritzendorf und Wien, ob es aus Wien selbst Tipps gibt, was man sehen sollte bzw. erleben und auch essen könnte. Ich habe mit Tina darüber gesprochen.

Unsere Restaurant-Tipps: Restaurant Beograd | Portugiesisch essen | Gasthaus SperlLevantinisch: Kent | Sachertorte: Am Donauturm

Unsere Aktivitäten-Tipps: Hundezonen | Museum für Volkskunde | Heeresgeschichtliches MuseumBirdlife Wien | Imker Wien-West | Tod der Klaviere | Bus 13A

Link: Schöne Ecken Podcast


Diese Episode ist am 01.11.2014 erschienen. Dauer: 2 Stunden 5 Minuten und 14 Sekunden

 

55. Kleiner Chronist

Sebastian Mitterbauer: Portrait eines 15-jährigen mit ungewöhnlichen Interessen: Niemand in der Gegend kann so gut Kurrent wie Sebastian Mitterbauer. Wann immer ein alter Text mit den nicht mehr lesbaren Buchstaben auftaucht, wird Sebastian gerufen. Als 14-jähriger wurde er zum Experten für Haus- und Ortschroniken. In den Ferien räumt er das Gemeindearchiv auf. Vom spanischen Erbfolgekrieg bis hin zur jüngeren Geschichte erstreckt sich seine spezielle Welt.

Manuskript

CD Cut 1 (00:18) Trailer

Da kann ich selber etwas erforschen, was andere erforscht haben, und was noch nicht in die Öffentlichkeit gekommen ist. Da liegen Berge von Urkunden in den Archiven herum, die noch nie bearbeitet worden sind. Das ist sehr interessant, wenn man sich so etwas durchliest.

00:18 OT 1 Ausschnitt (60)

Wie ich noch in die dritte Klasse Volksschule gegangen bin, habe ich daheim nebenbei die Kurrentschrift gelernt, und habe mich immer weiter hineingelesen in die Urkunden. Manche Sachen sind nicht sehr schön geschrieben, aber ich versuche, dass ich sie trotzdem übersetze.

Wer immer sich in ein Gemeinde- oder Stadtarchiv begibt, taucht ein in eine Welt der längst vergangenen Zeit. Der Forscher wird belohnt – durch Geschichten und Begebenheiten auf die einen Reim zu machen sich heutzutage wenige verstehen. Die Chronik eines Ortes trifft viele Menschen und hinterlässt sonderbare Spuren.

N.N. begrüßt Sie bei Moment Leben Heute.

1

Einer der wenigen, die eine Dorfchronik in alter Schrift und antiquierter Sprache lesen können ist Sebastian Mitterbauer. Er sortiert im oberösterreichischen Altheim die alten Dokumente dieser kleinen Stadt. Er sortiert Kassabücher und ordnet Urkunden. Sebastian ist 15 Jahre alt. Er, kaum noch auf der Welt, datiert und übersetzt die meist kurrent geschriebenen Dokumente des Ortes und seiner Umgebung ins heutige Deutsch. Hören Sie ein Portrait der ungewöhnlichen Interessen eines ganz normalen Schülers – von Lothar Bodingbauer.

Manuskript Beitrag (OT Länge 7:12)

00:22 OT 2 Kurrent lernen – Beispiel für Urkunde (61a)

Ich habe mich mit der Blockschrift in der ersten … und die habe ich dann halt nebenbei gelernt.

Sebastian überträgt zunächst einmal die Kurrentschrift in einen leicht lesbaren Computertext.

00:32 OT 3 Schreibweise, Zitat (61b)

Die Schreibweise von damals ist natürlich eine Katastrophe … Gewalt ich mich angenommen, verordnet gehaben.

Reich und schön – das, was heute Themen von Fernsehserien sind, wurde früher auf andere Weise abgehandelt: zum Beispiel in einem Erbrechtsbrief, den Sebastian gerade übersetzt.

00:30 OT 4 Lesen gelernt (62)

Es ist wahrscheinlich ein Erbrechtsbrief … Kunstschätze, oder einen Haufen Geld, das ist sehr interessant, wenn man sich so was durchliest.

Das Schreiben allerdings hat Sebastian schon wieder verlernt.

00:07 OT 5 Kein Brieffreund (63)

Weil ich keinen Brieffreund habe, den ich in Kurrent schreiben kann. Lesen kann ich es schon gut.

2

Und das reicht auch völlig aus, um in der Geschichte des Ortes zurückzugehen. Sebastian verbringt viele Stunden im Gemeindearchiv von Altheim. In der Zeit zurückzugehen heißt für ihn zunächst, im Gemeindearchiv einige Schränke weiter nach hinten zu gehen.

ATMO 1 Archiv (64)

Vorbei an Flaschen mit seltsamen Inhalt, Gegenständen aus Holz, die heute längst keinen Namen mehr haben, weil sie keiner mehr kennt. Das Gemeindearchiv von Altheim sammelt nicht nur Schriftstücke, sondern auch wichtige Gegenstände des Ortes: Flachsrechen, Holzrahmen, Bilder, Kugeln, wer weiß wie sie heißen, wer weiß, wofür man sie spart.

02:13 OT/ATMO 6 Bierflaschen, Foltermethoden (65) – darüber auf Zeichen

Das ist ganz interessant, das sind alte Bierflaschen – Bresenhuberchronik … müsste ich in meiner Brauereichronik nachschauen.

Eine eigene Brauereigeschichte des Ortes hat Sebastian selbst geschrieben. Und so ist das Nachschauen ins geschichtliche Detail für hier nicht allzu schwierig.

OT/ATMO 6 hoch bis Ende:

… aber das ist Geschichte der Brauereien in Altheim.

Und sonst, selbst Chronik schreiben? Chronist zu sein? Das wäre zu viel, meint Sebastian, aber ein Tagebuch geht sich schon aus.

(00:39) OT 7 Tagebuch (66)

Ja ich schreibe nur was rein, wenn … so was wie Anne Frank, mache ich nicht, das ist mir zuviel.

Anne Frank, Schülerin, getötet während des 2. Weltkriegs durch Nazi-Schergen. Das ist neuere Geschichte, wie Sebastian in der Schule lernt. Er weist auf die Kästen links hinten im Gemeindearchiv hin.

(00:36) OT 8 3. Reich (67)

Da sind dann noch die Akten vom 3. Reich … dass man weiß wo man suchen muss, wenn man was sucht. (Geräusch).

3

In vielen Land-Gemeinden wurden die Dokumente der Kriege vernichtet, Aufzeichnungen zu den Taten und Gesinnungen der Gemeindebevölkerung aus den Chroniken herausgerissen. Für Sebastian Mitterbauer ist es noch zu früh, das Kapitel „2. Weltkrieg und die Altheimer zu öffnen. Es seien einfach noch zu viele am Leben, die das betrifft.

Der Chronist als Verschlossener. Als Hüter der Geschichte. Was er findet und übersetzt, mag an die Außenwelt dringen. Was er verbirgt, bleibt wohl für immer verborgen.

(00:48) OT 9 Rauschige (68)

Da hat es einmal in der Fastnacht … aber es ist gut, dass es so etwas heute nicht mehr gibt.

Heute. Wieder zurück, hier und jetzt, erzählt Sebastian von seinen Berufsplänen. Er möchte Tischler werden. Heimatforscher möchte er bleiben. Als Nebenberuf.

(00:28) OT 10 Zukunft – Geschichte studieren (69)

Ich werde es sicher nicht so betreiben … die was schon warten drauf, dass sie wo reinkommen.

Sebastians Vater ist selbst an der Geschichte des Ortes interessiert, er hat seinen Sohn schon früh mitschauen lassen bei dem, was er tut.

(00:22) OT 11 Vater (70)

Und das hat mich einfach interessiert … Dokumente herumgelegen, das hat mich damals schon interessiert..

Eigentlich ist Sebastian Mitterbauer ein ganz normaler Jugendlicher. Vielleicht etwas restriktiv beim Fernsehen seien seine Eltern, meint Sebastian, deshalb spielt sich sehr viel im eigenen Kopf ab.

(00:09) OT 12 Normal sein (71)

Meine Hobbys wie Radfahren … nur dass ich einen Vogel habe für die Heimatkunde, das ist nicht ganz normal.