Beim Wührer

Wer als Kind in einer 4500 Einwohner:innen-Gemeinde zu Fuß zur Volksschule geht, hat mehrere Routen. Eine führte “beim Wührer” vorbei, bevor es durch eine enge Gasse ging und man den Marktplatz erreichte. Der Wührer war eines der Kaufgeschäfte, die alles hatten: Hefte für die Schule und Lebensmittel. Besonders waren aber die Angestellten, die so ruhig waren und nichts Überflüssiges redeten, die Chefin, die ebenso ruhig den Laden führte. Bewegung zwischen den Menschen, angepasst an das, was man wollte. Ein kleines Sozio-Biotop vor dem Nachhausekommen.

Kontakt mit Florida

Kontakt mit Florida — Frau Lindinger, oder Frau Lindhuber, wahrscheinlich hieß sie Frau Lindlbauer, war eine alte Frau mit weißen Haaren, die in einem Wohnblock in der Nähe der Badstraße in Altheim lebte. Wir lehnten unsere Fahrräder an die Büsche vor dem Haus, als wir sie besuchten. Ein Zugang zum Stiegenhaus, eine Treppe, ein schmaler Vorraum, in dem Frau Lindlbauer stand. Sie hatte einen Luftpostbrief in der Hand, aus Tampa, Florida. Mit rot-blauen Streifen und dünnem Kuvert. Der Brief in englischer Sprache. Von ihrer Tochter? Mhm, kann nicht sein. Frau Lindlbauer hat meinen Vater gebeten, ihn ins Deutsche zu übersetzen. Das hat er mehrfach getan. Und ich glaube, dafür bekam ich als begleitendes Kind Schokolade. Wann das war? Kindergartenzeit, glaube ich. Aber seither gibt es Florida in meinem Leben.

Lebensdatenproblematik

Wenn es eine Maschine gäbe, die jede Sekunde eines Lebens aufschreiben würde. Was würde sie nützen? Da man zum Lesen etwas länger braucht, als zum Erleben, könnte niemand diese Sammlung an Lebensdaten lesen, da er dazu länger leben müsste, als der, dessen Leben er liest. Das ist die Problematik der Chronisten. Sie zeichnen daher nicht alles, sondern nur manches auf. Die Problematik liegt in der Reduzierung. Üblicherweise schreiben Chronisten das auf, was bemerkenswerter ist als das tägliche Tun. Man könnte aber auch einmal als Chronist jede zweite Handlung aufschreiben, oder nur Tätigkeiten, die sich nach links wenden, oder nur welche, die sich nach oben erstrecken, die etwas verbessern (das tun sie sogar), aber auch vielleicht nur jene, die etwas verschlechtern. Vielleicht nur die zukunftsweisenden, oder nur jene, die sich auf die Vergangenheit beziehen; oder jene, die an etwas Geschehenes erinnern lassen – oder eben jene, die man lieber vergessen möchte. Das aufzuzeichnen wäre eine große Kunst.

60. Schulweg

Erinnerungen: Der Weg von und zur Schule ist jedem Erwachsenen noch gut in Erinnerung. Es gab spannende Erlebnisse entlang der täglichen Route und Routine, an manchen Tagen war es auch langweilig. Immer aber war der Schulweg eine wenig überwachte Grauzone zwischen Schule und Elternhaus, und damit die Möglichkeit, eine viertel oder halbe Stunde allein zu sein und Eigenes zu erleben.