Gedenkdienst in Kanada: Bericht nach Hause I

Braunauer Rundschau, 16. März 2000

Wir sind Botschafter – Gedenkdiener in Kanada
Lothar Bodingbauer (29) arbeitet im Holocaust Centre in Montreal

ALTHEIM. Ich verbringe im Augenblick viel Zeit damit, in Montreal Fragen zur politischen Situation in Österreich zu beantworten. Die Leute hören immer wieder von Haider und haben eine sehr schlechte Meinung. Lothar Bodingbauer (29) arbeitet am Montreal Holocaust Memorial Centre (MHMC) und ist einer von 21 jungen Österreichern, die im Ausland einen 14-monatigen Gedenkdienst leisten. In der Diskussion mit den Menschen – die meisten sind Überlebende des Holocaust und ihre Familien – erfüllt er eine wichtiges Ziel des Auslandsdienstes: ein Zeichen zur aktiven Beschäftigung mit der NS-Vergangenheit zu setzen und ein bisschen Botschafter Österreichs zu sein.

Interviews mit Überlebenden

Der Altheimer ist der mittlerweile sechste Gedenkdiener im MHMC und gemeinsam mit seinem jüdischen Wiener Kollegen Michael Pollan Teil des achtköpfigen Teams. Seine Aufgabe besteht unter anderem darin, an einem Zeitzeugen-Programm mit Video-Interviews von Überlebenden des Holocaust mitzuarbeiten. Bei dem Job hilft Lothar Bodingbauer seine Erfahrung aus dem ORF, für den er neben dem Physik- und Mathematik-Studium Radiobeiträge gestaltet.

Das MHMC ist ein jüdisches Zentrum, das neben einem Umbau befindlichen Museum auch eine Volkshochschule, einen Kindergarten und ein Altenzentrum beherbert. Im Aufsichtsrat sind vor allem Holocaust-Überlebende vertreten.

Ursprünglich waren die Auslandsdiener im MHMC gar nicht willkommen. Eine Alibi-Aktion, die Österreichs Image nach der Waldheim-Affäre verbessern sollte, lautete der Vorwurf. Obwohl sich durch den täglichen Kontakt ihr Bild von Österreich änderte, blieb die Haltung vieler im Zentrum reserviert. Deshalb überrascht es Lothar Bodingbauer umso mehr, wenn – in der ansonsten englisch- sprachigen Umgebung – Überlebende plötzlich wieder ihre deutsche Mutersprache verwenden. Viele haben dies seit ihrer Auswanderung nicht mehr getan.

Hoffnung auf Entschädigung

Auch privat sind die beiden österreichischen Studenten in das jüdische Leben integriert. Eine hochgeistige Umgebung sei es, die Diskussionen liebt uns sehr an ihrer Meinung interessiert sei. Ich profitiere selbst sehr von dieser Arbeit.

Eine zusätzliche Aufgabe der Auslandsdiener ist, ehemaligen Zwangsarbeitern bei den Anträgen auf Entschädigung behilflich zu sein. Die Leute hier sehen das eher pragmatisch und sind guter Hoffnung. Aber sie hauen nicht mit der Faust auf den Tisch. Dabei sind es keine reichen Amerikaner, die Anträge stellen, sondern in der Mehrzahl Mindestpensionisten.

Nur die Engagierten dürfen teilnehmen


Für österreichische Studenten ist es nicht ganz einfach, einen Gedenkdienst antreten zu dürfen. Nur wer sehr engagiert im Verein für Dienste im Ausland mitarbeitet, hat eine Chance, akzeptiert zu werden. Jeweils 9.800 Schilling stehen Lothar Bodingbauer und Michael Pollan im Monat zur Verfügung. Was sie sonst noch zum Leben brauchen, müssen die beiden selbst zahlen oder auftreiben.

Stichwort: Auslandsdienst
- Der Verein für Dienste im Ausland wurde 1998 von Dr. Andreas Maislinger gegründet. Diese Initiative vermittelt junge Österreicher an Gedenk-, Sozial- und Friedenseinrichtungen im Ausland. Der Schwerpunkt liegt jedoch auf Institutionen, die sich mit dem Holocaust auseinandersetzen.

– Der Auslandsdienst dauert 14 Monate und bietet eine Alternative zum Wehr- und Zivildienst.

– Derzeit sind 21 Auslandsdiener in 17 Partner-Organisationen im Einsatz. Beispiele: Simon Wiesenthal Center in Los Angeles, Steven Spielbergs Shoah Foundation in L.A. usw.

– Informationen unter http://www.auslandsdienst.at email: contact@auslandsdienst.at