Bildschirmfoto 2016-02-01 um 20.43.00Klimawandel, Wanderungsbewegungen, religiöser Einfluss oder Verschiebungen am Arbeitsmarkt: Es wäre höchste Zeit, die Schule an die Gesellschaft anzupassen. Aber genau das ist in der Praxis schwierig. 13 Gründe, woran es liegt – aus der Sicht eines Lehrers.

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1. Stundenplan von Sisyphos: Schulleitern stehen jedes Jahr aufs Neue die Haare zu Berge, wenn sie Lehrer, Schüler und Räume auf Tausendstel-“Werteinheiten” genau unter einen Hut bringen sollen. Diese Einteilung könnte automatisch oder über Nacht kostengünstig in Indien passieren, wäre sie nicht ein wesentlicher Teil des Machtgefüges einer Schule. Es geht dabei um die Erfüllung oder Nichterfüllung von Wünschen und Ansprüchen. Leider hat die Schulleitung damit das Jahr über den Kopf voll und nicht mehr frei für inhaltliche Arbeit. Wer will sich denn das antun? Vorschlag: Verwaltungssoftware abschalten und mit den Lehrern vereinbaren, dass sie regelmäßig zur Arbeit kommen.

2. Schulentwicklung im Schwitzkasten der Raster: Wirklich große Änderungen im Schulbetrieb werden stets und konsequent mit dem Argument “Geht nicht in bestehenden Strukturen” abgelehnt. Jede Neuerung muss in einer Software abgebildet werden, die mit ihren Zellen und Spalten das Land im Bann hält wie ein Drache, der die Administratoren quält. Vorschlag: sexy Software, mehr Köpfe und mehr Macht für Inhalt.

3. Alte Fächer statt neue Themen: Die Einteilung der Welt in Geografie, Geschichte und Biologie war wundervoll, als die Expeditionen noch am Dampfen waren. Heute geht es aber nicht mehr um Entdeckung und Einordnung, sondern um Prinzipien und Prozesse, um die Bewältigung komplexer Fragestellungen. Dazu unpassend auch die Ausbildung von Lehrern: Ein Physiklehrer kann nur als Physiklehrer eingesetzt werden, und vielleicht ist er gut für große Gruppen oder für kleine, gut als Prüfer, Vortragender oder Troubleshooter. Vorschlag: Themen statt Fächer, gut ausgebildete Lehrer, die ihr Wissen und ihre Fähigkeiten fluid anbieten.

4. Starre Schulbuchaktion: Gedacht als sinnvolle Versorgung der Schüler mit kostenlosen Büchern, wurde sie zu einer der wesentlichsten Bremsen für die Anpassungen des Schulbetriebs an die Anforderungen der heutigen Gesellschaft. Inhalte in Büchern können nur mit großer zeitlicher Verzögerung und mit großem Aufwand und auf dem Weg über Gutachter und Kommissionen aktualisiert werden. Verlage werden sich hüten, risikohafte Entwicklungen voranzutreiben, die bestehende Geldflüsse infrage stellen. Vorschlag: keine Bücher, sondern Magazine, die von Schülern abonniert und in Redaktionen im Monatsrhythmus zusammengestellt werden – immer mit begleitender Sprachentwicklung in Deutsch, Englisch und einer weiteren Muttersprache.

5. Unverständliche Sprache der Bildung LPK und VWA, NBT und GWK:Abkürzungen gibt es in der Schullandschaft, da kann das Militär vor Neid erblassen. Vieles versteht man einfach nicht, was da auf einem Blatt für Eltern, Lehrer, Schüler steht. Es sind Gesetzestexte, die ohne Übersetzung nicht zu Unbeteiligten nach außen dringen sollten. Vorschlag: Lesen der verständlichen Beförderungsbedingungen der Wiener Linien, Abkürzungen abschaffen und Profis aktivieren, die wissen, wie man Inhalte an Menschen bringt.

6. Kommunikation: Die meisten außerschulischen Bildungseinrichtungen, die Schulen verändern könnten, sind mit ehemaligen Lehrern besetzt, die nicht mehr unterrichten. Ihr Kommunikationsverhalten in den bisher von ihnen unterrichteten geschlossenen Klassen wird in die Entwicklungspositionen hineingetragen. Daraus resultieren die beobachtbaren Kommunikationsprobleme. Vorschlag: Kommunikation. Profis lernen sie von Profis und Lehrer in der weiten Welt: zum Beispiel in guten Hundeschulen, in der Geriatrie, auf Twitter, in Freiwilligencamps und bei Piloten. Auf Weltreisen und im Theater.

7. Achtsamkeit und Transparenz: Die Schüler sind keine Gefangenen, auch wenn sie das Schulgebäude nicht verlassen dürfen. Achtsamkeit im Umgang mit ihren Ressourcen und ihrer Lebenszeit wäre angemessen. Vorschlag: Auch im Schulbetrieb nicht für das Schulheft produzieren, sondern immer auch für andere. Relevanz der Inhalte erhöhen, Herausforderungen definieren, Verantwortung übergeben. Partizipation, Fairness und mehr Fenster in die Wände zum Gang.

8. Ferien: Haben Sie schon einmal nachgedacht, was die Gründe für Schulklassen und gemeinsame Ferien sind? Das Militär und die gemeinsame herbstliche Kartoffelernte schon lange nicht mehr. Vorschlag: Auflösung der Ferienstrukturen. Schulbetrieb wie in einer der guten neuen Hundeschulen. Dort kann man immer hingehen, weil es dort immer etwas zu lernen gibt. Hat man genug, macht man Pause. Man lernt mit jenen, zu denen man passt. Lehrer dort haben einen exzellenten diagnostischen Blick, sie loben, wann immer es geht. Und billiger wird auch der Urlaub.

9. Arbeit, zu ruhige Arbeit: Lehrer haben oft keine andere Aufregung als zu unterrichten. Dabei ist ein Fuß draußen in einem anderen Teil der Gesellschaft wesentlich für die Entwicklung neuer Inhalte, Gedanken und Methoden. Vorschlag: Ein Wochentag wird nicht in der Schule verbracht, sondern anderswo, die Schüler kommen am besten gleich mit.

10. Wille zum Schmerz: Als Lehrer und als Schüler messen wir den Erfolg unserer Arbeit leider oft am Aufwand und Schmerz. Das muss nicht sein. Vorschlag: nicht mehr, sondern besser. Zusammenarbeit ergibt sich aus geänderten Strukturen oft leichter, sie muss nicht immer extra sein.

11. Graue Nachhilfe: Schulprobleme werden in Österreich extern gelöst und nicht an die Schule selbst zurückgespielt. Vorschlag: Registrierkassenpflicht für Nachhilfelehrer, Finanzpolizei – oder Nachhilfe überhaupt verbieten und dafür den Studenten ordentliche Stipendien gewähren. Die Eltern werden sehr schnell bei der Schule selbst mit Beschwerden auf der Matte stehen, und dort gehören sie damit auch hin.

12. Schnittstellenproblematik ungelöst: Es gibt keine Gespräche zwischen Schulen und Universitäten, was die Anforderungen sind, die ein Studium an die Schüler später stellt. So bilden wir ins Blaue hinaus aus. Vorschlag: miteinander reden und Brille putzen. Gläser mit Gleitsicht. Und immer mal umdrehen. Den Kopf hinhalten und Verantwortung für den Erfolg übernehmen.

13. Akustik mit Fluchtimpuls: Der Lärm von 30 Kindern in der Klasse wird von allen Beteiligten als schmerzhaft empfunden. Die Schulhäuser mit Klassen und Gängen hallen extrem. Vorschlag: Schalldämmung wie im Kurhaus Oberlaa: viele Menschen, ruhiges Schwimmen. Lernzonen von öffentlich zu privat. Verbunden mit Lichtinseln, entstehen Umgebungen, in denen alle gern einmal länger bleiben. Ergonomie am Arbeitsplatz. Auch das ist Achtsamkeit den Lehrern, den Schülern und der Bildung gegenüber.

Das wär’s fürs Erste. Sie sehen: Nicht mehr, sondern anders wäre recht – und ein Gratisfrühstück bitte. (Lothar Bodingbauer, 1.2.2016)