Der vermessene Wald – Link zum Programm
Der Ökologe Thomas Dirnböck spricht über den Zöbelboden, eine Forschungsfläche des Umweltbundesamts im Nationalpark Kalkalpen. Im Bergmischwald, es geht um die Untersuchung von Stoffflüssen. Die Vorgänge hier sind typisch für abgelegene Gebiete in den nördlichen Kalkalpen: Das Gelände liegt sehr abgelegen, es ist still.
1. Zone zwischen Luft und Erde (mp3)
2. Der Fluss des Wassers (mp3)
4. Simulierte Sintflut (mp3)
5. Verflochtene Gesellschaften (mp3)
Teil 1
Der Zöbelboden ist eine Messfläche im Nationalpark Kalkalpen. Im Bergmischwald, es geht um die Untersuchung von Stoffflüssen. Die Vorgänge hier sind typisch für abgelegene Gebiete in den nördlichen Kalkalpen: Das Gelände liegt sehr abgelegen, es ist still.
Das österreichische Umweltbundesamt betreibt am Zöbelboden eine Hintergrundmessstation für Luftschadstoffeffekte und Klimawandeleffekte auf das gesamte Ökosystem. Wie kommt ein Luftschadstoff in den Wald, in den Boden, in das Gewässer. Wie wirken sich Änderungen aus, auf Organismen, die im Boden leben, auf Pflanzen, auf Flechten, auf die gesamte Biodiversität.
Die „Wildwiese“ am Zöbelboden etwa ist eine dezidierte Messtation einerseits für meteorologische Größen, Temperatur, Druck, Niederschläge. Es ist eine Offenfläche, die sich aber auch dazu eignet, Luftschadstoffe zu messen. Regen fällt in Behälter, in Rohre, dieser Niederschlag wird wöchentlich analysiert. Aber auch in der Luft allein gibt es Schadstoffe. In „Hintergrundgebieten“ wie dem Zöbelboden wird gemessen, wie sich Schadstoffe weiträumig verbreiten. Es geht nicht um die Spitzenwerte in der Nähe eines Verursachers, sondern um die gesamte Hintergrundbelastung. Es gibt dafür europaweit ein Netzwerk, eine Reihe solcher Stationen. Gemessen werden Stickoxide, Ozon, Schwefeldioxid, Feinstaub.
Den Rahmen bildet die „Luftreinhaltekonvention“ der UNO, durch sie sollen die Schadstoffe in den Griff bekommen werden. Kommen gesetzte Maßnahmen im Laufe der Zeit im Ökosystem an? Seit 30 Jahren wird nun am Zöbelboden gemacht. Und es gibt dabei auch Erfolgsgeschichten: Saurer Regen, Schwermetalle, das alles hat nach politischen Entscheidungen abgenommen. Jetz geht es aber um die Biodiversitätskrise, den Klimawandel. Die Daten werden bei der Genfer Luftreinhaltekonvention direkt in politische Empfehlungen eingearbeitet: wie hoch sind die Maßnahmen, die bei welchen Stoffen getroffen werden sollen.
Teil 2
500 Meter den Hang hinunter: dort ist eine Quelle, der sogenannte „Hauptabfluss“ des Gebiets. Der Regen oben am Zöbelboden kommt dort unten an. Der „Intensivplot 3“ ist dabei eine Fläche von 1 ha (100×100 m). Es gibt Messhütten, Rohre, Kabeln. Es geht hier um die Frage, wie sich Luftschadstoffe auf den Wald aus. Ein Fichtenwald, ein bisschen Buche. Wenn Luftschadstoffe auf den Wald treffen, regnet es durch den Wald durch, über Feuchtigkeit gehen Schadstoffe direkt in den Baum, landen aber auch im Boden, entweder direkt oder über die Wurzeln. Wenn das Wasser insgesamt durchgesickert ist, gelangt es über den Karst-Gesteinskörper in die Quellen.
Im Wald gibt es um 1/3 höhere Schadstoffeinträge als auf einer Freifläche. Der Wald kämmt die Schadstoffe aus: Stickoxide, Ammoniak, Schwefel, Schwermetalle. Stockoxide entstehen durch Verbrennung fossiler Stoffe in Industrie und Verkehr, Ammoniak entsteht in der Landwirtschaft.
Die künstlichen Einträge werden mit den normalen Stoffkreisläufen des Waldes verglichen. Dazu wird die Streu vermessen, Blätter, Nadeln, die herunterfallen. Die Streu wird in Netzen gesammelt und wöchentlich im Labor vermessen. Wie viele Schadstoffe gehen über die verschiedenen Pfade in den Wald, was kommt unten heraus. Was bedeutet es für den Boden, wenn das über lange Zeiten geschieht, wie lange dauert es, bis die Schadstoffe unten im Quellwasser austreten.
Im Karstgebiet gibt es Durchflüsse, die eine halbe Stunde betragen, aber auch bis zu 20 Jahren. Das alles wird gemischt. Die Stoffe unten an der Quelle sind immer ein Durchschnitt der letzten 20 Jahre.
Seit ein paar Jahren graben am Zöbelboden Wildschweine gerne Sensoren aus. Auch Mäuse sind messtechnisch ein Problem, weil sie dazu neigen, Kabeln anzufressen. In Jahren mit vielen Mäusen ist das besonders problematisch, das ist in den sogenannten Mastjahren der Buche der Fall, wenn es ein großes Nahrungsangebot gibt.
Teil 3
Es riecht nach Wald, man hört vor allem die Vögel in der Früh, man hört bei Wind das Rauschen der Bäume. Gemessen werden am Zöbelboden Langzeitdaten der Reaktion eines gesamten Ökosystems auf die Umweltveränderungen. Klimaänderungen, Änderungen der Schadstoffe, was bedeutet das für die Biodiversität? Die Messreihen laufen schon über 30 Jahre sehr detailliert. Man will die Zusammenhänge verstehen, die Situation verbessern.
Eine Erkenntnis: Bergmischwälder am Zöbelboden kommen derzeit ganz gut zurecht, was zunehmende Trockenphasen betrifft. Die vielen Baumarten spielen sich gegenseitig ihre Vorteile in Bezug auf den Wasserhaushalt aus. Die Veränderungen, der Stress aus der Trockenheit, kann hier noch ganz gut abgepuffert werden. In anderen Gegenden und Ländern ist das nicht der Fall, den Wäldern geht es dort nicht gut.
Am „Intensivplot 2“ am Zöbelboden wird in einem 30-35-Grad steilen Bergmischwaldhang gemessen. Er besteht aus Buchen, Esche, Ahorn, Mehlbeere und Fichten. Gehstege führen durch den Hang, die von Forscher:innen begangen werden, um den Boden nicht zu zerstören. Dieser Standort wird verwendet, um die „Treibhausgassenke“ zu messen: Welche Treibhausgase bleiben im Wald, und werden nicht mehr abgegeben. Das ist schwierig zu messen. Kohlenstoff wird vom Ökosystem über Photosynthese in großen Mengen aufgenommen, es werden aber auch sehr große Mengen emittiert, veratmet, direkt über die Wurzeln der Bäume und Gräser, über Mikroorganismen, Bakterien und Pilze. In sogenannten Gasmesskammern, wir gemessen, wieviel. Man verrechnet den gebundenen Kohlenstoff über die Photosynthese mit der Veratmung. Die Differenz ist jene Menge, die im Wald verbleibt, 1,5 – 2 Tonnen pro Jahr.
Teil 4
Oben an der Kante des Hangs steht ein Messturm, 46 Meter hoch. Dort wird „Meteorologie“ gemessen, und zusätzlich jene Luftpakete, die aus dem Wald in die Atmosphäre gehen, die Kohlenstoffkonzentration dieser Luftpakete. So können Kohlenstoffbilanzen berechnet werden.
Beim Baumwachstum etwa: ein Teil des aufgenommenen Kohlenstoffes bleibt im Baum. An einigen der Bäume auf der Messfläche, an Buchen und Fichten werden automatisch hochaufgelöst in einem 1/4-Stundentakt die Änderung des Baumdurchmessers gemessen. Bei Trockenheit verringert sich die Saugspannung im Baum, der Durchmesser verringert sich durch Trockenstress. Diese Phasen werden mit dem Gesamtwachstum des Baums in Relation gesetzt.
Gemeinsam mit der Universität für Bodenkultur Wien wird gemessen was die Auswirkungen von langen Trockenperioden gefolgt von schneller Befeuchtung sind. Bei plötzlich starker Befeuchtung werden überproportional Kohlenstoffdioxid und Lachgas (Stickstoffdioxid) ausgegast. Das zu messen ist nicht einfach. Die Messkammern sind über Schläuche mit dem Messkontainer verbunden. Auch die Herkünfte des Gases wird dort festgestellt: Kommt es aus mikrobieller Atmung, oder aus dem Boden, wo es nicht veratmet wurde, oder kommt es – im Fall von CO2 – aus den Wurzeln der Pflanzen oder von Mikroorganismen.
Um Starkregen zu simulieren, braucht man für jedes Beregnungsereignis – 3-mal pro Jahr – 10.000 Liter Wasser. Es wird von der Freiwilligen Feuerwehr Reichraming gebracht und oben am Hang in einem Pool gesammelt. Die gemessenen Daten werden von Wissenschaftler:innen der Boku ausgewertet und publiziert. Man kann daraus ableiten, welche Auswirkungen Klimawandel auf die Treibhausgassenke Wald hat.
Teil 5
Gämsen sieht man oft, man ist als Wissenschaftler selten allein am Zöbelboden. Eines der interessanten Ergebnisse der Messungen bezieht sich auch auf Kleinsäuger (Mäuse). Man kann darin die Komplexität der Zusammenhänge sehen: In „Mastjahren“ der Buchen gibt es viele Samen. Dadurch steigen die Mauspopulationen, weil es viel Nahrung gibt. So bleibt von eine Buchenverjüngung wenig übrig, die Samen und Keimlinge werden gefressen. Erst im Jahr danach erfolgt die Verjüngung der Buche, das Wachstum neuer Pflanzen, man spricht von der Nachmast, denn im Jahr nach dem Mastjahr sind die Mauspopulationen zusammengebrochen, weil sie ihre Nahrungsgrundlage aufgebraucht haben.
So werden seit 30 Jahren die Ursachen der Biodiversitätsänderungen am Zöbelboden erforscht: Die Änderungen an Pflanzen, Flechten, Moosen, Brutvögeln, Insekten. In einem 100-Meter-Raster sind Probeflächen angelegt, in denen alle paar Jahre eine Inventur der Pflanzen gemacht wird, der Flechten an Bäumen, an Moosen. Eine der großen Fragestellungen sind nämlich die Effekte von Luftschadstoffen auf das Ökosystem. Flechten sind dafür gute Anzeige, sie sind eine Symbiose aus Pilzen und Algen und können sich schlecht gegen Stickstoffemissionen aus Verkehr, Industrie und Landwirtschaft wehren. Stickstoff wirkt düngend, nur bestimmte Arten kommen gut mit diesem Überschuss aus, diese wachsen überproportional, verdrängen viele Arten, es kommt zu einem Verlust an Artenvielfalt.
Für die Forscher:innen ist der Zöbelboden ein faszinierender Platz zum Arbeiten, weil kaum ein anderer Platz so gut mit Messsystemen ausgestattet ist, die einen Einblick in ein Ökosystem schaffen, den man sonst kaum haben kann. Deswegen wird der Ort für viele Monitoring-Projekte genutzt. Man hat mit vielen Menschen zu tun, jeden Tag mit anderen Forschungsfragen, die faszinierend sind und Neuigkeiten bringen. So kann man einen guten Beitrag leisten, die Situation für das Ökosystem zu verbessern.
Interviewpartner:
Dr. Thomas Dirnböck
Umweltbundesamt GmbH
Spittelauer Lände 5
1090 Wien/Österreich
https://www.umweltbundesamt.at/