Um eine Pflanze zu zeichnen, muss man sie zuerst verstehen. Sie besteht aus vielen verschiedenen Elementen mit unterschiedlichen Funktionen. Wenn es Blätter gibt, haben sie immer auch eine Struktur. Farben. Ränder. Und Fehlstehlen. Wer Pflanzen “botanisch illustriert” muss die Pflanze dem Original möglichst ähnlich mit Aquarellfarben, Blei- oder Farbstift “klärend” zu Papier bringen. An den Standorten der Botanischen Gärten entwickeln sich oft lokale “Schulen der botanischen Illustration”, so auch in Wien.Links zu Programm

Links: https://www.botanische-illustration.at/
https://botanischergarten.univie.ac.at/veranstaltungen/veranstaltungen/botanische-illustration/
http://margaretapertl.com


Manuskript

TEASER OT „MOM Trailer Botanische Illustrationen 2“

Ich habe gleichzeitig 20 verschiedene Pflanzen, die ich illustriere und kann immer nur so lange arbeiten, vor allem wenn es blühende Pflanzen sind, solange diese Pflanze blüht. Und dann muss ich wieder etwas anderes machen. Und dann warte ich ein Jahr lang, bis diese Pflanze wieder blüht.

ANMODERATION

Wie zeichnen Sie eine Pflanze? Eine Blume, eine Blüte? Ein Ringerl in der Mitte, fünf Schlaufen für die Blütenblätter. Den Stängel, und die Blätter? Für den Anfang ist das sicher gut.

TEASER OT „MOM Trailer Botanische Illustrationen 3“

Wenn ich mit der Illustration beginne, beginne ich zuerst mit einer Bleistiftzeichnung auf einem dicken 300g Papier. Und die Bleistiftzeichnung soll so aussehen, dass sie unsichtbar ist. Da geht es darum, dass man entspannt arbeitet. In dem Moment, wo man versucht, unbedingt eine gerade Linie zu machen, gelingt es eher nicht.

MODERATION FORTSETZUNG

Wer aber wissenschaftlich illustrieren möchte, muss die Pflanze, die portraitiert werden soll, zuerst verstehen. Lothar Bodingbauer hat Menschen getroffen, die ganz genau hinsehen. Botanische Illustrationen, und wie sie entstehen.

**** BEITRAG **** 10:07 min ***

ATMO Schraffieren

Hier entsteht das Bild eines Blattes … in grau … mit Bleistift wird es schraffiert … und radiert wird auch.

OT Pertl

Ist ganz wichtig. Ich radiere bei allen Skizzen. Ich radiere und zeichne drüber, radiere …

Das ist Margareta Pertl …

OT Pertl

Ich radiere nie auf Aquarellpapier. Wenn ich da die Oberfläche verletzte, kann es sein, dass mir die Aquarellfarbe zerrinnt, oder dass sie einen anderen Farbton bekommt.

Margareta Pertl ist Botanische Illustratorin im botanischen Garten der Universität Wien. Sie hat dort beim Eingang neben dem Glashaus in einem kleinen Ziegelgebäude ein kleines Kämmerlein. Es riecht nach frischer Erde, nach Farbe. Die Sonne scheint beim Fenster herein, wird reflektiert am Haus gegenüber und es gibt Tageslichtlampen für ganz besonders helles Licht.

ATMO Spitzen

Und es gibt viele, viele Zeichnungen von Pflanzen, an der Wand, in Ablagen, in Büchern, in Mappen.

ATMO Blättern

OT Pertl

Ich habe Kunst studiert und ich beschäftige mich seit ca. 20, 25 Jahren mit der botanischen Illustration. Mit der wissenschaftlichen botanischen Illustration. Eine Pflanze wird zerlegt, sie wird ganz genau angeschaut, in ihren einzelnen Teilen gezeichnet. Und da kommt es jetzt natürlich darauf an, wie gut Sie zeichnen können, aber das ist nicht das Wesentliche. Das Wesentliche ist, dass Sie sich damit beschäftigen und auseinandersetzen und erkennen, wie schauen die Staubgefäße aus, wie schauen die einzelnen Blütenblätter aus. Das ist ja nicht nur ein Ringerl. Sondern das hat eine Struktur. Und das lernt man kennen. Und das lernt man dann zu übersetzen auf ein Papier als Zeichnung.

Und es kommt dabei nicht darauf an, sagt Margareta Pertl, dass das Ganze vielleicht schneller ginge, wenn man es fotografiert. Es ist ein wenig wie beim Aktzeichnen.

OT Pertl

Auch ein Akt, oder ein Gesicht, oder ein Teil des Körpers hat ein System. Und dieses System muss man mal erfahren und dann kann man es zeichnen.

OT Wilfling

Und ein Punkt ist wirklich diese Qualität des Beobachtens.

Alois Wilfling, er ist nebenbei auch Experte für alte Obstsorten, er ist aber vor allem hauptberuflich, und das hat er lange gelernt, botanischer Illustrator. Er lebt in der Steiermark.

OT Wilfling

Wenn wir heute im Arbeitsalltag unterwegs sind, dann haben wir jede zweite Sekunde ein neues Bild und hier, ist die botanische Illustration sozusagen ein bisschen eine Gegenwelt. Botanische Illustration ist Meditation im reinsten Sinne, weil ich fünf oder zehn Stunden sitze, und konzentriert, aber doch entspannt bei einer Sache bleibe. Und wenn ich einen Tag oder zwei Tage vor einer Pflanze sitze, dann eröffnet sich diese Pflanze mir gegenüber. Das heißt, ich beginne Dinge zu sehen, die ich in
zwei Sekunden sowieso nicht, aber auch in fünf Minuten oder in einer halben Stunde nicht sehe. Und wenn ich nach zwei Tagen diese Pflanze verlasse, dann kenne ich sie ganz anders als jeder andere, ja.

Aber da gibt es noch die Frage mit dem Fotografieren. Könnte ein Foto nicht alles besser darstellen, egal ob man es im Wesen erfasst oder nicht. Nein, sagt Alois Wilfing.

OT Wilfling

Wenn man versucht zum Beispiel einen Apfelbaum darzustellen, der zugleich blüht und fruchtet, dann wird man sie mit dem Foto recht schwertun. De facto ist es so, dass wir für wissenschaftliche Zwecke nicht eine Pflanze zeichnen, sondern vielleicht die gleiche Pflanze, 50- oder 100-mal zeichnen, und dann daraus einen Idealtypus machen. Das heißt, wir analysieren die Pflanze in der ersten Phase. Sie wird zerlegt, sozusagen, und ich zeichne von mir aus jetzt auf einem Ast eines Apfelbaumes, eine Blüte, eine Knospe, eine junge Frucht, eine ältere Frucht, das Blatt von unten, das Blatt von oben und
setze das dann, also zuerst diese Analyse, ich analysiere die Pflanze und setze es dann in der Synthese wieder zusammen und ordne alles an, sodass ich alle Merkmale auf einer idealtypischen Zeichnung sehe. Das kann einfach durch die Fotografie nicht gewährleistet werden.

OT Pertl mit ATMO

Ich mache jetzt hier grad ein Birkenblatt, das vergrößert ist, und zwar vierfach vergrößert, und da muss man schon ganz genau schauen, wo sind die Hauptvenen, wo sind die kleinen Adern. Wie ist das System?

Und man könnte jetzt glauben auf Entfernung, dass Fehlstellen, irgendwelche Flecken am Blatt, dezent übermalt werden, so tun, als ob da gar nichts wäre. Nein, sagt Margareta Pertl. Im Gegenteil.

OT Pertl

Das ist dann abwechslungsreich, also so wie hier sieht man, dass die Spitzen des Herbstblattes sind schon ein bisschen brauner und hier sieht man, wie sich das Blatt von grün zu Gold und Dunkelbraun verfärbt.

OT Wilfling

Für Pflanzen ist es auch sehr typisch, dass sie gewisse Parasiten draufhaben, gewisse Schäden haben und die sind manchmal durchaus Erkennungsmerkmale und solche Dinge werden auch mit dargestellt.

ATMO Zeichnen

Bei der wissenschaftlichen botanischen Illustration müssen auch die Härchen stimmen. Jedes Härchen im Idealfall, denn es sind Bestimmungsmerkmale, die Arten unterscheiden.

OT Pertl

Und man muss es klärend darstellen. Das heißt, wenn ein Teil verdeckt ist und man’s nicht sieht, dann hat das ja gar keinen Sinn zu illustrieren, weil dann sieht man’s nicht. Also man muss das dann so drehen, dass man alle Teile, die wichtig sind zur Bestimmung der Pflanze, dass man die sieht. Und das Foto, das ich auch mache, das dient nur sozusagen der Dokumentation.

OT Wilfling

Pflanzendarstellungen findet man in steinzeitlichen Höhlen genauso wie Tierdarstellungen. Die sind meistens aber deutlich bekannter dann, ja und ob das jetzt aus irgendwelchen kultischen Zwecken, mystischen Zwecken gewesen ist oder mit der Zeit dann natürlich aus gesundheitlichen Zwecken, weil man die Pflanzen als Heilpflanzen genutzt hat…

Und mit dem genaueren Blick auf die Natur, sagt Alois Wilfling, ist auch die wissenschaftliche Illustration entstanden. Gleichzeitig mit der Entwicklung der Wissenschaft und der Entdeckung neuer Kontinente auf den Forschungsreisen. Vor 250 Jahren zum Beispiel, da wurde Australien entdeckt.

OT Pertl

Man hatte so sehr viel Pflanzenmaterial mitgenommen. Das hat meistens sehr gelitten
und bei diesen Expeditionen waren ja immer wissenschaftliche Zeichner mit. Es waren immer Landschaftszeichner mit und meine großen Vorbilder, die Brüder Bauer, der Ferdinand Bauer, der ja nach Australien gegangen ist, der hatte dort die australische Flora illustriert und ist auch dort viel mehr bekanntes. Bei uns musste ich dazu sagen, der hat Zeichnungen angefertigt, die sind jetzt zum großen Teil bei uns im naturhistorischen Museum, und in jedes Teilchen hat er eine Nummer hineingeschrieben. Und diese Nummer hat mit seiner Farbskala korrespondiert. Der hat über, ich glaube, über tausend oder 2000 verschiedene Farben gehabt mit einer Nummer. Und hier dann hat er das ausgemalt.

OT Wilfling

Das Erste, was ich natürlich mache, ich gebe diese Pflanze ins Wasser, damit sie frisch bleibt. In der Nacht kommt sie in den Kühlschrank und, wenn man zeichnet, dann ist es ganz wichtig, dass ich nicht um die Pflanze rundherum schaue, oder rundherum gehe, sondern ich muss sie von einem Punkt aus zeichnen. Das heißt, auch die Pflanze wird fixiert, dass sie immer in der gleichen Position ist und auch das Licht wird fixiert, ja. Das heißt, ich habe aus der genau gleichen Position die Beleuchtung, damit ich einfach bei der Illustration dann wirklich Licht und Schatten konstant vorhanden habe.

Was hier Alois Wilfling nicht erzählt hat, ist, dass er den Bauchnabel, seinen Bauchnabel am Tisch markiert. Dort setzt er sich dann immer genau hin, wenn er wieder seine Arbeit an der Zeichnung aufnimmt, damit die Perspektive, seine Sicht auf die Pflanze, die Gleiche bleibt. Und unwillkürlich hält der Illustrator oft bei seiner Arbeit dann auch die Luft an.

OT Wilfling

Eine frühe Freundin von mir, die hat immer gesagt, „atme, atme, atme“, weil sie es gehört hat, ja, dass man so lange nicht atmet und man selbst merkt das aber überhaupt nicht.

ATMO Schraffieren

OT Pertl

Also ich messe hier alles ab. Jede Zacke, jede Stängellänge, jede Distanz von der Knospe zum Blatt wird auch eingetragen in meinen Skizzen. Das hier ist ein Proportionalzirkel. Stechzirkel. Da kann ich zum Beispiel hier die Größe abnehmen und wenn ich jetzt diesen Teil hier dreimal vergrößert haben will, das ist zum Beispiel hier bei diesem Birkenblatt. Da sieht man, das ist ein Zentimeter. Das ist viermal vergrößert. Das heißt, ich nehme alle Maße vom Blatt ab und übertrage sie auf meine Skizze.

An den Standorten der botanischen Gärten entstehen meist auch sogenannte „Schulen der botanischen Illustration“, erzählt Margareta Pertl, in denen man in Kursen die Illustration handwerklich lernen kann, und wofür auch immer man die Produkte dann verwendet
ob man sie mit Passe-Partout im Rahmen an die Wand hängt, für Bestimmungsbücher verwendet, oder vielleicht für Etiketten auf Mineralwasserflaschen für Wasser mit Geschmack, Zitrone, Orange oder Himbeere, die großen Kunstwerke, die Aquarelle, die Originale, werden nur mit vorgehaltener Hand besprochen, sagt Alois Wilfling.

OT Wilfling

Wenn man Originale anschaut, dann ist es nicht erlaubt, daneben zu sprechen. Unweigerlich spuckt man, ja und das könnte die Originale sofort beschädigen. Das heißt, man geht ein, zwei Meter weg und spricht von den Werken weg, und im Normalfall hält man sich sogar dann noch die Hand vor, ja. Und daneben wird nur betrachtet, aber nicht gesprochen.

ABMODERATION

Ein Beitrag von Lothar Bodingbauer.

Die Ausstellung „Botanische Illustrationen“ ist im Botanischen Garten der Universität Wien am Wiener Rennweg noch bis Ende Mai zu sehen. Die „Wiener Schule der botanischen Illustration“ veranstaltet dort für seine Mitglieder regelmäßige Treffen zum Austausch, zur Naturbeobachtung und zum gemeinsamen Zeichnen.