5000 ethnische Gruppen gibt es weltweit, Nationalitäten, Nationen. Die Anzahl jener, die sich innerhalb ihres Staates in Konflikten befindet, ist groß. Ob Ost-Timor, Quebec, Katalonien, die Krim. Auch in Schottland demnächst abgestimmt, ob das Land vom Vereinigten Königreich unabhängig werden kann. Unabhängigkeitsbestrebungen bestimmen also immer wieder die internationale Poltik. Unabhängigkeit – und Abspaltung. Die Sezession.
Manuskript (ohne letzte Änderungen) SIGNATION „Das Wort der Woche“.
Die Sezession. Das Wort kommt von lateinisch secessio, Abspaltung, Abseitsgehen, Trennung, und da ist durchaus auch die künstlerische Sezession gemeint, in der sich Künstler von der bisherigen Tradition getrennt haben, und eine neue geschaffen haben, bei der Wiener Sezession den Jugendstil – das war um 1900.
Sezessionen bei Staaten aber entstehen zu allermeist bei ethnischen Konflikten. Manche Politikwissenschaftler sehen aber genau das als Mythos an. Nicht die Ethnien verursachen – sagen sie – Konflikte, sondern die vorherige Zerstörung des sozialen Netzwerkes. Da gehören dann auch die ökonomischen Faktoren dazu – wer profitiert wovon – zum Beispiel vom Öl an der Küste Schottlands.
Die Gründe für Sezession liegen vorderhand im Staat selbst, eine Sezession ist daher zunächst auch nicht ansteckend, sagen Politikwissenschaftler. Wenn es aber einmal innerhalb eines Staates zu Sezessionsbewegungen gekommen ist, breitet sich das Phänomen rasch aus, auch außerhalb. So fürchtet zum Beispiel die UNO immer auch ein „spill over“, ein Überschwappen auf andere Regionen, wenn ein abtrünniger Teilstaat eines Landes zu früh international anerkannt wird.
Andere Konfliktgegenden lernen daraus.
Man muss sich ja überhaupt wundern, warum ein Staat überhaupt zusammenhält, aber wenn dieser Zusammenhalt nicht mehr gegeben ist, braucht es für den wirklichen Start einer Sezession folgende Bedingungen:
Die Unzufriedenheit einer Gruppe, eine gemeinsame Identität, und vorangegangene Überlegungen, eine politische Aktion zu starten. Weitere Zutaten sind dann der Glaube, dass der Nutzen der Sezession größer ist als die Kosten, der Erfolg wahrscheinlicher, als man früher glaubte, und dass einige Schlüsselstaaten der Sezession weniger feindlich gestimmt sind als früher.
Einkommensunterschiede, Sozialleistungen, der Fluss von Arbeitskräften und Kapital. All das sind Faktoren, die bei Sezessionen eine Rolle spielen. In die eine oder auch in die andere Richtung – denn es profitieren wirtschaftlich starke Regionen durchaus auch von der Anwesenheit wirtschaftlich schwacher Regionen.
— KÜRZEN MÖGLICH
Es gibt hier übrigens eine Parallele zu Ehescheidungen. Im früheren Scheidungsrecht mussten beide Partner einer Trennung zustimmen, im modernen Scheidungsrecht darf nun durchaus ein Partner die Trennung verlagen, bekommt sie aber erst nach einer bestimmten Zeit oder mit Auflagen und Verpflichtungen, die vom Richter festgesetzt werden. Der stärkere Partner hat nämlich über die Jahre hin Verantwortung übernommen, an die sich der Schwächere mit Recht gewöhnen durfte.
Eine plötzliche Trennung wäre daher fatal, und das ist bei Staaten nicht anders. Und
— KÜRZEN ENDE
… es gibt bei aller Ökonomie und abseits von Recht und Verfassung auch bei Sezessionen vor allem auch eine moralische Komponente, mit der sich die Sezessionsphilosophie beschäftigt, die Sezessionsethik.
Im Schottischen Beispiel könnten bei einer Abspaltung nämlich durchaus den Bewohnern des restlichen Königreichs Nachteile entstehen, die Bewohner eines Staatsgebietes planen ihr Leben auch meist unter der Annahme, dass dieses Gebiet weiter bestehen bleibt, da könnten also Lebenspläne durchkreuzt werden. Und sie verlieren auch Souveränität, zu der eben gehört, dass sie zum Beispiel die Einkommensstuer in Schottland mitbestimmen können.
Je nach Sezessionstheorie wird einer Gruppe die Abspaltung moralisch gestattet, wenn ihr Unrecht widerfahren ist, oder, schwächer, wenn sie eine Nation bildet, oder noch schwächer, wenn eine Mehrheit bloß der Meinung ist, eine Abspaltung wäre das Beste.
Je nach Theorie, nach Philosophie, nach ethischer Auffassung wäre eben dann eine Abspaltung Schottlands in Ordnung – oder auch nicht, die, und das ist anzunehmen, friedlich verlaufen würde. Und diese Vielschichtigkeit zeigt, wie entwickelt unser Gefüge an Staaten, Grenzen und Ordnungen eigentlich ist. Sezessionen sind, so sagen manche Politikphilosophen, Sezessionen sind eine Büchse der Pandora, und die Frage ist, ob sie halb voll ist oder halb leer.