(Moment / ORF Radio Österreich 1)
WORT DER WOCHE 21. September 2016 / Lothar Bodingbauer / ERDRUTSCH
MODERATION
„Die Grünen haben mit einem Erdrutschsieg die Wiener Leopoldsstadt erobert“. „Putin gestärkt, Kreml-Partei erzielt Erdrutschsieg“. „Erdrutschsieg für amtierenden Rathauschef in Schwetzingen“. – Für Schlagzeilen eignet sich der Begriff „Erdrutschsieg“ offenbar ganz gut. Man muss nicht lange danach suchen. Das Wort ist kurz, knackig, und wild. Es zeugt von Überraschung, manchmal von Furcht und Schrecken – zumindest für die politischen Gegner.
SIGNATION Wort der Woche
Ein Erdrutsch vereinigt viele unangenehme Eigenschaften, die eine sonst zuverlässig vorhersagbare Natur für uns Menschen haben kann. (SCHNEIDEN MÖGLICH START) Während das Rutschen selbst noch durchaus mit Spiel, Spaß und guter Laune verbunden sein kann, bezeichnet jede Silbe davor ein Problem. Ausrutschen. Abrutschen. Verrutschen. Oder auch eine Katastrophe: (SCHNEIDEN MÖGLICH ENDE) Der Erdrutsch. Zu viel Energie am falschen Ort zu unpassender Zeit, gefährlich vor allem dort, wo Menschen leben. Es gehört zu den rätselhaften Eigenschaften genau dieser Menschen, so etwas mit einem Sieg zu verbinden, dem Erdrutschsieg. Beim Erdrutsch ist die Gravitation der Motor der Bewegung. Beim Erdrutschsieg der Wählerwille. Hier wie dort lösen sich stabile Verhältnisse, hier wie dort durch einen Auslöser, der im Lösen des Zusammenhalts besteht, der beteiligten Menschen – oder eben der Teilchen, zum Beispiel durch Regen.
OT 1 – 00:10 – Wasser
*Wasser ist ein Schmiermittel und setzt die Festigkeit dieser Materialien entscheidend hinunter, sodass es gerade bei Starkniederschlägen zu einem Überdruck kommt, der entladen werden möchte*
Michael Lotter ist Geoingenieur an der Bundesanstalt für Geologie in Wien. Er beschäftigt sich mit allem, was die Gravitation in Österreich nach unten zieht. Muren, Felsstürze, Steinschläge, Bergrutsche, Niederbrüche von Wasser, Steinen, Sand, Schluff, Kies und Erde. Michael Lotter beobachtet und archiviert mit seinem Team die Pressemeldungen und muss dabei erst aussortieren.
OT 2 – 00:21 – Pressemeldungen
*Hier auf dem Tisch sind zum Beispiel die ganzen Pressemeldungen der letzten Wochen. Wir verwenden so verschiedene Alerts, was so am PC reinkommt, es kommt natürlich auch immer wieder in politische Artikel, der mit den geologischen Prozessen nichts zu tun hat, das kommt natürlich rein, das filtern wir aber raus. Wir archivieren natürlich nur das, was für uns fachlich relevant ist.*
(SCHNEIDEN MÖGLICH START) Eigentlich hat ein Erdrutschsieg sogar noch etwas Konstruktives. Sonst würde man ja Murensieg – wenn alles den Bach runtergeht – oder Felsturzsieg sagen, wenn man von den Auswirkungen erschlagen wird. (SCHNEIDEN MÖGLICH ENDE) Geoingenieure versuchen, Erdrutsche vorherzusagen und zu verhindern. Sie arbeiten mit Hangmodellen und Zonenplänen.
OT 3 – 00:23 – Verhindern
*In modernen Ausführungen dieser Pläne versucht man auch diesen spontanen Naturgefahren gerecht zu werden, über Modelle, wo Parameter wie die Hangneigung, bodenmechanische Eigenschaften des Materials, die Vegetation, die kann einen stabilisierenden Faktor darstellen, mit eingehen, und man kann damit Bereiche höherer oder geringerer Gefährdung oder frei von Gefährdung ausweisen.
Ganz sicher ist das aber nicht.
OT 4 – 00:37 – Regelmäßigkeit
*Letztendlich ist es eine Frage der Wahrscheinlichkeiten. Hier tut man sich bei Hochwässern etwas leichter, weil bei Hochwässern eine Periodizität berechnet werden kann, wir denken alle in 100-, 50-, 25-jährigen Ereignissen bei Hochwässern, bei Massenbewegungen, wo auch der Erdrutsch dazugehört ist es schwierig, weil dort, wo etwas aufgetreten ist, ist der Hang nachhaltig verändert in seinem Spannungszustand, sagt der Fachmann, an gleicher Stelle wird ein Erdrutsch nicht auftreten, aber vielleicht daneben, aber da habe ich wieder das Problem von „wo und wann“.
Die Daten sind wichtig, sagt Michael Lotter, für sichere Vorhersagen, Daten die im Feld gewonnen werden, Informationen über den Zustand der Landschaft. Und davon wissen Politiker und Medien ein Lied zu singen. Wer nicht an den Menschen dran ist, an ihren Informationen, an dem was sie wissen, weiß nicht, was ihnen als nächstes einfällt. Übrigens, ein Erdrutsch kann auch der Auslöser für eine größere Bewegung sein, für eine Wasserwelle, einen Tsunami, mit Auswirkungen, die weit entfernte Gebiete in kurzer Zeit erreichen können.
ABMODERATION
Das Wort der Woche – von Lothar Bodingbauer.